Vor fünf Jahren stand man als erklärter Favorit in der ersten Regionalligasaison nach dem dritten Spieltag und drei Unentschieden schon ordentlich unter Druck vor der Fahrt nach Kiel in den ganz hohen Norden. 1:0 führten die Gastgeber bis fast in die Schlussviertelstunde hinein. Die Häme, die über den Verein mit dem vielen Geld und der Erfolgslosigkeit ausgeschüttet werden sollte, war in Teilen des Landes schon vorbereitet. Aber Lars Müller und Timo Rost kurz vor Schluss drehten die Partie noch in ziemlich emotionaler Art und Weise. Es war einer dieser besonderen Momente rund um den RasenBallsport, als man es der Umwelt unter ordentlichem Druck gezeigt hatte. Was sich auch in befreiten Jubelszenen manifestierte.
Druck war damals durchaus ein besonderes Thema. Anfeindungen bei den Auswärtsspielen, dazu ein beschädigter Mannschaftsbus beim Auswärtsspiel in Braunschweig. Klar, dass das in den Köpfen der Spieler eine Rolle spielte. Bzw. laut Carsten Kammlott offiziell keine Rolle spielte (bzs. spielen durfte), weswegen er auch einen Mentaltrainer (den man später unter Rangnick und Zorniger richtigerweise trotzdem holte) überflüssig fand. Der Sieg in Kiel, der Jubel dort und die Worte von Stefan Kutschke, der eine ablehnende Atmosphäre als besonders motivierend empfand, zeigten aber recht deutlich, dass der nicht immer freundliche Umgang mit RB Leipzig bei den Spielern sehr wohl in den Köpfen steckte und die Ummünzung dessen in positive Energie durchaus ein Erfolgsbaustein sein konnte. Wurde es aber so richtig erst unter Zorniger, als man eine recht verschworene Gemeinschaft zusammen hatte.
Inwieweit bei dieser Entwicklung hin zu einer verschworenen Gemeinschaft auch die immer wieder mal auftretenden RB-kritischen Vereinsoffiziellen eine Rolle spielten, ist nicht zu benennen. Fakt ist, dass Magdeburgs Volker Rehboldt in dieser Regionalliga-Saison der erste Vereinschef war, der vor dem Spiel gegen RB die Atmosphäre mit ein paar Äußerungen noch anheizte. Äußerungen mit Versatzstücken, die es in verschiedensten Variationen aus verschiedensten Mündern auf verschiedensten intellektuellen Stufen seitdem immer wieder gab.
Dass RB Leipzig nach dem miesen Saisonstart Erfolg hatte, konnte auch Volker Rehboldt nicht verhindern. Wozu auch eine Magdeburger Niederlage in Leipzig beitrug. Fünf Siege in Folge errang man mit und nach dem Kiel-Spiel. Und ging dabei weg vom in der Sommerpause ausgerufen attraktiven Spiel hin zu stärker robust-kompakten Variante. Also dem, was Fußball unter Tomas Oral eigentlich auch an anderen Stationen immer war.
In der robust-kompakten Art und Weise bespielte man auch den SV Wilhelmshaven. Am Ende stand ein 3:2 und die Partie wäre wohl keine Erwähnung wert, wenn sie denn nicht auch so etwas wie die Geburtsstunde des Publikums gewesen wäre, die erstmals in der Vereinsgeschichte durchaus zum Sieg beitrugen und bei einer vom Verlauf her emotionalen Partie inklusive Platzverweis gegen Timo Rost so aus sich hinausgingen, dass einer der damaligen Kommentatoren hier im Blog dies mit dem Dammsitz bei Lok verglich. Es war auf jeden Fall ein kleines Aha-Erlebnis, dass zu einem Regionalliga-Spiel vom damals noch lange nicht wirklich in der Stadt angekommenen RB Leipzig nicht nur sehr ordentliche 3.500 Zuschauer kommen, sondern diese auch noch langsam zu einem Fußballpublikum zusammenwachsen. Das mag aus heutiger Perspektive unspektakulär erscheinen, ein reichliches Jahr nach Vereinsgründung und in der ersten Saison in der Red Bull Arena war es das durchaus nicht.
(Als Randbemerkung zum Spiel gegen Wilhelmshaven sollte erwähnt werden, dass Daniel Frahn sein Coming Out als wichtigster Stürmer des Vereins hatte. Eine Rolle, die er die nächsten vier Jahre innehaben sollte. Interessanter noch, dass damals die Fans auf den Rängen intensiv nach einem Carsten Kammlott verlangten, der nur auf der Bank Platz genommen hatte, damals allerdings noch als künftiges sportliches Aushängeschild des Vereins galt und bei den Anhängern ein sehr gutes Standing hatte. Diese Zeiten haben sich dann aber doch vergleichsweise schnell geändert..)
Sportlich getragen hat die sich entwickelnde Atmosphäre im Stadion aber nicht dauerhaft, denn nach den fünf Siegen war erst mal Schluss mit lustig und es folgten zwei Spiele ohne Tore. Das 0:0 in Lübeck ging noch als erträglich durch. Das depremierende 0:1 gegen die U23 des VfL Wolfsburg (neben einigen anderen unter anderem mit einem Robin Knoche, Fabian Klos und Tolga Cigerci in der Startelf) war dann aber einer jener Nackenschläge, die dazu führten, dass man am Ende der Saison mit deutlichem Rückstand auf die Topplätze am Aufstieg vorbeischrammte. Nach dem zehnten Spieltag hatte man durch die Heimniederlage auf Platz 4 liegend jedenfalls schon neun Punkte Rückstand auf überragende Chemnitzer, die mit neun Siegen und nur einem Unentschieden in die Saison gestartet waren.
Abseits des sportlichen machten die Ultras Red Bull von sich reden, die in einer Kommunikationsguerilla-Aktion als Online-Fakegruppe anderen Ultragruppen bundesweit und mit einem Posingbild vor allem den Hallensern auf den Schlips traten, um damit den Hass auf RasenBallsport Leipzig auf die Schippe zu nehmen und anderen den Spiegel vorzuhalten. Im Detail eine durchaus witzige und nachvollziehbare Aktion, die das Problem hatte, quasi die Fanszene von RB Leipzig als Träger zu kapern. Denn bevor man den Fake auflöste, war man eine Weile als nach Prügel suchender RB-Ultra-Fangruppierung (damals gab es im Fanblock von RB zwar weder Ultra noch Prügelsuche, aber im Netz spielt traditionell weniger eine Rolle, was es gibt und was es nicht gibt, weswegen den Fake viele ernst nahmen) unterwegs. Was zumindest ein klein wenig anmaßend gegenüber jenen war, die damals tatsächlich ganz real RB-Fankultur prägten.
Wie zum Beispiel die damals erstmals aufgetretenen Rasenballisten als loser Interessensgemeinschaft, die mit ihrem Denkansatz auch der Nukleus inzwischen tatsächlich entstandener, kleinerer Ultra-Strukturen waren. Denen ging und geht es immer noch darum, in ihrem Fan-Sein die Verknüpfungen zum Finanzier Red Bull nicht sichtbar werden zu lassen und die Unterstützung vornehmlich auf Leipzig zu beziehen. Eine in der Praxis von Leipzig-Schals und Zentralstadion-Aufklebern sicherlich nicht weiter zu thematisierende Geschichte. In der theoretischen Begründung des Anliegens verblieb und verbleibt allerdings weiterhin das Gefühl, dass da Leute mit dem was ihnen wichtig ist, schlicht beim falschen Verein gelandet sind.
Debattiert wurde in jenen Tagen auch über die Regionalliga-Reform. Die Proficlubs zogen die Reihen dicht gegen die Forderungen aus dem Amateurlager, die U23-Mannschaften aus dem Regionalliga-Spielbetrieb in eine eigene Liga zu verbannen. Witzigerweise vorneweg mit Lautsprecher Heribert Bruchhagen als Ligavorstand der DFL, der die Regionalliga damals noch “zur sportlichen Weiterentwicklung unserer Talente” brauchte. Keine vier Jahre später schaffte seine Frankfurter Eintracht dann die hauseigene U23 einfach ab, weil sie nicht mehr von den Verbandsregularien eingefordert wurde. Immer so wie man es halt gerade braucht..
Skurril auch Andreas Rettig, heutzutage eher im Kampf für das Gute im Fußball alias Heimat oder so unterwegs, der damals als Manager des FC Augsburg noch monierte, dass die Regionalliga-Reform auf den Tisch von Matthias Sammer gehöre. Der damals beim DFB für Nachwuchsarbeit zuständig war. Womit Rettig eigentlich nur zu verstehen gab, dass die Regionalliga aus Sicht der Proficlubs vor allem als Nachwuchsausbildungsliga verstanden wird, deren Interessen von Institiutionen und von Vereinen maßgeblich (mit)bestimmt werden sollen, die gar keine erste Mannschaft in dieser Liga haben. Nachvollziehbare Politik im Sinne des Eigeninteresses. Aber eben auch nicht wesentlich mehr als das. Völlig in Ordnung natürlich.
Gesponnen wurde vor fünf Jahren hier im Blog auch die Idee einer Art Supporterschaft anstelle einer Mitgliedschaft bei RB Leipzig und zu den Möglichkeiten, die man mit dem identitätsstiftenden Modell in Bezug auf die Verankerung des Vereins in Stadt und in Bezug auf die Verschmelzung des Vereins mit den Fans hat. Inzwischen gibt es mit der Fördermitgliedschaft, mit der man vor allem den Nachwuchs unterstützt, etwas, was dem nahe kommt, was mit dem “Supporter-Klub” hier vor fünf Jahren gemeint war. Auch wenn das vergemeinschaftende Element für diese Gruppe in Form von möglichen Online-Portalen und Aktionen eher unausgeprägt geblieben ist.
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Fußballspiele mit RB Leipzig in den letzten sechs Jahren in den Kalenderwochen 29 bis 34 (nur Pflichtspiele):
2014: FSV Frankfurt vs. RB Leipzig 0:0, RB Leipzig vs. Eintracht Braunschweig 3:1, Union Berlin vs. RB Leipzig 2:1, RB Leipzig vs. Karlsruher SC 3:1, Fortuna Düsseldorf vs. RB Leipzig 2:2, RB Leipzig vs. 1.FC Heidenheim 1:1 (alle 2.Bundesliga)
2013: SV Wehen Wiesbaden vs. RB Leipzig 2:1, RB Leipzig vs. Holstein Kiel 3:1, SV Elversberg vs. RB Leipzig 1:0, RB Leipzig vs. VfB Stuttgart II 3:1, VfL Osnabrück vs. RB Leipzig 3:2, RB Leipzig vs. SpVgg Unterhaching 2:2, 1.FC Heidenheim vs. RB Leipzig 0:2 (alle 3.Liga), Lok Leipzig vs. RB Leipzig 0:2 (Sachsenpokal)
2012: Lok Leipzig vs. RB Leipzig 1:3, Optik Rathenow vs. RB Leipzig 2:4, RB Leipzig vs. Germania Halberstadt 3:0, VfB Auerbach vs. RB Leipzig 3:4, RB Leipzig vs. ZFC Meuselwitz 2:0 (alle Regionalliga), Einheit Kamenz vs. RB Leipzig 0:1 (Sachsenpokal)
2011: VfB Lübeck vs. RB Leipzig 0:5, RB Leipzig vs. 1.FC Magdeburg 1:1, Hertha BSC II vs. RB Leipzig 1:2, RB Leipzig vs. VFC Plauen 1:1, Energie Cottbus II vs. RB Leipzig 0:1 (alle Regionalliga)
2010: Holstein Kiel vs. RB Leipzig 1:2, RB Leipzig vs. 1.FC Magdeburg 2:1, HSV II vs. RB Leipzig 1:2, RB Leipzig vs. SV Wilhelmshaven 3:2, FC Oberneuland vs. RB Leipzig 0:4,VfB Lübeck vs. RB Leipzig 0:0, RB Leipzig vs. VfL Wolfsburg 0:1 (alle Regionalliga), Budissa Bautzen vs. RB Leipzig 0:2 (Sachsenpokal)
2009: RB Leipzig vs. Germania Halberstadt 2:1, RB Leipzig vs. Budissa Bautzen 0:1, Dynamo Dresden II vs. RB Leipzig 0:2, RB Leipzig vs. Lok Leipzig 3:0, Schott Jena vs. RB Leipzig 0:1 (alle Oberliga), FC Sachsen Leipzig vs. RB Leipzig 1:3 (Sachsenpokal)