Regionalliga: VfB Auerbach vs. RB Leipzig 3:4

Was soll man nach so einem Spiel schreiben, außer dass man mit den Nerven runter (mir haben noch ewig danch die Knie gezittert) und dies ein würdiges Ende der 17 Monate ohne Auerbacher Heimniederlage war? Ein ziemlich heftiges Wechselbad der Gefühle zwischen Freude und Staunen einerseits und Haare raufen und Zittern andererseits. Dass RB Leipzig nach dem 4:2 und dem sicher scheinenden Sieg tatsächlich noch mal in Gefahr kam, die drei Punkte zu verlieren, passte perfekt zu diesem Spiel, das als Fußballfest durchgeht, aber für Freunde der Defensivorganisation eine ziemliche Horrorvorstellung war. Es passiert schließlich nicht oft, dass RB auch in Defensivgrundformation diverse gefährliche Einschussmöglichkeiten zulässt. Letztlich gewann das Team, das einmal mehr Nutzen aus den Löchern der gegnerischen Abwehr ziehen konnte. Und das war RB. Ausgehen hätte das Spiel aber auch 5:5..

Vom Äußeren her hatte das Gastspiel in Auerbach ein bisschen was vom letztjährigen Ausflug nach Meuselwitz. Die Sonne packte ihre schönsten Herbsstrahlen aus und sehr viele, sehr gut aufgelegte RB-Anhänger zogen ins Vogtland und sorgten für prima Fußballatmosphäre. Vielleicht war es diese ausgelassene Stimmung, die dafür sorgte, dass die Defensivorganisation beider Mannschaften nicht so verbissen betrieben wurde, wie man das eventuell erwarten durfte. Wobei aber andererseits beiderseits, aber vor allem auch von Gastgebern, vom einen oder anderen rustikalen Körpereinsatz Gebrauch gemacht wurde.

Trotzdem waren die jeweiligen Verbünde einige Male unpässlich. Was auf Auerbacher Seite daran lag, dass ihre Art Dreierreihe manchmal einfach nicht das richtige Mittel zu sein schien gegen die RB-Angriffe und daran, dass RB stellenweise auch einfach gut kombinierte. Auf RB-Seite versagten dagegen diverse Sicherungsmechanismen. Nach unnötigen Ballverlusten stand man einige Male offen. Auf der linken Verteidigungsseite klafften desöfteren (wie vor dem 2:2) unmenschliche Löcher. In der Abwehrzentrale gingen gerade gegen Ende der Partie aufgrund fehlender Abstimmung zwischen Abwehrreihe und Mittelfeld diverse zweite Bälle an den Gegner, die das dankend annahmen. Und auch individuell nahmen sich die beiden Innenverteidiger, die zuletzt viel an Gefahr abgewehrt hatten, ihre Fehler, die gleich zu zwei Gegentoren führten. Defensiv funktionierte bei RB Leipzig bis auf den sicheren Fabio Coltorti über 90 Minuten nicht viel.

Dabei deutete in den ersten 20 Minuten nicht viel darauf hin, dass Auerbach an diesem Tag zu einem großen Fight in der Lage sein könnte. RB Leipzig beherrschte die Partie mit beeindruckender Sicherheit, arbeitete sich im Angriff immer wieder Chancen heraus und stand defensiv sicher. Absolut verdiente Folge das 1:0 von Sebastian Heidinger, der nach einer Eckenserie einen Abpraller versenkte.

Völlig überraschend, dass die Gastgeber dann doch ins Spiel fanden. Schon vor dem Ausgleich bewahrte Fabio Coltorti sein Team vor einem Gegentreffer. Aber den gut geschossenen Elfer der Hausherren konnte er nicht halten. Fabian Franke hatte nach einigen Fehlern im Mittelfeld und einem langen Ball der Auerbacher einen seiner in dieser Saison extrem wenigen Momente, in denen er einen Zweikampf verliert und anschließend schlicht zu spät kommt. Aus meiner Sicht ein gleichermaßen unnötiger wie gerechtfertigter Elfmeter.

Anschließend dann wieder die RasenBallsportler am Zug, die ihre neue Qualität, immer und jederzeit Torchancen kreieren und auch verwerten zu können, ausspielten und Treffer Nummer 2 auflegten. Schon zum dritten Mal in dieser Saison nach langem Abschlag von Coltorti. Diesmal wieder wie schon in Rathenow mit Verlängerung Kutschke und sich bedankendem Frahn. Gegen diese Variante waren die Gastgeber schlicht zu langsam. Witzig, dass ich im Moment des Abschlags aufgrund der Unterzahl im Sturm noch vor mich hinmurmelte, dass man es mit diesen langen Abschlägen doch nicht übertreiben sollte. Und zack war ich verstummt..

Man muss es den Auerbachern schon hoch anrechnen, dass sie sich über das gesamte Spiel hin nicht von Rückschlägen beeindrucken ließen. Auch nach dem neuerlichen Rückstand suchten sie weiter vehement ihre Chance und nutzten sie nachdem sie über rechts viel zu viel Raum zum Flanken hatten und in der Mitte Niklas Hoheneder schlechter zum Ball steht als sein Gegenspieler. Wie gewonnen, so zerronnen. Angesichts der ersten 20 Minuten eigentlich irre, dass es nach reichlich 30 Minuten Unentschieden steht.

Doch wie Auerbach ließ sich auch RB Leipzig nicht beeindrucken von der ungünstigen Spielsituation und dem erwachenden Publikum. Mit beeindruckender Beharrlichkeit spielten sie auch nach Heidingers verletzungsbedingter Aus- und Röttgers Einwechslung weiter nach vorn und nutzten den durch die Auerbacher Dreierkette entstehenden Raum auf halblinks durch Rockenbach nach schönem Röttger-Durchstecker zur erneuten und überlegt erzielten Führung. Und wieder obenauf. Der Halbzeitpfiff setzte dem Vorpausentorspektakel ein Ende. RB Leipzig lag sicher alles in allem verdient vorn, aber aufgrund der defensiven Mängel hätte man sich auch über ein Unentschieden nicht beschweren dürfen.

Bilder, die ein Spiel fast schon ausreichend beschreiben - Der Ball zappelt im Netz als Thema des Tages | | © GEPA pictures/ Roger Petzsche

Die zweite Halbzeit brachte dann keine Einbußen in der Intensität, wohl aber lange Zeit in der offensiven Genauigkeit. RB Leipzig nun nicht mehr mit dem selben Zug zum Tor und um defensive Ordnung bemüht. Dazu kamen einige wenig zielführende Einzelaktionen, die vielversprechende Situationen in der vielbeinigen Abwehr der Vogtländer versanden ließen. Von Auerbach kam nun nicht mehr allzu viel Gefährliches, aber das Spiel blieb aufgrund des Spielstandes ein offenes und wurde mit der Zeit rauher, woraus einige Aufregung, Freistöße und gelbe Karten resultierten.

So richtig nervenaufreibend wurde es aber erst in der Schlussviertelstunde als sich Auerbach zumindest einige Fernschusschancen erarbeitete und RB Leipzig immer mehr Platz zum Kontern bekam. Aus einer dieser Situationen resultierte dann auch die vermeintliche Entscheidung, als Daniel Frahn auf und davon war, Keeper Dix umspielen wollte und von diesem gefällt wurde oder wie es die Auerbacher Spieler gesehen haben wollten, beim Keeper einfädelte. Resultat war ein Elfmeter und ein wohlwollender Schieri, der Dix nicht wegen Notbremse vom Platz stellte, was er wohl durchaus hätte tun können. Kutschke nutzte die Chance, die die von mir so erinnerte Zorniger-Regel ‘Der Gefoulte tritt nie selber an’ bot und krönte eine engagierte Leistung mit dem Treffer zum 4.2.

Fünf Minuten vor Spielende war nun eigentlich alles auf Feiern eingestellt, zumal RB durch Frahn noch die Chance zum 5:2 liegen ließ und der Schieri bei einem Treffer irgendwo Abseits gesehen haben wollte (eine exklusive Ansicht), doch dieses Spiel konnte nicht in aller Ruhe zu Ende gehen und so verkürzten die Gastgeber nach einem Standard und Durcheinander in der RB-Verteidigung nochmals. In Sachen Moral waren die Gastgeber gestern jedenfalls ganz groß. Was danach kam war pures Zittern, Auerbach noch mal mit Mann und Maus und Keeper im RB-Strafraum und dass nach drei Minuten Nachspielzeit wirklich Schluss war, darf man getrost als großes Glück empfinden, denn mit dem Mute der Verzweiflung schien Auerbach dem Ausgleich noch mal nah.

Man kann es positiv sehen und daran festhalten, dass RB Leipzig in einem Offensivspektakel die besseren Antworten hatte. Man kann (und ich finde muss es diesmal auch) aber auch festhalten, dass die Defensive gestern auf allen Ebenen der Verteidigungarten schlicht nicht aufstiegswürdig war. Genaugenommen darf man sich in einem Spiel, das man völlig in der eigenen Hand hat, zum Schluss nicht so zu drei Punkten zittern. In Rathenow als Alexander Zorniger das mangelhafte Defensivdenken in Form der Arbeit gegen den Ball bemängelte, ließ RB trotzdem neben zwei selbstverschuldeten Toren praktisch nichts zu. In Auerbach aber hatte der Gastgeber fast mehr Torschüsse und Ballbesitz im RB-Strafraum als alle RB-Gegner zuvor zusammen (übertrieben gesagt). Allein das sagt alles über das Spiel aus.

Man fährt ja nach so einem Spiel voller Emotionen mit dem guten Ende doch zufrieden wieder nach Haus, weil man ein Fußballspiel mit allen Ingredienzen gesehen hat, die man sich von einem Fußballspiel wünschen kann. Trotzdem muss man in der Analyse feststellen, dass das gegenüber dem Auswärtsspiel in Rathenow ein Rückschritt in Sachen Defensivorganisation war. Was wiederum für die Perspektive der Saison und die auch noch anstehenden Aufgaben gegen Zwickau, Jena und vor allem Magdeburg eine eher schlechte Nachricht ist. Zorniger versuchte sich Richtung Ende des Spiels mit den Einwechslungen von Ernst und Sebastian, die beide(!) zusammen mit Kaiser im eher defensiven Mittelfeldzentrum agierten (Kaiser rückte dadurch etwas nach rechts), in einer kompakteren, körperbetonteren Variante. Viel geholfen hat das allerdings nicht.

Man darf, da bleibe ich gern weiterhin dabei, noch lange nicht den Stab über Unzulänglichkeiten brechen, aber man sollte es angesichts der langwierigen Aufgabe das Gegenpressing zu lernen, zumindest versuchen, individuelle Fehler, unnötige Ballverluste und das Zulassen von zweiten Bällen für den Gegner zu vermeiden. Denn wenn die zweiten und dritten Sicherungssysteme für das hohe Verteidigen auch versagen, dann steht man auch schnell mal ohne Punkte da. Zumindest wenn die Offensivarbeit nicht so überzeugend funktioniert, wie sie das zuletzt tat. Glücklicherweise funktioniert sie im Gegensatz zu weiten Teilen der vergangenen Rückrunde.

Fazit: Als Fußballfan war das Spiel von RB Leipzig in Auerbach ein geiles Spiel. Als RB-Anhänger bleibt die Freude über den Sieg und den Offensiv- und Kampfgeist der RasenBallsportler, aber auch die leicht gerunzelte Stirn über das, was da so alles aufs eigene Tor zurollen darf. Trotzdem macht es viel Spaß, weil Leben in der Mannschaft ist und das über die Transferperiode weitestgehend zusammengebliebene Team zu einer schicken Truppe mit Spielwitz zusammengewachsen ist. Nächste Station auf der Tortournee ist Meuselwitz. Am Freitag Abend schon in der heimischen Red Bull Arena. Sollte man nicht verpassen.

Randbemerkung 1: Stefan Kutschke ist mir ja in den ersten sechs Saisonspielen (oder sagen wir in den Spielen 3 bis 6) als Fußballer doch ein ganzes Stück ans Herz gewachsen, weil er sich zu einem flexiblen Stürmer entwickelt hat (nur einen linken Fuß hat er offenbar nicht) und viele Dinge macht, die ich fußballerisch(!) so von ihm nicht erwartet hätte. Gestern zeigte er auch wieder mal, aus welchem Holz er als Typ geschneidert ist. In der ersten Hälfte zeigte er erstaunliche Qualitäten, als er den aufgebrachten Niklas Hoheneder davon abhielt, auf einen hart einsteigenden Auerbacher loszugehen. Der hochemotionale Kutschke beruhigt den nicht ganz so hochemotional scheinenden Hoheneder. Großartiges Bild. Und in der zweiten Hälfte entschuldigte er sich überschwänglich und mehrmals bei seinem Gegenspieler, weil er ihn unabsichtlich im Kampf um den Ball ziemlich derbe gefoult hatte (er hatte ihn bei der Aktion schlicht nicht gesehen). Kutschke, der durchaus auch mal ein heftigeres Foul ohne Wimperzucken austeilen kann als jemand, der sich intensivst bei seinem Gegenspieler entschuldigt. Auch das ein großartiges Bild.

Randbemerkung 2: Ich schrieb es schon mal und ich sah es gestern wieder bestätigt, dass Paul Schinke ein Spieler mit großartigen technischen Fähigkeiten und viel Spielwitz ist. Einige Situationen, die er spielerisch löste und bei denen man nur mit der Zunge schnalzen konnte. Trotzdem funktioniert die Viererabwehrkette links, also in Richtung seiner Linksverteidigerposition gar nicht. 90 Minuten lang hatte Auerbach auf dieser Seite immer und immer wieder Platz zum Spielen und Flanken. Das kann man natürlich nicht nur Paul Schinke anhängen, weil er auch nicht alleine verteidigt, aber er lief doch ziemlich oft und ziemlich auffällig hinterher. Entweder man lässt sich da eine zweite Systemsicherung einfallen oder die linke Verteidigungsseite bleibt, solange Judt verletzt ist, eine unberechenbare Baustelle. Aber vielleicht ergibt sich aus Heidingers Verletzung für ihn ja auch die Chance (ohne Heidinger etwas schlechtes zu wünschen), eine Position weiter nach vorn zu rücken (also auf Heidingers Position links neben Kaiser bzw. Rockenbach), wo ich ihn ja gerne einmal sehen würde.

Randbemerkung 3: Bemerkenswert das Programmheft der Gastgeber, in dem sie das “Offensivfußballkonzept” von Zorniger als “sympathisch” bezeichnen, Leipzig als “fußballverrückte Stadt” kennzeichnen und ihre Bereitschaft, gegen RB Leipzig freundschaftszuspielen hevorheben. Mit der Begründung: “In Auerbach akzeptiert man nicht nur Fußballtradition, sondern auch die Bereitschaft viel Geld zu investieren, damit im erreichbaren sächsischen Umfeld mal wieder Bundesligafußball gespielt wird.” Bemerkenswerte Worte..

Randbemerkung 4: Ich hatte mich ja vorher auf die Taktik der Gastgeber gefreut, die mit einem 3-1-4-2 angekündigt waren. Tatsächlich haben sie diese Formation relativ offensiv besetzt. Ins hohe Pressing kamen sie dadurch noch lange nicht, weil RB die Bälle hinten heraus meist ganz gut spielte (zumindest bis in die Mitte der gegnerischen Hälfte). Überzeugt hat mich die Dreierkette auch deswegen nicht, weil sie erstens keinen Zugriff auf den Gegner fand und zweitens öfters in eine Uralt-Libero-Formation abdriftete. Also der mittlere der drei (Innen-)Verteidiger in der Kette zwei, drei Meter hinter den Kollegen agierte. Wodurch es eigentlich mehr oder weniger ein gelegentliches Prä-Rangnick- (sprich Prä-Viererkette-) Revival gab. Eine Art Libero, zwei Innenverteidiger, die im Raum verteidigen und außen noch weiter nach vorn verschoben Außenverteidiger. Und schon wird aus etwas modern anmutendem etwas relativ altes (was natürlich nicht schlecht sein muss).

Randbemerkung 5: Coole Gästekurve (“die eine Gerade ist”) da gestern im übrigen. Und eine schicke Choreo [broken Link], die ich naturgemäß nur auf Bildern sehen durfte.

Lichtblicke:

  • Fabio Coltorti: Sehr gut auf der Linie, sicher beim Herauslaufen und dazu ein Tor vorbereitet. Ohne Coltorti wäre man eventuell nicht mit drei Punkten nach Haus gefahren. Muss man mehr sagen?
  • Stefan Kutschke: Hat mich als Sturmtausendsassa einmal mehr überzeugt. Als Vorlagengeber, als Torschütze und als unermüdlicher Rackerer. Stefan Kutschke ist aus dem Team aktuell nicht wegzudenken und das sind für den leidtragenden Carsten Kammlott keine guten Nachrichten.

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Tore: 0:1 Heidinger (13.), 1:1 Vogel (27./FE), 1:2 Frahn (29.), 2:2 Schuch (33.), 2:3 Rockenbach (39.), 2:4 Kutschke (86./FE), 3:4 Hampf (89.)

Aufstellung: Coltorti – Müller, Hoheneder, Franke, Schinke – Kaiser – Schulz (62.Ernst), Rockenbach (81. Sebastian), Heidinger (34. Röttger) – Kutschke, Frahn

Zuschauer: 2.150 (davon 600 aus Leipzig)

Links: RBL-Bericht [broken Link], RBL-Liveticker [broken Link], RB-Fans-Bericht, MDR-Bericht [broken Link], VfB-Bericht [broken Link]

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Bild: © GEPA pictures/ Roger Petzsche

Ein Gedanke zu „Regionalliga: VfB Auerbach vs. RB Leipzig 3:4“

  1. Wer sich das hat entgehenlassen…
    Traumwetter zum Heldenzeugen, das Stadion teilweise in unserer Hand und 7 schöne Tore mit dem richtigen Ende.
    Einfach nur geil, genauso wie Du haben wir es auch erlebt.
    Beim Elfmeter der Auerbacher haben wir, genau auf Ballhöhe stehend, vorher ein Abseits gesehen, das gibt der Experte an der Linie nicht, dafür das dann bei dem Spiel von Kaiser nach hinten (auch auf unserer Höhe), neue Regel? Er macht allerdings damit alles noch mal spannend – Unglaublich!

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