Genau zehn Jahre war es gestern her, dass Red Bull mit der Gründung von RB Leipzig bzw. der Gründungsversammlung des e.V. seinen Fuß in den deutschen Fußball setzte. Vier Jahre vorher, also im Jahr 2005 hatte der Konzern schon den Klub in Salzburg übernommen. Ein Jahr nach Salzburg und drei Jahre vor Leipzig wurde der Klub in New York dem Fußball bei Red Bull hinzugefügt.
2008 nahm dann Red Bull Brasil den Spielbetrieb auf, der einzige Klub aus dem Hause Red Bull, der in der Ligenpyramide ganz unten anfing, weil eine Übernahme eines alteingesessenen Klubs an Bedenken hinsichtlich zu viel Wirbels und Gegenwinds scheiterte. Im selben Jahr gründete Red Bull auch eine Akademie in Ghana, die man allerdings 2014 wieder aufgab. Neben Erfolglosigkeit waren damals fehlende lokale Verankerung bzw. Verständnis für lokal-kulturelle Gegebenheiten der Grund.
“Es kann ja nicht sein, dass wir seit Jahren viel Geld in die Akademien in Ghana und Brasilien stecken, und keiner dieser Spieler gehört in Salzburg zum Kader”, hatte Ralf Rangnick 2013, also kurz vor Schließung des Stadorts in Ghana, in Bezug auf die Vernetzung der einzelnen Red-Bull-Standorte noch aus Sicht des auch Salzburger Sportdirektors erklärt [broken Link].
“Es ist wichtig für RB, in den nächsten Jahren dafür zu sorgen, dass sich an Standorten wie New York oder Brasilien mehr Spieler entwickeln, die für uns als Verstärkungen infrage kommen”, formuliert RalfRangnick im Jahr 2019 in seiner nur noch Leipziger Funktion fast deckungsgleich. Nur dass halt Ghana durch New York ersetzt wird.
Synergieeffekte zwischen den einzelnen Standorten waren schon früh in die Strategie von Red Bull, die sich in Österreich noch eine große Nachwuchsakademie inklusive dem FC Liefering leisten, eingewoben. “Unser Konzept mit Salzburg, Leipzig, New York, Ghana und Brasilien beginnt aufzugehen. In fünf bis sieben Jahren müsste unsere stärkste Mannschaft in einer anderen Liga spielen, weil die österreichische nicht stark genug für ein Team, das in der Champions League bestehen will, ist”, hatte Dietrich Mateschitz schon Anfang 2010, als RB Leipzig gerade mal ein halbes Jahr lang in der Oberliga kickte, erklärt und die Vision eines Champions-League-Leuchtturms Leipzig entworfen. Reichlich sieben Jahre später spielte RB Leipzig tatsächlich in der Champions League.
Über die Jahre war ja immer ein wenig die Frage, was zwischen den Vereinen für Synergien entstehen sollen. Zwischen Salzburg und Leipzig lag das immer auf der Hand. Der österreichische Klub sollte im Idealfall der sein, dessen beste Talente dann eben in Leipzig weitermachen. So wie es ein Martin Hinteregger früh verinnerlicht hatte. “Es war immer mein Ziel, in der Red-Bull-Familie zu bleiben und einmal für Leipzig zu spielen”, erklärte der spätere Kritiker Red-Bull-‘interner’ Wechsel 2013, als es um das Interesse verschiedener, europäischer Topklubs ging.
Bei New York und Leipzig waren die Synergien anfangs nicht wirklich klar. Der US-Klub schien aus europäischer Perspektive eher eine Möglichkeite, den in Deutschland verdienten und langsam zu alt werdenden Profis noch mal eine neue Karriereperspektive zu bieten. So sie denn die USA für die Kicker eine Möglichkeit darstellt. New York quasi (so wie die Liga damals auch funktionierte) als letzte Ausfahrt für alte Stars oder starähnliche Spieler, die in den USA sportlich noch konkurrenzfähig sind.
Die Zeiten, dass man sich in New York einen Thierry Henry leistete, sind allerdings gefühlt auch schon wieder eine Ewigkeit her. Mit viel Konsequenz hat man den Klub in den letzten Jahren zu einer vergleichweise kostengünstigen Ausbildungsstätte für junge Spieler entwickelt. Ein Matt Miazga, der sich mit dem Sprung zum FC Chelsea einen etwas arg großen Schritt zumutete und Tyler Adams sind die bekanntesten Beispiele der New Yorker Akadamie.
Zuletzt sorgte der Wechsel des erst 18-jährigen Dänen Mathias Jörgensen für Fragen nach einer Weiterentwicklung der Ausbildungsklub-Philosophie weg von ausschließlich amerikanischen hin zu europäischen Talenten. Quasi als ein von Salzburg unabhängiger Weg, Spieler zu entwickeln, die irgendwann eine Option für RB Leipzig werden könnten. Dass nun aber Heerscharen europäischer Talente nach New York gehen, um sich dort über den Spielbetrieb in der MLS für Europa zu empfehlen und weiterzuentwickeln, ist auch nicht so recht anzunehmen. Eine nicht uninteressante Option mit viel potenzieller Spielpraxis könnte das aber für den einen oder anderen Spieler schon sein.
Anzunehmen ist zudem, dass es eine stärkere Verknüpfung von Red Bull Brasil und New York geben soll, um Talente aus Nord-, Mittel- und Südamerika aufzufangen und weiterzuentwickeln. Der Zustand von Red Bull Brasil war dafür allerdings bisher eher suboptimal. In der Staatsmeisterschaft von Sao Paolo, der Paulista, konnte Red Bull immer wieder mal ganz gute Ergebnisse verzeichnen. Aktuell steht man dort auch wieder im Viertelfinale. Im landesweiten Ligenbetrieb ging man dagegen bisher bis auf Kurzausflüge in die vierte Liga unter.
Das ist ligentechnisch natürlich nicht wirklich ein Umfeld, in dem man für Talente interessant ist und in dem man Talente entwickeln kann, die im besten Fall mal in Europa bestehen können sollen. Der Output war entsprechend in den letzten Jahren gering. Mit Venuto und Pires kamen einst mal zwei Talente aus Brasilien in den Leipziger Nachwuchs. Venuto spielt inzwischen in Kanada. Pires ist von Hoffenheim in die erste brasilianische Liga verliehen. Einziger Spieler, der eine Red-Bull-Brasil-Vergangenheit hat und den Sprung nach Europa bisher wirklich schaffte, war Bernardo, der einst von Brasilien über Salzburg nach Leipzig kam und dann für vergleichsweise viel Geld in die Premier League ging. Ein Synergie-Transfer wie er Mateschitz gefallen haben dürfte.
In den letzten Jahren hat Oliver Mintzlaff die Zügel in Sachen internationaler Vernetzungen noch mal deutlich angezogen. Gerade den New-York-Umbau kann man dem RB-Geschäftsführer guten Gewissens zuschreiben. Auch nach China hat man seine Fühler schon länger ausgestreckt und arbeitet dort an Kooperationen. Indien war mal als weiteres Feld angedacht. Da passiert aber nichts, was öffentlich wahrnehmbar wäre.
Hintergrund für die Versuche, Vernetzungen stärker voranzutreiben, dürfte auch sein, dass die Verbindungen mit Salzburg 2017 im Fokus der UEFA-Untersuchungen standen. Verbindungen zu anderen Vereinen in Europa unterliegen, zumindest solange die in denselben Wettbewerben antreten könnten, immer auch den Wettbewerbsregularien der UEFA, die eine Unabhängigkeit zwischen Vereinen, die im Europapokal antreten, vorsehen.
Da ist vieles schwammig und wie man 2017 gesehen hat, kann man da vieles noch erfolgreich (nach)verhandeln. Ganz komplett in eins fallen, können Salzburg und Leipzig aber in er Öffentlichkeit trotzdem nicht mehr. Das heißt nicht, dass Leipzig nicht weiter auf die Talente eines der besten Talentausbilder Europas schielt (man wäre ja wahnsinnig, wenn man das nicht machen würde, wenn man nur an einen 18-jährigen Dominik Szoboszlai denkt, der schon jetzt sein Debüt im ungarischen Nationalteam feierte). Aber das heißt, dass man sich selbst stärker zum Zentrum von Vernetzungen macht, die man unabhängig von (aktuellen) UEFA-Regularien ausgestalten kann.
In diesem Sinne ist sicher auch der Versuch zu sehen, dass Red Bull sich in Brasilien gern bei einem Zweitligisten einkaufen und so auch dort ein paar Ligastufen überspringen will. So wie New York mit seiner Profimannschaft in der ersten Liga gute Möglichkeiten der Talententwicklung bietet, sollte das auch für einen brasilianischen Zweitligisten gelten (der offenbar mit entsprechenden Investitionen perspektivisch eher zu einem Erstligisten werden soll). Das gäbe dem Netzwerk dann auf dem gesamten amerikanischen Kontinent Möglichkeiten, Synergien zu nutzen und Talente (entsprechenes Scouting vorausgesetzt) weiträumig abzugreifen. New York sollte für Spieler bis nach Mexiko und Mittelamerika interessant sein. Ein brasilianischer Erstligist könnte sich in ganz Südamerika einen Namen machen.
Letztlich ist es ein weiterer Schritt in einem Wettbewerb, in dem Leipzig als Single-Unit wirtschaftlich letztlich nicht auf hohem Niveau konkurrenzfähig ist. Es gibt in Sachen TV-Geldern noch wirtschaftliche Wachstumsschritte, weil RB noch nicht lange genug Bundesliga und international spielt, um die dortigen Töpfe ausgereizt zu haben. Das Wachstum ist allerdings auch begrenzt und selbst wenn man dort alles ausreizt und gleichzeitig jedes Jahr Champions League spielen würde, läge man wohl immer noch ein gutes Stück hinter Dortmund. Über die Bayern muss man in diesem Zusammenhang schlicht gar nicht reden.
Entsprechend braucht es Wege, den rein finanziellen Nachteil nach ganz oben (nur die Finanzierung von Leipzig gesehen) auszugleichen. Vernetzung mit anderen Standorten, die die Talententwicklung übernehmen, die Leipzig mit der Abschaffung der U23 faktisch (zumindest in der Breite) aufgegeben hat, ist da ein Mittel. Auch um nachhaltig Transfereinnahmen zu generieren. Wird in New York oder Brasilien oder Österreich schon vorgesiebt, dann bekommt man als Leipziger Bundesligist bereits Talente, von denen man relativ genau weiß, ob sie es schaffen werden, sich in einer Liga wie der Bundesliga durchzusetzen. Und sich in der Bundesliga durchzusetzen, bedeutet dann eben auch, dass man mal einen Keita dabei hat, der 60 Millionen Euro einbringt und der dadurch die Umsätze hoch hält (wodurch man Darlehen bedienen oder zwei, drei Euro in Infrastruktur investieren kann).
Vielleicht würde ein Luan Candido, der aktuell weiter als Zehn-Millionen-Euro-Neuzugang von Palmeiras bei RB Leipzig im Gespräch ist, künftig noch in Brasilien bleiben, wenn es denn einen brasilianischen Erstligisten gäbe. Im Idealfall würde Red Bull Brasil oder RB Bragantino oder wie auch immer der neue Klub heißen wird, einen solchen Spieler aber einfach selbst entwickeln, sodass die Ablösesummen eher im internen Kreislauf verblieben.
Ist jetzt vielleicht alles nicht Zeug, das sehr sexy wirkt, wo doch Fußball immer irgendwie nostalgisch aufgeladen wird (und man am liebsten jemanden aus Grimma aus der eigenen U15 kommend bei den Profis durchstarten sehen würde). Es folgt halt ein wenig dem Prinzip der Minor-League-Teams in Amerika, wo die Profiklubs in den großen Sportarten ihre Talente in unterklassigen Ligen parken und dann bei Bedarf hochziehen. Dort ist die Möglichkeit, Talente auch mal bei den Profis einzusetzen, wesentlich durchlässiger gestaltet (in Österreich hat man mit dem Kooperationsspieler ein System, das recht nah dran ist an dieser Regelung; dadurch hat Salzburg die Chance, jede Woche einen Kooperationsspieler aus Liefering zum Profispiel in der Bundesliga zu berufen).
Dass man in der Bundesliga ein Minor-Leauge- oder Farmteam-System über internationale Beziehungen zumindest in Ansätzen nachgestalten will, macht rein rational absolut Sinn. Der FC Bayern hat entsprechend vor einem Jahr schon eine Kooperation mit dem FC Dallas ins Leben gerufen. Kernpunkte: Talentförderung und Austausch von Trainingsphilosophien. Da sollen über einen MLS-Satelliten möglichst Talente für die Bundesliga gefunden und ausgebildet werden. Und diese Art von Kooperationen oder gar Klub-Verbindungen über gemeinsame Besitzer gibt es auch anderswo in Europa. Letztlich gilt auch hier wie immer, dass die Klubs diese Wege immer stärker bestreiten werden, solange diese nicht reglementiert werden (Versuche der UEFA, die Verleihmöglichkeiten von Klubs einzuschränken, verstärken den Trend hin zu Kooperationsklubs in der ganzen Welt nur noch mal).
Letztlich wird man bei RB Leipzig erstmal abwarten müssen, wie gut die internationale Vernetzung tatsächlich gelingt. Voraussetzung dafür auch, dass die Idee, in Brasilien einen Zweitligisten zu übernehmen, nachhaltig und sportlich erfolgreich ist. Geredet und gewünscht wurde in den letzten Jahren diesbezüglich viel. Die ganz großen Synergie-Effekte sind bisher aber jenseits von Salzburg zumeist auch ausgeblieben.
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