Spieler der Rückrunde: Diego Demme

Eine traditionelle Rubrik in der Rückschau auf die Rückrunde (oder auch auf die Hinrunde) ist die subjektive Entscheidung, wer denn in dieser Zeit der prägende Spieler bei RB Leipzig war. Eine Wahl, bei der sich nach der Winterpause interessanterweise vor allem Spieler aufgedrängt haben, die sich in der Hinrunde noch nicht so sehr aufgedrängt hatten. Und auch eine Wahl, in der sich wieder Spieler in den Fokus schoben, die überwiegend schon länger bei RB Leipzig unter Vertrag stehen als ein Jahr.

Extrem viele Kandidaten drängen sich nicht auf, wenn man bedenkt, dass es gerade mal zehn Spieler gibt, die mehr als die Hälfte der möglichen Spielzeit seit der Winterpause bestritten haben und entsprechend auch hinsichtlich der Konstanz ihrer Leistungen in Frage kommen.

Emil Forsberg ginge angesichts seiner spektakulären Spielweise natürlich immer. Aber ein wenig fehlte ihm in den letzten Wochen (wieder) die Effizienz, um von gut bis sehr gut auf überragend zu kommen. Ein Marvin Compper spielte nach der Winterpause eine extrem prägende Rolle in der Abwehr und war damit eine der positiven Überraschungen und wäre eine gute Wahl gewesen. Auch ein Dominik Kaiser kam ganz heiß aus der Winterpause und verpasste den dritten Titel als Spieler der Rückrunde hier im Blog in Folge nur knapp, weil er das hohe Niveau unter anderem wegen Grippetief nicht über die gesamten 15 Spiele halten konnte.


Die Wahl fiel am Ende auf jemanden, den man vor der Saison dafür sicherlich überhaupt nicht auf dem Zettel gehabt hätte. Man hätte vor einem knappen Jahr noch nicht mal viel Geld darauf setzen wollen, dass Diego Demme zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt noch zur Wahl, sprich in Leipzig unter Vertrag steht.

Was gar nicht mangelndem Respekt gegenüber seinen fußballerischen Fähigkeiten geschuldet war. Sondern vor allem daran lag, wie sich seine Rolle im Verein im halben Jahr davor verändert hatte. Schon unter Zorniger in seinen letzten zwei Spielen als RB-Coach auf die Bank gesetzt, oszillierte Demmes Rolle unter Beierlorzer zwischen Bank, zentralem Mittelfeldspieler und rechtem Verteidiger. Gerade letzteres schien eher Ausdruck der Verzweiflung zu sein, nicht so richtig zu wissen, was man mit Demme eigentlich anfangen soll.

Vor der aktuellen Saison kam dann noch Stefan Ilsanker als Sechser, der das Team auch als Typ anführen sollte. Dazu war Rani Khedira letzte Saison, wenn er fit war, eigentlich durchgängig Stammspieler und schien im Mittelfeld erst mal vor Demme zu stehen. Und dann war da noch Dominik Kaiser, der die aktuelle Spielzeit auf der Sechs begann, weil im Offensivbereich andere Lösungen probiert wurden und der Kapitän kreative Qualität aus der Tiefe einbringen sollte.

Drei Spieler, die nach Lage der Dinge zu Saisonbeginn vor einem Diego Demme standen, bei dem man im halben Jahr zuvor nicht den Eindruck hatte, dass das Trainerteam ihn ganz oben auf dem internen Präferenzenzettel hatte. Wer angesichts dieser Situation vorhersagen konnte, dass sich Demme im Laufe der Saison zu einem praktisch unverzichtbarem Teil des Teams entwickeln würde, hatte aber mal ordentlich Weitsicht.

Eine Rückrunde zum Beklatschen - Diego Demme im verdienten Rampenlicht | GEPA Pictures - Roger Petzsche

Es dauerte vier Spiele in der zweiten Liga, in denen Diego Demme das erwartbare Bankszenario widerfuhr, bevor die Saison für den 24jährigen, der in der Winterpause 2013/2014 aus Paderborn nach Leipzig gekommen war, losging. Ausfälle in der Mittelfeldzentrale und eine Versetzung von Ilsanker in die Innenverteidigung hatten ihn ins Team gespült. Wo er seine bekannten Qualitäten als laufstarker Lückenschließer einbrachte und in der Folge meist gesetzt war.

Überraschend vor allem im Verlauf der Rückrunde, dass Demme seinen altbekannten und im aggressiven Verteidigen nach vorn bewährten Qualitäten durch neue Qualitäten als Ballverteiler und sehr gutem Bindeglied im Achterraum im Spiel mit dem Ball ergänzte. In dieser Rolle schwang er sich zu so etwas wie dem Kopf des Teams auf, der die Balance im Spiel in beide Richtungen des Platzes herstellte. Lediglich beim Spiel in Düsseldorf war Demme ziemlich von der Rolle und musste nicht nur wegen Gelb-Rot-Gefahr noch in der ersten Halbzeit vom Platz. Ansonsten standen viele Spiele, in denen er der beste Spieler oder einer der besten Spieler auf dem Platz war.

Dass Fitnessnerd Diego Demme auf 90 Minuten gerechnet mehr als 12,5 km läuft und damit auch in der Bundesliga auf Rekordniveau mitlaufen würde, überrascht niemanden mehr. Dass er pro 90 Minuten 93 Ballkontakte hat und damit 16 mehr als Marvin Compper, der den Ball am zweithäufigsten hatte, überrascht da schon wesentlich mehr. Zumal er in der vergangenen Saison auch noch bei eher normalen 77 stand.

Allein diese Zahl drückt die Rollenverschiebung bei Diego Demme sehr gut aus. In einem RB-System, bei dem nicht mehr jeder Ball schnell in die Tiefe ging, sondern immer auch der geordnete Weg über die Sechser gesucht wurde, war Diego Demme das Puzzlestück, das irgendwo zwischen eigenen Innenverteidigern und gegnerischem Strafraum am meisten gefragt war und am meisten gesucht wurde.

Diego Demme ist bei weitem keine Passmaschine, aber seine 76% angekommene Pässe sind absolut in Ordnung gewesen und seine Entscheidungen, in welchen Räumen er angespielt werden will und in welche Räume er den Ball anschließend bewegen möchte, machten fast immer Sinn. Ballverluste in der Vorwärtsbewegung waren dabei die absolute Ausnahme.

Trotz der hin zum Ballverteiler verschobenen Rolle hat Diego Demme nicht seine Wichtigkeit als zweikämpfender und ballerobernder Mittelfeldakteur verloren. Hinter Yussuf Poulsen ist er der Spieler im Team von RB Leipzig, der die meisten Zweikämpfe führt. Zweikämpfe, die er in seiner überwiegenden Zahl auch gewinnt. Bei aufgrund der Körpergröße (1,70m) nachvollziehbaren Problemen in Luftduellen (reichlich 58% verlorene Zweikämpfe) gewinnt Demme am Boden 53% aller direkten Duelle. Für ein Team, das auf aktive Balleroberung setzt, ein absolut ordentlicher Wert.

Interessant in dem Zusammenhang auch, dass Diego Demme öfters gefoult wird, als dass er selbst foult. Eine Statistik, die in der Vorsaison sogar noch deutlicher ausfiel. Und auch eine Statistik, die Auskunft darüber gibt, dass sich der Mittelfeldmann im Zweikampf durchaus nicht ungeschickt anstellt.

Wenn es im Spiel von Diego Demme eine Leerstelle gab, dann ist das weiterhin die direkte Torgefahr. Im Männerbereich ist er auch nach dieser Saison ohne eigenen Torerfolg. Eine Tatsache, die nur bedingt durch Pech zu erklären ist, auch wenn ihm in dieser Saison ein Torerfolg zurückgepfiffen wurde, den man nicht unbedingt hätte zurückpfeifen müssen.

Trotzdem ist Diego Demme vergleichsweise oft an der Entstehung von Toren beteiligt. Drei direkte Torvorlagen sind nicht überragend, aber auch nicht ganz schlecht und platzieren ihn unter den Top 9 der RB-Torvorbereiter. Stark sind vor allem sieben Beteiligungen an der Entstehung von Toren. Dabei geht es um alle Aktionen, bei denen Balleroberungen oder einleitende Pässe oder Beteiligungen am Passspiel in der Folge des Angriffs zu Toren führen. Was dann auch dafür spricht, dass Demmes Stärke nicht das Agieren direkt am Strafraum, sondern vor allem im Raum davor, beim Erobern von Bällen oder Einsetzen von Offensivspielern ist. Zusammengenommen zehn Beteiligungen an Torerfolgen machen Demme dann immerhin zum offensivstärksten Spieler auf der Sechser- bis Achterposition.

Insgesamt spiegeln sich Diego Demmes Daten auch im Einfluss auf die Spielergebnisse wieder. Gerade wenn man es mit dem Kollegen auf der Sechserposition Stefan Ilsanker vergleicht, in dessen Einsatzzeit RB Leipzig deutlich unterdurchschnittlich punktet und auch das Torverhältnis schlechter ist als sonst. Diego Demme liegt hingegen in beiden Werten leicht über dem Saisonschnitt von RB Leipzig. Sprich, mit Diego Demme ist das Team erfolgreicher als ohne ihn. Solche Zahlen sind aufgrund der eher kleinen Datenbasis immer mit Vorsicht zu genießen, sie passen in diesem Fall aber ganz gut zu den sonstigen Zahlen und zum Augenschein.

Diego Demme war in jedem Fall nach der Winterpause ein entscheidender Baustein für den am Ende gesicherten Aufstieg. Weil er in einer Zeit, in der einige Spieler aus verschiedenen Gründen nicht ganz so konstant aufspielten, leistungstechnisch noch mal draufpackte, voranging und so sein Team in vielen Spielen mittrug und vor allem entscheidend mithalf, die so wichtige Balance im Spiel zwischen Defensive und Offensive herzustellen.

Diego Demme wird offensiv nie so spektakulär agieren wie ein Dominik Kaiser, von anderen Offensivspielern ganz zu schweigen. Vielleicht wird er defensiv auch nie so spektakulär sein, wie es ein Stefan Ilsanker an guten Tagen mit seinem Gespür für die Balleroberung sein kann. Und erst recht nicht kann er einen Joshua Kimmich vergessen machen. Was man von Diego Demme aber vor allem in der Rückrunde gekriegt hat, war zusätzlich zu seinen bekannten Wadenbeißer-Zweikampf-Vielläufer-Qualitäten ein Komplettpaket, in dem Spielkontrolle und Spiellenkungsqualität drin war. Ein Paket, das in der Form in den letzten 15 Spielen kein anderer Spieler auf den Platz bekommen hat.

Vermutlich wird auch vor der kommenden Bundesligasaison die Frage im Raum stehen, ob ein Diego Demme noch ein bestimmender Teil des Teams mit ordentlichen Einsatzzeiten sein kann. Vermutlich wird die eine oder andere Neuverpflichtung auch seinen Platz im Stammteam in Frage stellen. Auf der anderen Seite könnte Demme in einem möglichen Hasenhüttl-System mit einem Sechser und zwei Achtern mit den in der abgelaufenen Saison gezeigten Leistungen einen sehr guten, mannschaftsdienlichen Achter auf den Platz bringen.

Abschreiben, das dürfte man in den letzten zehn Monaten gelernt haben, sollte man Diego Demme jedenfalls auf keinen Fall. Dass er sich gegen vielleicht in Einzelaspekten talentiertere oder vielversprechendere Kontrahenten durchsetzen kann, hat er mehr als eindrucksvoll bewiesen. Dass er es auf die prägende Art und Weise tat wie in der Rückrunde von RB Leipzig, konnte niemand ahnen. Weswegen es auch Sinn macht, ihn an dieser Stelle aus dem Aufsteigerteam noch mal ein Stück herauszuheben.

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Wer wollte, konnte hier seinen Spieler der Rückrunde ankreuzen. Maximal drei Kreuze (falls man sich nicht entscheiden konnte). Es standen nur Spieler zur Wahl, die nach der Winterpause mindestens 50% der Einsatzzeit mitgemacht hatten.

  • Diego Demme – 36%
  • Marvin Compper – 16%
  • Dominik Kaiser – 11%
  • Yussuf Poulsen – 9%
  • Emil Forsberg – 9%
  • Marcel Sabitzer – 6%
  • Lukas Klostermann – 5%
  • Willi Orban – 4%
  • Marcel Halstenberg – 2%
  • Peter Gulacsi – 1%

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Bisher so:

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Bild: © GEPA pictures/ Roger Petzsche

5 Gedanken zu „Spieler der Rückrunde: Diego Demme“

  1. Sehr gute Wahl!!
    Hast ja alles schon gesagt. Mir sind von seinen 3 Torvolagen 2 in Erinnerung die fast identisch sind. In Bielefeld ein kleiner Chip auf Selke und gegen 1860 (?) ein langer Chip auf Klostermann. Das hatte schon Qualität!!
    Ich denke auch, dass er in der neuen Saison auf seine Einsatzzeiten kommt. Herr Hasenhüttl wird so einen Spieler sehr zu schätzen wissen.
    Meine anderen 2 Kreuze habe ich bei Klostermann und Compper getätigt.

    Ach ja, aber warum Klassenerhalt? ;-)

  2. @ausLE: Um rauszufinden, wer hier wirklich aufmerksam mitliest. Glückwunsch, du hast (zusammen mit einem netten Twitter-User) gewonnen. ;-)

  3. Echt, gewonnen?!
    Supi+Danke!
    Würde als Gewinn gerne einen Neuzugang haben wollen!
    Ich habe da vollstes Vertrauen in Deine Rasenballkontakte! ;-)

  4. Die Wahl und einige Formulierungen erinnern mich stark an den Spieler der Rückrunde 2013 – Bastian Schulz. Ich hoffe stark, dass das kein schlechtes Omen ist.

    1. An den musste ich beim Schreiben auch denken. Und klar, die Möglichkeit, dass es für Demme in der Bundesliga so enden wird wie für Schulz in der dritten Liga, ist natürlich da.

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