Meine gemischten Gefühle in Bezug auf die Football Leaks hatte ich schon anlässlich einer Rezension eines Buches dazu formuliert. Einerseits interessante Dokumente, die mit hoher Rechercheleistung ein paar interessante Zusammenhänge in den Abläufen des sonst an der Oberfläche glattgebügelten Fußballgeschäfts verdeutlichten. Auf der anderen Seite ein skandalisierend-moralisierender Zugang zum Thema, der relativ schnell ermüdete.
Daran hat sich auch in der neuesten Runde an Enthüllungen nichts geändert. Nur dass es etwas unübersichtlicher geworden ist, den Beiträgen dazu zu folgen, weil mal hier und mal dort irgendwas in irgendeiner Sprache aufploppt, was dann kleinere oder größere Geschichten sind. Und weil es dann auch weiterhin darum geht, das größtmögliche Skandalpotenzial mitzunehmen und dazu passende Themen in den Mittelpunkt zu stellen.
Entsprechend wurde dann die Wahrnehmung der neuesten Football-Leaks-Dokumente, die der Spiegel, die ARD und ein Recherchenetzwerk zuletzt präsentierten, erstmal mit Debatten um eine europäische Superliga überflutet, für die verschiedene Großklubs in Europa bereits fertige Pläne in der Schublade haben oder gehabt haben sollen. Ein Thema, dessen Spannungsgrad (jenseits konkreter Ausformungen) wenig spannend ist.
Weil die Entwicklungen der Champions League sowieso geradewegs in so eine Superliga hineinführen (bzw. mehr als nur der Nukleus dafür bereits dort geschaffen wurde). Weil es absurd wäre, wenn sich Vereine der Größe der Bayern keine Gedanken machen würden, in welcher Form sie künftig Fußball spielen wollen. Und weil es noch nicht mal absurd ist, dass Vereine solche Gedankenmodelle als Druckmittel gegenüber den jeweiligen Verbänden entwickeln.
Verbände gestalten nicht, sondern verwalten
Mal abgesehen davon, dass auch hier wieder Gedankenspiele auf konspirativen Ebenen betrieben werden, auf denen noch nicht mal nationale Verbände, geschweige denn kleinere, europäische Klubs beteiligt sind, ist das Element, das sich auch hier wieder finden lässt, die Getriebenheit der Verbände. Die sind im Normalfall schon lange keine Gestalter von Wettbewerb auf Augenhöhe mit den Vereinen mehr, sondern mal bessere, mal schlechtere Verwalter oder im schlimmeren Fall Institutionen, die vor sich hergetrieben werden.
Außer es geht dann auf die Ebene eines Gianni Infantino, der seinen Gestaltungsspielraum im subjetiv bestmöglichen Sinne auszunutzen versucht und mal eben die Geschäfte der FIFA quasi komplett privatisieren will, um sie dann als Chef des Aufsichtsrats selbst unter die Fittiche zu nehmen.
Nun, das ist nicht unbedingt der Gestaltungsraum, der einen für Verbände vorschwebt. Vielmehr wünschte man sich gerade bei den Fachverbänden, die den Fußballsport organisieren sollen, auch mal grundsätzlichere Debatten über die Zukunft von Ligen und Wettbewerb. Dass Entscheidungen tatsächlich eher als Folge von Kompromisslösungen auf der Basis des Verwaltens getroffen werden, führt dann halt dazu, dass man die darin aufploppenden Probleme einfach immer weiter vertagt.
Schönes Beispiel war dafür die Regionalliga-Reform, die von Viertliga-Klubs initiiert wurde, die eine bessere Durchlässigkeit von der vierten zur dritten Liga, also mehr Professionalität wollten. Gekriegt hat man dann komplett ohne öffentliche Debatte auf einem DFB-Bundestag die Lösung mit fünf Regionalligen (also ein Mehr an Amateurisierung), die einfach zustande kam, weil sowohl DFL als auch mit Bayern der größte Regionalverband in einer solchen Lösungen die geringsten Nachteile bzw. die meisten Vorteile für sich selbst sahen. Ausgehandelt in Hinterzimmern. Bis heute ein immer wieder neu von Regionalligisten verhandelter Quell des Unfriedens.
Ähnlich war es auch mit dem Umgang mit 50+1, als sich die Verbände weder bei RB Leipzig noch bei Martin Kind zu einem klaren Kurs durchringen konnten, sondern immer Linien finden wollten, an denen man durchkam, ohne bestehende Regularien anzugreifen oder zu verändern. Was auch darauf verweist, dass die Angst vor juristischen Auseinandersetzungen oft extrem groß ist. Auch das bleibt erstaunlich, weil es in der Vergangenheit durchaus beim DFB gerade im Zusammenhang mit Fragen wie Trikotwerbung und Co durchaus den Willen gab, die eigenen Regularien auszutesten und juristische Klarheit durch Gerichtsentscheidungen zu schaffen.
Nun sind Verbände, das ist natürlich auch nicht von der Hand zu weisen, in erster Linie Strukturen, die etwas ermöglichen sollen, nämlich das Spielen von Fußballl, und nicht Strukturen, die per se mit Härte Regularien sehr eng interpretierend durchsetzen. Man könnte sie in diesem Sinne auch Ermöglicher nennen. So wie es einst bei RB Leipzig war, als der sächsische Fußballverband im Sinne seines Auftrags (Förderung des Fußballsports) einer anfragenden Struktur unterstützend bei der Gründung eines Vereins zur Seite stand (unterstützend in Bezug auf juristische und formale Fragestellungen). Zumal angesichts der derzeitigen Strukturen, dass die Einnahmen eines Landesverbands (und damit auch der Gestaltungsspielraum) daran hängen, in welchen Ligen die Mitgliedsvereine so spielen.
Infantino und die Aufweichung der Financial-Fairplay-Regel
Nun könnte man positiv interpretieren, dass Infantinos von den Football Leaks nun aufgedeckte, einstige Einflussnahme auf UEFA-Entscheidungen in Bezug auf die Einhaltung der Financial-Fairplay-Regel quasi im Sinne eines Ermöglichers durchaus vernünftig war. Ein Problem wird sachorientiert gelöst, damit die beteiligten Vereine weiter im Wettbewerb sind und man halt miteinander Fußball spielen kann. Nur genau da ist dann halt ein Punkt, wo Verbände wieder zu Getriebenen von vermeintlich großen Nummern des Sports werden, wenn sich eine Verbandschef in eine ihn gar nichts angehende interne Ermittlung/ Lizenzierung einmischt und zum Schluss halbgare Kompromisse gefunden werden, die die eigenen Regeln komplett aushöhlen.
Man kann von Financial Fairplay halten, was man will. Es gibt durchaus relevante Parteien, die die Regel, die Vereinen so etwas wie nachhaltiges Arbeiten auf der Basis von Tageseinnahmen vorschreibt, als eine sehen, die lediglich die bestehenden Verhältnisse zementiert (Stichwort europäische Superliga..), weil es Kapitalinvestitionen, die Konkurrenz zu den bestehenden Großklubs ermöglichen würden, praktisch ausschließt bzw. sehr erschwert.
Aber es ist halt auch eine Regel, auf deren Grundlage derzeit europäischer Wettbewerb organisiert ist und an die sich viele Vereine in Europa halten. Wenn diese Regel nicht mit der gebotenen Härte auch durchgesetzt (und im Fall der Fälle halt der juristischen Prüfung ausgesetzt) wird, dann ist sie ein wertloser Papiertiger, der nur für Vereine gilt, die nicht genug Power haben, um ihre Interessen gegenüber der UEFA auch auf undurchsichtigen (im Sinne von regulär im Prozess nicht vorgesehenen) Kanälen durchzusetzen.
Im Kern geht es bei dem von Football Leaks dargstellten Fall um das Vorgehen, dass die UEFA eigentlich im Zuge der Lizenzierung prüft, ob ein Sponsor auch so etwas wie einen entsprechenden Gegenwert für seine Zahlungen erhält. Bei RB Leipzig verwies man auf diese Regel, als man Fanclubbanner vor der Haupttribüne verbot, weil man die Fläche als Fläche brauche, die quasi als Sponsoring-Wert über Medienkontakte verbucht werden kann. Sprich, die Zahlungen von Red Bull werden unter anderem mit Verweis auf die vielen Bullen im TV-Kamera-Bereich der Red Bull Arena zwischen Zuschauern und Rasen legitimiert.
Nun dürfte es relativ schnell klar sein, dass die Regel, dass ein Sponsoring einen entsprechenden Werbegegenwert haben müsste, ziemlich schwammig ist. Weil es natürlich keine fest definierten Summen gibt, welche Werbemaßnahme welchen finanziellen Gegenwert hat. Entsprechend werden dann Sponsoringverträge hinsichtlich ihres Gegenwerts geschätzt. Bei VW und Wolfsburg kam man dabei einst darauf, dass 100 Millionen Euro die Summe wäre, bis zu der ein Geldfluss des Automobilbauers von einem Werbegegenwert gedeckt wäre.
Bei Paris Saint-Germain war die entsprechende UEFA-Kammer nun der Meinung, dass ein 200-Millionen-Euro-Vertrag mit der Tourismusbehörde Katars nur irgendwas bei drei Millionen Euro an Werbegegenwert hätte. Wenn man diese Rechnung nehmen würde, hätte PSG mal eben knapp 200 Millionen Euro aus dem Etat streichen müssen, weil diese dann (bzw. ein großer Teil davon) gegen die FFP-Regeln verstoßen hätten, nach denen nur ein sehr kleiner Teil des Etats durch Geldflüsse gestemmt werden darf, die keinen Sponsoringgegenwert haben (klassische Mäzens-Gelder quasi).
Es bleibt klar, dass diese FFP-Vorgaben in der Praxis ihre Lücken haben, wenn dann zum Beispiel Partner von Firmen mit ins Boot geholt werden, durch die Zahlungen als über formal unterschiedliche Quellen kommend verbucht werden können, die eigentlich aber einen ähnlichen Ursprung haben (zum Beispiel wenn ein Automobilzulieferer Großsponsor neben VW werden würde). Ein viel größeres Problem hat man aber, wenn in solchen FFP-UEFA-Abläufen plötzlich ein Verbandschef wie Infantino eingreift, eine Lösung verspricht und am Ende auf wundersame Art und Weise, ein Vertrag mit einem Werbegegenwert von begutachteten drei Millionen Euro doch mit 100 Millionen Euro eingereicht werden darf.
Das ist dann selbst in Sachen Verbandskompromissen noch mal eine erstaunliche Geschichte und wird bei einer in Sachen Regularien gewiss nicht unkreativen Firma wie Red Bull zu der Frage führen, warum man da eigentlich in der Vergangenheit (abgesehen von der zweiten Liga) in Leipzig immer solche Verrenkungen machte, was Werbegegenwerte und Co angeht. Dass ein zentrales Wettbewerbsinstrument wie das Financial Fairplay so krass demontiert wird, ist in jedem Fall kein gutes Zeichen.
Football Leaks als ARD-Doku
[Wie mühselig die Football-Leaks-Aufbereitung auch diesmal teilweise wieder war, zeigte eine ARD-Doku, in der auch der PSG-Fall aufgerollt wurde. Erzählt wurde auch hier wieder seltsam ausschweifend die Kriminalgeschichte um John, der den Spiegel mit den Football-Leaks-Dokumenten aus unbekannten Quellen versorgt. Dabei war man offenbar stolz darauf, dass man John erstmals, wenn auch durch Verschleierung anonym, vor die Kamera kriegte, was für die Geschichte selbst extrem unwichtig war. Dazu hatte man den Fußballfan Peter Lohmeyer für Zwischenschnitte engagiert, der die Stimme des unzufriedenen Fußballvolks repräsentieren sollte, damit man auch wusste, wie man die Doku zu interpretieren hatte. Dazu die unvermeidbare bedeutungsschwere Hintergrundmusik und ein Vorführen von Beteiligten statt Raum für Erklärungen.
Mag sein, dass man Dokumentationen für ein Millionenpublikum, auf das man abzielt, anders aufbereiten muss als ein trockenes Erklärstück. Persönlich finde ich es ärgerlich, dass man Lohmeyer, John im Bild und Infantinos Bäcker als Bilder geliefert kriegt, statt die zehn Minuten lieber darauf zu verwenden, mal die Bilanz eines Klubs wie des PSG auseinanderzunehmen, die verschiedenen Bausteine zu erklären und aufzuzeigen, was es bedeutet, wenn man welche Summen wie verbucht und vielleicht auch zu zeigen, wie ein Neymar-Transfer im Rahmen eines solchen Budgets zu finanzieren ist.
Aber Erkenntnisgewinn ist zu wenig das zentrale Anliegen bei der Präsentation der Football Leaks im Rahmen dieser Doku gewesen. Im Vordergrund steht da auch sonst meist das Verkaufen eines Scoops und das Runterbrechen von Zusammenhängen, um auf konkrete Personen zeigen zu können. Persönlich fände ich immer noch eine Dokumentensammelung wie bei einer Wiki super oder zumindest eine eigene Football-Leaks-Seite, auf der man Fälle zusammen mit entsprechenden Dokumenten (meinetwegen um persönliche Daten geschwärzt) darstellt, in denen man stöbern und Zusammenhänge verstehen lernen knn.]
Der Fall Nicolas Kühn bei RB Leipzig
Ein weiterer Baustein der Football Leaks betraf dann auch RB Leipzig ganz konkret und führte zu einer Ermittlung des Kontrollausschusses des DFB. Eine Geschichte aus dem Nachwuchsbereich, bei der man einiges über das Zusammenspiel von Familien, Kindern, Vereinen und Berateragenturen lernen könnte. Ein Konglomerat, bei dem in den Geschichten meist die Vereine schlecht wegkommen (oft auch zurecht schlecht wegkommen, wenn man ihre Saubermannkommunikation neben die tatsächlichen Abläufe legt), aber bei dem es eben auch um wechselseitige Interessenslagen geht, die manchmal besser und manchmal schlechter zusammenfinden.
Im konkreten Fall, der in vielerlei Hinsicht der Abläufe sicher als prototypisch gelten darf, geht es um das Zusammenspiel der Agentur “Spielerrat” mit RB Leipzig bei der Verpflichtung von Nicolas Kühn, einst ein in ganz Deutschland begehrtes Talent, inzwischen von RB schon wieder weitergezogen zu Ajax Amsterdam. Für eine niedrige, siebenstellige Summe, so wurde beim Wechsel kolportiert.
Bei der Verpflichtung von Kühn im Sommer 2015 arbeitete “Spielerrat” mit RB Leipzig zusammen. Der Gründer der Agentur Hannes Winzer gibt selbst auf der Website [broken Link] an, dass er einst unter Rangnick in den Profifußball hineinschnupperte. Der Vater von Nicolas Kühn erklärt in einem NDR-Beitrag [broken Link], die Agentur hätte eine besondere Nähe zu RB und eine klare Agenda gehabt, den Jugendlichen in Leipzig unterzubringen.
Und schon hat man ein Konglomerat an Interessen und Befindlichkeiten. Ein Jugendlicher, der als großes Talent gilt und nach einem Ort sucht, an dem er seinem Traum nachjagen kann. Eine Familie, die durch Trennung der Eltern offenbar ein paar Umzüge hinter sich hat (Kühns Stationen schon vor seinem 15. Lebensjahr lassen das vermuten), was auch dazu führt, dass die Mutter offenbar allein sorgeberechtigt ist (zumindest ist sie als alleinig Zeichnende auf den Verträgen ausgewiesen). Eine Agentur, die einen Spieler bei einem für sie passenden Verein unterbringen will. Und ein Verein, der durchaus mit besonderer Macht im Jugendbereich Talente sammelt.
In so einem Konglomerat braucht es eigentlich Korrektive. Die Jugendlichen sind es nicht, da diese meist einen Traum im Kopf haben, den man ihnen nicht nehmen kann und dessen Folgen für sie natürlich nicht überblickbar sind. Die Geschichten von 13-Jährigen, die Eltern herzzereißend darum bitten, zu einem bestimmten Verein auch entfernt der Heimat gehen zu dürfen, sind Legende (auch die von diversen Jugendlichen, die als Ziel angeben, der beste Fußballer der Welt zu werden). Die Vereine sind es nicht, weil für sie (mal jenseits dessen, dass man sich um Jugendliche und deren Alltag versucht gut zu kümmern) Talente wirtschaftlich und sportlich schlicht wichtige Assets sind. Selbst mit einem Nicolas Kühn, der sportlich nicht in den Profibereich vorstieß, dürfte RB mit kolportierten Transfereinnahmen von zwei Millionen Euro einen guten Schnitt gemacht haben. Und die Agenturen sind es auch nicht, weil sie (mindestens langfristig) daran verdienen, Spieler von A nach B zu bringen.
Bleiben die Eltern. Und die stehen vor einer enormen Drucksituation. Auf der einen Seite die Kinder und ihre Träume. Auf der anderen Seite drängende Vereine mit ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten und ihren sportlichen Versprechungen (wer aufmerksam die Aussagen von Jugendlichen, Eltern oder sportlichen Betreuern bei den Heimatvereinen im Rahmen von Wechseln Minderjähriger liest, wird wissen, was mit sportlichen Versprechungen gemeint ist und wie schillernd da Profklubs manchmal von außen erscheinen). Bei Kühns Mutter hatte die Agentur den Dokumenten von Football Leaks zufolge überlegt, ihr einen fiktiven Job bei RB zu besorgen. Dotiert mit 2.500 Euro im Monat. Der Vater von Julian Brandt erhielt einst eine gute sechsstellige Summe, allein dafür dass sich sein Sohn für Leverkusen entschied und weitere sechsstellige Beträge für jede Saison, die er auch bei Bayer blieb. Brumas Familie bekam einst von Premier-League-Klubs sechsstellige Summen geboten, nur dass diese sich die Angebote der Vereine für das Talent anhörten.
Man muss nicht allzu verschroben denken, um darauf zu kommen, dass in solchen Angeboten eine unheimliche wirtschaftliche Verlockung auch auf elterlicher bzw. familiärer Seite steht. Plötzlich vielleicht ‘ausgesorgt’ zu haben, nur weil der eigene Nachwuchs gut kicken kann, dürfte als Entscheidungshilfe bei der Frage, ob man seinen Sohn auch mal 300 km weiter sein Glück suchen lässt, wenn der einen darum bittet, durchaus Relevanz haben. Selbst wenn man weiß, dass auf ein Talent, das am Ende den Durchbruch schafft und von dem man dann die tollen Geschichten vom Ehrgeiz, mit dem er sich nach oben arbeitete, lesen darf, 999 andere kommen, die es nicht schaffen. Selbst wenn die genauso ehrgeizig waren wie der eine, der es geschafft hat. Man kann guten Gewissens davon ausgehen, dass der geplatzte Traum nicht von jedem Jugendlichen gleichermaßen gut aufgefangen wird..
Die juristisch relevante Dimension bekommt der Fall Kühn, weil in den von Football Leaks präsentierten Dokumenten auch Prämien für die Vermittlung vorgesehen waren. Eine sechsstellige Summe für den Fall, dass Kühn bei RB mit 17 im Profibereich kickt. Nicht vertraglich festgschriebene 20.000 irgendwo und irgendwie einfach für die Vermittlungsarbeit. Allerdings ist es seit Mai 2015 verboten, dass Berater bei Wechseln von Spielern unter 18 Geld verdienen, sodass entsprechende niedergeschriebene oder informelle Klauseln gegen Verbandsrecht verstoßen würden.
Agentur und Verein erklären unisono, dass kein Geld geflossen ist. Vermutlich haben sie damit sogar recht, dass keine Gelder als Beraterhonorar verbucht wurden (zumal die 150.000-Euro-Klausel aufgrund nicht eingetretener Bedingung sowieso nicht hätte gezogen werden können). Inwiefern die Originalverträge nicht im Einklang mit den Regularien standen, wird der Kontrollausschuss des DFB hoffentlich gut prüfen (nicht nur von RB wurden da Stellungnahmen eingefordert, sondern auch von Bayer für eine Geschichte mit Kai Havertz). Wenn man die UEFA-FFP-Geschichte sieht, ist das Vertrauen, dass da mit letzter Konsequenz geprüft wird, nicht per se grenzenlos.
In der Kühn-Geschichte steckt relativ viel von den Problemen, die mit der Nachwuchsausbildung und mit der Jagd nach immer größeren und sportlich und wirtschaftlich vielversprechenden Talenten verbunden ist. Alles auf die Gier von Vereinen und Beratern zu schieben, ist etwas arg vereinfacht, weil das einfach den Agenden aller Beteiligten nicht gerecht wird. Fakt ist, dass den Eltern eine extreme Verantwortung zukommt und in diesen Drucksituationen sicherlich nicht immer die (für die Jugendlichen) perfekten Entscheidungen dazu kommen (wenn man bedenkt, dass schon Zehnjährige große Teile des Jahres für Turniere in Hotels verbringen, weiß man auch, dass einige Entscheidungen noch viel früher getroffen werden müssen als jene um Verträge und Geld). Dass dann Institutionen wie Vereine und Berater bestehende Regelwerke ein bisschen arg kreativ (und nicht immer mit viel Respekt für die Beteiligten, wenn man die Wortwahl der Berater in Richtung Kühn-Mutter als Maßstab nimmt) anwenden oder nach außen Bodenständigkeit predigen und intern sechsstellige Handgelder zahlen (wie RB beim Wechsel von Noah Holm laut Football Leaks) kommt dann als Kirsche auf die Interessenssahne noch oben drauf.
Letztlich zeigen die Dokumente der Football Leaks, wenn man sie nüchtern betrachtet, dass in der Wechselwirkung von Regularien, Vereinen, Verbänden mit tatsächlich unabhängigen Entscheidungsstrukturen, Beratern und Sportlern mit ihren jeweiligen Umfeldern vieles nicht gut läuft und jeder so sein Süppchen kocht, ohne dass es ein starkes und unabhängig urteilendes Korrektiv gibt, der die Beteiligten tatsächlich leitet und nicht von den Beteiligten geleitet und getrieben wird. Teil des Problems ist aber sicher auch, dass die Verfügbarkeit eines Trikots oder die Farbe der Sitze im Stadion am Ende des Arbeitstages für Fußballfans immer noch tausenmal wichtiger sind als ein Bericht über einen Transfer eines Jugendlichen, der eventuell den Regularien widerspricht.
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Nur um den Eindruck entgegenzuwirken: Ja, die Darstellungsweise der Football Leaks und die permanente Bevormundung der LeserInnen, wie man die Dokumente in einem moralischen Sinne zu interpretieren hat, empfinde ich oft als störend und nervig. (Bei allesaussersport.de nannte Kai Pahl das Gesicht von Football Leaks Rafael Buschmann zuletzt “latent eitel”, was eine durchaus passende Beschreibung der Außenwahrnehmung ist, aber vermutlich für einen Journalisten auf der Jagd nach Scoops auch dazugehört. Einen guten, recht differenzierten Eindruck von Buschmann und den Football Leaks gibt es im Rasenfunk, wo auch die Kritik an der Präsentationsform ein Thema ist. Auch der Deutschlandfunk hatte eine ganz gute Diskussion zum Thema unter anderem mit Buschmann.) Ich habe trotzdem sehr großen Respekt vor der Arbeit, die in der Sichtung und in der Aufbereitung des Materials hin zu Themenfeldern steckt. Und ich bin jenseits von ermüdenden Auflistungen von Gehältern auf manchen Seiten, die die Football-Leaks-Daten zweitverwertend ausbreiten, durchaus froh über den einen oder anderen Einblick in die Materie des modernen Fußballs, den es ohne Football Leaks nicht geben würde.
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Dass es so wenig Gestaltungswillen im deutschen Fußball, aber auch generell gibt, erstaunt mich jedes Mal aufs Neue. Wie hilflos der Umgang der Verbände mit RB Leipzig war, während Verantwortliche noch in der Anfangszeit tönten, dass sie dem Verein beim Aufstieg in die DFL schon Steine in den Weg legen werden, war (mal jenseits von inhaltlichen Fragen bei den Steinelegern) durchaus beeindruckend. Dass es in den Verbänden keinen öffentlichen Diskurs, sagen wir auf der Basis eines Think Tanks, gibt, in dem man sich mit der Zukunft des Fußballs und der nachhaltigen Gestaltung von Regularien auseinandersetzen würde, ist eines der größeren Versäumnisse. Dass da ein Verein wie Union ausschert und ein Thesenpapier formuliert, ist eine (jenseits dessen, dass ich manche Vorschläge und Ideen nicht teile bzw. so etwas wie die Ausweitung des Spielplans für Bundesligisten schlicht für nicht durchsetzbar halte) fast schon wohltuende Ausnahme. Allerdings kann es auch nicht Sinn der Sache sein, dass 36 oder 56 Vereine aus dem höherklassigen Fußball (je nachdem, wo man die Grenze ziehen will) nun Thesenpapiere ins Internet stellen, nur weil es im Zentrum, also beim Verband keine andere Ebene der öffentlichen Auseinandersetzung gibt.
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