Erinnert sich noch jemand an den letztjährgen Regionalliga-Start? Am letzten August-Sonntag fand damals das zweite Pflichtspiel der Saison statt. Ein gemächlicher Start in die Saison, der im Winterchaos mündete. In diesem Jahr steht zum selben Zeitpunkt bereits das fünfte Drittliga-Spiel an. Dazu noch ein DFB-Pokal-Spiel. Macht schon sechs Pflichtspiele zum selben Saisonzeitpunkt. Schlag auf Schlag geht es in dieser 20er-Liga, zu der ja auch noch der Sachsenpokal dazu kommt.
Dass das Schlag-auf-Schlag-Gefühl so stark ist, liegt auch daran, dass praktisch jede Woche ein Highlight ansteht – mal abgesehen davon, dass sich in der dritten Liga sowieso jeder Spieltag wie eine Highlight anfühlt. Halle, Münster, Burghausen, Duisburg. Dazu Augsburg. Und nun also Erfurt gleich hinterher. Ein Duell, das vor allem durch die regionale Nähe und durch die traditionelle Gegnerschaft zum Prinzip Red Bull an Brisanz gewinnt. Mehr als 2.000 Erfurter Anhänger werden zu einer Besucherzahl von vermutlich mehr als 15.000 Zuschauern beitragen und zumindest teilweise Träger eines vereinsseitig extra zu diesem Spiel aufgelegten Trikots [broken Link] sein, mit dem man die Unterschiede in den Vereinsphilosophien ausdrücken und Rot-Weiß noch ein paar Euro in die Kassen spülen soll. Wenn es gut läuft und der Schulanfang in beiden Bundesländern nicht zu viele Besucher klaut, kann man sogar an der 20.000 kratzen. Hübsche Fußballatmosphäre inklusive.
Erstaunlicherweise trägt auch die Tabellensituation ihren Teil zu einem interessanten Duell bei. Denn Rot-Weiß Erfurt ist überraschend genauso gut in die Saison gestartet wie RB Leipzig und liegt mit acht Punkten noch zwei Tore und ein Platz vor RB auf Platz 6. Und wenn man in Münster nicht noch in den letzten Minuten einen 3:1-Vorsprung aus der Hand gegeben hätte, stünde man sogar auf einem der ersten drei Plätze.
Dabei war zu Saisonbeginn noch zu vermuten, dass es die Thüringer in dieser Saison schwer haben könnten. Mit Drexler (Fürth) und Morabit (Bochum, inzwischen Heidenheim) verlor man zwei Topscorer und mit Oumari (FSV Frankfurt) und Ofosu-Ayeh (Duisburg) zwei Stammverteidiger. Der für Erfurt schon fast typische, alljährliche Aderlass sozusagen. Nur dass man diesmal aus einer miesen Saison mit Abstiegsangst bis kurz vor dem Ende kam und man nicht gedacht hätte, dass ein weiterer Aderlass einen Beitrag zu besseren Leistungen in der folgenden Saison leisten könnte.
Weswegen in Erfurt ein wenig die Angst vor einer weiteren Saison mit Abstiegskampf umging. Aber das wichtige und hart erkämpfte 1:0 zum Auftakt bei den Stuttgarter Kickers tat offenbar so gut, dass man in der Folge Halle in einem Sommerhitze-Spiel überrannte, beim Favoriten in Münster hätte drei Punkte mitnehmen müssen und erst gegen Burghausen beim 1:1 das erste Mal ‘schwächelte’. Macht zusammen, dass man die Abstiegszone erst mal aus gesicherter Entfernung beobachten kann.
Für Lobeshymnen ist es sicherlich noch zu früh, aber einen nicht unwesentlichen Anteil an diesem ersten Erfolg scheint der neue Coach Walter Kogler zu haben, der erst relativ spät, nämlich einen Monat vor Saisobeginn, zum Verein stieß, als einige Kaderentscheidungen schon getroffen waren. Mit ruhiger, sachlicher und wie es scheint sehr kompetenter Art hat Kogler seitdem die physischen und taktischen Grundlagen gelegt, um in der dritten Liga bestehen zu können und den ersten Schritt auf dem Weg der sportlichen Konsolidierung hin zur Vision 2016 und dem seit langem gewünschten und nie eingetretenen Zweitligaaufstieg zu machen.
Dabei lag der Verein mit seinen Neuzugängen bisher komplett richtig. Allen voran Innenverteidiger André Laurito, der zuvor Kapitän bei Zweitligist Jahn Regensburg war, dort aber Teile der Saison verletzt verpasste und nach dem Abstieg eine Luftveränderung vorzog. Mit Stefan Kleinheismann kam ein drittligaerfahrener Innenverteidiger aus Offenbach und verdrängte die letztjährige Stammkraft und ehemaligen Leipziger Jens Möckel auf die Bank. Und rechts hinten verteidigt mit Luka Odak nun einer, der sich in der vergangenen Saison in Unterhaching empfohlen hatte. Eine fast komplett neue Verteidigung (nur links hinten steht mit Rafael Czichos ein alter Bekannter aus der vergangenen Saison). Eigentlich ein Risiko, aber in Erfurt ist es offenbar gut gegangen. Bisher zumindest.
Neben einer neuen, aber stabilen Verteidigung war wohl auch die Veränderung hin zu einem 4-4-2 mit Doppelsechs ein wichtiger Faktor für die aktuellen Ergebnisse. Dabei spielt die Verpflichtung von Simon Brandstetter keine unwesentliche Rolle, der letztes Jahr von Freiburg nach Karlsruhe ausgeliehen war und eine echte Seuchensaison mit insgesamt lediglich 79 Drittligaminuten erwischte. In Erfurt war er als zweiter Stürmer neben Mijo Tunijic (der in bisher drei Einsätzer mit vier Scorerpunkten schon mehr als halb so viele Torbeteiligungen hatte wie vergangene Saison in 36 Einsätzen) von Beginn an gesetzt. Und zahlte dies mit bisher schon zwei Treffern zurück.
Durch die Verpflichtung von Brandstetter und der Umstellung auf ein Zweistürmer-System hat die Offensiv von Rot-Weiß definitiv gewonnen. Allerdings wird die normale Offensivabteilung in Leipzig praktisch komplett nicht zur Verfügung stehen. Brandstetter selbst ist verletzt und wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fit werden. Tunjic leistete sich in Münster eine überflüssige Tätlichkeit und Linksaußen Öztürk handelte sich gegen Burghausen eine ähnlich überflüssige gelb-rote Karte ein. Drei absolute Offensiv-Leistungsträger nicht dabei. Das ist bei einem Kader, der in der Sommerpause mit einigen A-Jugendlichen aufgefüllt wurde, qualitativ vermutlich nicht wirklich aufzufangen.
Prunkstück im RWE-Spiel sicherlich das zentrale Mittelfeldduo, bestehend aus dem ehemaligen Nationalspieler Marco Engelhardt und Nils Pfingsten-Reddig, der mit einer Elferquote von 24 von 26 absoluter Rekordhalter und auch nach Einsätzen der Rekordspieler der dritten Liga ist (184 Spiele) ist. Einen Elfmeter sollte man also nicht kassieren. Vom Spiel bei den Stuttgarter Kickers erzählt Marco Engelhardt die hübsche Anekdote, dass er beim Elfmeter kurz vor Schluss an die Seitenlinie zum Trinken gegangen sei und die Anweisung des Trainers, sich wieder in Position zu begeben mit den Worten abgewehrt habe, dass es eh Anstoß geben werde..
Fraglich beim Spiel in Leipzig wird sein, ob der Komplettausfall der Offensive einfach durch Ersatzleute aufgefangen wird oder auch eine Systemumstellung zur Folge hat, die auch eine Auflösung des Mittelfeldduos zur Folge haben könnte. So wäre es denkbar, dass Pfingsten-Reddig auf die Zehn rutscht und ein anderer Spieler die zweite Sechser-Position ausfüllt. Genausogut könnten aber die beiden Sechser bleiben und die Zehner-Position bspw. durch Kevin Möhwald ausgefüllt werden.
Klar ist, dass der erst 19jährige Philipp Mickel Klewin, der sich als Nummer 1 etabliert hat, das Tor hüten wird und davor ein erfahrener Verbund mit Laurito, Kleinheismann, Engelhardt und Pfingsten-Reddig agiert. Die Außenverteidiger Czichos und Odak sollten auch gesetzt sein, genauso wie der normal rechts spielende Kevin Möhwald. Bleibt nur die schwerlich zu beantwortende Frage, wie die taktische Formation sein wird, wer auf welcher Position aufläuft und was dementsprechend für Positionen zum Besetzen übrig bleiben. Rätselraten also.
Auf Seiten von RB Leipzig ist klar, dass weiterhin Tobias Willers rotgesperrt fehlt. Dazu dürfte Joshua Kimmich noch eine Weile kein Thema sein (auch wenn er laut BILD schon mal in das Mannschaftstraining hineinschnuppern durfte). Christian Müller steht auch wieder im Mannschaftstraining, seine Einsatzchancen sind nach zwei Wochen Pause allerdings ungewiss. Falls ein Einsatz für den agilen Rechtsverteidiger noch zu früh kommt, dürften die Chancen für Juri Judt wie schon in den letzten Spielen am besten sein, auch wenn er zuletzt nicht 100% überzeugen konnte.
Ziemlich sicher dürfte auch Yussuf Poulsen in die Startelf zurückkehren, der letzte Woche nur deswegen Carsten Kammlott weichen musste, weil er von seinem Ausflug zur dänischen U21-Nationalmannschaft müde war. Entscheidet sich Zorniger für einen Dreiersturm, was man nach der Zufriedenheit mit den ersten 70 Minuten des Spiels gegen Duisburg annehmen darf, dürften demnach Morys, Frahn und Poulsen zusammen stürmen.
Im Mittelfeld bleibt dann die Frage, ob weiterhin auf die Größe von Tim Sebastian auf der zentralen Sechs gesetzt wird. Gegen Duisburg funktionierte das eigentlich ganz gut, allerdings geht dabei auch ein bisschen kreatives Potenzial verloren. Denkbar wäre deswegen auch eine Rückkehr zu Kaiser in der Mittelfeldzentrale, ergänzt durch Schulz und bspw. Fandrich auf den Halbpositionen. Je nachdem ob Sebastian eine Mittelfeldoption ist oder nicht, stellt sich dann auch die Frage, ob Franke den gesperrten Willers ersetzt oder Sebastian. Auch hier also aufgrund von Ausfällen viele Fragen, die sich wohl final erst am Spieltag beantworten werden.
Die Chancen der beiden Ex-Erfurter Rockenbach und Kammlott gegen ihren alten Club von Beginn an aufzulaufen, sind dabei eher überschaubar. Am ehesten noch könnte Rockenbach von einer möglichen Umstellung auf ein 4-3-1-2 profitieren, denn dann wäre er auf der Zehn sicherlich gesetzt. Für Kammlott dürfte letztlich egal in welcher Formation nur die Jokerrolle bleiben.
Alles zusammen könnte das Aufstellungsrätsel auf folgende Formationen hinauslaufen (wobei auch diverseste Variationen denkbar sind) (RWE-Aufstellung mit Anleihen bei stellungsfehler.de):
- Rot-Weiß Erfurt: Klewin – Odak, Laurito, Kleinheismann, Czichos – Engelhardt, Baumgarten – Möhwald, Pfingsten-Reddig, Göbel (Fillinger) – Stolze (Nielsen, Nietfeld)
- RB Leipzig: Coltorti – Müller (Judt), Hoheneder, Franke (Sebastian), Jung – Fandrich, Kaiser, Schulz – Poulsen, Frahn, Morys
Letztlich geht RB Leipzig in dieses Duell, auch aufgrund der Erfurter Ausfälle, als Favorit. Zum ersten Mal bei einem Heimspiel in dieser Saison. Die bisherigen drei Pflichtspiele im heimischen Stadion, in denen man nicht unbedingt Favorit war, konnte man nicht gewinnen. Vielleicht klappt es ja besser, wenn die Rollen verteilt sind.
Die spannende Frage wird dabei sein, inwieweit die erfahrene Achse bei Rot-Weiß Erfurt den jungen Spielern und den neuen Kollegen in der Startfomation die nötige Sicherheit geben kann, um ein sehr gutes Spiel abzuliefern. Denn das wird es sicherlich brauchen, um aus Leipzig etwas zählbares mitzunehmen. Die Unterstützung durch die Fans könnte in dem Zusammenhang ein entscheidender Faktor sein. In der Vergangenheit hatte RB Leipzig einige Male größere Probleme mit Vereinen aus dem NOFV-Gebiet, die mit größerer Fanunterstützung in der Red Bull Arena auftauchten. Nicht immer, aber doch regelmäßig. Wobei Rot-Weiß Erfurt wohl nicht zu solchen Glanztaten in der Lage ist, wie es der HFC oder Carl Zeiss Jena in der Vergangenheit waren. Aber ein hart erkämpftes Unentschieden wie es sich Magdeburg bspw. im Herbst 2011 holte, ist auf jeden Fall machbar.
Bei RB Leipzig wird es darauf ankommen, auf die guten Ballgewinne, die man gegen Duisburg hatte, aufzubauen und daraus größere Gefahr für des Gegners Tor zu entwickeln. Die beiden schnellen Außenstürmer Poulsen und Morys können hier entscheidende Faktoren werden. Rot-Weiß Erfurt bringt mit neu fomierter Mannschaft ein paar Schwachstellen mit, die man ausnutzen kann. Zumal Erfurt in der relativ kurzen Zeit unter Kogler auch als mannschaftliche Formation noch lange nicht fertig entwickelt und damit verunsicherbar ist. Wie man auch gegen Burghausen gesehen hat, als Erfurt das Spiel nach der Führung aus der Hand gab und letztlich mit dem Unentschieden gerecht bedient war. Denn für Erfurt gilt noch mehr als für Leipzig, dass man von einer Spitzenmannschaft der dritten Liga noch ein mehr ordentliches Stück entfernt ist.
Fazit: Auf der einen Seite RB Leipzig. Individuell sehr gut besetzt. Eine Mannschaft, die im großen und ganzen schon seit einem Jahr zusammenspielt. Auf der anderen Seite Rot-Weiß Erfurt. Individuell gut besetzt. Schon vor Saisonbeginn mit einem größeren Kaderumbruch. Durch Sperren und Verletzungen noch mal bunt zusammengewürfelt. Die Ausgangslage spricht für RB Leipzig, ohne dass der Gast chancenlos wäre. Erfurt ist mit einer erfahrenen, soliden Defensive in der Lage, unangenehm zu sein und sich lange im Spiel zu halten. Und wenn sie das tun, dann kriegen sie mit Fanunterstützung auch noch mal die zweite Luft und sowieso sicherlich die mindestens zwei, drei Chancen, die man eben in einem Spiel kriegt. Auf der anderen Seite kann das fragile Gebilde der neu zusammengestellten Mannschaft auch mal zusammenbrechen, wenn es nicht gut läuft. Dazu müssten wiederum die RasenBallsportler eine sehr gute Leistung auf den Rasen der Begierde zaubern. Letztlich sollte man aber ein solches Spiel gegen Rot-Weiß Erfurt in der aktuellen Besetzung gewinnen, wenn man lange an den vorderen drei Plätzen dranbleiben will.
[Wer das Spiel von RB Leipzig gegen Rot-Weiß Erfurt nicht vor Ort verfolgen kann und am 24.08., ab 14.00 Uhr trotzdem dabei sein will, nutze die üblichen Kanäle, also Liveticker und das Fanradio oder schaue beim MDR-Livestream [broken Link] oder im TV-Programm des MDR vorbei.]
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Bisherige Duelle RB Leipzig vs. Rot-Weiß Erfurt
- 29.11.2009: Rot-Weiß Erfurt II vs. RB Leipzig 2:2 (NOFV-Oberliga Süd)
- 22.05.2010: RB Leipzig vs. Rot-Weiß Erfurt II 4:1 (NOFV-Oberliga Süd)
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PS: Sorry, heute wegen einer Panne kein Liveticker von der Pressekonferenz. Schriftliche Auszüge, Audios und Bildmaterial gibt es später am Tag sicherlich auf der Vereinswebsite.
Warum wird eigentlich Morys bei dir dem guten Carsten immer vorgezogen? Aber vielleicht ist das nur meine persönliche Empfindung, die du schnell entkräftigen kannst!? ;-)
Ach, mir persönlich würde es schwer fallen, zwischen Morys und Kammlott zu wählen. Aber letztlich ist Morys schlicht irre schnell und passt damit gut in das System des schnellen Umschaltens. Und vor allem meinte Zorniger letzte Woche nach dem Duisburg-Spiel auf die Frage, warum Morys und nicht Poulsen gespielt habe, dass Morys sowieso gesetzt gewesen sein und die Frage Poulsen oder Kammlott geheißen habe. Von daher steht Morys in der Rangordnung aktuell offenbar eher deutlich über Kammlott. Was dann oben in den Spielvorbericht einfloss.
Leider wiedermal gut. Immer wieder schwierig für das mühsam gehegte und gepflegte Vorurteil, Texte von einem Kommerzjünger zu lesen und diese gut zu finden. Wie soll man da bitte sein Feinbild aufrecht erhalten?
Ich vermute, dass es dir gelingen wird, dir ausreichende Fetzen der Antipathie zu erhalten. ;-) (Aber danke, das ist Anerkennung auf sehr hohem Niveau.)