Ausloten der physischen Grenzen

Als RB Leipzig vor reichlich zwei Jahren in die Bundesliga aufstieg, war eines der seltsamen Phänomene, dass in der obersten Spielklasse mit eher überschaubarem physischen Einsatz gespielt wurde. Zumindest im Vergleich zur zweiten Liga ein Jahr zuvor, wo RB Leipzig eigentlich durchgängig auf Gegner traf, die mit hohem läuferischen Einsatz dagegenhielten.

(Ralf Rangnick rechnete dereinst immer mal wieder vor, wie viel mehr die jeweiligen Gegner in den Spielen gegen RB rennen würden als in ihren sonstigen Spielen. Was in mancher Hinsicht eine durchaus treffende Beobachtung war. Was aber auch daran lag, dass die Gegner gegen eine lauf- und pressingintensive Leipziger Mannschaft eben auch zwangsläufig mehr (Lücken zu)laufen mussten als in anderen Spielen und es nicht zwangsläufig ein Effekt war, der aus besonderer Motivation der Gegner gegen den Aufstiegsfavoriten resultierte.)

Zusammen mit Karlsruhe und Freiburg war RB Leipzig damals in der zweiten Liga das Team mit dem höchsten Laufaufwand. Im Bereich der Sprints war RB allerdings nur ein Durchschnittsteam der Liga. Von den Werten, die RB, Freiburg und Karlsruhe in der zweiten Liga erreichten, waren die Bundesligisten ein Jahr später deutlich entfernt. Nur Freiburg selbst rückte in die Dimensionen zwischen 117 und 118 km pro Spiel im Schnitt vor, die die Zweitligatopteams ein Jahr zuvor einsammelten. Der Rest war davon meilenweit entfernt.

In den Spielen mit Beteiligung von RB Leipzig hatte man dann in der Bundesliga oft den Eindruck, dass die Gegner von dieser höheren Intensität in Sachen Laufbereitschaft oft einfach überrascht waren. Es schien, dass ein durchschnittlicher Bundesligist schlicht nicht darauf vorbereitet war. RB Leipzig lief zwar im Saisonschnitt 3,5 km weniger pro Spiel als in der zweiten Liga, lag damit aber trotzdem noch fast einen Kilometer über dem Schnitt der Liga. Eine Liga, die im Schnitt rund 1,5 km pro Spiel pro Team weniger lief als noch die Teams in der zweiten Liga ein Jahr zuvor.

Wenn man davon ausgeht, dass sich am Tracking in den letzten zwei Jahren nichts wesentliches geändert hat, dann bestätigt sich in den Daten, dass die Bundesliga in diesem Grundlagen- und Physisbereich noch mal deutlich zugelegt hat und nun stärker an ihre Grenzen geht als noch vor zwei Jahren. Über drei Kilometer mehr laufen die Teams nun im Schnitt pro Spiel (wobei der Schnitt im Saisonverlauf aufgrund abnehmender Frische eher noch etwas sinken dürfte).

RB Leipzig läuft unter Rangnick nun rund zwei Kilometer mehr pro Spiel als noch unter Hasenhüttl. Und liegt damit trotzdem ein Stück  unter dem Ligaschnitt (116,0 vs. 116,7), während Hasenhüttls Team im ersten Jahr mit weniger Aufwand noch über dem Durchschnitt lag. Diese Veränderung in den Anforderungen an die Teams hat natürlich gerade auch für Teams Auswirkungen, die zusätzlich zum Bundesligaprogramm noch andere Pflichtspiele zu bestreiten haben. Athletiktraining und Belastungssteuerung nehmen eine noch stärkere Rolle ein, ganz einfach weil man ansonsten irgendwann so überrannt wird wie RB Leipzig letzte Saison beispielsweise im Heimspiel gegen Leverkusen, als man pyhsisch gegen eines der besten Laufteams der Liga nichts mehr entgegenzusetzen hatte und einfach unterging.

Wie sehr es berab gehen kann am Ende einer Saison zeigte eben das Hasenhüttl-Team letztes Jahr. 108,6 Kilometer waren es pro Spiel nur noch an den letzten sieben Spieltagen. Im Bundesligaschnitt von 116 Kilometern bewegte man sich in den 27 Spielen zuvor.

Ist natürlich die Frage, inwieweit das ein rein physischer Effekt war oder ob da auch der Kopf und ein nicht mehr ganz einig wirkendes Team eine Rolle spielten (zusammen mit der Enttäuschung des Ausscheidens in Marseille). Fakt ist, dass es eine Herausforderung ist, als Team mit eventuell über 50 Pflichtspielen in einer Saison (plus Länderspielen) sich körperlich so in Schuss zu halten, dass man den erhöhten körperlichen Herausforderungen auch dauerhaft gewachsen ist.

Zumal RB Leipzig in der Bundesliga unter Ralf Rangnick deutlich mehr im Bereich der höheren Geschwindigkeiten investiert. Unter Rangnick war man da in der zweiten Liga noch genauso ein Durchschnittsteam wie in den zwei Bundesligajahren unter Hasenhüttl. Irgendwo zwischen 3,9 und 4,1 Kilometern sprintete man da pro Spiel. Auch hier gilt, dass generell die Wege, die im Sprint absolviert werden, in der Bundesliga größer geworden sind. 350 Meter sprintete jeder Bundesligaspieler pro Spiel 2016/2017. Letzte Saison waren es schon 370 Meter. Diese Saison liegt der Wert bisher bei 380 Metern.

Genau in diesem Sprintbereich liegt RB Leipzig im Bundesligavergleich im Gegensatz zu sonstigen Laufstatistiken recht deutlich über dem Durchschnitt. Mit 420 Metern pro Spiel pro Spieler belegt man hinter Dortmund und Augsburg derzeit auf Augenhöhe mit Mainz Platz 3 in dieser Statistik. Worin sich auch die Herangehensweise von Ralf Rangnick ganz gut spiegelt, in den entscheidenden Momenten Geschwindigkeit als entscheidenden Unterschied ins Spiel zu bringen.

Dazu passt dann eben auch, dass man mit Saracchi und Mukiele im Sommer noch mal viel Geschwindigkeit für die letzte Reihe verpflichtete (interessanterweise sind es vor allem die Innenverteidiger bei RB, die wesentlich mehr sprinten (müssen) als noch in der Vorsaison, aber dazu vielleicht ein ander Mal). Was dann auch bedeutet, dass in der Bundesliga die letzten Prozente in Sachen Physis ausgereizt werden.

Ohne Sprintfähigkeiten kommt man vor allem in vorderster und letzter Linie nicht mehr so richtig weit. Ein Willi Orban mit seinen herausragenden Fähigkeiten als Innenverteidiger erfährt dadurch ganz natürliche Limitierungen, die den ganz großen Karriereschritten im Wege stehen. Es läuft immer mehr auf Maschinen wie Upamecano, Mukiele oder Konaté hinaus, die schnell, gut am Ball, robust, relativ beweglich und auch noch groß sind. Alexander Zorniger träumte einst von solchen Spielerprofilen auch für den Sturm, um das Motto des Überrennens der Gegner umsetzen zu können.

Letztlich bleibt halt die Frage, wie weit sich diese Schraube drehen lässt. Dass man schnelle Spieler hat, ist das eine. Diese über 50 Pfllichtspiele am Anschlag sprinten zu lassen, ist dann aber doch noch mal ein großer Unterschied zu sagen wir 37 Pflichtspielen. Die Bayern fingen das letztes Jahr dadurch auf, dass sie mit kleinem Kader deutlich weniger liefen als der Rest der Liga und ihre Gegner im Ballbesitz vor sich herspielten und nur in entscheidenden Situationen in die höchste Geschwindikgeit gingen. Das ist Ralf Rangnicks Spielweise nun wahrlich nicht (und witzigerweise auch nicht die von Kovac in München, die für ihre Verhältnisse trotz sehr kleinem und recht alten Kader einen hohen läuferischen Aufwand auf Höhe des Durchschnitts der Bundesliga betreiben).

Was es eben auch interessant macht zu sehen, wie RBL damit über die Saison kommt. Bisher rotiert man immer wieder mit den 18 Feldspielern gut durch, was eine größere Rotation ist als jene 14 bis 15 Spieler, die letzte Saison rein von den vorhandenen Qualitäten spielten bzw. spielen konnten. Von daher kann man den gestiegenen Lauf- und vor allem Sprintaufwand darüber ein wenig auffangen. Und auch verletzungstechnisch schlägt der Mehraufwand (noch) nicht durch, was für eine gute Steuerung des Trainings und eine sehr gute Arbeit von Physios und Medizinern spricht. Wie das dann an den Spieltagen 15 bis 17 oder (falls man in Europa überwintert und dort noch ein paar K.o.-Runden spielt) an den Spieltagen 27 bis 34 aussieht und was man diesbezüglich aus der letzten Saison gelernt hat, bleibt halt die spannende Frage.

Generell legen die Daten nahe, dass Physis und Geschwindigkeit in den letzten zweieinhalb in der Bundesliga noch mal deutlich wichtiger geworden sind und man nun an Grenzen geht, die man damals noch nicht so recht auslotete. Wenn man so die Verpflichtungen der Topteams bzw. die Transfers mit einer größeren Millionensumme nimmt, dann spielt da fast immer mindestens Geschwindigkeit und im Idealfall auch eine gewisse Robustheit eine Rolle. Teams, die in diesem Bereich zurückfallen, so wie die Bayern (bei denen sich da auch ein Alterseffekt bemerkbar macht) haben immer mehr Probleme, das Niveau zu halten (schon letzte Saison hatte RB die Bayern einfach mit Geschwindigkeit und Physis überrannt).

Bleibt halt die Frage, wie das Teams mit Spielern durchhalten, die 50 Pflichtspiele oder mehr pro Saison bestreiten müssen und ob das für diese Mannschaften zwangsläufig auf Dauer zu breiteren Kadern führen muss. Also zu Kadern mit 20+ tatsächlich gleichwertigen Feldspielern. Dass man in der Bundesliga weiter die Grenzen der Physis ausloten wird, davon darf man derweil ausgehen.

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Gelaufene Kilometer der Ligen im Schnitt

  • 2. Liga 2015/2016: Gesamt – 115,1; Sprint – 3,80
  • Bundesliga 2016/2017: Gesamt – 113,5; Sprint – 3,86
  • Bundesliga 2017/2018: Gesamt – 116,0; Sprint – 4,06
  • Bundesliga 2018/2019: Gesamt: 116,7; Sprint – 4,19

Gelaufene Kilometer RB Leipzig im Schnitt

  • 2. Liga 2015/2016:  Gesamt – 118,0; Sprint – 3,85
  • Bundesliga 2016/2017:  Gesamt – 114,3; Sprint – 3,89
  • Bundesliga 2017/2018: Gesamt – 114,5; Sprint – 4,11
  • Bundesliga 2018/2019: Gesamt – 116,0; Sprint – 4,62

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Timo Werner ist eine der vielen sprintstarken Optionen bei RB Leipzig. | Foto: Dirk Hofmeister
Foto: Dirk Hofmeister

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