Schon seit einer Woche ist die Transferliste nun geschlossen und damit der Kader von RB Leipzig komplett (wenn man nicht irgendwann noch in Panik einen vertraglosen Spieler verpflichtet). Trotz der Tatsache, dass bis auf Joshua Kimmich keiner der letztjährigen Stammspieler den Verein verlassen hat, liegt eine bewegte Transferperiode hinter dem Verein.
Insgesamt zehn neue Spieler stehen im Profikader. Irgendwas zwischen sieben und acht davon mit einer relativ klaren Idee und auch realistischen Chance, nicht nur für die Bank verpflichtet worden zu sein. Der Kader hat also in der Qualität deutlich hinzugewonnen, wenn fast ausschließlich Spieler verpflichtet wurden, die sofort Stammelfchancen haben. Bedeutet aber auch, dass hier gerade ein erheblicher Umbruch in den gewachsenen, sportlichen Hierarchien des Teams stattfindet.
Zehn Neuzugängen stehen elf Abgänge entgegen, wenn man nur die Spieler zählt, die in der Rückrunde der vergangenen Saison in Leipzig gespielt haben. Dazu kommen noch mal acht Spieler, die verliehen waren und nach ihrer vertragsgemäßen Rückkehr nach Leipzig keine sportliche Chance mehr hatten und entsprechend mit neuen Vereinen versorgt werden mussten. Mit Sumusalo und Palacios Martinez fanden zwei den Weg in die hauseigene U23, der Rest verstreute sich über die Welt.
Handgeschätzt irgendwas um die 25 Millionen Euro hat RB Leipzig an reinen Ablösesummen in die Neuzugänge des aktuellen Sommers investiert. Wobei um die sieben Millionen davon schon vor einem Jahr bei der Verpflichtung von Sabitzer und Bruno ausgegeben wurden, die dann aber erst mal leihweise nach Salzburg wechselten und erst in diesem Sommer tatsächliche Neuzugänge bei RB Leipzig wurden. Die reinen Transferausgaben von RB Leipzig dürften die Lizenzspieleretats praktisch aller Zweitligisten übersteigen.
20 Feldspieler + drei Torhüter + zwei Nachwuchsleute. So war bisher die öffentlich formulierte Logik bei der Kaderplanung. Mit 23 Feldspielern plus drei Torhütern ist man ziemlich nah dran an dieser Faustformel. Wenn man die 19jährigen Patrick Strauß und Ken Gipson als die zwei Nachwuchsleute sieht, dann passt es fast perfekt mit den 20 + 3 + 2. Da man damit rechnen kann, dass immer mindestens ein, zwei Spieler ausfallen (aktuell Nukan und Boyd) passt es auch mit der Größe der Trainingsgruppe ziemlich perfekt.
Der Kaderüberblick hier folgt der Logik der bisherigen Spiele und den dortigen Aufstellungsvarianten zwischen 4-2-2-2 und 4-3-3 und 4-2-3-1. Auf den einzelnen Positionen sind jeweils die Kernspieler verzeichnet und anschließend in Klammern die möglichen Backups bei Not. Im Mittelfeld wird nur zwischen offensiv und defensiv unterschieden. Defensiv sind die beiden Sechser (bzw. ein Sechser im alternativen 4-3-3). Offensiv sind die zwei Spieler, die irgendwas zwischen Außenbahn und Zehn belegen sollen (bzw. im 4-3-3 wohl einen klareren Achter spielen).
Tor: Peter Gulacsi (25), Fabio Coltorti (34), Benjamin Bellot (24)
Bisher stand weiter der Schweizer Routinier Coltorti im Tor. Auch weil Gulacsi wegen Rotsperren die Monate Juli und August praktisch komplett verpasste. Man kann sich aber relativ sicher sein, dass der Ungar im Saisonverlauf seine Chance bekommen wird. Bei Benjamin Bellot ist dies weiterhin nur bei Verletzungen und Ausfällen der Konkurrenten wahrscheinlich.
Außenverteidiger: Marcel Halstenberg (23), Anthony Jung (23), Georg Teigl (24), Ken Gipson (19) – (Lukas Klostermann, Stefan Hierländer, Diego Demme)
Viele haben sich in den letzten drei Rangnick- und Zorniger-Jahren auf dieser Position versucht. So richtig glücklich wurde bis auf den letzte Saison unangetasteten Anthony Jung über eine längere Zeit keiner. Und dieser Anthony Jung wurde gerade ein wenig demontiert und durch die Halstenberg-Verpflichtung in die zweite Reihe geschoben. Potenzial und Zukunft steckt inzwischen nach einigen Umbrüchen in der Position. Wie es in der Praxis funktioniert und wer sich letztlich die begehrten Plätze im Team dauerhaft sichert, scheint Stand heute schwer vorhersagbar.
Innenverteidigung: Willi Orban (22), Atinc Nukan (21), Tim Sebastian (31), Marvin Compper (30), Lukas Klostermann (19) – (Stefan Ilsanker, Rani Khedira, Anthony Jung)
Orban und Nukan darf man auf dieser Position als gesetzt ansehen, wenn beide fit sind. Wobei der türkische Neuzugang Nukan in seinen Einsätzen zu Saisonbeginn durchaus ein paar Schwächen im Stellungsspiel und taktischem Verständnis offenbarte. Mit Sebastian, Compper und Klostermann gute Backups. Aber auch Ilsanker hat zuletzt auf der Position drei sehr gute Halbzeiten gespielt und sich als ernsthafte Alternative ins Gespräch gebracht. Zumindest war das Duo Orban-Ilsanker jenes, das im bisherigen Saisonverlauf am besten funktionierte. Eigentlich schlechte Nachrichten für die Backup-Innenverteidigerfraktion.
Defensives Mittelfeld: Stefan Ilsanker (26), Dominik Kaiser (26), Rani Khedira (21), Diego Demme (23), John-Patrick Strauß (19) – (Stefan Hierländer, Tim Sebastian, Zsolt Kalmár, Anthony Jung)
Alles im Fluß könnte man sagen. Der Position im defensiven Mittelfeld, also genaugenommen auf der Sechser-Position fehlt ein wenig das kreative, spiellenkende Element, das ein Joshua Kimmich dort letzte Saison einbrachte. Das ist von den Spielertypen, die jetzt noch im Kader sind, nicht zu wollen. Auch von einem Dominik Kaiser nicht, der noch am ehesten dem Spielertyp Kimmich nahe kommt. Bisher war im Normalfall das Duo Ilsanker-Kaiser gesetzt. Ein robuster Abräumer mit großen Fähigkeiten im Gegenpressing und einer mit der etwas feineren Klinge in der Spieleröffnung. So ganz optimal wirkte es von der Mischung her in der Praxis bisher trotzdem nicht. Khedira und Demme spielen bisher den Notnagel bei Ausfällen der Konkurrenten. Eine Rolle, die beiden recht schnell viel zu wenig sein dürfte. Im zentralen, defensiven Mittelfeld gibt es also einen noch nicht ganz befriedigenden Zustand und dazu noch Konfliktpotenzial. Klingt nicht perfekt, muss aber auch nicht viel bedeuten.
Offensives Mittelfeld: Massimo Bruno (21), Marcel Sabitzer (21), Emil Forsberg (23), Dominik Kaiser (26), Stefan Hierländer (24), Zsolt Kalmár (20) – (Emil Forsberg, Yussuf Poulsen, Diego Demme, John-Patrick Strauß)
Sabitzer, Forsberg und Bruno teilen sich bisher die je nach System zwei bis drei offensiven Mittelfeldpositionen zwischen äußeren Zehnern und zentraler Zehn auf. Von der Grundqualität her ist das eher Erstliga- als Zweitliganiveau. Auch wenn alle auch noch ein wenig Zeit für ihre Entwicklung brauchen. Die drei Spieler waren an der Entstehung von vier der bisher sechs RB-Tore direkt beteiligt. Da ist sicherlich Potenzial für noch mehr, genauso wie als Backup vor allem mit Kalmár und Kaiser noch mehr als vernünftige Alternativen bereitstehen.
Sturm: Davie Selke (20), Marcel Sabitzer (21), Emil Forsberg (23), Yussuf Poulsen (21), Nils Quaschner (21), Terrence Boyd (24) – (Emil Forsberg, Massimo Bruno)
Da die Dreiersturm-Idee etwas aus der Mode scheint und entsprechend Sabitzer und Forsberg in die Zehnerpositionen rutschen, bleiben gar nicht mehr so viele Stürmer übrig, wie man immer denkt. Davie Selke ist natürlich gesetzt, solange er sich nicht irgendeine üble Geschichte leistet oder verletzt oder gesperrt ausfällt. Yussuf Poulsen steckt weiter in einem Formloch, das vermutlich auch nicht kleiner wird, wenn er auch weiterhin pausen- und ruhelos zwischen Nationalelf und Verein hin- und herreist. Die praktisch nicht vorhandene Sommerpause könnte ihm noch lange nachhängen. Was Nils Quaschner, der sich in der Anfangsphase der Saison als physische, motivierte Sturmalternative präsentierte, vielleicht mit Freuden sieht. Eine Vorlage steht für Quaschner schon zu Buche und eine Aktion, mit der er ein Eigentor mitprovozierte. Die beiden Tore sicherten RB Leipzig zwei späte Punkte (gegen Fürth und bei Union Berlin).
Die Idee hinter der Kaderplanung ist grundsätzlich klar. Angesichts von über 20 Feldspielern, die alle auch gut in die Startelf passen würden, gibt es trotzdem wenig Sicherheiten. Und angesichts der vielen Neuzugänge mit Stammelfpotenzial scheint man aktuell noch ein wenig auf der Suche nach der final passenden Zusammensetzung des Teams.
Zentrale Fragen sind dabei die Besetzung der Innenverteidiger-Position neben Orban. Rutscht Ilsanker hier mit rein, dann bedeutet das auch was für die Doppelsechs, für die Kaiser wohl weiterhin gesetzt sein würde, dann aber einen neuen Partner bräuchte. Im Offensivspiel stellt sich die Frage ob mit zentraler Zehn oder ohne. Wobei die bisherige Saison eigentlich eher zeigte, dass man in diesem zentral-offensiven Raum einen Spieler braucht, der dort als Anspielstation für die Spielentwicklung zur Verfügung steht. Im Sturm ist die Frage, ob ein Stürmer oder zwei Stürmer. Wobei nur ein Stürmer für einen wie Quaschner, der auf den Zehner- bzw. Außenpositionen gegen die Konkurrenten wohl nicht so gute Chancen hätte, eher etwas depremierend wäre. Bliebe als letzte Frage noch die nach Gulacsi oder Coltorti, die eher kurz- bis mittel- als langfristig aufploppen wird.
Fraglich bei all dem, wo Platz für den Nachwuchs ist, den es in U23 und U19 durchaus auch in der qualifizierten Form gibt. Die Wege auf die Bank der Profimannschaft sind nicht verschlossen wie ein Alexander Sorge beim Auswärtsspiel bei Union Berlin zeigte. Aber die Möglichkeiten sind doch arg beschränkt angesichts der hohen Qualität im Profiteam bis runter zur Nummer 25. Inwiefern sich die Talente davon frustrieren lassen, wird man mittel- bis langfristig sehen.
Alles zusammengenommen entsteht für das 4-2-2-2 folgendes Team: Coltorti (Gulacsi) – Teigl (Klostermann), Orban (Sebastian), Nukan (Compper), Halstenberg (Jung) – Kaiser (Demme), Ilsanker (Khedira) – Sabitzer (Kalmár), Forsberg (Bruno) – Poulsen (Quaschner), Selke (Sabitzer).
Und für das 4-2-3-1: Coltorti (Gulacsi) – Teigl (Klostermann), Orban (Sebastian), Nukan (Compper), Halstenberg (Jung) – Kaiser (Demme), Ilsanker (Khedira) – Sabitzer (Poulsen), Bruno (Kaiser), Forsberg (Kalmár) – Selke (Quaschner).
Nun ja, in der Theorie hat man in der Kaderplanung gut gearbeitet und auch die große Leihspielerabteilung radikal reduziert. Macht alles Sinn soweit, wenn man mal von den mangelnden Anschlussfähigkeiten für die Jugend im Ligaalltag absieht. Ob das dann auch alles funktioniert und welche Eigendynamiken im Kader stecken, weiß zum jetzigen Zeitpunkt allerdings auch niemand.
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Aktueller Kader
- Tor: Gulacsi, Coltorti, Bellot
- Außenverteidiger: Halstenberg, Jung, Teigl, Gipson
- Innenverteidiger: Orban, Nukan, Sebastian, Compper, Klostermann
- Mittelfeld: Ilsanker, Kaiser, Khedira, Demme, Bruno, Hierländer, Strauß, Kalmár, Forsberg
- Sturm: Selke, Poulsen, Sabitzer, Quaschner, Boyd