Zurück zum Sport heißt das Motto heute. Wird ja auch langsam wieder mal Zeit nach all der diskursiven Ablenkung der letzten Tage. Ich vermute, dass die aufgeworfenen Themenfelder irgendwann wieder anstehen werden, aber für den Moment soll es dann auch mal gut sein mit den Aufarbeitungen zum Derby und seinen rhetorischen Ausläufern.
Da sportlich gesehen in der Vorbereitung auf das samstägliche Auswärtsspiel bei Optik Rathenow noch nicht so viel spektakuläres ansteht, bleibt hier und heute nachdem das Transferfenster schon ein paar Tage geschlossen ist. (endlich) Zeit, den endgültigen Kader noch mal unter die (nicht ganz so scharfe) Lupe zu nehmen. Ich hatte dieses Unterfangen bereits Ende Juli in der ersten Kaderschmiede zur neuen Saison von RB Leipzig gewagt, von daher sei dies heute ein Update der damaligen Ausführungen.
Sehr viel getan hat sich seitdem nicht mehr. Mit Matthias Hamrol ist noch ein vierter Torhüter in den Kader gerutscht. Und mit Michael Schlicht darf ein knapp 19jähriger, variabel einsetzbarer Offensivgeist nach der langwierigen Verletzung von Tom Nattermann (eventuell die gesamte Hinrunde) zumindest bei den Profis mittrainieren, ohne formal zum Kader zu gehören (gegen Lok saß er aber sogar schon auf der Bank).
Auf der Abgangseite muss man natürlich Roman Wallner nennen, der kurz vor Transferschluss aufgrund ziemlich aussichtsloser Kaderperspektiven noch den Verein wechselte und nach Österreich zurückkehrte. Finde ich weiterhin sehr schade, da ich ihn als Spielertyp und als unaufgeregten Profi doch ganz gern mochte. Von den fünf weiteren im Sommer von Zorniger aussortierten Spielern, hat Timo Rost seine Karriere beendet und ist Adrian Mrowiec nach seiner Vertragsauflösung bei RB inzwischen in der dritten Liga beim Chemnitzer FC gelandet. Ob da der Schädlich-Freund Pacult seine Finger im Spiel hatte, ist unklar. Der Verbleib von Borel, Lagerblom und Wisio ist ungeklärt. Alle drei sind aktuell ohne neuen Verein.
(Die Kaderbetrachtung ist nach Positionen geordnet. Hinter jeder Position erscheinen die Spieler, die dort – ganz subjektiv bewertet – ihre Stammposition haben, in der Reihenfolge wie ich denke, dass ihre individuelle Stärke ist (ganz vorn steht also die jeweilige Nummer 1 auf jeder Position). Einfache Klammern bedeuten, dass der Spieler dort auch umstandslos spielen kann, doppelte Klammern bedeuten, dass der Spieler auf der Position im Notfall spielen könnte.)
Tor: Fabio Coltorti (31 Jahre), Benjamin Bellot (22), Matthias Hamrol (18), Andreas Kerner (24)
Die Verhältnisse im Tor waren ganz im Sinne der von Zorniger gewollten klaren Hierarchien bereits vor der Saison klar und sind inzwischen noch klarer. Fabio Coltorti hat sich in der Mannschaft bereits ein ordentliches Standing erkämpft und sich in den ersten drei Spielen in die Herzen der Fans gespielt (bzw. gehechtet und geschrien). Aktuell mit seiner ganzen Persönlichkeit ein unumstrittener Führungsspieler. Dahinter die jungen (chancenlosen) Wilden, von denen Kerner aufgrund seiner Dauerverletzung die schlechtesten Karten hat. RB-Urgestein Bellot wird wohl in diesem Leben bei RB nicht mehr die Nummer 1 und für den 18jährigen Hamrol spricht die Zukunft. Wie auch immer die sich schreiben wird.
Rechtsverteidiger: Christian Müller (29), Patrick Koronkiewicz (21), (Juri Judt, 26), ((Tim Sebastian, 28))
Auf der Rechtsverteidigerposition schien sich am Anfang der Saison eine Überraschung abzuzeichnen als Patrick Koronkiewicz plötzlich im ersten Spiel gegen Union II in der Startelf stand. Doch schon zur zweiten Hälfte des Spiels übernahm Christian Müller und gab seinen Posten seitdem nicht mehr ab. Klare Verhältnisse auch auf dieser Position. Aber auf Koronkiewicz als dynamischen Backup kann man jederzeit auch setzen.
Innenverteidigung: Fabian Franke (23 Jahre), Tim Sebastian (28), Niklas Hoheneder (26), Marcus Hoffmann (24), (Henrik Ernst, 26)
In der Innenverteidigung ragtFabian Franke deutlich heraus. Mit seiner Zweikampfstärke ist er nur schwerlich ersetzbar im RB-Defensivverbund. Neben ihm hatte sich in den ersten Spielen Tim Sebastian als rechter Innenverteidiger etabliert und somit gegen Niklas Hoheneder durchgesetzt. Gegen Lok nutzte Hoheneder eine Verletzungspause des Konkurrenten. Trotzdem dürfte Sebastian nach verheiltem Nasenbeinbruch wieder gesetzt sein. Das Gesamtpaket passt insgesamt besser. Nicht ganz so gut passt es offenbar derzeit mit Marcus Hoffmann, der in Zornigers Spielideen gerade etwas durch den Rost zu fallen scheint. Schwer einschätzbar, wo Hoffmann leistungstechnisch steckt.
Linksverteidiger: Juri Judt (26 Jahre), Paul Schinke (21), Umut Kocin (24), (Patrick Koronkiewicz, 21)
Wenig überraschend, dass Juri Jdt links hinten gesetzt ist. Durch Kocins verletzungsbedingten Ausfall (inzwischen Reha abgeschlossen und im Einzeltraining) hat der gelernte Rechtsfuß eigentlich kaum Konkurrenz und nutzte dies für mindestens solide Leistungen und ein wunderbares Tor im Lok-Spiel. Hinter ihm steht der eher offensivstarke Paul Schinke bereit, der aber weiter noch seine Probleme in der Defensive hat. Sollte Kocin irgendwann zurückkehren, könnte Schinke eine Position nach vorne rutschen..
Rechtes Mittelfeld: Timo Röttger (27 Jahre), Sebastian Heidinger (26), Tom Nattermann (19), Michael Schlicht (18), (Carsten Kammlott (22))
Auch hier schienen die Verhältnisse vor der Saison klar. Röttger, na klar. Und dann lief da plötzlich Sebastian Heidinger auf. Da hat man erst mal nicht schlecht geguckt. Aber schon im zweiten Pflichtspiel kehrte Röttger zurück, auch weil Rockenbach von links in die Mitte rutschte und Heidinger nach links ging. Solange Rockenbach zentral bleibt, steht Röttger rechts in der Startelf, auch weil er nach der Verletzung Nattermanns und der Versetzng Kammlotts in den Sturm konkurrenzlos ist. Bei Michael Schlicht muss man abwarten, was Alexander Zorniger mit ihm vor hat. Am ehesten scheint er serzeit für die Außenbahnen in Frage zu kommen. Aber das ist eher Bauchgefühl denn Wissen.
Zentrales Mittelfeld (defensiv): Dominik Kaiser (23 Jahre), Bastian Schulz (27), Henrik Ernst (26), Jeremy Karikari (25), (Juri Judt, 26)
Im zentralen defensiven Mittelfeld waren zu Saisonbeginn zwei Plätze zu vergeben. Neben dem allzeit gesetzten Dominik Kaiser durfte da Henrik Ernst auflaufen. Nach der Umstellung auf ein 4-1-3-2 und somit nur einen defensiven Platz wird es für die Konkurrenz von Dominik Kaiser eng. Denn dass Kaiser im Normalfall gesetzt ist, kann man als gesichert annehmen. Geht es um die Absicherung des Spielergebnisses hat aktuell Bastian Schulz als Einwechseloption für den Platz neben Kaiser die Nase leicht vorn, auch wenn ich Henrik Ernst auf Augenhöhe sehe. Interessanterweise wäre der nach einem Trauerfall etwas aus der Bahn geworfene Jeremy Karikari eigentlich vom Spielertyp die Idealbesetzung für den alleinigen Sechser (robust in der Baleroberung, sicher in der Verarbeitung). Dass er allerdings den nicht ganz so robusten und etwas offensiv-kreativeren Dominik Kaiser verdrängen kann, scheint aktuell ausgeschlossen. Entweder beide oder Kaiser, so würde ich die einfache Formel sehen.
Linkes Mittelfeld: Thiago Rockenbach (27 Jahre), Sebastian Heidinger (26), Michael Schlicht (18), (Paul Schinke, 21), (Umut Kocin, 24)
Klare Verhältnisse aktuell im linken Mittelfeld. Spielt Zorniger mit einer Doppelsechs, dann wäre Rockenbach links gesetzt. Im aktuellen System mit nur einem Sechser ist Heidinger naturgemäß der adäquat Linksaußen. Gar kein schlechter Konkurrent wäre Paul Schinke, den man sich sehr gut als Linksaußen mit allen Freiheiten vorstellen kann. Aktuell führt da für ihn aber wohl kein Weg hin.
Zentrales Mittelfeld (offensiv): Thiago Rockenbach (27 Jahre), Dominik Kaiser (23), Tom Nattermann (19)
Die Position des Zehners ist ganz klar die Position von Thiago Rockenbach. Dominik Kaiser und Tom Nattermann könnten dies sicherlich auch spielen, aber ich würde aktuell vermuten, dass es nur die Alternativen mit Rockenbach als Zehner oder eben ohne Zehner gibt. Ich bin mir nach zwei Pflichtspielen noch nicht sicher, was daraus wird, aber Rockenbach zumindest äußert sich immer wieder zufrieden mit seiner neuen Position, von daher könnte er die Position ja auch dauerhaft mit großer Lust ausfüllen. Und wenn es mal etwas defensiver sein soll, täte es auch ein 4-2-3-1 statt des stattlich offensiven 4-1-3-2..
Sturm: Daniel Frahn (25 Jahre), Carsten Kammlott (22), Stefan Kutschke (23), (Tom Nattermann, 19)
Die wichtigste Veränderung im Gegensatz zur Kaderschmiede Ende Juli betrifft den Sturm, der nach dem Abgang von Roman Wallner etwas klarer aufgestellt ist. Denn neben dem gesetzten Daniel Frahn duellieren sich nun nur noch zwei ernsthafte Kandidaten um den im Zweistürmersystem verbleiben Platz. Aktuell hat – wieder mal entgegen meiner ursprünglichen Erwartungen – Stefan Kutschke hier die Nase vorn. Ich hatte eigentlich angenommen, dass Zorniger an der Seite von Frahn eher den spielenden Stürmer bevorzugt, also Kammlott (oder ehemals auch noch Wallner). Tut er aber nicht, sondern er setzt auf den emotionalen Leader Kutschke. Das ging im ersten Spiel gegen Union II bei dessen Platzverweis schief, war aber im Spiel gegen Lok durchaus zielführend.
Auffällig jedenfalls, dass das Duo Frahn/ Kutschke bisher wesentlich besser harmoniert als noch in der letzten Saison. Was auch daran liegt, dass Kutschke seine Rolle als kopfballstarker Ballverteiler sehr gut spielt und er dadurch Daniel Frahn sehr gut ergänzt. Als Nachteil sehe ich weiterhin, dass die Anwesenheit von Kutschke auf dem Platz dazu führt, dass das Team zu oft den bequemeren, aber nicht immer effektiveren Weg des langen Balls auf Kutschke wählt. Aber das ist wohl eher eine Frage der Feinabstimmung als Grundsatzkritik. Spannend jedenfalls, ob Stefan Kutschke seinen Platz sichern kann oder sich der willige Carsten Kammlott doch an ihm vorbei schummelt. Im Moment hat Stefan Kutschke als Typ und aufgrund seiner sowieso schon immer vorzeigbaren Trefferquote die Argumente auf seiner Seite.
Rundumblick: “Mit Coltorti, Müller, Franke, Judt, Röttger, Kaiser, Rockenbach und Frahn sehe ich etwa acht Spieler für den Punktspielauftakt bereits als gesetzt an”, hieß es hier im Blog vor reichlich einem Monat. Mit der Einschätzung lag ich für das erste Punktspiel falsch. In der aktuellen Entwicklung trifft es hingegen voll zu. Da auch Sebastian Heidinger zumindest im 4-1-3-2 gesetzt scheint, bleiben nur noch Tim Sebastian und Stefan Kutschke als Spieler, deren Positionen durchaus wackeln können, aber aktuell auch vergeben scheinen.
Damit hat Alexander Zorniger für RB Leipzig bereits nach drei Spieltagen eine recht klare Stammelfstruktur. Zorniger hatte ja kürzlich erst erklärt, dass er nicht dafür stehe, die Stammelf permanent zu verändern, von daher dürfte die aktuelle Struktur der Mannschaft, an der vor allem Kammlott und Hoheneder recht nah dran sind, stehen. Klar wird es dabei durch Verletzungen, Sperren oder taktische Finessen immer mal wieder Veränderungen und Einsatzmöglichkeiten für den ganzen Kader geben, aber mir gefällt es ganz gut, dass die Verhältnisse einigermaßen geklärt sind und von der Bank im Fall der Fälle einiges an frischem Wind und Ideen kommen kann. Bleibt weiterhin nur die Frage, ob das Thema Unzufriedenheit bei den Bankspielern irgendwann zum Faktor wird oder die durchgehende Qualität des Kaders positiv zum Saisonverlauf beitragen wird.
Mit 20 Feldspielern (ohne Michael Schlicht) plus 4 Torhütern klingt der Kader angemessen groß. Angesichts der Rekonvaleszenten Kocin und Nattermann wird das ganze aber schon überschaubarer. Schön dabei im Übrigen, dass Zorniger darauf setzt, mögliche Kaderengpässe durch Rückgriffe auf die U23 lösen zu wollen. Das ist ein ziemlich vernünftiges Signal an den eigenen Nachwuchs, dass die Durchlässigkeit nach oben gegeben ist. Zumal die U23-Regel (mindest 4 Spieler unter 23 Jahren im Kader) nicht ganz ohne ist. Nach Nattermanns Ausfall hat man mit Bellot, Schinke, Koronkiewicz und Kammlott nur noch exakt diese vier Spieler im Kader. Michael Schlicht entspannt die Situation durch seine Anwesenheit etwas, trotzdem bleibt dies eine Baustelle zumal keiner der U23-Spieler aktuell einen Stammplatz hat. Mit knapp über 26 Jahren ist die Startelf aus dem Lok-Spiel jedenfalls nicht so jung, wie man es nach dem vor der Saison propagierten Jugendkurs hätte erwarten dürfen. Mich stört das aber überhaupt nicht.
Aktuelle Stammelf im 4-1-3-2: Coltorti – Müller, Sebastian, Franke, Judt – Kaiser – Röttger, Rockenbach, Heidinger – Kutschke, Frahn
Aktuelle Stammelf im 4-4-2 (Doppelsechs): Coltorti – Müller, Sebastian, Franke, Judt – Röttger/ Heidinger, Kaiser, Schulz/ Ernst, Rockenbach – Kuschke, Frahn
Mögliche Stammelf im 4-2-3-1: Coltorti – Müller, Sebastian, Franke, Judt – Kaiser, Schulz/ Ernst – Röttger, Rockenbach, Heidinger – Frahn
Fazit: Sich mit dem Kader zu beschäftigen, macht auf jeden Fall gleich wieder Lust auf Fußball. Gut, dass das nächste Spiel nicht mehr allzu weit weg ist, denn dieses Team möchte man sehr gern durch die weitere Saison begleiten und beim Zusammenwachsen beobachten.
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Bild: © GEPA pictures/ Roger Petzsche
Na Mensch, kriegt man endlich mal das Foto zu sehen…
Aktuelle Stammelf im 4-1-3-2: Coltorti – Müller, Sebastian, Franke, Judt – Kaiser – Röttger, Rockenbach, Heidinger – Kutschke, Frahn
Meine Wunschelf sieht da genau so aus wie deine.