Regionalliga: Hamburger SV II vs. RB Leipzig 1:0

Man hätte es fast ahnen können, dass der Ausflug von RB Leipzig gestern nach Norderstedt zum Nachholespiel gegen den Hamburger SV II schief geht. Mittwoch nachmittag ein Spiel mit Freundschaftsspielcharakter vor nicht einmal 400 Zuschauern gegen einen gleichermaßen guten wie motivierten Gegner, der als heimschwach gilt, aber defacto heimstark ist. Psychologisch wartete bei trostlosem Rahmen der kleine HSV, gegen den alles andere als ein Sieg überraschend wäre, sprich man nur verlieren kann. Ganz praktisch wartete ein hochtalentiertes und -motiviertes Team, das auf Augenhöhe mit RB Leipzig spielen kann und gegen das man von Anfang bis Ende die Motivationsleistung eines Spitzenspiels vor vielen Zuschauern abliefen muss. Menschlich ist es nachvollziehbar, wenn so etwas mal schief geht. Gibt dummerweise keine Bonuspunkte in der Tabelle für menschliche Reaktionen.

Zudem könnte man das Spiel auch unter dem Motto ‘klassisch vercoacht’ abhaken. Heidinger für Watzka dürfte sicher noch als nachvollziehbare Veränderung gegolten haben, auch wenn die Tatsache, dass Watzka aus der Startelf gegen Hertha II gleich auf die Tribüne verfrachtet wurde, schon gewöhnungsbedürftig erschien. Für sehr viel mehr Unverständnis sorgte dagegen die Ausbootung von Roman Wallner, der für Carsten Kammlott die Bank wärmen durfte. Was sich in den letzten Partien leistungstechnisch nun wirklich nicht abgezeichnet hatte und was angesichts der Spielertypen in der taktischen Grundausrichtung kaum einen Unterschied machen dürfte.

Höhepunkt aber die Demontage von Tom Geißler, der für Bastian Schulz geopfert wurde und so wie Watzka gar nicht erst mit nach Norderstedt reisen durfte. Jener Tom Geißler, der als einer der besseren bisher in allen Partien nach der Winterpause in der Startelf stand und derjenige war, der im zentralen Mittelfeld noch am ehesten Offensivakzente setzen konnte. Raus ohne Applaus. Nicht mal im Kader, in dem dafür dann mit Rost, Hoheneder und Lagerbloom gleich drei Spieler der Kategorie ‘eher rustikal’ als Ersatz für Bastian Schulz bereitstanden. Ahja. Wenn die Ausbootung von Geißler nicht irgendeinen nichtsportlichen Grund hat, dann verstehe ich die (Fußball-)Welt nicht mehr.

Was auch immer der Grund war, gerade der Schulz-Geißler-Wechsel zahlte sich nicht aus. Die Idee, ohne Geißler eher defensiv kompakt zu stehen, zeigte sich ineffektiv, weil die RasenBallsportler die erste Hälfte verpennten und den Gegner so mitaufbauten. Was bei RB Leipzig gegen Hertha BSC II in einer schwachen ersten Hälfte noch als clever durchgehen konnte, nämlich den Gegner vom eigenen Strafraum fernzuhalten und vorne aus zwei, drei Chancen ein Tor zu machen, funktionierte gegen den HSV-Nachwuchs nicht, weil man ihn (trotz Schulz) nicht vom RB-Tor fernhalten konnte und weil nach vorne praktisch gar nichts ging.

Paradigmatisch die Entstehung des 1:0 für den HSV (die man im Video im unten verlinkten MDR-Bericht nachvollziehen kann), bei dem die versammelte Hintermannschaft in einer völlig ungefährlichen Spielsituation nur zuguckt, wie Lam (gegen einen desaströs zweikämpfenden Ernst) in den Strafraum flankt, wo dann George Kerbel eine Kopfballablage des völlig freistehenden Bertul Kocabas auch völlig freistehend im zweiten Versuch ins Tor drückt und seine Torbilanz auf sieben Treffer in den letzten sechs Spielen erhöht. Der einzige, der (neben Pascal Borel) versucht einzugreifen, ist bezeichnenderweise Christian Müller, der von ganz rechts quer durch den Strafraum nach halblinks sprintet, um Kerbel noch beim Schießen zu behindern, während die spieltaktisch eigentlich viel näher postierten Kocin, Sebastian und Franke entweder zugucken oder viel zu weit weg sind. So ein Tor darf man fangen, wenn man gerade im offenen Schlagabtausch hinten offen steht, aber nicht wenn man eine Halbzeit mit dem Konzept ‘dicht machen, kein Gegentor kassieren’ spielt.

Mit Symbolcharakter: Marcus Hoffmann am Boden - © GEPA pictures/ Roger Petzsche

Aber egal, ob der Rahmen eher depremierend war oder der Coach seinen Anteil an der Niederlage hatte, weil er das Team relativ ohne Not auseinanderriss und sich keine Option für die Bank mitnahm, das Spiel muss natürlich trotzdem nicht verloren gehen. Selbst wenn der HSV-Nachwuchs mindestens gleichwertig war. 30 Minuten lang gegen einen dezimierten Gegner, dazu einige Großchancen auf Kopf und Fuß. Großartiger HSV-Keeper Dehmelt hin oder her, angesichts der Umstände und der verbesserten zweiten Hälfte hätte man sich eigentlich einen Punkt aus dem Norden mitbringen sollen. Dass man es nicht tat, rundete den depremierenden, gestrigen Tag nur noch ab.

Ich persönlich finde es am erstaunlichsten, dass man 45 Minuten lang überhaupt nicht ins Spiel kam. Fast scheint es so, als brächte auch die Rückrunde keinerlei Leichtigkeit, kein gewachsenes Selbstvertrauen, keine breite Brust, mit dem man einer sehr talentierten, aber auch eben sehr jungen HSV-Reserve, in der nur Zhi Gin Lam über relevante Profierfahrung verfügte, entgegentreten könnte. Keine Ahnung, ob allen wirklich bewusst ist, dass man so wie man derzeit agiert, den Aufstieg verspielt. Weil man einerseits unnötige Punkte liegen lässt und andererseits nach Halle und Kiel das Signal sendet, dass man angeschossen ist und erlegt werden kann.

Klar, man kann nun wieder die Selbstberuhigungspillen rausholen und sich gegenseitig versichern, dass man immer noch Erster ist und dass man bei einer starken Mannschaft wie dem HSV sicherlich auch verlieren kann. Nur erstens hat man die Tabellenführung derzeit aufgrund des mehr gespielten Spiels nur geborgt und zweitens kann man beim HSV sicher mal verlieren, aber zum einen nicht, weil man die eine Hälfte des Spiels verpennt und die andere nicht gut spielt und zum anderen eigentlich nicht, wenn man ein Aufstiegsendspiel spielt. Wie gesagt, manchmal weiß man nicht genau, ob wirklich allen bewusst ist, dass man in der Regionalliga nur aufsteigt, wenn man seine Leistungsgrenzen ausreizt und dass man sich eine Monsteraufgabe zuschanzt, sollte man mit Punkterückstand in die Partien in Kiel und Halle gehen.

Klar, man hat es immer noch selbst in der Hand, den Aufstieg klar zu machen, doch verbaut man sich durch Unkonzentriertheiten wie in Havelse oder beim HSV II eine sehr gute Ausgangsposition für die jetzt nur noch 10 Rückrundenspiele. Zwei davon bei der unmittelbaren Konkurrenz. Es scheint eine Geschichte der Saison zu sein, dass man an der Spitze liegend die Big Points nicht macht, mit denen man Halle und Kiel unter Druck setzen könnte.

In diesem Sinne darf man sich nach dem mutlosen Auftritt im Norden gerne auch richtig heftig ärgern und fetzen. Und nachdem der erste Ärger verraucht ist, darf man analysieren, was kader- und spieltechnisch falsch lief. Und wenn man damit fertig ist (also heute Nachmittag), dann kann man den Mund abputzen und das nächste Ziel anvisieren. Und das heißt Plauen und dürfte kämpferisch eine extrem harte Aufgabe werden. Am Sonntag bereits. Dass man auch unter Druck erfolgreich Fußball spielen kann, hat RB Leipzig in dieser Saison jedenfalls bereits bewiesen.

Fazit: Es ist sauärgerlich, dass sich die RasenBallsportler immer wieder selbst einreißen, was sie sich zuvor aufbauten. Ich hatte eigentlich darauf gehofft, dass dies nun endlich mal vorbei sei. Ist es aber nicht und so wird das Vabanquespiel immer riskanter. Das Spiel beim HSV war schlecht, die Niederlage nicht unverdient, aber ab morgen zählt nur das nächste Spiel. Vielleicht ja mit etwas glücklicherem und ruhigerem Kaderhändchen.

Randbemerkung: Wermutstropfen am Rande die Verletzung von Umut Kocin, der in der 63. Minute vom Platz musste. Wird Tomasz Wisio bis Sonntag nicht fit, fehlen damit beide Linksverteidiger. Aber das sollte kadertechnisch aufzufangen sein.

——————————————————————————–

Tore: 1:0 Kelbel (37.)

Gelb-Rot: Bertram (62./ wiederholtes Foulspiel/ HSV)

Aufstellung: Borel – Müller, Sebastian, Franke, Kocin (63. Hoffmann) – Heidinger (75. Hoheneder), Ernst, Schulz (46. Wallner), Rockenbach – Kammlott, Frahn

Zuschauer: 375 (davon 30 Leipziger)

Links: RBL-Bericht [broken Link], RBL-Liveticker [broken Link], RB-Fans-Bericht, MDR-Bericht [broken Link], HSV-Bericht [broken Link]

——

Bild: © GEPA pictures/ Roger Petzsche

3 Gedanken zu „Regionalliga: Hamburger SV II vs. RB Leipzig 1:0“

  1. Kann man so unterschreiben, ich musste kurz vor Anpfiff los und der Blick auf die Aufstellung hinterließ bei mir ein sehr mulmiges Gefühl, welches ich bei meiner Rückkehr in der 55. leider bestätigt finden musste.

    Zwei Anmerkungen:
    “in der nur Zhi Gin Lam über relevante Profierfahrung verfügte”
    Sören Bertram nicht zu vergessen, der letzte saison beim FCA kickte und abseits des Platzverweis ein Aktivposten im HSV war und ist.

    “Wird Tomasz Wisio bis Sonntag nicht fit, fehlen damit beide Linksverteidiger. Aber das sollte kadertechnisch aufzufangen sein.”
    Ja, aber leider wohl mit Franke, der gegen den momentan sehr gut aufspielenden und wuseligen Tony Schmidt ran muss – zuletzt 5 Scorerpunkte in 3 Partien. Eben jener Tony Schmidt, der das Kunststück vollbrachte bisher in jeder Saison gegen den RBL zu treffen: 09/10 mit der SGD II, letzte Saison beim 3:3 in Meuselwitz.

  2. Schaut man sich den noch offenen Spielplan an, darf RBL kein Spiel mehr verlieren.(solang Halle und Kiel nicht straucheln)
    Schaut man noch wer alles mit 4 Gelben belastet ist (u.a. Franke, Frahn ), die jeder Zeit unkontrolliert ausfallen können, dann ist schon ein großes Wunder nötig um den Aufstieg zu stemmen.Man könnte die negativen Argumente noch weiter führen, aber für mich ist der fehlende Biss im RBL- Spiel das größte Manko.Mir fehlt hier die professionelle Einstellung im Spiel.Augenscheinlich ist es auch so , das wir kadermäßig nicht jede Position ersetzen können und so immer wieder Baustellen aufmachen.
    Das ist Gift ,10 Spieltage vor Saisonende.

  3. Das ist mir hier alles viel zu freundlich geschrieben, wir werden auch das nächste Spiel nicht gewinnen, was ich über den gottgleichen Pacult als Nachfolger von Oral (der ist z.Z. eher auf dem aufsteigenden Ast – ich bin nun wirklich für den Trainerwechsel gewesen) denke, da zensiere ich mich mal lieber selbst – um nicht gesperrt zu werden.
    Es gibt definitiv Personen bei RB, die lieber nicht aufsteigen wollen, aus welchem Grund auch immer, warum, das überlasse ich gern Eurer Phantasie.
    Trotzdem ist das hier eine tolle Seite, immerhin meine persönliche Startseite ins Internet…

Schreibe einen Kommentar zu henne Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert