Kaderschmiede RB Leipzig 2016/2017 – Update 2

Der Kader für den ersten Teil der Bundesliga-Spielzeit von RB Leipzig steht also. Grundsätzliche Erwägungen zur Transferperiode und ihren sportlichen und wirtschaftlichen Ergebnissen gab es gestern schon. Bleibt noch ein Blick über den Kader als ganzem mit all seinen Stärken und Schwächen.

Lässt man mal die Nachwuchsspieler Fechner, Janelt und Touré beiseite, hat RB Leipzig 20 bzw. mit Gipson 21 Feldspieler plus drei Torhüter im Kader. Das ist sicherlich nicht zu viel, auch wenn man nur noch einen Wettbewerb hat, in dem die Spieler eingesetzt werden können.

Lediglich drei RB-Feldspieler haben die 25 Jahre schon überschritten. Mit Marvin Compper ist nur ein einziger davon schon über 30. Dominik Kaiser und Stefan Ilsanker sind mit 27 Jahren schon so etwas wie die weiteren Alterspräsidenten auf dem Feld. Vom Kaderdurchschnitt her ist RB Leipzig mit Abstand das jüngste Team der Bundesliga.

Der Kaderaltersvergleich ist meist irrelevant, weil da irgendwelche Nachwuchskaderleichen zur Erfüllung von Verbandsregularien mit aufgeführt werden. Da sollte man nach zehn Spieltagen einfach mal gucken, wie das Durchschnittsalter der eingesetzten Spieler in den Klubs tatsächlich ist, um einen besseren Überblick über die Realität zu kriegen. Am ersten Spieltag schickte RB Leipzig jedenfalls schon mal noch vor Bayer Leverkusen das jüngste Team auf das Feld.

Wenn man das Alter nimmt, fällt einem natürlich auch gleich das Thema Erfahrung ein. Das hält man bei den Verantwortlichen in Leipzig für überbewertet. Ist es vielleicht auch. Vielleicht aber auch nicht, wenn man mal eben vor 50.000 Zuschauern, die RB Leipzig nicht ganz so prall finden, spielt. Wird man sehen.

Fakt ist, dass abseits des Alters auch kaum Spieler mit Bundesligaerfahrung im RB-Kader stehen. Über relevante, nachhaltige Erfahrungen verfügen im Kern nur Marvin Compper und Timo Werner. Auch hier wird man sehen, inwieweit das im Saisonverlauf zum Faktor werden könnte.

Soweit der Rahmen, gehen wir der Einfachheit halber mal ins Detail. Aufgeführt sind für jede Position die Optionen aus dem Profikader. In Klammern dahint werden dann noch mögliche Spieler aus der U23 oder U19 aufgeführt, die sich als Alternative anbieten könnten.

Tor: Peter Gulacsi (26), Fabio Coltorti (35), Marius Müller (23), (Benjamin Bellot, 26)

Die Torwartposition bleibt in ihrer Zusammensetzung ungewöhnlich. Drei Keeper, die sich bei unterschiedlichen Stärken relativ wenig nehmen. Weswegen man sich nun darauf festgelegt hat, dass man mit Peter Gulacsi als knappe Nummer 1 und Müller und Coltorti als gleichberechtigter Nummer 2 in die Saison geht. Was dann auch bedeuten müsste, dass sie die beiden auf der Bank von RB Leipzig abwechseln. Marius Müller könnte man theoretisch auch ab und zu in die U23 schicken, um Spielpraxis zu kriegen, aber Müller in der Regionalliga kann man sich auch irgendwie nicht so richtig gut vorstellen.

Insgesamt ist die Torwartposition bei RB Leipzig gut, aber nicht überragend besetzt, nachdem der ganz große Transfer im Sommer nicht zustande kam. Gulacsi ist als Nummer 1 absolut keine schlechte Wahl. In Sachen Reflexe ist er sicherlich in der Bundesliga sehr gut aufgehoben. Was die Präsenz im Strafraum angeht, hat er gegen Coltorti und Müller allerdings so seine Nachteile. Nicht unvorstellbar, dass man im Laufe der Saison eine Torwartdiskussion kriegt. Möglich aber auch, dass Gulacsi mit Ruhe und Reflexen und ein bisschen Glück zu überzeugen weiß.

Außenverteidiger: Lukas Klostermann (20), Marcel Halstenberg (24), Benno Schmitz (21), Ken Gipson (20), (Gino Fechner, 19)

Die Außenverteidigerposition bleibt eher schmal besetzt. Im Kern hat man mit Klostermann, Halstenberg und Schmitz drei bundesligataugliche Außenverteidiger. Vorteil ist, dass Klostermann und Schmitz nicht nur rechts, sondern auch links spielen können, sodass man relativ gut durchwürfeln oder auf Ausfälle reagieren kann. Klostermann hat bei Olympia gezeigt, dass er mit seinen 20 Jahren auch in schwierigen Situationen voll da ist. Schmitz hat in den ersten zwei Pflichtspielen abgesehen von zwei (schweren) Fehlern gezeigt, dass er das Feld nicht kampflos räumt. Und Halstenberg war links in der vergangenen Saison eine sichere Bank, wenn er nicht gerade irgendeine kleine Verletzung oder Erkrankung ausbrütete.

Gino Fechner ist von seiner Dynamik her sicherlich nicht die Idealbesetzung für einen Außenverteidiger. Für seine 19 Jahre bringt er aber schon unheimlich viel Sicherheit und Abgeklärtheit mit, sodass man sich nicht viel Sorgen machen sollte, ihn auch mal in ein Pflichtspiel zu werfen, wenn es sein muss. Ken Gipson seinerseits gehört nach seiner Degradierung zur U23 nun doch wieder zum Profikader. Sehr dynamischer Typ, der sich immer viel traut und entsprechend eine spektakuläre Spielweise hat. Zum belastbaren Bundesliga-Außenverteidiger fehlt es aber durchaus noch ein Stück.

Wenn verletzungs- und ausfallbedingt nicht viel passiert, dann ist man mit Klostermann, Halstenberg und Schmitz gut besetzt. Wenn man im Saisonverlauf längere Ausfallzeiten zu beklagen hat, könnte es in der Außenverteidigung allerdings schnell dünn werden.

Innenverteidiger: Willi Orban (23), Marvin Compper (31), Kyriakos Papadopoulos (24), Stefan Ilsanker (27), Bernardo (21), Lukas Klostermann (20), (Gino Fechner, 19), (Sören Reddemann, 20)

Vielleicht die Position mit den größten Fragezeichen. Willi Orban mal außen vor gelassen, weil er schon vergangene Saison mit unheimlicher Konstanz überzeugte und auch in den bisherigen zwei Pflichtspielen in dieser Saison seinen Part herunterspulte.

Mit Compper und Papadopoulos hat man dazu zwei sehr gute Innenverteidiger, bei denen die Frage ist, inwieweit sie gesund durch die Saison kommen. Compper hatte in seinen zwei Jahren Leipzig immer mal wieder Probleme und war letzte Saison in der Rückrunde erstmals auf einen Leistungsstand gekommen, mit dem er die Mannschaft getragen hat, bevor ihn im Sommer wieder körperliche Probleme ein Stück zurückwarfen. Papadopoulos seinerseits bringt europäische Klasse mit, hat aber in den letzten vier Spielzeiten im Schnitt hauptsächlich wegen Verletzungen nur 15 Pflichtspiele bestreiten können.

Hinter dem Trio, das die beiden Innenverteidigerposition unter sich aufteilen sollte, stünden im Fall der Fälle noch Ilsanker oder Bernardo bereit. Ilsanker hat gezeigt, dass er das kann, auch wenn sein Vorwärtsverteidigen auf dieser Position nicht immer gefragt und manchmal sogar kontraproduktiv ist. Bernardo wird nach seinem Wechsel von Salzburg erst noch zeigen müssen, dass er auf Bundesliga-Niveau verteidigen kann.

Klostermann wäre eine weiter Notfalloption, die man eigentlich nicht ziehen würde wollen, weil ihm dafür noch die Physis und Zweikampfstärke fehlen. Fechner und Reddemann wären Optionen für den Notnotfall.

Orban, Compper, Papadopoulos. Das klingt auf dem Papier absolut vernünftig, wenn auch vielleicht hinsichtlich der Geschwindigkeit beim Verteidigen in die Tiefe nicht ganz optimal. Die ganz großen Probleme werden aber erst dann aufkommen, wenn Compper und Papadopoulos sich gleichzeitig mit längeren Verletzungen rumschlagen. Aus RB-Sicht sollte man auf eine weitgehend verletzungsfreie Saison hoffen..

Mittelfeld: Naby Keita (21), Dominik Kaiser (27), Stefan Ilsanker (27), Diego Demme (24), Emil Forsberg (24), Rani Khedira (22), Bernardo (21), Zsolt Kalmár (21), (Patrick Strauß, 20)), (Vitaly Janelt, 18), (Idrissa Touré, 18), (Gino Fechner, 19)

Im Mittelfeld gibt es einige Varianten und Variationen. Hängt auch immer vom gewählten System ab. Naby Keita kommt mit seiner Dynamik in beide Richtungen des Spielfeld sicherlich eine Schlüsselrolle zu. Vielleicht sollte man ihn nicht allzu oft als tiefen Sechser einsetzen. Eine Pass- und Ballverteilungsmaschine ist er dann doch nicht. Sein Schwung im Achterraum kann RB Leipzig aber nur gut tun.

Stefan Ilsanker und Bernardo dürften einander Konkurrenten für den Job eines zentralen Sechsers sein. Wobei natürlich Ilsanker als großartiger Vorwärtsverteidiger in der Hackordnung ein ganzes Stück vorn dran stehen sollte. Die Frage ist halt, wie er auf Bundesliga-Niveau das Spiel mit dem Ball mitgestalten kann.

Diego Demme hat sich als Dauerläufer in Leipzig einen Namen gemacht. Wenn alle fit sind, wird es aber auch für ihn irgendwo zwischen Sechs und Acht im Team eng. Dominik Kaiser dürfte eher irgendwo zwischen Acht und Zehn eingeplant sein und hat in Hoffenheim schon erstmal eine Duftmarke setzen können. Aber auch für ihn ist trotz Kapitänsrolle ein Stammplatz kein Selbstläufer.

Genausowenig wie für Emil Forsberg, der in einem 4-2-2-2 sicherlich als linke Zehn weiterhin eine gute Rolle spielen kann, aber auch eine Menge Konkurrenz durch schnelle Außenbahnspieler bekommen hat, die im Fall der Fälle vielleicht etwas besser gegen den Ball arbeiten als der Schwede. Forsberg hat Qualitäten mit dem Ball am Fuß. Inwieweit er damit auf Dauer in das taktische Korsett eingepasst werden kann, ist eine der spannenderen Fragen der Saison.

Spannend auch die Rollen von Rani Khedira und Zsolt Kalmár. Khedira scheint aktuell sehr weit hinter dem Rest zu stehen. Hinter Keita, Ilsanker, Demme oder Kaiser auf Einsatzzeiten zu kommen, wird sehr schwer. Kalmár hat da eventuell den Vorteil, dass er nach dem Bruno-Abgang neben Forsberg  der einzige offensive Mittelfeldspieler mit vornehmlichen Stärken im Spiel mit dem Ball ist. Sehr viel Einsatzzeit wird ihm das aber wohl auch nicht einbringen.

Hinter den genannten Profis wartet mit Strauß, Janelt, Touré und Fechner eine ganze Armada an jungen Spielern auf den Ruf von Ralph Hasenhüttl. Wobei Touré seit dem Wintertrainingslager entwicklungstechnisch durchzuhängen scheint. Und Strauß eher als Kopf des Mittelfelds bei der U23 gebraucht wird.

Insgesamt gibt es für jedes System, das Hasenhüttl im Kopf hat, eine Reihe von Besetzungsalternativen im Mittelfeld. Theoretisch haben fünf bis sechs Spieler auch mindestens vernünftiges Bundesliganiveau. Inwieweit das dann auch auf dem Platz zu sehen ist, wird sich zeigen.

Angriff: Yussuf Poulsen (22), Davie Selke (21), Marcel Sabitzer (22), Timo Werner (20), Oliver Burke (19), Terrence Boyd (25)

Die Angriffsreihe dürfte das nominelle Prunkstück von RB Leipzig sein. Wenn man mal Terrence Boyd rausnimmt (der sich nach langer Verletzung bei 60% sieht), dann hat man fünf Spieler mit einem Durchschnittsalter von etwa 21 Jahren. Das ist sehr jung und das ist extrem viel Potenzial. Keiner von den fünf Spielern ist bereits ein fertiger Bundesligaspieler, aber alle fünf haben allerbeste Perspektiven, in ihren kommenden zehn oder mehr Jahren Karriere in einer Topliga viel zu erreichen.

Eigentlich möchte man nicht in der Haut des Trainers stecken, von diesen Spielern jede Woche zwei auf die Bank zu setzen. Worauf es wohl hinauslaufen wird, wenn man nicht komplett offensives Harakiri spielen will. Poulsen, Selke und irgendwann vielleicht auch mal Boyd sind die ersten Optionen für den zentralen Sturmposten. Poulsen könnte wie Sabitzer, Werner oder Burke aber auch außen oder als zweite Sturmspitze auflaufen. Möge jeder selbst zusammenpuzzeln, was das für Variationen gibt.

Man kann nicht erwarten, dass diese Sturmbesetzung bei allem erwartbaren Spektakel die Bundesliga in Grund und Boden schießen wird. Dazu ist die Sturmreihe dann doch noch etwas zu jung und muss erst ihren Weg gehen. Wird spannend zu beobachten, wer sich auf höchstem Niveau auch konstant durchsetzen kann und welchen Entwicklungsschritt macht. Die größten Zweifel hinsichtlich seiner Einsatzzeit darf man sicherlich noch bei Davie Selke haben, der von den Stürmern (neben Boyd) derjenige ist, der am wenigsten flexibel einsetzbar ist.

Wenn man den Kader von RB Leipzig als ganzes sieht, dann sollte es vom Mittelfeld nach vorn nominell wenig Sorgen und Probleme geben. Die Verteidigungskette ist ingesamt hinsichtlich ihrer Ausfallanfälligkeit mit Fragezeichen zu versehen und im schlechten Fall eher dünn besetzt. Torwarttechnisch hat man bei RB Leipzig sicherlich kein Problem, aber es dürfte auch nicht die Position sein, mit der man in der Bundesliga für Furore sorgt.

Wenn man es aufstellungstechnisch mal zum jetzigen Zeitpunkt durchgeht, dann könnte es auf folgendes hinauslaufen.

  • 4-2-2-2: Gulacsi – Klostermann (Schmitz), Orban, Compper (Papadopoulos), Halstenberg (Schmitz) – Ilsanker (Bernardo), Keita (Demme) – Kaiser, Sabitzer (Forsberg, Burke) – Werner (Sabitzer,Burke), Poulsen (Selke)
  • 4-1-2-2-1: Gulacsi – Klostermann (Schmitz), Orban, Compper (Papadopoulos), Halstenberg (Schmitz) – Ilsanker (Bernardo) – Kaiser (Demme), Keita (Khedira) – Burke (Werner), Sabitzer (Forsberg) – Poulsen (Selke)

Das aber nur als grobes Schema, zumal auf einigen Positionen die Differenz zwischen Klammern und keinen Klammern nicht groß bis nicht existent ist.

Wie immer am Anfang der Saison stehen viele Optionen und Möglichkeiten. Vor allem nach einem Aufstieg braucht es einfach auch erstmal ein halbes Jahr, bis man eine Idee davon kriegt, was davon wirklich passt und wo Bruchstellen auftreten. Stand heute sind die größten Schwierigkeitspotenziale in der Viererkette in der Abwehr zu vermuten. Was aber auch nicht unbedingt auf den Leistungsstand der Spieler abzielt, sondern wie gesagt eher darauf, dass in Sachen Verletzungen und Kaderdichte ein paar Unwägbarkeiten eingewebt sind. Alles in allem bleibt aber ein spannender Kader mit viel Entwicklungspotenzial, bei dem es Spaß machen dürfte, ihn zu begleiten. Als Trainer, aber auch als profaner Beobachter.

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Teamfoto RB Leipzig 2016/2017, schon von der Transferrealität überholt | GEPA Pictures

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