Da können die großen Stories von der Blamage des Spitzenreiters beim Tabellenletzten dann doch glücklicherweise in der Schublade bleiben. Zu schwach war der Torgelower SV Greif, um an der Story mitzuschreiben. Trotz einer ersten Hälfte, in der RB Leipzig sich dem schwachen Niveau anpasste. Genaugenommen kann man sich nach diesem Spiel nur schwerlich vorstellen, dass Torgelow auch kommende Saison in der Regionalliga antreten wird. Zumindest hat man aktuell noch keine zwei Teams gesehen, die Torgelow in der Form des RB-Spiels hinter sich lassen könnte.
Das Spiel begann aufstellungstechnisch mit einer kleinen Überraschung, denn Alexander Zorniger beantwortete die Frage nach Kutschke oder Kammlott mit einem lockeren UND. Hatte so wohl auch kaum jemand erwartet. An der Formation änderte dies nichts. Es blieb beim bekannten 4-3-1-2, in dem Kammlott aus der halbrechten Mittelfelposition kam. Insgesamt würde ich behaupten, dass er als zweiter Stürmer, den er nach Kutschkes Auswechslung Mitte der zweiten Hälfte spielte, wirkungsvoller ist. Für Timo Röttger bedeutete die Kaderentscheidung, dass er dem Spielbeginn von der Bank aus entgegenfiebern durfte..
Die erste Halbzeit war beidseitig eine Herausforderung für Fußballästheten. Der Gastgeber zeigte, warum er Tabellenletzter ist und übte sich in einigen technischen Limitiertheiten, schaffte es aber immerhin RB Leipzig vom eigenen Strafraum fernzuhalten. Was nur partiell einer großartigen Abwehrschlacht der Torgelower zuzuschreiben war, sondern eher am ungenauen Spiel der RasenBallsportler lag, die zu kaum einer durchdachten Offensivaktion kamen. Kammlott wurde selten ins Spiel gebracht, von Rockenbach kam wenig genaues, die Stürmer hingen meist in der Luft. Man erwartet nicht immer hohe Fußballkunst, aber das war dann doch ziemlich wenig.
Im Laufe der ersten Halbzeit hatte man dann immer mehr das Gefühl, dass der Torgelower SV Greif diese Gelegenheit nutzt, um sich ins Spiel hineinzubeißen. Aber letztlich blieb es trotz einer lautstarken und lebendigen Heimelf beim Gefühl. Lediglich bei einer Großchance nach langer Flanke, der ein Fehler auf der linken RB-Außenbahn vorausging, hätte das Spiel kippen können.
Doch der im letzten Jahr noch übliche Rückstand ging diesmal an RB Leipzig vorbei und so war es Daniel Frahn vorbehalten, den einzigen freudvollen Moment der ersten Halbzeit kurz vor dem Pausenpfiff zu produzieren und nach mustergültiger Flanke von Rockenbach mit dem Kopf zu vollenden. Und gleichzeitig den Unterschied zwischen RB und Torgelow bis dahin zu demonstrieren. Denn die Chance, die Torgelow nicht nutzte, machte Frahn fast deckungsgleich mit perfekter Kopfballausführung rein. Schon irre, wie Frahn die Bälle in abgezockter Regelmäßigkeit versenkt.
Trotzdem muss man von der ersten Halbzeit festhalten, dass die Führung beileibe nicht unverdient, aber trotzdem auch glücklich war. Denn zwingend war kaum eine Aktion. Auffällig auch, dass das (Gegen-)Pressing kaum funktionierte, weil man erst den Gegenspieler anlief, wenn der schon den Ball hatte, was eben zu spät ist, wenn man den Gegner unter Druck setzen will. Betreibt man Pressing so, wie die RasenBallsportler in Hälfte 1, also ungefähr so wie im letzten Jahr, dann kommt außer viel Aufwand nichts rum. Ganz im Gegenteil öffnet man dadurch noch Räume und bringt den Gegner ins Spiel. Aber letztlich wird uns die Gegenpressinggeschichte wohl noch eine ganze Weile als Thema verfolgen, bevor es intus ist.
Die zweite Halbzeit war dann das komplette Gegenteil des Vorpausenpendants (zumindest aus Perspektive von RB Leipzig) und ist schnell erzählt. Denn von Torgelow war weiterhin fast nichts zu sehen. Ex-Lok-Spieler N’Diaye ließ bei einem Schuß, der von der Linie gekratzt wurde, noch mal den Puls höher springen fast direkt nach der Pause, danach ging es nur noch auf ein Tor, weil RB Leipzig es nun schaffte, den Ball laufen zu lassen und Bälle im Mittelfeld zu erobern. Der Lohn waren drei Tore, diverse Großchancen, ein Fast-Tor-des-Monats-Seitfallzieher von Carsten Kammlott (was für ein geiles Teil und was für eine großartige Technik) und viel gute, entspannte Laune im Gästeblock. In die Karten spielte dabei auch die gelb-rote Karte gegen Torgelow Mitte der zweiten Halbzeit. Spielentscheidend war sie aber nicht mehr, weil das Spiel zu diesem Zeitpunkt schon entschieden war. Spielentscheidend war eher das wichtige 1:0 von Frahn vor der Pause.
Fazit: Ein in jeder Beziehung verdienter Sieg in einem Spiel, das auch gut und gern 7:0 oder 8:0 hätte ausgehen können, wenn Rockenbach und Kammlott ihre Chancen versenken, Schulz im letzten Pass genauer agiert oder der Linienrichter nicht zweimal Abseits winkt (mindestens einmal falsch würde ich sagen). Über die trostlose erste Hälfte sollte die extrem erbauliche zweite Halbzeit mehr als hinwegtrösten. Vergessen sollte man die ersten 45 Minuten aber nicht, denn einen Gegner auf Regionalliganiveau hätte man in dieser Phase völlig unnötig stark gemacht. Mit der Leistung der zweiten Halbzeit hätte man hingegen (auch wenn man schwache Torgelower in Betracht zieht) wohl so ziemlich jeden Regionalligisten kaputt gespielt. Schöne Sache das. Gute Saison soweit.
Randbemerkun 1: Für Fußballpuristen und Nostalgiker wäre der Ausflug nach Torgelow eine helle Freude gewesen. Das Stadion eine alte Oval-Anlage mitten im Wald mit dem Charme, den Stadien, an denen schon seit ewigen Jahren nicht viel gemacht wurde, eben ausstrahlen. Eine überdachte Tribüne Fehlanzeige, dafür Parkbänke in der Heimkurve unter Bäumen. Dazu gab es einen Stadionsprecher, der noch vom „Sportsfreund“ sprach, wenn er bspw. vom Heimtrainer Decker sprach. Etwas, wo mir immer ein wenig das sentimentale, ostsozialisierte Herz aufgeht. Auch die Musikauswahl war ein Ritt in die Vergangenheit. Karat und City hört man wohl nur noch auf wenigen Sportplätzen. Ein wenig war es in Torgelow wie in einer Zeitmaschine. Und zwar in einer nicht unangenehmen Zeitmaschine. Ich mag die Red Bull Arena, aber ich kann auch diesen alten Stil der Fußballkultur gut leiden.
Randbemerkung 2: Auch „schön“ die musikalische Begrüßung für die Gäste. Ganz im Stile der Ausrichtung auf Ostnostalgie mit „Sing mei Sachse sing”. Nahm der Gästeblock zum Anlass lauthals mitzusingen. Witzigste Aktion des RB-Blocks, der mit etwa 80 Leuten dünn besetzt war (da haben wohl einige zugunsten des Magdeburg-Trips am kommenden Wochenende ausgelassen) der Ruf „Auch mit Leipzig ist hier gar nichts los.“ Stimmte zumindest bis zu diesem Zeitpunkt kurz vor der Partie.
Randbemerkung 3: Interessante Personalien neben der Kutschke-und-Kammlott-Geschichte brachten die Auswechslungen. Sebastian für Kaiser als zentral-defensiver Mittelfeldakteur und Koronkiewicz für Schulz im rechten Mittelfeld würde man so wohl nicht erwarten. Vielleicht ging das Spiel zu diesem Zeitpunkt für Zorniger schon als Trainingseinheit durch. Stichwort spielen auf fremden Positionen, um Verständnis für Spielabläufe zu entwickeln..
Lichtblick:
- Timo Röttger: In der ersten Halbzeit war die Mannschaftsleistung nicht gut, in der zweiten sehr gut. Insgesamt auf individuell gleichmäßigem Niveau. Heraus stach aus meiner Sicht der in der zweiten Hälfte eingewechselte Timo Röttger, der die Kammlott-Position einnahm und aus dieser Position heraus viel Schwung mitbrachte und die Löcher in der Torgelower Defensive mit einigen feinen Pässen ausnutzte. Da sprühte sehr viel Spielfreude über das Feld. Könnte mir vorstellen, dass ihm dies verbesserte Chancen auf einen Platz in der Startelf im Magdeburg-Spiel einbrachte.
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Tore: 0:1 Frahn (43.), 0:2 Kutschke (64.), 0:3 Schulz (81.), 0:4 Frahn (86.)
Aufstellung: Coltorti – Müller, Hoheneder, Franke, Judt – Kammlott, Kaiser (78. Sebastian), Schulz (82. Koronkiewicz) – Rockenbach – Kutschke (67. Röttger), Frahn
Zuschauer: 540 (davon 80 Leipziger)
Links: RBL-Bericht [broken Link], RBL-Liveticker [broken Link], RB-Fans-Bericht, MDR-Bericht [broken Link], TSV-Bericht [broken Link]
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Bild: © GEPA pictures/ Roger Petzsche
Danke für den Bericht – vor allem auch für die Beschreibung des Torgelower Stadions. Erinnert mich an meine Fussballjugend auf diversen Spielfeldern in Nachbargemeinden.
“Sebastian für Kaiser als zentral-defensiver Mittelfeldakteur und Koronkiewicz für Schulz im rechten Mittelfeld würde man so wohl nicht erwarten. Vielleicht ging das Spiel zu diesem Zeitpunkt für Zorniger schon als Trainingseinheit durch. Stichwort spielen auf fremden Positionen, um Verständnis für Spielabläufe zu entwickeln..”
Auch in Auerbach (TS für Rocke und Röttger nach vorn) und gegen Meuselwitz (PaKo für Schulle) schon so praktiziert.
In Sachen Wechsel ist Zorniger der erste RB Trainer, bei dem ich mich übrigens nicht ständig frage, warum denn das jetzt… ;-)
HZ 1 hatte auch Kutschke früh ne Chance. Sonst natürlich zu wenig. Zornigers Reaktion auf das 1:0 spricht Bände. Der war schon bei der Kabinenpredigt.
Generell ist die bisherige Entwicklung sehr zufriedenstellend. Die letzten Wochen wurde endlich die Abwehrschwäche abgestellt. (nur ein Gegentor in den letzten 5 Pflichtspielen). Dadurch war zwar erst auch etwas die Offensive weg, das gibt sich nun aber scheinbar auch wieder.
Jetzt gilt es. 3 der nächsten 4 Spiele geht es gegen die besten Teams dieser Liga. Werden weitere Schwächen aufgezeigt, an denen man dann arbeiten kann? Oder gelingt es, die Konkurrenz endgültig abzuhängen? Bin gespannt.
Lieber Brauser,
wie du sicher mitbekommen hast, hat Guido Schäfer in seiner Kristallkugel die ein oder andere Verstärkung in der Winterpause gesehen. Könntest du dieses Thema bitte aufgreifen und deine Sicht dazu schreiben. Wo brauchen wir Verstärkung, wer könnte kommen, wer könnte uns verlassen.
Ansonsten wie immer ein schöner Bericht.
Ob er dafür wirklich eine Kristallkugel brauchte oder nicht einfach ein paar verfügbare Fakten zusammengefügt hat, sei einmal dahin gestellt. Ich ignoriere das Thema noch bis auf weiteres. Also bis vielleicht mal konkrete Namen dazu kommen. Oder die Winterpause langsam herannaht. Vorher habe ich keine Lust, die Pferde scheu zu machen. Aber die Frage, ob für Neuzugänge nach Zornigers Philosophie, nur mit überschaubarem Kader arbeiten zu wollen, auch Spieler gehen müssten, halte ich auch für interessant.