Aber die Euphorie war vorerst weg, der Weg nun ein ziemlich amateurhaft fußballpuristischer. Wenn man mich fragen würde, was denn in der Hinrunde 1991/1992 in Cottbus beim Fußball für Wetter war, dann würde ich behaupten, dass es bei den Spielen bei acht, neun Grad immer leicht geregnet hat. Was natürlich nicht stimmt, was aber tatsächlich mein Bild von Spielbesuchen jener Zeit ist. Irgendwie bezeichnend. (Kein Erwachen aus dem bösen Traum)
Eigentlich könnte ich diese Beschreibung aus der zweiten Jahreshälfte 1991 auch gleich auf die erste Jahreshälfte 1992 übernehmen, denn sowohl die Liga als auch das Spielen gegen diverse, wenig spektakuläre Mannschaften der achtgleisigen(!) dritten Liga namens Amateur-Oberliga Nordost war dieselbe geblieben. Die Zuschauerzahl sank eher noch als dass sie stieg. Nur im Ausnahmefall wurden mal mehr als 1.000 Heimbesucher gezählt.
Hatte Energie Cottbus schon in der Hinrunde einiges an Abstand auf den Spitzenreiter (der am Saisonende einzig berechtigte Teilnehmer an der Aufstiegsrelegation) Union Berlin gesammelt, konnte sich der Verein sportlich in der Rückrunde etwas konsolidieren, ohne dabei noch mal Boden gut machen zu können. Als einziger Rekord dieses Spieljahres bleibt für die Ewigkeit bestehen, dass man Deutschlands torhungrigstes Team wurde. Insgesamt 102 Treffer sammelten die Energie-Spieler und damit letztlich zwei mehr als der Meister der Staffel Union Berlin.
Wobei es in der Amateur-Oberliga Nordost mit ihren drei Staffeln nicht ungewöhnlich war, dass die Spitzenteams nah an die 100er-Marke herankamen. Allein der Tabellenletzte der Staffel Mitte, der SV Lichtenberg 47 sammelte in dieser nur unter Skurrilitätsgesichtspunkten denkwürdigen Saison 115 Gegentreffer. Und 12 davon schoss Energie. Nimmt man noch die beachtlichen 53 Gegentore dazu, die Energie 1991/1992 kassierte, dann fielen in den Spielen mit Cottbuser Beteiligung reichlich vier Treffer pro Partie (zum Vergleich: in den Spielen von RB Leipzig gab es in der abgelaufenen Spielzeit im Schnitt knapp drei Treffer zu bewundern). Langweilig wurde es bei den insgesamt 38 Ligaspielen also zumindest aus dieser Perspektive nicht.
Besonders in den Heimspielen hielt sich Energie Cottbus in der Rückrunde wie schon in der Hinserie schadlos. Neun Siege und nur eine Niederlage (gegen Magdeburg) kamen zu den sieben Siegen, einem Unentschieden und einer Niederlage (gegen Union) hinzu. Insgesamt 16 Heimsiege, ein Unentschieden und zwei Niederlagen können durchaus als gute Heimbilanz durchgehen. Insgesamt 65:23 Heimtore sprechen für viel Spektakel, aber auch für das unglaubliche Leistungsgefälle innerhalb der Liga, in der die Gegner BSV Spindlersfeld oder Türkspor Berlin oder Marathon 02 Berlin hießen.
Ein Muster ohne Wert, eine Liga ohne Reiz. Und in den vier Topspielen gegen Magdeburg und Union sprang ein klitzekleiner Punkt heraus. Gegen Magdeburg kassierte man in zwei Spielen acht Buden, gegen Union derer ‘nur’ vier. Überlegener Meister wurde trotzdem Union, die dann in der Relegation klar und deutlich an Wolfsburg, Zwickau und BFC-Nachfolger FC Berlin scheiterten und somit Energie auch ein weiteres Jahr erhalten blieben. Auf Platz 2 schaffte es in der Liga schließlich der 1.FC Magdeburg, während Energie knapp dahinter Dritter wurde. Was ziemlich perfekt zum sportlichen Auftreten passte. Keine Chance nach oben, keine Euphorie, aber gut genug, um große Teile der Liga zu dominieren.
Wenn es in der Liga nicht reicht, dann muss ja manchmal der Pokal herhalten für das besondere Erfolgserlebnis. Im damaligen Falle wäre dies der brandenburgische Landespokal gewesen. Der wurde zu jener Zeit noch in einer dreigleisigen Vorrunde und anschließender Endrunde mit den drei Vorrundensiegern ausgespielt. So ich mich recht erinnere, orientierte man sich in der Vorrunde an den alten Grenzen der Bezirke der DDR (also Cottbus, Frankfurt und Potsdam).
Besonderes ‘Highlight’ der Vorrunde war aus Energie-Sicht das Ende April vor reichlich 700 Besuchern ausgespielte Viertelfinale gegen den Stadtrivalen Lok Cottbus, der in jenen Zeiten des Zusammenbruchs gar nicht mehr so weit vom großen Bruder entfernt schien. Dass es nie für Augenhöhe reichen würde, war zu jener Zeit nicht zu ahnen, aber der mir aufgrund des Derbycharakters immer noch erinnerliche 2:1-Arbeitssieg im Stadion der Eisenbahner [broken Link], in dem ich als Kind und Jugendlicher in den Vorwendejahren schulischerseits meine jährlichen Sportfeste abzuhalten hatte, trug eventuell dazu bei, dass die Abstände zementiert blieben und sich die Cottbuser Fußballinteressierten nicht einem lokalen Rivalen zuwandten.
Nachdem man sich anschließend auch noch in zwei weiteren Spielen für die Pokalendrunde qualifiziert hatte, durfte man dort gegen Falkensee/ Finkenkrug und gegen den Eisenhüttenstädter FC Stahl den Pokal ausspielen (der – glaube ich – auch damals schon zur DFB-Pokal-Teilnahme berechtigte). Wo man, typisch für die Saison, am kleinen Stahl Eisenhüttenstadt scheiterte, eine Partie, die immer ein wenig als Derby durchging und eine leicht aufgeheizte Stimmung versprühte (zumindest, wenn die Spiele in Eisenhüttenstadt ausgetragen wurden). Und ein Gegner, an dem Energie immer wieder mal scheiterte. So auch in dieser Saison, als man das entscheidende Spiel mit 0:1 verlor.
Was also blieb war ein dritter Platz in einer Schweineliga ohne sportliche Klasse und ein Vizetitel in einem Schweinepokal unter Beteiligung aller brandenburgischen Provinzen. Man darf dies durchaus als Tiefpunkt der Cottbuser Fußballhistorie betrachten. Positiv gesagt hat man damit in Cottbus sehr viel weniger an Tiefen erlebt als beispielsweise die traditionsreicheren Städte Magdeburg und Leipzig in den Folgejahren durchmachten.
Die Saison 1991/1992 war jene Saison – das erwähnte ich bereits im oben zitierten Beitrag zur Hinrunde vor 20 Jahren – in der auch der bundesdeutsche Fußball etwas stärker in mein Bewusstsein rückte. Schlüsselerlebnis dafür war letztlich das spektakuläre Bundesliga-Finale, in dem Eintracht Frankfurt, Borussia Dortmund und der VfB Stuttgart vor dem letzten Spieltag punktgleich um die Meisterschaft kämpften. Sowieso schon ein wenig interessiert am sportlichen Fortkommen der Borussen, war das Tor von Guido Buchwald nach 86 Minuten in Leverkusen das Ende der Dortmunder (und zu klitzekleinem Teil auch meiner) Meisterträume. Vier Minuten hatten gefehlt und eine Stadt versank in Tränen.
Zum Schlüsselerlebnis wurde das ganze wegen meiner ritualisierten Sonntagabende, die sich meist dem Schreiben des Wochenberichts für meinen Ausbildungsbetrieb widmeten (meine Ausbildung zum Industriemechaniker im Kraftwerk Jänschwalde schritt weiter mehr oder weniger erfolgreich voran). Nebenbei guckte ich sehr gern – ähm hüstel – die Traumhochzeit mit Linda de Mol, die just in jenem Jahr startete und unter den auszubildenden Jungspunden einiges an Anhängerschaft und Phantasien auslöste.
Im Anschluss an das mehr oder minder witzige Pärchenspiel lief jedenfalls Spiegel TV und so kam es, dass ich hängen blieb und eine Reportage sah, die sich jenem denkwürdigen Wochenende und den Schauplätzen der Bundesliga widmete und den tiefen Fall der Emotionen in Dortmund vom Meister zum Vize aus vielerlei Perspektiven in mein Zimmer übertrug, wo ich mit offenem Mund und Gänsehaut auf den Bildschirm und die Tränen darin glotzte. Vermutlich sind es solche Momente der Tragik viel eher als jene des Erfolgs, die auch nachhaltig an einen Verein binden.
Ich jedenfalls war fortan doch sehr stark am BVB interessiert und der VfB mit seinem damals mir sehr unsympathischen Matthias Sammer, der kurz vor Buchwalds Siegtreffer noch mit Rot vom Platz geflogen war und hinterher immer irgendwo in Sportkleidung sitzend und jemanden umarmend abgefilmt wurde, war erst mal unten durch. Überhaupt, dieses Bild [broken Link] des glücklichen Sünders Sammer, der trotz Rot noch zur Meisterschaft kommt, hat sich negativ eingebrannt. Völlig subjektiv eben.
1991/1992 war auch das Jahr, in dem die Ausdünnung der ostdeutschen Vereine im bundesdeutschen Spielbetrieb weiter voran schritt. In der ersten Liga blieb einzig Dynamo Dresden übrig, während Hansa Rostock trotz famosem Saisonstart absteigen musste. Und in der zweiten Bundesliga mussten mit Halle, Erfurt und Stahl Brandenburg gleich drei Vereine den Gang in die Drittklassigkeit antreten. Wodurch in den ersten drei Ligen nur noch fünf von ursprünglich acht Vereinen übrig blieben, davon vier in Liga zwei (neben Rostock noch Chemnitz, Jena und der VfB Leipzig). Für Energie Cottbus hieß das, dass man mit Halle noch einen relevanten Konkurrenten für die Amateur-Oberliga Nordost Staffel Mitte dazubekommen würde.
Bleibt noch die Fußball-EM 1992, bei der erstmals die von Beckenbauer als auf Jahre unschlagbar angesehene, gesamtdeutsche Elf bei einem Turnier antreten durfte, weil man sich zuvor in der Quali knapp gegen Wales(!) durchsetzte. Die Kaderauffrischung aus den neu gewonnenen Bundesländern bestand aber lediglich aus Matthias Sammer, Thomas Doll und Andreas Thom, wobei letzterer über den Ergänzungsspielerjob nicht hinaus kam. Neben Ulf Kirsten sind es aber auch sowieso die einzigen, bei denen mir einfällt, dass sie nach der Vereinigung den großen Durchbruch geschafft hätten.
Damals spielte man das EM-Turnier noch mit acht Mannschaften in zwei schmalen Vierergruppen, aus denen heraus es direkt ins Halbfinale ging. Kann man sich inzwischen gar nicht mehr vorstellen (zumal die EM demnächst auf 24 Mannschaften ausgeweitet werden soll). Von der deutschen Mannschaft ist mir dabei eigentlich kaum was erinnerlich. Im Gegensatz zur WM 1990 scheine ich keinen besonderen Faible für den Fußballsport in schwarz-rot-gold gehabt zu haben.
Woran ich mich erinnere, ist ein extrem langweiliges 0:0 zwischen den Mitfavoriten England und Frankreich, die auch wegen dieses Spiels die Segel beide schon nach der Vorrunde streichen mussten. Ich erinnere mich daran, dass die gepriesenen Superstars David Platt und Jean-Pierre Papin (mich) völlig enttäuschten. Bei letzterem war das schon ein kleiner Vorgeschmack auf seine Zeit bei den Bayern zwei Jahre später, wo er als Superstar und Torjäger völlig unterging.
Ansonsten bleibt noch die Erinnerung an den Mythos der wegen des Ausschlusses Jugoslawiens nachnominierten und quasi aus dem Urlaub kommenden Dänen. Der aber (also der Urlaubsmythos) – wie ich kürzlich irgendwo las – durch Aussagen der Beteiligten widerlegt wurde. Trotzdem spielten sie mit einer befreiten und erfrischenden, auch taktischen Wildheit, für die wohl keiner besser exemplarisch stehen könnte als der Dortmunder Flemming Povlsen. Das machte Spaß und tatsächlich schafften es die Wilden, Berti Vogts den ersten Titel wegzuschnappen. In einem Finale, bei dem ich nicht so recht wusste, ob ich mich für den Underdog freuen oder die Niederlage Deutschlands betrauern sollte. Ich glaube, ich entschied mich für Povlsen und ersteres. Vize und eine gute Platzierung hatte ich schließlich bei Energie Cottbus schon ausreichend gekostet in der Saison. Quasi ein früher Vorschein des Erfolgsfans in mir..
Fazit: Es war fußballerisch mit dem eigenen Verein kein aufregendes Jahr, aber langsam gewöhnte ich mich an die Situation und fand ein wenig Ersatzaufregung beim BVB. Es begann in dieser Nachwiedervereinigungszeit eben auf vielen Ebenen die Konsolidierung und Neuorientierung. Und der BVB roch damals via TV im Gegensatz zur heimischen Unterklassigkeit nach Aufregung, Spannung und Spaß. Dieses sollte auch noch eine Zeitlang mein fußballerisches Spannungsfeld bleiben.
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Sehr spannend zu lesen!
Bitte mehr davon!