Coltorti oder Gulacsi, das ist hier die T-Frage

[Update: Der Artikel wurde vor dem Spiel gegen 1860 München geschrieben und in Bezug auf die verwendeten Zahlen nach dem Spiel gegen 1860 München aktualisiert. Interessanterweise wurde Gulacsi inzwischen für ein Länderspiel der ungarischen Nationalmannschaft nominiert. Eine Chance, im Sommer einen Platz im EM-Kader zu ergattern, dürfte er aber nur haben, wenn er in Leipzig auch weiterhin regelmäßig spielt. Was den Konkurrenzkampf mit Coltorti noch mal zusätzlich anheizt.]

Fabio Coltorti ist wieder zurück. Auf dem Trainingsplatz zumindest. Inwieweit er auch schon für das kommende Spiel bereit ist, wird sich am Wochenende zeigen. BILD sieht heute einen offenen Zweikampf zwischen Coltorti und Gulacsi. Der Kicker meint dagegen unter Berufung auf Rangnick, dass Gulacsi gegen 1860 im Tor steht und bei Coltorti erst mal nur die Frage sei, ob er zum Kader gehöre oder nicht. Die LVZ meint wie der Kicker, dass 1860 für Coltorti zu früh kommt und sieht dann für das Nürnberg-Spiel einen offenen Zweikampf.

Die Sicht von Fabio Coltorti selbst dürfte klar sein. Wenn er sich für fit hält (und offensichtlich ging ihm die Re-Integration ins Mannschaftstraining sowieso schon etwas zu langsam), dann will er auch spielen. Bei Sky äußerte er sich am Rande des Spiels gegen Heidenheim zwar diplomatisch zu seiner Situation und betonte, dass man als Torwart im Kampf um die Nummer 1 nie die Ruhe verlieren und sich nicht verrückt machen dürfe, aber zwischen den Zeilen klang auch schon ein wenig durch, dass eine Nichtrückkehr ins Tor doch eine ordentliche Enttäuschung sein dürfte.

Wie man nun wiederum Rangnick kennt, wird er sich wohl eher Zeit lassen mit Coltorti. Nach Verletzungen lässt der Trainer Spieler wenn dann eher ein Spiel zu viel als zu wenig auf der Bank oder der Tribüne sitzen. Die Angst, einen Spieler zu früh einzusetzen, scheint immer sehr groß zu sein. Der Draht zur medizinischen Abteilung glüht permanent. Was den offensichtlichen Vorteil hat, dass bei RB Leipzig Verletzungen und insbesondere Muskelverletzungen, wie sie bspw. Union Berlin im halben Dutzend beklagt, nur sehr selten vorkommen. Was für die Spieler den Nachteil hat, dass sie auch noch aussetzen, wenn sie sich schon für fit halten.

Wie dem auch sei, die Frage ist für die nähere Zukunft, ob Fabio Coltorti oder Peter Gulacsi bei RB Leipzig die Nummer 1 ist. Geht es nach normalen Abläufen, dann würde nach seiner eher kurzen Verletzung einfach wieder die ursprüngliche Nummer 1 Fabio Coltorti ins Tor rücken. Da die Situation bei RB Leipzig mit zwei sehr guten Torhütern und einem Gulacsi, dem vor der Saison beim Wechsel ernsthafte Chancen auf die Nummer 1 zugesichert wurden, aber nicht normal ist, kann man vom Normalfall einer Coltorti-Rückkehr auch nicht zwangsläufig ausgehen.

Letztlich sollte die Frage Coltorti oder Gulacsi sich anhand der Leistungen der beiden beantworten. Zumindest hat Gulacsi jetzt mal knapp sieben Zweitligaspiele gemacht und sind seine Leistungen somit erstmals direkt mit denen von Coltorti vergleichbar. Zuvor stand Gulacsi nur bei Freundschaftsspielen und im DFB-Pokal im Kasten. Was ein Urteil über sein Leistungsvermögen schwer gemacht hat.

Zu beachten ist aber bei einem Vergleich auf Zahlenebene, dass da bei Coltorti die Anfangsphase der Saison mit einer noch nicht sonderlich gut funktionierenden Abwehr und vielen Situationen, in denen Stürmer frei vor ihm auftauchten, dabei ist. Zudem ist die Datenbasis bei lediglich sechs Spielen von Gulacsi relativ gering. Weswegen die folgenden Zahlen mit Vorsicht genossen werden sollten.

Fünf Gegentore kassierte Gulacsi in seinen knapp sieben Einsätzen. Das sind 0,75 Gegentore pro 90 Minuten. Bei Coltorti waren es zuvor 0,93 Gegentore pro Spiel in reichlich 19 Einsätzen. Wenn Gulacsi vom Platz ging, hatte sein Team im Schnitt 2,14 Punkte eingesammelt. Bei Fabio Coltortis Einsätzen standen am Ende im Schnitt 2,2 Punkte zu Buche.

  • Gulacsi: 0,75 Gegentore/90 Minuten, 2,14 Punkte/Spiel
  • Coltorti: 0,93 Gegentore/90 Minuten, 2,20 Punkte/Spiel

Gulacsi spielte schon dreimal zu Null (ungefähr jedes zweite Spiel), während Coltorti das zwar schon siebenmal gelang, aber dies nur etwa jedem dritten Spiel entspricht. Fünfmal kassierte Coltorti mehr als einen Gegentreffer, Gulacsi erst einmal. Grobe Schnitzer, die zu Gegentoren führten, leisteten sich beide Keeper noch nicht.

Wenn Peter Gulacsi im Tor steht, schießt der Gegner interessanterweise zwar insgesamt seltener (9,00 Schüsse pro Spiel vs. 9,26 bei Coltorti) und auch von innerhalb des Strafraums (4,65 Schüsse pro Spiel vs. 5,48 bei Coltorti), zielt aber trotzdem häufiger auf das Tor (3,90 Schüsse auf das Tor vs. 2,90 bei Coltorti).

Gulacsi hält dabei 81% aller Schüsse, die auf das Tor kommen, während dies bei Coltorti lediglich 68% sind. Ungefähr 71% sind Ligaschnitt, was bedeutet, dass Gulacsi in lediglich 6 und zwei Drittel Einsätzen deutlich über dem Ligaschnitt hält und Coltorti in 19 und ein Drittel Einsätzen leicht drunter lag.

  • Gulacsi: 21 von 26 Schüssen gehalten – 81%
  • Coltorti: 38 von 56 Schüssen gehalten – 68%

Wie gesagt, im Hinterkopf muss man die geringe Datenbasis bei Gulacsi halten und die Tatsache, dass Coltorti insbesondere in der ersten Saisonphase hinter einer offeneren Abwehr halten musste und entsprechend dadurch auch die Quote abgewehrter Bälle nach unten beeinflusst wurde. Ein Indiz in die Richtung ist auch, dass es bei Coltorti noch mehr Schüsse von innerhalb des Strafraums gab, sprich die Torabschlüsse im Schnitt näher an seinem Kasten stattfanden, während man die gegnerischen Spieler inzwischen besser vom Tor weghält und diese zu schwierigeren Abschlüssen, die naturgemäß leichter zu parieren sind, greifen.

Nimmt man zu den Zahlen den Augenschein hinzu, dann beeindruckte Gulacsi in seinen Einsätzen vor allem dadurch, dass er auf der Linie ein unheimlich sicherer Fänger ist. Nach vorn abprallende Bälle hat man praktisch gar nicht gesehen. Dazu konnte er zum Beispiel in Paderborn mit phantastischem Reflex glänzen. Wie er in Eins-gegen-Eins-Situationen aussieht, lässt sich nicht abschließend beurteilen. Gegen St. Pauli und Freiburg wirkten die Gegentreffer zum jeweiligen 0:1 bei freien Torschüssen vor seinem Tor nicht ganz unhaltbar. Beide Male war Gulacsi nicht sehr schnell unten. Allerdings waren die Abschlüsse auch sehr nah am Tor, sodass es schwerlich möglich ist, daraus tatsächlich Fehler zu konstruieren.

Vergleicht man das mit Coltorti, dann ist der vielleicht nicht ganz so sicher beim Festhalten von Bällen und steht auf der Linie wohl generell ein kleines Stück hinter Gulacsi. Insgesamt sind die Differenzen aber eher gering. Inwieweit die unterschiedlichen Prozentzahlen gehaltener Bälle auch auf lange Sicht halten, muss man abwarten.

Zum modernen Torwartspiel gehört auch ein Fuß. Vom Augenschein her sieht Peter Gulacsi dabei etwas moderner aus. Manchmal wirkt es allerdings auch leichtsinnig, wenn er im Strafraum den Gegenspieler ausdribbelt oder wie in einem Testspiel, den Ball dem Gegner in die Fuß spielt. Reichlich 13 Pässe spielte Gulacsi bisher pro 90 Minuten. Bei Coltorti waren es mehr als 15. Von der Passquote her nehmen sich beide nicht viel. Bei Gulacsi landen 63%  der Pässe beim Mitspieler, bei Coltorti sind es 65%.

  • Gulacsi: 13,5 Pässe pro Spiel; 63% angekommene Pässe
  • Coltorti: 15,4 Pässe pro Spiel; 65% angekommene Pässe

Beachten muss man dabei, dass da bei Gulacsi das Freiburg-Spiel dabei ist, wo er nur wenige Pässe spielen durfte und die meist lang und entsprechend ungenau sein mussten. Und zudem wurde Gulacsi gerade in seinem ersten Auftritt beim FC St. Pauli noch kaum ins Passspiel eingebunden und durfte dort auch hauptsächlich lange Bälle schlagen. Auf Dauer sollte die Passquote bei Gulacsi etwas besser sein als bei Coltori und auch die Anzahl der Pässe sollte steigen. In den bisherigen Zahlen spiegelt sich vor allem wieder, wie viel Spielpraxis die Keeper jeweils mit dem Team hatten.

Bliebe noch ein Blick auf Flanken und Ecken. Die offizielle Datenlage wirft dabei für Gulacsi 0,45 abgefangene Flanken und 0,30 abgefangene Ecken pro 90 Minuten aus. Bei Coltorti liegen die Werte leicht drüber bei 0,67 abgefangenen Flanken und 0,52 abgefangenen Ecken.

  • Gulacsi: 0,45 abgefangene Flanken/90 Minuten; 0,30 abgefangene Ecken/90 Minuten
  • Coltorti: 0,67 abgefangene Flanken/90 Minuten; 0,52 abgefangene Ecken/90 Minuten

Auch hier gilt wieder, dass die Gesamtorganisation der Defensive gerade am Anfang der Saison mehr Offensiveaktionen des Gegners und somit auch Flanken und Co zugelassen haben dürfte. Vergleicht man die Zahlen mit dem Augenschein, dann spricht es aber trotzdem für Coltorti, der im Strafraum einfach eine stärkere Präsenz hat und sich dort besser durchzusetzen weiß als ein Gulacsi, der dort wie zum Beispiel in Freiburg manchmal ein wenig der Musik hinterherhüpft bzw. hinterherfaustet.

Nimmt man alles zusammen, dann bleibt es eine schwere Entscheidung, wer denn bei RB Leipzig die legitime Nummer 1 ist und ob es so etwas überhaupt gibt. Peter Gulacsi scheint insgesamt auf der Linie und im Spielen des Balles mit dem Fuß etwas stärker zu sein, allerdings beim Herauslaufen bei hohen Bällen kleinere Probleme zu haben. Eins-gegen-Eins-Situationen sind schwerlich zu vergleichen. Auch da scheint die Präsenz eher für Coltorti zu sprechen, aber im Saisonverlauf hatte auch der Schweizer durchaus eine längere Phase ohne Ballglück in diesen Situationen.

Wenn man rein nach Torwartleistungen geht, dann findet man sicherlich Gründe sowohl für Coltorti als auch für Gulacsi. Von daher ist es wohl für die nähere Zukunft am ehesten eine Bauchentscheidung, was die Besetzung im Tor angeht. Der Vorteil von Gulacsi ist, dass er jetzt reichlich sechs Spiele am Stück im Tor stand und man als Trainer vielleicht nicht unbedingt einen Keeper rausnimmt, der keinen Fehler und viele Dinge gut bis sehr gut gemacht hat.

Für Fabio Coltorti spricht seine Erfahrung und seine Präsenz im Tor, die ihm auch in Bezug auf das Pushen des Teams noch mal eine andere Bedeutung gibt. Der Schweizer ist seit fast vier Jahren die Nummer 1 bei RB Leipzig (wenn er nicht gerade mal verletzt war) und war in dieser Zeit fast immer ein absolut sicherer und verlässlicher Rückhalt. Als solcher ist er auch psychologisch noch mal ein anderer Faktor als ein Peter Gulacsi, der sicherlich ein sehr guter Keeper ist, dem aber mit dem RB-Team, die gemeinsame Spielpraxis und die gemeinsamen Erlebnisse (Darmstadt!) fehlen, die ein Coltorti hat.

Alles zusammengenommen nehmen sich Coltorti und Gulacsi hinsichtlich ihrer Torwartleistungen bei unterschiedlichen Stärken nicht sonderlich viel. Insgesamt sollte aber ein Fabio Coltorti immer noch leicht die Nase vorn haben, weil er als Typ einfach (und auch aufgrund seiner Erfahrung) eine andere Präsenz und Ausstrahlung mitbringt, als dies ein Peter Gulacsi noch tut. Dass Coltorti dann deswegen spätestens in Nürnberg tatsächlich im Kasten steht, heißt das natürlich noch lange nicht..

Ein Gedanke zu „Coltorti oder Gulacsi, das ist hier die T-Frage“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert