Anpassungsversuche

Wenn sie [Sandhausen/ Anm. rotebrauseblogger] Fußball spielen wollen, dann wollen wir aggressiv spielen, wollen möglichst hohe Ballgewinne. Wenn sie nicht Fußball spielen wollen, dann wollen wir den zweiten Ball erobern und dann schnell umschalten. (Alexander Zorniger vor dem Spiel in Sandhausen bei Sky)

Es ist schwer geworden, gerade auswärts gegen Mannschaften zu spielen, die von ihrem eigentlichen Spielplan abrücken und nur versuchen, unser Spiel zu neutralisieren und mit langen Bällen zu agieren. Da versuchen sie uns nicht in die Karten zu spielen und dann ist es so ein hin und her und ein bisschen Kick and Rush heute gewesen. (Marvin Compper nach dem Spiel in Sandhausen bei Sky)

Spielsystemdebatten sind spätestens in den letzten Wochen zum elementaren Bestandteil rund um RB Leipzig geworden. Zu eindimensional, zu wenig flexibel, so die meistgeäußerten Kritiken vor allem nach den letzten Auswärtsspielen, als man dreimal torlos blieb und insgesamt handgeschätzt gerade mal zwei sehr gute Tormöglichkeiten hatte.

Es ist in dem Zusammenhang von den Verantwortlichen immer viel von Plänen die Rede. Plan A bleibt das aggressive Spiel gegen den Ball und daraus entstehende hohe Ballgewinne. Eine Art und Weise des Spiels, die insbesondere in Auswärtsspielen immer schwieriger anwendbar wird, weil die Kontrahenten, teilweise im Widerspruch zu ihren eigentlichen Spielphilosophien wie es Marvin Compper richtigerweise anmerkt, kaum noch versuchen, sich über das Spielfeld zu kombinieren, sondern versuchen, das Pressing von RB Leipzig einfach mit langen Bällen zu überspielen. Sodass ein Team wie Sandhausen dann eben lieber einen robusten Aziz Bouhaddouz in den Sturm stellt, der die langen Bälle sichern soll, anstatt eine weitere spielerische Option zu wählen.

Darüber muss man sich ja letztlich auch nicht beklagen, denn wenn die Gegner von RB Leipzig einen Weg gefunden haben, mit dem vielgelobten Pressing  des Aufsteigers umzugehen (und sei es durch Umgehen des Pressings), dann haben sie ja zuerst einmal alles richtig gemacht, weil sie ihre Chancen auf Punkte erhöht haben. Aus RB-Sicht gilt es dann eben Alternativwege zum Erfolg zu finden.

Für das Spiel in Sandhausen wurde deswegen als Alternative durch Alexander Zorniger der Gewinn von zweiten Bällen ausgerufen. Also letztlich das Gewinnen von Bällen nach dem langen Ball in die Spitze durch die nachrückenden Mittelfeldspieler oder auch das Einsetzen des Gegenpressings nach Ballverlusten in der gegnerischen Hälfte. Eine Methodik, die dann an die Grenzen stößt, wenn die gegnerische Verteidigung nach dem Ball(wieder)gewinn trotzdem nicht ungeordnet ist oder man selbst den Ballgewinn nicht durch entsprechend sauberes Spiel mit dem Ball ausnutzen kann.

Was direkt zu Plan C, dem Ballbesitzspiel führt. Nach dem Spiel in Darmstadt hieß es, dass man wieder stärker am Spiel mit dem Ball arbeiten müsse. Etwas was zumindest dahingehend sofort Effekte zeigte, dass RB Leipzig im folgenden Heimspiel gegen St. Pauli aus dem Spiel mit dem Ball heraus allerlei gutes anstellte und den Ball immer wieder über den Torwart und die Innen- und Außenverteidiger laufen ließ, bis sich eine Lücke in der gegnerischen Defensive ergab, durch die man spielen konnte.

Etwas was man auch in Sandhausen versuchte. Nachdem Coltorti anfangs noch zwei, drei lange Abschläge eingestreut hatte, war er anschließend merklich darum bemüht, den Ball nur noch durch Flachpässe zu seinen Innenverteidigern ins Spiel zu bringen. 83 bzw. 92% angekommene Pässe verzeichnete Coltorti in den letzten beiden Spielen. Im Vergleich zu Quoten, die im Saisonverlauf (auch bei Vorgänger Bellot) oft um die 50% lagen, drückt sich darin die Verschiebung der Torwartrolle weg vom permanenten Schnellmacher und Langspieler hin zum ersten Glied im Versuch eines strukturierten Spielaufbaus aus.

Dass daraus viel Gutes entstehen kann, zeigte sich gegen St. Pauli. Was aber auch daran lag, dass die Hamburger gegen die RB-Innenverteidiger und den Spielaufbau eher passiv und tief zu verteidigen versuchten. Sandhausen wählte dagegen das sehr viel zielführender Konzept, auch die Innenverteidiger und sich fallen lassende Mittelfeldspieler anzulaufen und unter Druck zu setzen. Hatte die defensive Viererkette von RB Leipzig gegen St. Pauli noch Passquoten zwischen 80 und 93%, lagen die Werte in Sandhausen nur noch zwischen 58 und 78%.

Was eigentlich zahlenseits nur den Augenschein unterstützen soll, der sich in den letzten Jahren immer mal wieder bot, dass RB Leipzig immer dann im Ballbesitz ganz gut aussieht, wenn sie sich einen passiv verteidigenden Gegner zurechtlegen können und weniger gut aussieht, wenn man schon in der hintersten Reihe Druck spürt. Was ja letztlich auch relativ normal ist, dass eine Verteidigungskette unter Druck ungenauer spielt als ohne Druck.

Fakt ist, dass man bei RB Leipzig spätestens nach dem Darmstadt-Spiel leichte Anpassungen am eigenen Spiel Richtung Ballbesitz vornahm, freilich ohne vom eigentlichen, oft genug erfolgreich praktizierten Duktus der frühen Balleroberung und des schnellen Umschaltens inklusive Spiel in die Tiefe abzurücken. Und sowohl gegen St. Pauli als auch in Sandhausen (ja, auch dort) konnte man sehen, dass dies durchaus zu einer positiven Beeinflussung des Spiels beiträgt.

Zumal ja diese Form des Ballbesitzes auch kein Selbstzweck, sondern letztlich nur eine Methode, den Ball ins vordere Drittel des Spielfeldes zu bekommen, sein soll. Quasi als Gegenkonzept zum langen Ball und dem Aufnehmen dieser Bälle durch das nachrückende Mittelfeld, wenn sie von Stürmern oder gegnerischen Verteidgern zurückkommen. Ein Gegenkonzept das es braucht, wenn die Stürmer bei langen Bällen so abgemeldet sind, wie sie es in Nürnberg, Darmstadt, Sandhausen oder gegen Kaiserslautern waren.

Der Ball muss auf irgendeine Art und Weise so in das Angriffsdrittel, dass man dort eine Chance hat, sich zumindest den zweiten Ball zu sichern und durch diesen eine ungeordnete gegnerische Abwehr zu erwischen. Die Methode des langen Balls hat sich dabei gegen die robusten Zweitligaabwehrreihen zunehmend als wenig zielführend erwiesen. Selbst mit der Doppelspitze Poulsen und Boyd, die eigentlich selbst einiges an Physis mitbringen. Bleibt ja eigentlich nur, den flachen Weg durch das Mittelfeld zu suchen, zumal wenn Vereine wie Sandhausen vor allem in vorderster Linie gegen den Ball arbeiten und dann erst wieder intensiv am eigenen Strafraum eingreift und dazwischen doch auch einige Räume sind.

Letztlich ist die Frage bei den aktuellen Anpassungsversuchen, wie man wieder mehr Torgefahr kreieren kann. Abgesehen vom Spiel gegen St. Pauli nur drei Tore in den letzten sechs Spielen sind letztlich einfach viel zu wenig und auch eine direkte Folge davon, dass die Stürmer oft von den Defensivreihen abgemeldet wurden und aus dem Mittelfeld oder von den Außenverteidigern zu wenig direkte Unterstützung kam. Auch nach 15 Saisonspielen steht weiter der Fakt, dass bei RB Leipzig noch kein Spieler ein Zweitligator aus dem Spiel heraus erzielte, der nicht als Stürmer aufgestellt war.

In den letzten reichlich zwei Jahren unter Alexander Zorniger bestand die große Qualität des Teams darin, gerade aus schlechteren Phasen und Spielen gestärkt und dank leichter Anpassungen verbessert hervorzukommen. Die Veränderungsansätze im Detail sind aktuell schon sichtbar, führten gegen Sandhausen aber wegen viel zu viel Ungenauigkeit am gegnerischen Strafraum nicht zum Erfolg. Sowieso dürfte klar sein, dass mit höheren Spielklassen auch die Geschwindigkeit der Anpassung und Entwicklung des Teams geringer wird. Sprich, dass sich Probleme im Normalfall über Wochen oder auch Monate schleppen und immer wieder auftauchen können, ist wohl völlig normal. Und war auch so vor der Saison prognostizierbar.

Letztlich also ist das, was aktuell passiert, nämlich auch mal ein paar überschaubar ansehnliche Spiele zu beobachten, der Normalfall für einen Aufsteiger, der auch erst mal herausfinden wollte, wie die eigene Spielweise zur neuen Liga passt und wie die Konkurrenz damit umgehen wird und welche Gegenkonzepte sie entwickeln würde. In dieser Phase, auf Gegner zu treffen, die eine Idee gewonnen haben, wie sie gegen RB spielen können, ist man seit ein paar Wochen. Und der Prozess, aus den dabei gewonnenen Erkenntnissen zu lernen und (individuell und mannschaftlich) zu wachsen, wird wohl auch noch locker bis zur Winterpause dauern. Mit entsprechend wechselhaften Resultaten.

RB Leipzig wird (unter der Doppelspitze Rangnick/ Zorniger) nie zu einer Ballbesitzmannschaft mutieren, sondern immer die Präferenz im (Gegen)Pressing und im Gewinnen zweiter Bälle sehen. Ganz einfach weil man davon ausgeht, dass es am einfachsten ist, Tore relativ schnell nach der Balleroberung, wenn die gegnerischen Abwehrreihen noch nicht so geordnet sind, zu erzielen (eine Annahme, die nur empirisch zu widerlegen wäre). Trotzdem hat man in der Schublade verschiedene Spielpläne von A bis C und wohl auch noch weiter runter im Alphabet und muss nun lernen, wie man diese Spielpläne am besten mixt und an die neuen Ligagegebenheiten anpasst. Und nebenbei muss man darüber nachdenken, ob man im Mittelfeld nicht mehr Physis und jemanden mit Zug zum Tor braucht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert