Keine Regel ohne Ausnahmen

Typisch RB Leipzig. So die eine oder andere Reaktion, nachdem die Transfers von Marvin Compper und Ante Rebic in den letzten Tagen bekanntgegeben wurden. Typisch, dass sie sich irgendwelche Stars aus der ersten italienischen Liga zusammenkaufen. Und haha, dass Ralf Rangnick nur Spieler zwischen 17 und 23 verpflichten wolle, sei angesichts eines Marvin Comppers ja wohl ein Witz.

Mal abgesehen davon, dass ein Marvin Compper in Deutschland wohl akutell schwer vermittelbar gewesen wäre, sprich es keinen Markt für ihn gab und er in Italien kaum Einsatzchancen hatte. Und auch mal abgesehen davon, dass das Verleihen eines hoffnungsvollen Talents wie Rebic in die zweite Liga, damit er dort Spielpraxis erhält, keine Idee völlig jenseits aller Praxis ist, stellt sich die interessante Frage, was für Transfers denn eigentlich in den letzten zwei Jahren unter Zorniger und Rangick getätigt wurden.

Insgesamt durchaus beachtliche (angesichts von zwei Aufstiegen hintereinander aber auch nicht mehr so beachtliche) 24 Transfers hat das verantwortliche Duo seit 2012 in fünf Transferperioden getätigt (nicht mitgerechnet wurden die Spieler, die noch Pacult holte, mit denen Zorniger dann aber teilweise in die Saison ging). Lediglich drei dieser Spieler spielen im aktuellen Kader keine Rolle mehr. Domaschke darf sich einen neuen Verein suchen, Papadimitriou gehörte eher in die Kategorie Missverständnis und Luge wurde nach Elversberg verliehen (hat aber wohl kaum Chancen, noch einmal an Profieinsätzen in Leipzig zu schnuppern, wenn nichts außergewöhnliches passiert).

Im Schnitt waren die Spieler zum Zeitpunkt ihrer Verpflichtung 21,5 Jahre alt. Insgesamt vier Spieler waren bereits älter als 23 als sie zu RB Leipzig kamen. Zwei davon, Domaschke und Compper, wurden geholt, um Verletzungsausfälle auszugleichen. Willers überzeugte in den Relegationsduellen mit den Sportfreunden Lotte. Und Morys kannte Zorniger durch das gemeinsame Arbeiten in der Regionalliga in Großaspach. Bis auf Compper hatte keiner dieser Spieler schon eine große Karriere gestartet, sondern alle waren vornehmlich in der Regionalliga erfolgreich. Zumindes wenn man Morys’ Ausflug nach Bulgarien nicht als große Karriere bezeichnen will.

Bleiben viele, viele junge Spieler. Bisher war ein starker Zweig bei den Transferaktivitäten, junge Spieler von höherklassigen Vereinen wegzulocken, weil diese dort über ihre Einsatzzeiten enttäuscht waren oder in der Bundesliga bzw. überhaupt im Männerbereich keine Perspektive (aufgezeigt bekommen) hatten. Kaiser, Fandrich, Kimmich, Thomalla, Jung, Khedira und auch (mit Abstrichen) Palacios gehören in diese Kategorie. Insbesondere Kaiser und Kimmich erwiesen sich diesbezüglich als absolute Volltreffer und machten bei RB Leipzig einen riesigen Entwicklungsschritt.

Eher in der jüngeren Vergangenheit guckt man auch nach Talenten in den höheren Spielklassen Europas, die nicht zu den Topligen gehören. Poulsen, Papadimitriou, Sumsualo und Kalmár sind hier vorneweg als Spieler zu nennen, die sich noch keinen Namen gemacht hatten. Boyd und Rebic (der in Italien fast nie gespielt hatte) gehören hier ein Stückweit auch rein, waren aber auch aufgrund ihrer Nationalmannschaftskarrieren schon bekannter.

Und dann gibt es tatsächlich auch noch die Gruppe der Spieler, die schon relativ umfangreiche Erfahrungen zumindest in einer europäischen ersten Liga gesammelt hatten, dabei aber auch am Scheideweg standen, weil man nicht mehr zu 100% auf sie zählte und sie entsprechend nach neuen Perspektiven suchten. Die Ex-Salzburger Spieler Teigl und Hierländer gehören hier hinein.

Bliebe noch einer übrig. Nämlich Diego Demme. Der mit seinen bei der Verpflichtung gerade mal 22 Jahren schon ein gestandener Zweitligaspieler war und mit Paderborn hätte in die erste Liga aufsteigen können. Wenn es in zwei Jahren Rangick und Zorniger einen Transfer gab, bei dem ein Spieler, dessen Karriere gerade keinen Knick bekommen hatte, aus einer höherklassigen Liga verpflichtet wurde, dann war es Demme.

Ansonsten allerdings stehen hier Talente und damit (immer auch unklare) Perspektiven, die sich nicht unbedingt kurzfristig einlöste. Dazu ein paar wenige, teils ältere Spieler, die unterklassig auf sich aufmerksam machten. Spieler, die einen Karriereknick verarbeiten müssen. Und Kompensationen von Verletzungen. Bei lediglich zwei bis drei dieser Spieler (Demme, Compper, Boyd) hätte man oder muss man aufgrund ihrer Karriere oder ihres aktuellen Zustands davon ausgehen (müssen), dass sie sofort funktionieren. Wobei man hier auch noch Kaiser und Morys dazurechnen kann, die schließlich für die Regionalliga verpflichtet wurden.

Das heißt alles nicht, dass hier nicht auch mit vermehrtem Einsatz von Geld gearbeitet wurde. Schon der erste und wichtigste Transfer von Dominik Kaiser kostete eine mittlere sechsstellige Summe, die ein anderer NOFV-Regionalligist damals wohl nie und nimmer hätte stemmen können (inzwischen mag das anders aussehen, wenn man bspw. an Jena denkt). Trotzdem sind die Transfers in erster Linie geprägt von fachlichem Auge und auch Augenmaß in dem Sinne, dass es nie um das Kaufen des Kaufens wegen ging.

Sprich, es wurde nie ein aufgeblähter Kader angehäuft (lediglich aktuell wird der Kader wegen des Ersetzen der Langzeitverletzten etwas (zu) groß), in dem junge Spieler per Durchlauferhitzer ausprobiert und wieder ausgespuckt wurden. Letztlich hat man auf fast alle verpflichteten Spieler auf die eine oder andere Art vertraut und ihnen im Rahmen der Möglichkeiten auch Einsatzchancen gegeben. Lediglich Papadimitriou und (bisher) auch (der häufig verletzte) Sumusalo sind diesbezüglich ein bisschen durch den Rost gefallen.

Letztlich ist die Idee bei den Transferaktivitäten klar und auch durch die Ligen bestimmt, in denen man gespielt hat. Man konnte sehr jungen, sehr talentierten Spieler die Möglichkeit aufzeigen, sich unterhalb einer Topliga zu entwickeln und im besten Fall mit in die Topliga hineinzuwachsen. Das ist ein enormer Standortvorteil, der natürlich darauf beruht, dass man erstens das Geld hat, die Spieler auch aus ihren Verträgen auszulösen und zweitens die Spieler daran glauben, dass der Weg von RB Leipzig tatsächlich irgendwann in die Bundesliga führt.

Letztlich ist das, was Rangnick gerade versucht, eine Art Anschubfinanzierung. Man holt sich mit mittlerem Geldeinsatz diverse Talente und wenn sich ein paar davon durchsetzen und tatsächlich positiv entwickeln, bringen sie den Verein erstens sportlich weiter und führen zudem dazu, dass man vielleicht zweitens irgendwann einmal auch ein paar Transfereinnahmen zur Refinanzierung generiert.

Und nebenbei schafft man durch Spieler, die jung nach Leipzig (bzw. neuerdings auch aus der eigenen Jugend) kommen, auch ein Stück Identität, wenn diese denn den Verein tatsächlich über ein paar Jahre begleiten und prägen können. Denn klar ist auch, dass der Gang durch die Ligen diesbezüglich Schwierigkeiten aufweist, was man auch daran sieht, dass ‘nur’ noch vier Spieler (Bellot, Sebastian, Franke, Frahn) aus der Mannschaft, die 2010 in die Regionalliga ging, auch im aktuellen Kader stehen.

Wie auch immer, die Transferaktivitäten eines Ralf Rangnick für RB Leipzig zielen auch weiter und trotz Compper (und trotz vermutlich erfahreneren Keeper, der noch kommen wird) auf sehr junge Spieler. Und auf Spieler, die sich noch nicht die ganz großen Meriten verdient haben. Ausnahme bestätigen wie immer die Regel.

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Hier sind alle Transfers unter Alexander Zorniger und Ralf Rangnick aufgelistet. Hinter den Namen findet sich das Alter des Spielers und seine Einsätze in den ersten zwei deutschen oder entsprechenden internationalen Ligen zum Zeitpunkt seines Wechsels. Betrachtet wurden nur Spieler, die auch bei RB Leipzig spiel(t)en, weil es hier um die Analyse geht, welche Spieler Rangnick und Zorniger für den Verein ins Auge fassen. Nicht mit in die Analyse fließen die die nach Salzburg verliehenen Bruno und Sabitzer, weil sie offenbar erst bei einem eventuellen Erstligisten RB Leipzig auflaufen würden.

Sommer 2012/2013

  • Dominik Kaiser – 23 Jahre; Bundesliga: 10
  • Erik Domaschke (Oktober 2012) – 26 Jahre; keine höherklassigen Einsätze

Winter 2012/2013

  • Matthias Morys – 25 Jahre; Erste Liga Bulgarien: 30
  • Clemens Fandrich – 21 Jahre; Zweite Liga: 27

Sommer 2013/12014

  • Tobias Willers – 26 Jahre; keine höherklassigen Einsätze
  • André Luge – 22 Jahre; keine höherklassigen Einsätze
  • Anthony Jung – 21 Jahre; Zweite Liga: 10
  • Denis Thomalla – 20 Jahre; Bundesliga: 4
  • Yussuf Poulsen – 19 Jahre; Erste Liga Dänemark: 5; Zweite Liga Dänemark: 29
  • Christos Papadimitriou – 19 Jahre; Erste Liga Griechenland: 5
  • Joshua Kimmich – 18 Jahre; keine höherklassigen Einsätze

Winter 2013/2014

  • Mikko Sumusalo – 23 Jahre; Erste Liga Finnland: 79; Zweite Liga Finnland: 21
  • Georg Teigl – 22 Jahre; Bundesliga Österreich: 70; Erste Liga Österreich: 12
  • Diego Demme – 22 Jahre; Zweite Liga: 68
  • Federico Palacios – 18 Jahre; keine höherklassige Erfahrung

Sommer 2014/2015

  • Marvin Compper – 29 Jahre; Bundesliga: 168, Zweite Liga: 20; Serie A: 16
  • Stefan Hierländer – 23 Jahre; Bundesliga Österreich: 117
  • Terrence Boyd – 23 Jahre; Bundesliga Österreich: 59
  • Thomas Dähne – 20 Jahre; Bundesliga Österreich: 1; Erste Liga Österreich: 30
  • Rani Khedira – 20 Jahre; Bundesliga: 9
  • Ante Rebic – 20 Jahre; Serie A: 4; Erste Liga Kroatien: 54
  • Zsolt Kalmár – 19 Jahre; Erste Liga Ungarn: 23
  • Smail Prevljak – 19 Jahre, eigene Jugend – keine höherklassigen Einsätze
  • Patrick Strauß – 18 Jahre; eigene Jugend – keine höherklassigen Einsätze

6 Gedanken zu „Keine Regel ohne Ausnahmen“

  1. Schön und wie immer angenehmen souverän dargestellt, danke. Auch wenn ich es diskutabel finde, Massimo Bruno komplett außen vor zu lassen, wenn es um die getätigten Transfers geht.

  2. Stimmt, die Anmerkung vergaß ich im Text. Letztlich betreffen sowohl Bruno, also auch Sabitzer aber letztlich ein anderes Thema. Hier hat quasi schon der selbsternannte künftige Bundesligist Verpflichtungen getätigt, die mit der aktuellen Mannschaft und wie sie verstärkt werden soll, nichts zu tun haben (keiner von beiden, außer sie enttäuschen in Salzburg, wird wohl vor der ersten Liga in Leipzig zu sehen sein). Letztlich ging es mir darum, mal zu gucken, was für Spieler zum Verein geholt werden. Und da gehören Bruno und Sabitzer aktuell halt nicht dazu. Genausowenig wie ein Fabian Bredlow, der als Torwart aus dem Nachwuchs einen Profivertrag gekriegt hat, aber gleich weiterverliehen wurde. Die Grenze erscheint vielleicht etwas willkürlich, schien mir aber inhaltlich trotzdem Sinn zu machen.

  3. Ja, ich kann die Unterscheidung schon verstehen, wenn es um die sportliche Betrachtung geht – und hätte mir einen ebensolchen Hinweis ganz gut vorstellen können. Gerade, wenn Du einführend auf “Stars … zusammenkaufen” eingehst, wird halt auch deutlich, dass es Dir auch um die Rezeption “da draußen” geht, und die hat natürlich sehr viel mit der Wahrnehmung von hochpreisigen Transfers wie dem von Bruno zu tun.

  4. Hallo,

    im Großen und Ganzen ein sehr schöner Artikel! Ist alles sehr emotionslos rübergebracht worden und hat alles Hand und Fuß. Ich sage es sehr ungern, aber die Transferpolitik die Rangnick und der Club entwickelt haben ist leider genial.

    Worauf du vielleicht nochmal eingehen kannst, bzw. was mir zu kurz erwähnt wurde, ist, dass diese Transfers Unsummen an Ablösesummen gekostet haben. Und nicht nur die Ablösesummen ziehen unweigerlich eine Wettbewerbsverzehrung nach sich, sondern auch die Gehälter und Prämien. Kannst du, ich darf Sie hoffentlich Duzen, vielleicht nochmal die gesamte wirtschaftliche Seite des Brauseclubs aufzeigen? Erweiterung des Trainingszentrums (war meine ich auch dabei), Ablösesummen, Gehälter, Prämien und was man sonst so dazu findet. Das ganze könnte man bestimmt schön mit anderen Vereinen vergleichen, beispielsweiße einen Poulsen vom Gehalt und Prämien mit einem Schnatterer (wenn bei ihm etwas bekannt ist).

  5. Ja, und noch mal JA!

    Wobei der Konter vom Rangnick auch passend ist – wenn man Schiebung und versteckte Zahlungen sucht, wird man in anderen Dimensionen bei anderen Vereinen fündig.
    z.B. PSG – mit dem Trikotsponsoring
    Aber das ist m. E. keine Entschuldigung eher ein Fingerzeig: wir sind böse, die anderen aber noch mehr.

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