Letzte Woche erst ging es hier im Blog um das weite Themenfeld Sicherheit und den zumeist humorlos-irreal-aufgeladenen Umgang damit. Pragmatische, kommunikationsorientierte Lösungsansätze scheinen jedenfalls im Kampf mit aufgeladenen Sicherheitsdebatten zu unterliegen. Letzten Samstag setzte der FC Bayern einen weiteren Baustein in das abstruse Gebilde, indem man am Gästeeinlass Zelte aufbaute, in denen sich Gästeanhänger potenziell sogenannten Ganzkörper- bzw. Nacktkontrollen unterziehen hätten müssen. Frei nach dem absurden Motto ‘Zeig mir Deine Unterhose und ich sage Dir, ob Du ein Fußballspiel gucken darfst’.
Ziel der Aktion soll es gewesen sein, Pyro oder allerlei gefährliche Materialien nicht ins Stadion kommen zu lassen. Der FC Bayern präsentierte dann nach dem Spiel in einem atemberaubendem Akt kommunikativer Cleverness auch gleich die passenden Zahlen. 30-40 AnhängerInnen der Frankfurter Eintracht seien ins Zelt gebeten worden, aber nur um Jacke und Tasche abzulegen. Gefunden worden seien „20 Messer, 2 Schlagstöcke, 1 Schlagring, 1 Sturmhaube, Pfefferspray und Kokain“.
Nicht schlecht, erfolgreiche Kontrollen und Zelte also. Nicht ganz, denn bis auf die Messer wurde alles sowieso abseits des Stadioneinlasses bei Kontrollen aufgetan. Und die Messer wurden nicht in den Zelten gefunden, sondern bei der Kontrolle von allen 71.000 Besuchern des Spiels (wie viele Messer die im Zelt durchsuchten Gäste bei sich hatten, kann niemand sagen). 20 Messer bei 71.000 Besuchern? Könnte da das eine oder andere Taschenmesser im Spiel gewesen sein? Wer noch nie beim Fußball oder im Flugzeug saß und merkte, dass er aus Versehen etwas in der Tasche hatte, was da nicht unbedingt hin gehörte, werfe den ersten Stein. (Im Blog-G [broken Link] wird die ganze Story und die Wirkung der falsch kontextualisierenden Bayern-Meldung auf die Medienberichte sehr schön und mit allerlei Links dargestellt.)
Mal von dem, was man bei Einlasskontrollen findet abgesehen. Mal auch davon abgesehen, dass man zu Pyro und Ultras und allem Möglichen geteilter Meinung sein kann. Egal wie, nur sehr, sehr wenig würde es rechtfertigen, Zelte aufzubauen, in denen das komplette Entkleiden vor irgendwelchen privaten Sicherheitsfirmen droht. Persönlichkeitsrechte können nicht auf dem Altar irgendwelcher Sicherheitsdebatten geopfert werden, ganz so wie es einem Bundesligaclub gerade in den Kram passt. Ein Fußballstadion ist eben kein rechtsfreier Raum, weder für Fans noch für Vereine und das Anwenden von bzw. die Drohung mit Methoden, denen das Gesetz sehr enge Grenzen setzt, überschreitet eine Grenze.
Der Einwand wird natürlich lauten, dass es doch nicht alle Leute treffe und es darum gehe, das Schmuggeln von Pyrotechnik zu verhindern. Nur reden wir hier über moderne Arenen mit Kameraüberwachung und allerlei Möglichkeiten der Gefahrenabwehr und Straftatverfolgung, wir reden über Stadien, in denen man im Normalfall durch den Haupteingang eine Panzerfaust mitnehmen kann, während der Gast gefilzt wird und wir reden vor allem über ein Thema, das erst dann gelöst werden wird, wenn Verbände, Vereine und Fans in die Kommunikation kommen. Bis dahin bleibt das Thema Pyrotechnik ein beiderseitiges Machtspielchen, an dessen Schraube man mit Untersuchungszelten weiter drehen kann. Man sollte dann aber auch wissen, dass man dadurch die Aggressions-Repressions-Spirale eben mitdreht, anstatt zu Problemlösung beizutragen.
Klar, in München wurden die Zelte im Gegensatz zu vor zwei Jahren, als Eintracht-Fans in Leverkusen tatsächlich nackig gemacht wurden, offenbar nicht zur Komplettentkleidung genutzt. Trotzdem stehen die Zelte dort, um genau diese Drohkulisse aufzubauen und um zusammen mit der DFL, die dies ja in ihrem Sicherheitspapier als Sicherheitsmaßnahme vorschlug, zu zeigen, dass man bereit sei zu diesem eklatanten Eingriff in die Rechte auch desjenigen, der einfach nur zum Fußball gehen will.
Pyrotechnik ist letztlich nicht mein Tanzbereich und ich finde die zwanghaften Wir-haben-den-Längeren-Zündler ähnlich albern wie die pauschale Kommunikationsablehnung mit den Fans über Pyrotechnik seitens der Verbände. Die Zelte leisten jedenfalls keinerlei Beitrag, weder zur Situationslösung, noch perspektivisch zu Gefahrenabwehr (da man dann eben einfach andere Wege für Pyrotechnik findet), sie widersprechen in ihrer Drohung, Besucher wie zu begutachtendes Fleisch zu behandeln, schlicht und einfach völlig dem Geist des Fußballs und auch dem Geist einer Gesellschaft freier Bürger mit entsprechenden Persönlichkeitsrechten.
Nein, ich möchte mich tatsächlich nicht vor irgendeiner Security XY ausziehen, nur weil die Polizei im Juli (!) sagt, dass im November (!) ein Spiel stattfindet, bei welchem eventuell jemand versuchen könnte, Pyrotechnik ins Stadion zu schmuggeln. Das erschreckende ist, dass ich mich selbst nach längerem Nachdenken nicht dazu durchringen konnte, mich klar für einen Fall zu positionieren, in dem ich mich entscheiden müsste. Wenn ich bei einem möglichen Relegationsauswärtsspiel bei Victoria Köln zum Beispiel plötzlich vor Zelten stehen würde, weil die lokale Polizei irgendwann mal Probleme mit Leipziger Fußballanhängern hatte, dann wüsste ich (leider) nicht, ob ich mich umdrehen und gehen würde. Vielleicht würde ich denen einen Vogel zeigen, vielleicht wäre mir das Spiel aber auch zu wichtig.
Vermutlich begründet sich genau damit und mit der auch gern genommenen Argumentation ‘Aber mich trifft es ja nicht, sondern nur irgendwelche Chaoten’, dass Vereine und Verbände mit ihrer Idee des gläsernen Stadionbesuchers durchkommen könnten. Vielleicht findet es die nächste Generation ja auch schon ganz normal, vor dem Spiel ins Zelt zu müssen. Könnte sein, dass zukünftig nicht nur Schal, Mütze, Jacke, Hose, Shirt, sondern auch der gute alte Schlüpfer im Mittelpunkt der Modeentscheidung vor Fußballspielen steht. Was für ein absurder Gedanke.