Kooperatives

Der Leipziger Fußball war selbst in den 10 Jahren, in denen ich ihn nun mehr oder weniger verbunden verfolgt habe, immer wieder gut für diverse zumindest unterhaltsame Geschichten. Mit der Gründung von RasenBallsport Leipzig, deren Folgen für die anderen Leipziger Vereine erst langsam in ihrer ganzen Realität absehbar werden, hat der Fußball in dieser Stadt wieder mal eine völlig neue Wendung genommen. Zeichen für dieses Ankommen in der Realität ist auch das relative Herunterplätschern der aktuellen Saison zwischen den Eckpunkten sportlichem Desaster (blau-gelb), wirtschaftlichem Leiden (grün-weiß) und sportlich Durchwachsenem (rot-weiß). Mit dem gestrigen Tage wurde das alte Gefüge wieder durcheinander gewirbelt und die Folgen sind aktuell wohl nur schwer abzuschätzen.

Gestern Mittag war es als die sportpolitische Bombe platze, dass Lok Leipzig und RasenBallsport Leipzig in Bezug auf die Nachwuchsarbeit eine Kooperation eingehen. Lok(!) und RasenBallsport(!). Die Pole, die sich in der öffentlichen Wahrnehmung als Tradition und Kommerz wie Teufel und Weihwasser gegenüber standen. Also die, die ‘fucking industry’ auf ihren Fahnen zu stehen haben und die, die damit gemeint sind. Ungläubig schlichen meine Augen über die Meldung, während der Kopf schon anfing darüber nachzudenken, was dass denn für die verschiedenen Fußballlager emotional, aber auch ganz pragmatisch bedeuten könnte.

Ganz pragmatisch gesehen ist es eine Kooperation, wie sie normaler zwischen Fußballvereinen nicht sein könnte. RasenBallsport Leipzig möchte auch im Nachwuchsbereich ganz nach oben, wird dafür einiges an Geld und sportlichem Know How in die Hand nehmen und möchte die herausragenden Talente der Region im eigenen Nachwuchsbereich bzw. mittelfristig im eigenen Männerteam angesiedelt wissen. Auf der anderen Seite steht Lok mit einer hervorragenden Nachwuchsarbeit und dem Problem, dass sie die besten Talente kurz- und mittelfristig an den potenten Nachbarn mit den hohen Zielen verlieren würden.

Was auch immer die Kooperationsvereinbarung im Detail enthalten mag, war die Idee bei Lok wohl, ein sowieso nicht zu verhinderndes Szenario wenigstens in ein wenig Gewinn für den eigenen Verein umzuwandeln. Der Gewinn könnte darin bestehen, dass nicht ganz so herausragende Talente zukünftig von RB zu Lok wechseln, dass Talente, die bei RB vor dem Sprung aus der Jugend in den Männerbereich stehen das eine oder andere Jahr an Lok verliehen werden, dass die Trainerstäbe in den einzelnen Jahrgangsstufen sich trainingsmethodisch und spielerbezogen austauschen und sich so auch qualitativ entwickeln und vermutlich nicht zuletzt, dass Lok auch finanziell partizipiert.

In der Kooperationsvereinbarung steckt demnach vermutlich eine Menge sportlicher Vernunft und eine Gewinnsituation für beide Seiten, so die Kooperation denn in der Praxis von Leben erfüllt wird, was sich frühestens mit Ablauf der Vereinbarung sagen lassen wird. Stand heute ist es schwer vorstellbar, dass ein 21jähriger RB-Spieler im Bruno Plache Stadion zum Teilzeit-Star wird. Mit der Vereinbarung verdeutlicht sich auch einmal mehr, welche Ziele die Lok-Vereinsspitze für die Zukunft verfolgt, im Windschatten von RasenBallsport Leipzig, deren Existenz bestmöglich nutzend, Richtung Profifußball. Das ist zumindest in der sportlichen Perspektive vernünftig und könnte den grün-weißen Rivalen mittelfristig vor das Problem stellen, der große sportliche Verlierer zu sein.

Auf der anderen Seite steht das ob der Kooperation emotional vermutlich höchst unzufriedene Vereinsumfeld bei Lok. Inwiefern die Zusammenarbeit mit den RasenBallsportlern die Anhänger und Mitglieder von Lok und damit auch den Verein selbst vor eine Zerreißprobe stellt, kann man derzeit nur erahnen. Für das Selbstbild eines Teils der Anhängerschaft und damit auch ein Stückweit für die Identität des Vereins ist die aktuelle Situation vermutlich inakzeptabel, selbst wenn ihnen jemand per Unterschrift versprechen würde, dass ihr Verein dadurch in 5 Jahren besser da steht als er es heute tut. Das mag irrational klingen oder sogar sein, aber verschließen sollte man die Augen vor diesen Realitäten nicht und was dies für die Alltagskultur des Vereins (und damit für seine Existenz) als eines Vereins, der vor allem durch seine Fans und Mitglieder lebt, bedeutet, bleibt vorerst unklar.

Ich habe tiefen Respekt vor der Lok-Führung, weil sie über den langen RB-Schatten springend eine sportlich absolut vernünftige Entscheidung getroffen hat. RasenBallsport Leipzig gewinnt zudem sicherlich durch die Vereinbarung sportliche Qualität im Nachwuchsbereich. Und für Nachwuchsspieler gibt es in Leipzig nun erstmals die Chance jenseits großer Gräben (zumindest auf der Ebene der sportlich Verantwortlichen) zwischen zwei Leipziger Clubs wechseln zu können. Das und vor allem die Kooperationsvereinbarung ist mehr als bei Lok und FC Sachsen in den letzten 20 Jahren überhaupt denkbar war. Dass blau-gelbe Fans, die dem rot-weißen Treiben inhaltlich erbittert gegenüber standen und stehen, nicht unbedingt ihre Vereinsführung für deren sportliche Vernunft loben mögen, finde ich hingegen völlig nachvollziehbar.

Die nächste Zeit bei Lok und die nächste Mitgliederversammlung dürften spannend werden. Ich wünsche dem Verein (auch in Bezug auf seine Identität) einen Weg in ruhigere Fahrwasser und dass sich ihre Kooperationsentscheidung sportlich auszahlen möge. Wer weiß, vielleicht leiht ja in 5 Jahren RasenBallsport Leipzig eine Art Kevin Scheidhauer, der statt nach Wolfsburg zu wechseln im RB-Nachwuchs groß wird, 19jährig wieder nach Probstheida aus, wo dieser dann mit Toren zu irgendeinem grandiosen Saisonverlauf beiträgt und die sportpolitische Bombe des gestrigen Tages stellt nicht mehr als eine Randnotiz der Leipziger Fußballgeschichte dar. Vieles scheint möglich in diesen Tagen der unerwarteten Verbrüderung.

5 Gedanken zu „Kooperatives“

  1. Ich würde erst mal abwarten wie sich dieser Kooperationsvertrag im Detail gestaltet. Für die beiden verbliebenen Traditionsvereine bietet sich jedenfalls meiner Meinung nach eine echte Chance.

    Lok kann eventuell tatsächlich im Fahrwasser von RB etwas höhere Ziele als jetzt erreichen und auch weiterhin hervorragende Jugendarbeit leisten sowie erfolgreichen Frauenfußball bieten. Möglicherweise gelingt die sportliche Platzierung der 1. Mannschaft in Liga 3 oder 4.

    Das Grün-Weiße Lager kann jetzt auf Gegenpol zum verhassten RB und den Gelb-Blauen machen und “ehrlichen”, “traditionsreichen”, “stolzen”, “antirassistischen” und “antikommerziellen” Fußball bieten. Hier kann noch beliebig mit vielen “anti-“Varianten ergänzt werden.

    Also ähnlich wie in Hamburg zwischen HSV und Pauli, nur mit mehr Hass. Gehört ja auch traditionell irgendwie dazu in Leipzig. Wo käme man da denn hin wenn es nur um Fußball ginge!

  2. Sportpolitische Bombe. Das trifft es ganz gut. Im nicht überraschungsarmen Leipziger Fußball ein echter Coup.

    Kooperationen auf dem Papier werden dann ja immer auch an den Taten im echten Leben gemessen. Es könnte eine klassische WIN-WIN Situation entstehen. Ausleihen von Spielern ist einThema. Marketing Know How von Red Bull im Transfer für Lok ein anderes. Die Frauen von Lok Leipzig zum Gegenpol von Turbine Potsdam aufbauen ein mögliches anderes Feld. Frauen und Red Bull Getränke sind unter Marketinggesichtspunkten auch nicht zu verachten.

    Auf alle Fälle bleiben Lok und RB jetzt auch die nächsten Wochen im Gespräch. Dies Tagesnotiz überlebt den schnelllebigen Zeitgeist und wird nicht in 48 Stunden ad acta gelegt.

  3. Ich glaube nicht an eine “Verbrüderung “. Die Logik in der Sache stimmt aber das Umfeld der ” Traditionsfans “.
    Ich bin jetzt nur noch gespannt.

  4. Also in Leipzig gibt es zum fussballerischen Treiben einiges zu sagen, aber Worte wie Vernunft, Win-Win, Kooperationsbereitschaft i.V.m dem 1.FCL, hört sich zu wahnwitzig an!
    Während beim Spiel der Legenden die RB Arena von fleißigen Helfern mit “boykottiert Red Bull” Aufklebern verziert wird, sehe ich immernoch schwarz für diese Vernunft, genausso wie für die Zukunft des 1.FCL.

    Was es aber sein könnte, das Ende einer Ära- zumindest der des Herrn Kubald. Seine vernünftigste Entscheidung wird viell. seine letzte.

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