Zuwendung zu Leuchttürmen

Der Kicker hatte bereits im April (25.04.) im meist empfehlenswerten Mantelteil der Montagsausgabe auf der Basis von DFB-Daten ein paar interessante Zahlen zur Entwicklung der Mitgliederzahlen in Deutschland präsentiert. Demnach habe sich die Anzahl der Mitglieder in den 18 Bundesligaclubs innerhalb der letzten 15 Jahre auf knapp 1.200.000 Menschen ungefähr vervierfacht (die Zahl dürfte durch den Austausch von Stuttgart und Hannover gegen Freiburg und Leipzig für die kommende Saison wieder sinken, da die neuen Clubs um die 50.000 Mitlgieder weniger mitbringen als die alten).

Eine Vervierfachung der Mitgliederzahlen. Ausgerechnet in jener Phase der Entwicklung des Fußballs, in denen die Vereine aufgrund der Anforderungen im wirtschaftlichen Bereich zunehmend professionalisiert wurden und vielerorts die Fußballabteilungen aus dem Verein in Kapitalgesellschaften ausgegliedert wurden. Sprich, eigentliche Themen der Vereinsarbeit immer weiter in den Hintergrund rückten. Offenbar suchten Menschen weiter nach Identität und Zugehörigkeit und fanden in den Plastekarten ihrer Clubs gute Äquivalente, die im Fall der Fälle auch noch einen guten Zugang zu Tickets und Co mit sich bringen.

Interessant ist diese Entwicklung vor allem, wenn man sie vor dem Hintergrund der Entwicklungen im Fußball insgesamt bis runter zur letzten Amateurliga betrachtet. Denn im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Mitglieder im DFB nur um knapp 650.000 Mitlieder gestiegen. Sprich, wenn man den Anstieg bei den Profis um 900.000 und auch noch den starken Anstieg im Frauenfußballbereich (plus rund 250.000 Mitglieder) abrechnet, bleibt für den Rest des Fußballs ein Minus von rund 500.000 Mitgliedern.

Das korrespondiert ganz prima mit der Abnahme von Mannschaften und Vereinen im Bereich des DFB. Laut Kicker habe sich die Zahl der Vereine um rund 5% (knapp 1.400 Clubs) und die Zahl der Mannschaften um fast 10% (über 15.000) verringert. Das Vereinssterben findet vor allem im Westen (Mittelrhein, Niederrhein, Westfalen) statt, während Mitglieder- und Mannschaftsrückgang Phänomene quer durch die Republik sind.

Die Zahlen haben gewisse Fallstricke wie bspw. die Tatsache, dass natürlich Menschen auch Mehrfachmitglieder sind. Aber der zentralen Interpretation, dass gerade der unterklassige Fußball organisierte Mitglieder und Vereinsleben verliert, ist wohl schwerlich zu widersprechen.

Am deutlichsten ist dies im vom DFB als Westen kategorisierten Bereich. Einer Abnahme der Vereine um fast ein Fünftel steht ein Anwachsen der Mitgliederzahlen im gleichen Zeitraum um fast ein Viertel entgegen. Wenn man bedenkt, dass bspw. Schalke 04 seine Mitgliederzahl seit 2000 mehr als versechsfacht (auf über 140.000) und der BVB seine Mitgliederzahl gar verzehnfacht hat (auf über 120.000), dann ahnt man, von wo nach wo sich die Dinge verschoben haben.

Sprich, die Funktion eines Vereins, im Kleinen und Lokalen Strukturen zu schaffen und Vergesellschaft und Sportbetrieb jenseits der großen Aufmerksamkeit zu garantieren, scheint immer schwieriger aufrechtzuerhalten oder auf immer kleineren Inseln betrieben zu werden (bei sogar noch leicht gestiegenen Zahlen fußballspielender Kinder und Jugendlicher).

Womit auch zusammenhängen dürfte, dass mit Vereinen immer weniger das Erlebnis von Alltagsorganisation und direkter Demokratie als Grund, sich ihm anzuschließen, verbunden ist, sondern noch stärker als je eher massenkulturelle Monopole und Zentren vom Interesse am Fußball profitieren. Sprich die Strahlkraft großer Fußballmarken ist attraktiver als es die Mühen der Ebene sind.

Dass die Profivereine aufgrund des Mitgliederzuwachses nun nicht zum allumfassenden Hort basisdemokratischer Vereins- und Entscheidungskultur geworden sind, liegt wohl eher auf der Hand. Mitgliederversammlungen werden auch weiterhin nur von einem Bruchteil der Mitglieder besucht und sind meist gut organisierte Inszenierungen der Vereine (geworden) oder haben keinen wirklichen Einfluss auf Entscheidungen des Tagesgeschäfts des Vereins oder der ausgelagerten Kapitalgesellschaft. Auf der anderen Seite wahren Anhänger ihre Ansprüche vermehrt jenseits der Mitgliedschaft über andere Kommunikationskanäle vom Fanverband bis hin zum Online-Shitstorm.

Die Zahlen legen gewissermaßen nahe, dass am Fußball interessierte Menschen vermehrt Wege suchen, sich mit Fußballvereinen als überregionalen Marken zu identifizieren, ohne sie gestalten zu können oder zu müssen. Das führt zu einer Abkehr vom lokalen Sportverein aka Amateurfußball und zu einer Zuwendung zu den Fußballleuchttürmen (auch bei Kindern gibt es ja schon früh die Tendenz, sich immer größeren Clubs und besseren Möglichkeiten anzuschließen).

Das ist hier nicht als abschließende Bewertung oder moralisch aufgeladener Alarmismus, sondern eher als Gedankenanregung zu verstehen. Man kann sich natürlich fragen, wie das zu werten ist. Entspricht es eher einer allgemeinen Tendenz, dass gesellschaftliche Teilhabe zu anstrengend und zeitraubend ist oder sind ein Stückweit wegbrechende Organisationsstrukturen im Breitensport Fußball nicht gleichzeitig wachsende Strukturen in anderen Bereichen des Alltags? Und wäre letzteres nicht eigentlich zu begrüßen, wenn dem so wäre?

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Die kompletten DFB-Daten von 2015 gibt es als pdf hier. Eine Linkübersicht zu den Statistiken der Vorjahre findet sich hier.

2 Gedanken zu „Zuwendung zu Leuchttürmen“

  1. Der Hauptgrund des Zuwachses wird der bessere Zugriff auf begehrte Tickets sein. Was man daran sieht das gerade bekannte Erstligavereine einen hohen Zuwachs haben, bei denen die Stadionkapazität an Ihre Grenzen stößt.
    Wenn es dann wie bei den Bayern eine Verteilung im Losverfahren gibt und Mitglieder jahrelang leer ausgehen könnte sich der Trend auch wieder drehen.

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