Leipzig ist für die Anhänger von Vereinen aus dem Gebiet des Nordostdeutschen Fußballverbands mit größerem Fanpotenzial eine Art Mekka geworden. Wenn RB Leipzig zu einem Heimspiel gegen jene lädt, die sich das Label ‘Traditionsverein’ auf die Fahnen geschrieben haben, dann reisen die Fans dieser Vereine oft in solch enormer Zahl mit, wie zu kaum einer anderen Gelegenheit. Die Motivlagen reichen dabei von simpler Neugier über das Hoffen auf einen Sieg über die ‘Neureichen’ bis hin zum Protest gegen Kommerz oder – in der elaborierteren Version – gegen die Vereinskonstruktion, die dem Geldgeber Red Bull informell die komplette Mitsprache sichert.
Auch beim Besuch von Hansa Rostock in der Messestadt wird das nicht viel anders sein. Mit mehr als 5.000 Gästefans wird aktuell gerechnet. Der normale Gästeblock ist schon jetzt zu klein, sodass die Fans aus dem Norden zusätzlich Karten im angrenzenden Sektor D erwerben können. Und man kommt mit dem üblichen Protestgestus, der sich diesmal darin äußern soll, dass man erst nach sieben Minuten den Block betritt (wobei man gespannt sein darf, wo sich tausende Fans in der Red Bull Arena so aufhalten mögen, wenn sie nicht im Block stehen..).
Mal von diesem Geplänkel abgesehen, hat das alles auch eine nicht irrelevante sportliche Relevanz. Denn aktuell steht der Fakt, dass RB Leipzig, wenn es Richtung Winterpause geht, in Heimspielen gegen NOFV-Clubs mit reisefreudigen Fans noch sieglos ist. In den letzten drei Jahren hatte man drei solcher Spiele. Zweimal stand am Ende ein Unentschieden, einmal eine Niederlage und jedesmal war man das mehr oder weniger schlechtere Team.
Anfang Dezember 2010 holte RB Leipzig gegen den Spitzenreiter Chemnitzer FC bei Minustemperaturen ein 1:1. Und wohl als einziger im Stadion hatte RB-Coach Tomas Oral seine Mannschaft als jene mit den besseren Chancen gesehen. Ein Jahr später war es ähnlich kalt und der Hallesche FC erteilte den RasenBallsportlern eine taktisch-spielerische Lektion, die mit dem 1:0, was letztlich auf der Anzeigetafel stand, nicht ansatzweise richtig ausgedrückt war. Vor einem Jahr war es am letzten Novemberwochenende nicht ganz so kalt und die Gästefans nicht ganz so zahlreich. Was Carl Zeiss Jena nicht daran hinderte, lange Zeit das bessere Team mit den klareren Chancen zu sein und letztlich durch ein unglückliches Gegentor kurz vor Schluss doch nur mit einem Punkt nach Haus zu fahren.
Drei Spiele, 45.505 Zuschauer, davon handgeschätzte 12.000 bis 13.000 Gästefans, zwei Punkte, 2:3 Tore. Die Zahlen sind erstaunlich und gegen Hansa am Samstag und vier Wochen später gegen Halle geht es auch darum, diese merkwürdige Serie zu durchbrechen.
Man könnte anhand der Zahlen vermuten, dass RB Leipzig in diesen Spielen in irgendeiner Form eingeschüchtert ist und sich von der Kulisse beeindrucken lässt. Eine Interpretation, die damit kollidiert, dass man in den anderen fünf Heimspielen gegen alteingesessene NOFV-Vereine (die Spiele gegen die lokale Konkurrenz Lok und FC Sachsen scheiden aus der Analyse aus, weil sie schwer in Heim- und Auswärtsspiele zu unterscheiden und sowieso aufgrund der besonderen Konstellation noch mal eine eigene Kategorie sind) eine Bilanz von vier Siegen und einem Unentschieden bei 11:2 Toren aufweist. Wobei diese fünf Spiele bei weitem nicht in jener Form Spitzenspiele waren, wie die drei nicht gewonnenen Spiele jeweils kurz vor der Winterpause. Was bedeuten würde, dass die RasenBallsportler in der Vergangenheit besonders gern scheiterten, wenn Spitzenspiele gegen motivierte und hochklassige NOFV-Gegner mit großer Fanunterstützung anstanden. Zumindest ist das Spiel gegen Hansa kein tabellarisches Spitzenspiel..
Nimmt man die Gesamtbilanz, dann schnitt RB Leipzig gegen NOFV-Teams mit großem Anhang etwas schlechter ab als in den Spielen gegen die anderen Teams in Regionalliga und dritter Liga. Was aber vor allem daraus resultieren dürfte, dass die besagten NOFV-Teams (also Chemnitz, Halle, Magdeburg, Jena, Erfurt) jeweils zu den besseren Teams in ihrer Liga gehörten. Und wenn man die drei nicht gewonnenen Spiele am jeweiligen Jahresende herausrechnen würde, würde sich die Bilanz kaum unterscheiden. Was auch bedeutet, dass es weder in Heim- noch in Auswärtsspielen eine Art Ostkomplex, also ein besonders schlechtes Abschneiden in besonders aufgeladener Umgebung, gibt. Was letztlich auch bedeutet, dass RB Leipzig oft den Kopf oben behält, wenn man in fremder Umgebung größere Teile des Stadions lautstark gegen sich hat und diese Situation eher Zusatzmotivation als schlechtere Leistung bedeutet. Ausnahmen (Chemnitz z.B.) bestätigen die Regel.
Für diese Theorie spricht auch, dass RB Leipzig in den letzten reichlich drei Jahren insgesamt eine nur unwesentlich schlechtere Auswärts- als Heimbilanz hat. Und die leicht schlechtere Bilanz resultiert vor allem aus der Rückrunde unter Oral als man auswärts sieglos blieb. Sprich, die RasenBallsportler scheinen von den Begleiterscheinungen auf Reisen eher zu profitieren. Was gut dazu passt, dass Zorniger zuletzt via BILD meinte, dass man in Darmstadt besonders motiviert war, weil der Bus vor dem Spiel Tritte abbekommen hatte. Scheint so ein bisschen das Bayern-Phänomen zu sein, die in der Vergangenheit auch oft am besten waren, wenn sie besonders unherzlich empfangen wurden.
Fazit: Es gibt keine generelle schwarze Serie in Spielen gegen (NOFV-)Teams mit großer Fanunterstützung. Das ist vor dem Hansa-Spiel die gute Nachricht. Trotzdem gibt es im Zeitraum zwischen Ende November und Winterpause eine merkwürdige, statistische Anomalie, die sich am besten durch RB-Siege auflösen lässt. Die Spiele gegen Hansa und Halle sind dafür gute Gelegenheiten.
————————————————————————-
Datenannex (seit Sommer 2010)
- Heimbilanz: 57 Spiele, 36 Siege, 16 Unentschieden, 5 Niederlagen, 113:46 Tore
- Heimbilanz gegen NOFV-Clubs mit großem Anhang: 8 Spiele, 4 Siege, 3 Unentschieden, 1 Niederlage, 13:5 Tore
- Heimbilanz gegen NOFV-Clubs mit großem Anhang im November/Dezember: 3 Spiele, 0 Siege, 2 Unentschieden, 1 Niederlage, 2:3 Tore
- Heimbilanz (Schnitt pro Spiel): 57 Spiele, 2,18 Punkte, 1,98: 0,81 Tore
- Heimbilanz gegen NOFV-Clubs mit großem Anhang (Schnitt pro Spiel): 8 Spiele, 1,88 Punkte, 1,63:0,63 Tore
- Heimbilanz gegen NOFV-Clubs mit großem Anhang im November/Dezember (Schnitt pro Spiel): 3 Spiele, 0,67 Punkte, 0,67:1,00 Tore
- 2010/2011
- 5.Spieltag (12.09.2010): vs. 1.FC Magdeburg 2:1 (11.341 Zuschauer, davon ca. 5.000 Gästefans)
- 16.Spieltag (28.11.2010) vs. Chemnitzer FC 1:1 (13.101 Zuschauer, davon ca. 5.000 Gästefans)
- 32.Spieltag (15.05.2011) vs. Hallescher FC 2:0 (3.685 Zuschauer, davon ca. 700 Gästefans)
- 2011/2012
- 6.Spieltag (18.09.2011): vs. 1.FC Magdeburg 1:1 (9.789 Zuschauer, davon ca. 1.500 Gästefans)
- 17.Spieltag (10.12.2011) vs. Hallescher FC 0:1 (18.295 Zuschauer, davon ca. 5.000 Gästefans)
- 2012/2013
- 14.Spieltag (02.12.2012): vs. Carl Zeiss Jena 1:1 (12.194 Zuschauer, davon ca. 2.300 Gästefans)
- 26.Spieltag (28.04.2013): vs. 1.FC Magdeburg 4:0 (7.432 Zuschauer, davon ca. 800 Gästefans)
- 2013/2014
- 5.Spieltag (24.08.2013): vs. Rot-Weiß Erfurt 2:0 (14.109 Zuschauer, davon ca. 2.500 Gästefans)
- Auswärtsbilanz: 57 Spiele, 34 Siege, 13 Unentschieden, 10 Niederlagen, 106:52 Tore
- Auswärtsbilanz gegen NOFV-Clubs mit großem Anhang: 9 Spiele, 4 Siege, 2 Unentschieden, 3 Niederlagen, 15:11 Tore
- Auswärtsbilanz (Schnitt pro Spiel): 57 Spiele, 2,02 Punkte, 1,86: 0,91 Tore
- Auswärtsbilanz gegen NOFV-Clubs mit großem Anhang (Schnitt pro Spiel): 9 Spiele, 1,56 Punkte, 1,67:1,22 Tore
- 2010/2011
- 15.Spieltag (20.11.2010): vs. Hallescher FC 0:0 (2.100 Zuschauer)
- 22.Spieltag (27.02.2011): vs. 1.FC Magdeburg 1:2 (4.602 Zuschauer)
- 33.Spieltag (21.05.2011): vs. Chemnitzer FC 0:1 (12.837 Zuschauer)
- 2011/2012
- 23.Spieltag (11.03.2012): vs. 1.FC Magdeburg 3:0 (5.288 Zuschauer)
- 34.Spieltag (19.05.2012): vs. Hallescher FC 0:0 (14.003 Zuschauer)
- 2012/2013
- 11.Spieltag (11.11.2012): vs. 1.FC Magdeburg 4:1 (10.959 Zuschauer)
- 29.Spieltag (19.05.2012): vs. Carl Zeiss Jena 5:4 (5.544 Zuschauer)
- 2013/2014
- 1.Spieltag (19.07.2013): vs. Hallescher FC 1:0 (14.022 Zuschauer)
- 14.Spieltag (16.10.2013): vs. Chemnitzer FC 1:3 (8.305 Zuschauer)
- Gesamtbilanz: 114 Spiele, 70 Siege, 29 Unentschieden, 15 Niederlagen, 219:98 Tore
- Gesamtbilanz gegen NOFV-Clubs mit großem Anhang: 17 Spiele, 8 Siege, 5 Unentschieden, 4 Niederlagen, 28:16 Tore
- Gesamtbilanz (Schnitt pro Spiel): 114 Spiele, 2,10 Punkte, 1,92: 0,86 Tore
- Gesamtbilanz gegen NOFV-Clubs mit großem Anhang (Schnitt pro Spiel): 17 Spiele, 1,71 Punkte, 1,65:0,94 Tore