Es sagt wohl viel über ein Spiel aus, wenn die Zuschauer nach einem unspektakulär klingenden 1:0 völlig zufrieden nach Hause gehen und die letzten Minuten der Partie größtenteils klatschend, pfeifend, johlend und stehend vor ihren Sitzen verbracht haben. Aber es waren angemessene Reaktionen nach einem Duell auf sehr hohem Drittliganiveau, das zwei Teams sah, die Fußball spielen wollten und es über weite Strecken der Partie auch konnten. Aus RB-Sicht hatte die Partie nur einen Makel, nämlich dass man sie nicht viel früher für sich entschied und so doch wieder einmal bis zum Schlusspfiff zittern musste, bis die drei Punkte sicher waren.
Die einzige überraschende Personalie vor dem Spiel betraf Juri Judt, der wegen der Rotsperre von Christian Müller und der letztwöchigen Indisponiertheit von Anthony Jung die zweite Außenverteidigerposition einnehmen durfte. Er begann auf rechts, wurde dort früh in der Partie zweimal überlaufen und wechselte dann mit Sebastian Heidinger die Seiten. Auf links hatte er dann weniger Probleme, ohne insgesamt den ganz großen Glanz zu versprühen.
Im Sturm blieb ankündigungsgemäß Matthias Morys außen vor (stand nicht im Kader, da er nach Muskelverletzungen in Ruhe aufgebaut werden soll). Dafür kehrte Yussuf Poulsen ins Team zurück, sodass er mit Thomalla und Frahn den Dreiersturm bildete. Wobei der Dreiersturm eine andere taktische Formation erfuhr als zuletzt, weil Denis Thomalla in der Mitte eine Art hängende Spitze gab, die sich gegen den Ball flexibel zurückfallen ließ oder aufrückte, je nachdem was das Stören des gegnerischen Spielaufbaus nötig machte. Frahn und Poulsen standen derweil etwas weiter vorn und versuchten sich darin, die Wege von Innenverteidigern und Außenverteidigern zu Stören.
So entstand ein verkapptes 4-3-1-2, wo zuletzt noch eher ein 4-3-2-1 bis hin zu einem 4-5-1 zu beobachten war, wenn die Außenstürmer sich in der Defensivformation tief ins eigene Mittelfeld fallen ließen und dort die Räume mit eng machten. Es entstand so auch ein System, was anschlussfähig ist für einen Zehner wie die Einwechslung von Clemens Fandrich für Denis Thomalla bewies. Eine Rolle die auch Timo Röttger gut spielen könnte (lässt man Thiago Rockenbach mal außen vor, der aktuell ziemlich weit weg vom Team scheint).
Die Vorteile der gegen den BVB gewählten Formation liegen wohl vor allem darin, in der Zentrale einen relativ flexibel störenden Spieler zu haben, der den anderen Mittelfeldspielern die Wege aus der Dreierkette an manchen Stellen erspart, sodass die Räume im Mittelfeld eng bleiben. Und man hat im Spiel nach vorn noch eine Anspielstation in der Zentrale, sodass es einfacher wird, im Mittelfeld in ein zielführendes Kombinationsspiel zu kommen. Das System geht leicht zulasten der Defensive auf den Außenpositionen, da die Außenstürmer tendenziell offensiver stehen und somit auf den Außen mehr Räume entstehen bzw. von der Mittelfelddreierkette zugestellt werden müssen.
Letztlich ist es neben den dargestellten Folgen wohl auch eine Frage der einsetzbaren Spieler. Wenn man mit den schnellen Morys und Poulsen spielen kann, dann fährt man wohl mit einem 4-3-3 in Form eines 4-3-2-1 mit zwei schnellen Außen besser als mit einem 4-3-3 in Form eines 4-3-1-2, denn ein Daniel Frahn ist dann bei aller Liebe nicht ganz die optimale Besetzung für den hängenden Stürmer wie ihn ein Thomalla ganz hübsch spielen kann.
Mal völlig außer Acht gelassen, wie groß der Anteil der Taktik daran war, fand RB Leipzig gegen den BVB von Anfang an sehr gut in die Partie. Wo man in Chemnitz über 90 Minuten hinweg eigentlich nie in die Zweikämpfe kam, bekam man gegen den BVB in der ersten Halbzeit im Mittelfeld viel Zugriff auf den Gegner und sah so von Anbeginn an viel besser aus als in der Vorwoche. Und gewann so offenbar auch schnell das Selbstvertrauen in das eigene Spiel zurück.
Die verdiente Folge des Auftritts war das frühe 1:0 durch Yussuf Poulsen, bei dem allerdings Gästekeeper Alomerovic entscheidend mithalf, als er etwas übermotiviert aus dem Tor und dem Strafraum herauskam und Poulsen an der Grundlinie sperren wollte, um den Ball ins Aus trudeln zu lassen. Poulsen war aber gedanklich und physisch schneller, hielt den Ball im Feld und lief noch ein paar Meter gen Tor, um in dann aus spitzem Winkel und an einem Dortmunder Abwehrspieler vorbei im kurzen Eck zu versenken.
Dass RB Leipzig nur mit einem 1:0 in die Kabine ging, war angesichts des deutlichen Plus an Chancen ein Mangel der ersten Halbzeit. Vor allem Frahn hatte zwei Riesen auf Fuß und Kopf, von denen zumindest einer hätte im Tor landen dürfen.
Es war beileibe nicht so, dass der BVB in Halbzeit 1 chancenlos war. Ein paar Mal spielte man sich mit viel Geschwindigkeit an und in den Strafraum. Aber die letzte Torgefahr fehlte und Fabio Coltorti lebte in den ersten 45 Minuten relativ ruhig. Doch trotz teilweise ansehnlichem Spiel nach vorn, bei dem man die individuellen Fähigkeiten der Dortmunder und ihre hohe Geschwindigkeit sehen konnte, fehlte den Gästen der letzte Druck auf den Ball und die Aggressivität, um mehr als einen passablen Eindruck zu hinterlassen.
Vielleicht um dies auszugleichen, wechselte man in der zweiten Halbzeit einen zweiten Sturmkanten neben Marvin Ducksch ein, den 1,94m großen Bálint Bajner, der fürderhin ganz vorn den Prellbock spielte. Und damit vielleicht ein wenig mitverantwortlich dafür war, dass der BVB auch immer wieder versuchte, die Größenvorteile in vorderster Reihe durch hohe Bälle dorthin auszunutzen. Was aber für die Innenverteidiger von RB Leipzig meistens ein gefundenes Fressen war.
Trotzdem erarbeitete sich der BVB in der ersten Phase nach der Pause ein leichtes Übergewicht, weil man im Mittelfeld jetzt deutlich präsenter war und auch einige Zweikämpfe gewann, sodass man besser im Spiel war. Es war dies in diesem Spiel eine Phase, die man bei RB Leipzig schon ab und zu beobachten konnte. Dass man nach einer Führung ein wenig die Ruhe und die Ordnung verliert und im Mittelfeld niemand ist, der ein wenig die Hektik aus dem Spiel nimmt und vielleicht einen von drei Bällen in die Tiefe nicht spielt, wenn er merkt, dass die gerade nicht funktionieren, sondern nur dazu führen, dass der Gegner immer wieder schnell in Ballbesitz gelangt und darüber Druck ausüben kann. Immer mal wieder Ballbesitz einstreuen, wäre da eine Option, die leider manchmal zu wenig genutzt wird.
Im Verlauf der zweiten Halbzeit nahm man diesbezüglich dann aber immer mehr den Kopf nach oben und ließ den Ball auch mal wieder laufen und gab ihn nicht gleich wieder her, sodass ein offenes, auf und nieder wogendes Spiel entstand, bei dem RB Leipzig aufgrund der immer offener agierenden Gäste insgesamt chancentechnisch weiter deutlich im Vorteil war. Zweimal Poulsen, Kimmich, Frahn und Willers ließen allerbeste Chancen zur Entscheidung liegen, während auf BVB-Seite nur Marvin Ducksch eine größere Chance zum Ausgleich hatte, die Coltori mit einem Reflex zunichte macht.
Ansonsten mühten sich die Gäste redlich und auf Augenhöhe und trugen das ihre zu einer überdurchschnittlichen Drittligapartie bei, ohne dass sie die letzte Gefahr für das Tor ausstrahlten. Lediglich eine strittige Elfmeterszene, bei der ein Dortmunder im Strafraum von hinten umgestoßen wird, sorgte noch für Diskussionsstoff. Zumindest bei den Trainern, der MDR ließ die Szene in seiner Berichterstattung aus. Gäste-Coach Wagner hatte einen klaren Elfer gesehen, der den Ausgleich ermöglicht hätte, ohne den verdienten RB-Sieg in Frage stellen zu wollen. Und auch Alexander Zorniger merkte an, dass man in der Situation durchaus pfeifen kann.
Es wäre insgesamt und angesichts der Vielzahl an RB-Torchancen aberwitzig gewesen, wenn das Spiel wegen eines Elfmeters Unentschieden ausgegangen wäre. Aber wenn es so gekommen wäre, hätte man sich nur bei der eigenen Chancenverwertung beschweren können.
Fazit: Es war ein Fußballtag, der sehr viel Spaß machte. Weil das Spiel, insgesamt ein sehr gutes war und letztlich auch das Ergebnis passte. Mit der Leistung aus dem Spiel gegen den BVB setzen die RasenBallsportler nach zwei schwachen Auftritten ein deutliches Zeichen und zeigten eine gute Reaktion auf die Kritik nach den Spielen. Weil man im Spiel gegen den Ball deutlich besser in die Zweikämpfe kam und näher am Gegner dran war und im Spiel mit dem Ball die eine oder andere Idee jenseits des langen Balls auf den Rasen gezaubert bekam. Was von den mehr als 10.000, die es mit dem Gastgeber hielten, dann eben auch angemessen honoriert wurde.
Randbemerkung 1: Kleine, eigentlich ganz witzige Spitzen leistete sich das Programmheft zur Partie. Ein paar Statistiken zu den beiden Teams überschrieb man mit dem Titel ‘Rasenschach’, also genau jenem Wort, mit dem sich Dortmund-Boss Watzke einst über RB Leipzig ein wenig lustig machte. Und in einer weiteren Rubrik betonte man die “gemeinsame Tradition” beider Vereine, quasi die Ursünde im Zusammenhang mit RB Leipzig, das Wort Tradition zu benutzen. Die gemeinsame Tradition liege darin, dass beide Vereine an einem 19. (Dezember vs. Mai) und 09 (1909 bzw. 2009) entstanden seien. Gut die Zahlen sind arg weit hergeholt, aber für die Traditions-Pointe geht das ok..
Randbemerkung 2: Zum Boykott hatten Dortmunder Ultras vor der Partie gegen RB Leipzig aufgerufen. Angesichts dessen war das schwarz-gelbe Gewimmel rund um das Stadion vor der Partie schon erstaunlich. Drinnen summierte sich die Anti-Boykott-Fraktion dann auf etwa 1.000 Anhänger des Ballsportielverein Borussia. Für eine U23 eine mehr als ansehnliche Auswärtsgefolgschaft (was auch zeigt, wieviele Fans der BVB auch hierzulande hat) und eher ein Misserfolg für den Boykottaufruf (zumal in Chemnitz kürzlich eher weniger BVB-Anhänger anwesend waren). Man könnte dies auch dahingehend interpretieren, dass die Ultra-Allmacht nicht ganz so groß ist, wie man manchmal annimmt..
Randbemerkung 3: Wie es in dieser verrückten Liga so üblich ist, reicht ein Sieg meistens schon, um die Tabellensituation zu verändern. Und so steht RB Leipzig plötzlich auf Platz 2 und hat sogar zwei Punkte Vorsprung auf den neuen Dritten Darmstadt, die in Überzahl beim Tabellenletzten Burghausen verloren. Sodass es nächste Woche zum Topduell Dritter gegen Zweiter, Darmstadt gegen Leipzig kommt. Wenn man die bisherige Saison in der Auf-und-Ab-Liga nimmt, ist Darmstadt wohl dran mit einem Sieg. Aber irgendwann muss man ja auch mal solche Serien durchbrechen..
Randbemerkung 4: Marvin Ducksch, BVB-Stürmer, der bereits in der ersten Mannschaft zum Einsatz kam, reiste ja ein wenig als Drittliga-Superstar an. Und ja, man konnte sehen, dass er ein guter ist. Auch wenn er im Abschluss glücklos blieb, zeigte er in einigen Situationen seine individuelle Klasse. Aber auch Ansätze von Attitüden eines Spielers, der ein bisschen zu viel zu glauben scheint, dass er eigentlich doch schon zu den Profis gehört. Ein, zwei Eigensinnigkeiten und an manchen Stellen die Körpersprache vermittelten jedenfalls den Eindruck. Das war an dem Tag sicherlich gut, weil so vielleicht die letzten zwei, drei Prozent fehlten, die RB Leipzig hätten gefährlich werden können. Aber insgesamt wäre es, wenn die Beobachtung stimmt, eine eher ungünstige Attitüde.
Lichtblicke: Nehmen wir mal exemplarisch ein paar Spieler heraus aus dem funktionierenden Gesamtpaket:
- Yussuf Poulsen: Ja klar, nach dem Aussetzer vor einer Woche mit dem verschlafenen Abschlusstraining und dem deswegen verpassten Chemnitz-Spiel könnte man das Spiel leicht dahingehend interpretieren, dass Poulsen zeigen wollte, dass er aus dem Fehler gelernt hat und es allen zeigen wollte. Andererseits hat sich in diesem Spiel nur wieder mal bestätigt, dass RB Leipzig mit einem Poulsen in Spiellaune einfach noch mal einen unheimlichen Qualitätsschub erfährt. Ein Wissen, dass man auch früher schon gewinnen konnte. Schnell, körperbetont und mit Zug zum Tor. Klasse, wie er vor dem 1:0 die Chance wittert und anschließend auch noch abgezockt verwertet. Und auch in vielen anderen Situation ein steter Gefahrenherd, der vorn immer unterwegs war und defensiv gut arbeitete. In der zweiten Hälfte war es nicht mehr ganz so gut und gelegentlich verhaspelte er sich. Aber auch da war er vom BVB kaum zu stellen. Zwei Großchancen, zudem einmal für Frahn aufgelegt zeugen davon. Sehr gute Partie. Gern mehr davon.
- Denis Thomalla: Ganz anderer Typ als Yussuf Poulsen, aber gegen den BVB nicht minder wichtig. Weil er im Spiel gegen den Ball unheimlich präsent war, sich immer wieder in Zweikämpfe warf und gegnerische Angriffe unterband oder gar den Ball erkämpfte. In dieser Art war er lange ein gutes Bindeglied zwischen Mittelfelddreierkette und Offensive, auch weil er immer wieder als Anspielstation für die Mittelfeldspieler fungierte. Richtung Tor mit etwas zu wenig Aktionen. Eine Vorlage für Frahn in der ersten Halbzeit, ansonsten war da nicht ganz so viel.
- Joshua Kimmich: Schien nach dem grandiosen Auftritt in Heidenheim ein wenig in ein Loch gefallen zu sein bzw. mit schwacher Mannschaftsleistung mit unterzugehen. Gegen den BVB zeigte er viel von dem, was ihn ihn Heidenheim stark gemacht hatte. Technisch sicher, mit unheimlicher Ruhe und Übersicht am Ball. Mit Zug und Geschwindigkeit wenn möglich, ansonsten auch mal ruhig und besonnen. Dazu engagiert und sicher im Spiel gegen den Ball und sogar mit direkter Torgefahr. Man wünscht ihm ein bisschen, dass auch mal einer der Bälle reingeht. Verdient hätte er es sich allemal. Ein 18jähriger wird immer mit Leistungsschwankungen zu kämpfen haben, aber wünschen darf man sich auch, dass Kimmich noch ganz oft so wie gegen den BVB oder in Heidenheim auftritt. Und solche Geschichten wie der unmotivierte Hackentrick bei knappem 1:0 kurz vor dem Ende, der direkt in einen BVB-Konter übergeht, lernt er auch noch sein zu lassen.
- Tobias Willers und Fabian Franke: Mal in einem Abwasch genommen und zusammen kann man auch über die Schwächen im Spielaufbau und insbesondere bei langen Bällen hinwegschauen. Denn defensiv waren die beiden ein unheimliches Bollwerk. Gerade in der zweiten Halbzeit als der BVB viel über die beiden langen Kanten Ducksch und Bajner kam, leisteten die beiden Schwerstarbeit und waren dabei im Zweikampf absolut sicher und immer einen Schritt schneller als der Gegner. Es ist kaum anzunehmen, dass das Duo Willers/ Franke auch in einer Woche in Darmstadt antreten wird, aber gegen den BVB war es ein absolut verlässliches Duo.
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Tore: 1:0 Poulsen (12.)
Aufstellung: Coltorti – Heidinger, Willers, Franke, Judt – Kimmich (86. Sebastian), Ernst, Kaiser – Frahn (90. Schulz), Thomalla (79. Fandrich), Poulsen
Zuschauer: 11.477 (davon ca. 1.000 Gästefans)
Links: RBL-Bericht, RB-Fans-Liveticker, MDR-Bericht [broken Link], BVB-Bericht [broken Link], Kicker-Bericht, Pressekonferenz-Liveticker
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Bild: © GEPA pictures/ Roger Petzsche
“etwa 1.000 Anhänger des Ballsportverein Borussia”
Bei all dem Rasenballsport, Ballspiel, Rasenschach usw. kann man ja mal durcheinander kommen. :-)
Ansonsten ist es interessant, ein Spiel mal aus einer anderen Perspektive zu sehen. Trotz hohem Niveau hat das Spiel im Gästeblock wenig Spaß gemacht. Im Großen und Ganzen war RB einfach zu souverän.
Spiel, Sport, Spaß. Ist doch eh alles dasselbe. ;-)
Hab die letzten Wochen etwas verpasst, was,ist denn mit Jung los, dass er nicht in der Startelf steht? Inwiefern war er denn indisponiert?
VG aus Südostasien
Jung wirkte in den letzten Wochen nicht mehr so frisch und war in Chemnitz an den ersten beiden Gegentoren mehr oder minder direkt beteiligt und musste deswegen bereits nach 20 Minuten runter (er war in Chemnitz aber sicher nicht als einziger indisponiert). Die Pause, die er gerade kriegt, wird ihm eventuell gut tun, um seine Frische wiederzufinden.