Von Buzzern und anderen Grausamkeiten

„Naja.“ So lautete der lapidar-spöttische Kommentar des Sportchefs der LVZ Winfried Wächter in seinem LVZ-Bericht vom 17.10. zum Mitteldeutschen Mediendialog (eine Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung, die am 16.10. in Leipzig unter anderem mit Michael Kölmel und Dirk Panter [MDR-Rundfunrat] stattfand) in Bezug auf die auf besagter Veranstaltung vom Berliner Journalisten Jens Weinreich geäußerte Prognose, dass der Sportjournalist der Tageszeitung  wie die “Droschkenkutscher, als sie nicht mehr gebraucht wurden” aussterben werde.

Am gleichen Tag hatte der Sportteil der LVZ seine komplette erste Seite dem Selbstmarketing geopfert und den Start des „Sportbuzzers“, dem neuen Portal der LVZ, in das alle Online-Fußball-Inhalte der Zeitung einfließen werden, promotet. In eben jenem Portal wird von der Bundesliga bis runter in die Kreisklasse alles abgebildet werden, was der (vor allem regionale) Fußball zu bieten hat.

Als Angebot zur Stärkung der kleinen Vereine wird das Portal von der Zeitung (also dem Anbieter selbst) und auch Vereinen und Fußballern gefeiert. Nimmt man die pure Essenz, dass mit dem „Sportbuzzer“ tatsächlich eine verschlagwortete Seite geschaffen wird, die die wohl kompletteste Sammlung zum hiesigen Fußball bis in die unterste Liga und bis in den untersten Nachwuchsbereich werden könnte, dann hat die Feierei natürlich auch ihre inhaltliche Berechtigung.

Leider hört es dann aber mit Feiern auch schon wieder auf, denn wenn man genauer hinguckt, dann ist die Plattform ein Modell auf der Zeitungskrisenhöhe der Zeit und letztlich vermutlich sogar ein Baustein in der (Selbst-)Auflösung des Journalismus als kritisch-empathisch-analytisch berichtender Instanz. Eine Plattform, die auf userbasierte Content-Produktion zum Nulltarif und Vermarktung dieses Contents über Klicks und Printverwertung zum Geschäftsmodell erhebt.

Denn die Idee ist, dass neben dem Einstellen der redaktionellen Beiträge vor allem Vereine und Einzelpersonen die Inhalte zu den unteren Ligen und auch darüber hinaus beisteuern und so das Portal erst zu einer großen Datensammlung machen sollen. Liveticker, Spielberichte, Mannschaftsfotos und Co, das alles soll durch die vielgepriesene Schwarmintelligenz entstehen.

Mal ganz davon abgesehen, dass hier eine Zeitung ihre redaktionelle Verantwortung an vielen Stellen abgibt und darüber hinaus die eigene redaktionelle Arbeit in einem Gemischtwarenladen von (letztlich) Eigenwerbung von Vereinen untergehen lässt (alle LVZ-Online-Fußball-Artikel landen bei “Sportbuzzer”), ist die eigentliche Dreistigkeit an diesem Modell, dass die Ersteller von Inhalten ihre Rechte an dieser Arbeit komplett an die LVZ bzw. den Besitzer der LVZ, die Madsack-Gruppe abgeben.

Auch das ist per se nichts ungewöhnliches in der Online-Welt (bei Facebook gibt man die Rechte am eigenen Wort prakisch auch ab). Ziemlich ungewöhnlich ist aber schon, dass man als Produzent von Inhalten dem „vollständigen oder teilweisen Abdruck seiner Texte und Fotos“ in praktisch allen Medien des Anbieters und LVZ-Besitzers, der Madsack-Verlagsgruppe, die 18 Lokalblätter a la LVZ besitzt und mit diesen bereits 13 “Sportbuzzer”-Portale betreibt (u.a. in Dresden, Potsdam, Rostock, Lübeck, Wolfsburg und Kiel), zustimmt. „Natürlich unter Nennung des Urhebers“, wie es in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen weiter heißt. Das nennt man dann wohl kulant.

Im Kern heißt das nichts anderes als dass der „Sportbuzzer“ als kostenlose Content-Beschaffungsmaschine funktioniert. ‘Ihr gebt uns die Inhalte und wir machen damit, was wir wollen und hoffentlich lässt sich damit Geld machen.’ So die Message hinter dem öffentlichen Eintreten für den „kleinen Fußball“. Um nicht falsch verstanden zu werden, an der Idee Geld verdienen zu wollen, ist gerade als Unternehmen überhaupt nichts falsches, aber mit gespielter Gutmenschenrethorik (‘im Dienste der Sache des kleinen Fußballs’) Content in Form von Artikeln, Livetickern und Fotos abgreifen zu wollen, ist ziemlich dreist. Funktioniert aber vermutlich sogar..

Aus Sicht der Verlagsgesellschaft Madsack, denen lokale Blätter wie die LVZ, die Wolfsburger Allgemeine Zeitung oder die Märkische Allgemeine gehören, ist der „Sportbuzzer“ nur konsequent. Denn der Weg des Verlags heißt Kostenreduktion durch Redakteursabbau. So sieht das Konzept „Madsack 2018“ vor, dass eine Zentralredaktion den Mantelteil (also den überregionalen Teil) für alle 18 regionalen Zeitungen liefern soll. Sprich, weniger Journalisten sollen die gleiche Anzahl von Seiten füllen, indem ihre Artikel einfach in mehreren Zeitungen abgedruckt werden.

Während also in der überregionalen Zeitungsproduktion auf recht pragmatische Art und Weise gespart werden kann, ist dies für die lokalen Teile der Blätter nicht so einfach, denn dort braucht man weiterhin an jedem Standort Leute, die die Inhalte erstellte. Wo dann wieder der „Sportbuzzer“ ins Spiel kommt, denn was der BILD der Leserreporter, ist dem „Sportbuzzer“ (in wesentlich konsequenterer Form) der Berichterstatter aus dem lokalen Fußball, dessen Berichte im Fall der Fälle via AGBs ohne lästige Redakteurskosten ausgepresst werden können. Herrliche neue Medienwelt, in der einem der kostenlose Online-Content wie eine gebratene Taube direkt in den Mund fliegt..

Neben ein paar Redakteuren, die es natürlich auch weiterhin geben wird (einer muss sich ja schließlich um den künftigen Leipziger Bundesligisten kümmern^^), scheint das künftige Berufsbild eines redaktionellen Madsack-Mitarbeiters im Bereich Fußball das eines Community-Managers sein. Einer, der den Beteiligten auf die Finger schaut, dass sie sich nicht beleidigen. Und einer, der in permanentem Selbstmarketing die Community zur Produktion neuer klickbarer und weiterverwertbarer Inhalte animiert.

Das Konzept „Sportbuzzer“ ließe sich natürlich beliebig auf die meisten anderen, gesellschaftlichen Themenbereiche anwenden. „Kinobuzzer“, „Konzertbuzzer“, „Kidsbuzzer“. Der Phantasie beim Aufbau der neuen Madsack-Medienwelt sind keine Grenzen gesetzt. Kostenloser Content, wo man nur hinschaut. Authentisch, ehrlich, emotional und nicht so entsetzlich verkopft, wie man es früher in langweiligen journalistischen Seminaren gelernt haben könnte.

Das alles ist natürlich letztlich nicht nur clever, sondern auch völlig legitim, denn der „Sportbuzzer“ ist eine Idee, die die moderne Welt, in der nur die Relation zwischen Klick und Aufwand zählt, perfekt berücksichtigt und der Madsack-Verlagsgruppe vielleicht eine mittel- bis langfristige Existenz sichert.

Für den Journalismus als berichtendem, ordnendem, analytischem und eingreifendem Berufsbild ist die Nachricht, dass man zukünftig ein Anhängsel der „…Buzzer“ dieser Welt sein soll, eine schlechte Nachricht und der pseudodemokratisch und poppig daherkommende Claim „Jetzt sind alle Sachsen Fußballreporter“ eher Drohung als Verlockung. Die Nische, in der Redakteure agieren, ist zumindest in der Madsack-Welt wieder kleiner geworden.

‘Naja’, möchte man mit Winfried Wächter fast ausrufen. Wenn Madsack mit kostenlosen Artikeln und Fotos Geld verdienen will, ist das doch nur clever und wenn es funktioniert genial. Wenn Sportchefs von Tageszeitungen und mit ihnen erwachsene Journalisten eine Community-Geschäftsidee feiern, die letztlich einige journalistisch tätige Mitarbeiter in der eigenen Redaktion überflüssig machen dürfte, dann sollen auch sie das gern tun dürfen. Allerdings sollten sie dann nicht öffentlich so tun, als wäre die Selbstabschaffung des Journalismus eine absurde Utopie, wenn sie ihn in eine Nische schieben helfen. Und selbst die Vereine und Artikelschreiber dieser Fußballwelt haben jedes Recht, zum Nulltarif eine Geschäftsidee zu tragen, die bedeutend auf ihrer Kreativität beruht.

Also, warum sich aufregen über ein dreistes Geschäftsmodell, das alle zu wollen scheinen? Vielleicht weil als subjektive Krönung noch dazu kommt, dass die größte anzunehmende Grausamkeit des ganzen Projekts in dem namensgebenden Buzzer steckt bzw. in den sechs Buzzern, mit denen man seine – benennen wir es mal mit dem vom Betreiber gern genutzten Begriff – ‘Emotion’ zum gelesenen Text ausdrücken kann. Auf denen JUBEL!, KOPF HOCH!, DRAMA!, WUNDER!, OCH NÖÖÖ!, PEINLICH! draufsteht. Natürlich mit drei Ö, durchgängig in Großbuchstaben und mit Ausrufezeichen, schließlich geht es beim „Sportbuzzer“ ja um Emotionen und die müssen auch optisch bis zum Erbrechen durchgeprügelt werden.

„Sportbuzzer“ treibt so den meist schwer erträglichen Facebook-Button noch mal auf die Spitze und macht darüber auch deutlich, dass es nicht mehr um Auseinandersetzung um Inhalte, sondern tatsächlich um das „Supertalent“ in Portalform geht. ‘Her mit deinem Beitrag und ich gebe dir drei Sätze oder maximal zwei Absätze und dann buzzere ich dich in Grund und Boden.’

In der ganzen “Sportbuzzer”-Idee und dem kostenfreien Content-‘Klau’ stecken die unverhohlenen Dreistheiten, die in der modernen, warenproduzierenden Gesellschaft im Allgemeinen und der Generation Praktikum mit dem ewigen Lernen zum selbsterfüllten und schlecht bis gar nicht bezahlten Selbstzweck im Speziellen eben so drin stecken. Die vorsetzliche Buzzerisierung des Sportjournalismus ist aus Gründen von Ästhetik und gutem Geschmack aber wohl letztlich die größte mit der Erfindung der „Sportbuzzer“-Portale verbundene Grausamkeit, für die die Erfinder hoffentlich lange in einer Hölle schmoren, in der sie sich nur mit den sechs Buzzer-Begriffen austauschen dürfen. Auf jeden Fall hochemotional und mit Großbuchstaben..

12 Gedanken zu „Von Buzzern und anderen Grausamkeiten“

  1. Ich kann mich dem Autor nur anschließen. Sportbuzzers ist das Modell mit dem die Huffington Post gerade versucht in Deutschland Fuß zu fassen. Letzte Woche gab es hierzu einen interessanten Bericht im Medienmagazin “Zapp” (NDR). Alles in allem schon extrem bedenklich, wenn man die rechtliche Seite aber auch den Fakt, welches inhaltliche Niveau einfließen könnte, betrachtet.

    Hier der Link zum Zappbericht: [broken Link]

  2. Schön! Kann ich nur zustimmen, mal (wieder) den Nagel auf den Kopf getroffen. Doch ketzerisch gefragt, kritisierst du da nicht eine Entwicklung in den Medien, die du im Fußball für richtig hältst? Die Kommerzialisierung und zunehmende Marketingorientierung als Selbstzweck unter einem idealistischen Deckmäntelchen Das moralisch dünne Eis (Urheberrecht abtreten beim Buzzer oder 50+1 im Fußball) werden schöngeredet und formaljuristisch abgesegnet. Beide profitieren von der Sucht nach Anerkennung der Konsumenten. Im Buzzer funktioniert die kostenlose Selbstausbeutung über die Anerkennung, mal in der Zeitung zu landen oder gut bewerte zu werden. Im Fußball klappt die Konsumentenrekrutierung den erkauften Erfolg und Schönspielerei der jeweiligen Truppe.
    Gebe vorauseilend aber zu zu, dass eine solche Entwicklung im Journalismus gesellschaftlich schwerwiegender zu sein scheint, als in der Unterhaltungsindustrie, zu der ich den Fußball mal zähle.

    1. RB Leipzig mit dem Sportbuzzer zu vergleichen -> Birnen und Äpfel. Mehr ist dazu nicht zu sagen!

  3. Interessant vor allem im Zusammenhang mit dem neuen Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Da haben sich die Verlage mit viel Lobbyarbeit und organisiertem Anti–Google-Shitstorm dafür eingesetzt. Zitat spiegel.de „Die Verleger hätten gern etwas ab vom Umsatz, wenn schon ihre Artikel genutzt werden.“ Und nun? Jetzt machen die das selbst, bloß noch viel dreister. Für mich ist das Ganze recht bizarr oder sogar „buzz-ar“ ;-)
    @spuckelch Zur Erklärung: es geht darum, dass jemand das Geld bekommt dafür, was die Anderen leisten. Und diese bekommt wiederum nichts! Mit RB oder 50+1 … hat das nichts zu tun. Ich weiß, es ist schwer angesagt mit dem Anti-RB bla-bla. Dafür gibt es Bienchen im Ultra-heft. Passt aber gerade nicht so ;-)

  4. Ich gebe es zu, mir ist die Diskussion relativ egal. Die Entscheidung etwas zu nutzen oder auch nicht, obliegt jedem selbst. Die LVZ macht ein Angebot, man kann es annehmen oder auch nicht.
    So wie jeder für sich frei entscheiden kann, geh ich zu RB, Lok oder zu den anderen Traditionsvereinen!

  5. @RBFreund: Grundsätzlich sehe ich das ähnlich, das mit der freien Entscheidung. Was mich nicht daran hindert, das trotzdem ziemlich gruselig und es eine (weitere) Verschlechterung der redaktionell-journalistischen Situation in Leipzig zu finden. Aus den angesprochenen Gründen. Vielleicht bringt es ja den einen oder anderen freien Willen zum Nachdenken. ;-)

    @Spuckelch: Ganz unketzerisch geantwortet, kam mir beim Schreiben des Textes irgendwann auch der Gedanke, dass mir ein auf mein sonstiges Treiben bezogenes Argument entgegengebracht werden könnte. Ich kann mich aber nicht erinnern, was ich diesem Argument entgegnet habe. ;-) Im Ernst, tatsächlich ist der Profi-Fußball mit seinen anachronistischen Fanidentitäten, die im Normalfall immer die Zeche zahlen (zu einem nicht irrelevanten Teil sogar bei RB Leipzig) nur schwerlich mit dem Bereich des Journalismus zu vergleichen, der ja eben auch als demokratisches Organ ein Stück über allem stehen sollte. Ich verstehe den Punkt, dass es sich merkwürdig anfühlt, dass ausgerechnet hier im Blog, wo oft auf Ratio und Formalia abgehoben wird, plötzlich ein formal nicht angreifbares Projekt gedisst wird. Aber letztlich ist da der Vergleich des Profifußballs mit dem Journalismus wohl tatsächlich etwas weit hergeholt.

  6. Zu Äpfeln (Fußball) und Birnen (Journalismus): Jedes gesellschaftliches Teilsystem darf den Anspruch an sich stellen, nach demokratischen Spielregeln zu funktionieren bzw. sich in den Dienst der Gemeinheit zu stellen. Dass das weder im Fußball noch im Journalismus eine große Rolle spielt – geschenkt. Denn solche Spielregeln sind nicht systemrelevant.

    Dem Niedergang des Abendlandes (oder der Buzzerisierung jedweden Journalismus) ist aber relativ einfach entgegenzuwirken. Wir müssen bloß alle viel mehr von diesem Qualitätsjournalismus konsumieren und dafür auch bezahlen. Sonst bleibt halt bloß noch Facebook übrig.

  7. Anmerkung. Wer von uns konsumiert diverse Inhalte im Netz, ohne dafür zu bezahlen?
    Wer von uns zahlt freiwillig für etwas, was man auch gratis erhalten kann?
    Schnäppchen da, Prozente dort, Nachlässe hier, sind wir nicht alle etwas blöd?

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