Favoritenrolle mit einigen Unbekannten

Zum Abschluss der englischen Woche wartet auf RB Leipzig der nominell leichteste der drei Gegner und die Chance, die drei Punkte aus dem Spiel gegen Kiel zu vergolden. Mit dem Auswärtsspiel beim SV Elversberg besucht man zudem den zweiten der beiden Mitaufsteiger. Jener, der vor Saisonbeginn eigentlich auf so ziemlich jedem Zettel als Abstiegskandidat Nummer 1 zu finden war.

Mit dem Rücktritt von Trainer Jens Kiefer, den dieser vor zwei Wochen bekannt gab und nach dem anschließenden Auswärtsspiel beim Halleschen FC umsetzte, ging auch noch der Aufstiegstrainer von Bord, weil er der Meinung war, dass er während seiner Ausbildung zum Fußballlehrer beim DFB in der verbleibenden Zeit nicht genung Einfluss auf den Zustand des von ihm betreuten Team nehmen könnte.

Aus dem Hut zauberte man bei der SV Elversberg dann in dieser Woche Dietmar Hirsch. Der hatte in seiner aktiven Karriere von der 1.Liga (196 Spiele!) bis zur Regionalliga noch alles mitgenommen, was mitzunehmen war. In seiner frühen Karrierephase holte er mit Borussia Mönchengladbach den DFB-Pokal, allerdings ohne zum Finalkader zu gehören. Drei Jahre später dann spielte er mit dem MSV Duisburg wieder das Finale des DFB-Pokals und stand gegen Bayern München 90 Minuten lang auf dem Platz und erlebte die 1:2-Niederlage in fast letzter Sekunde hautnah mit.

So (relativ) schillernd seine Karriere als Spieler, so still war es bisher um den Trainer Dietmar Hirsch, der ausschließlich bei unterklassigen Vereinen tätig war. Allerdings war diese ligentechnische Emigration auch selbstgewählt, da Hirsch bis zum Frühjahr diesen Jahres erfolgreich damit beschäftig war, die Fußballlehrer-Lizenz, die Kiefer gerade angeht, zu erwerben.

Bei seinem Amtsantritt freute sich Hirsch dann auch wie Bolle, dass er sich nach Stationen beim SV Schackendorf und beim FC Sylt nun direkt in der dritten Liga beweisen darf. Und zwar erst einmal bis zum Saisonende. Wenn man aus dem wenigen, was sich online nachvollziehen lässt, etwas ablesen kann, dann entwirft sich das Bild eines detailverliebten Arbeiters, der sich mit Haut und Haar seiner Aufgabe verschreibt. Eine Art rustikale Version von Pep Guardiola. Passt dann ja auch irgendwie ganz gut zur dritten Liga.

Dem 2:2 der SV Elversberg gegen Preußen Münster am vergangenen Wochenende entnahm Hirsch auf jeden Fall schon mal einige Baustellen, an denen er arbeiten möchte. Dem gestrigen erfolgreichen Auftritt in Burghausen dürften einige weitere Erkenntnisse entnommen worden sein. Und genau darin liegt auch das Problem für RB Leipzig, die sicherlich vor der englischen Woche schon per Scouting einige Erkenntnisse über die SV Elversberg zusammengetragen hatten, diese aber aufgrund des neuen Trainers, der mit neuen Ideen auf die Mannschaft einwirkt, vermutlich zumindest zu Teilen wegschmeißen können. Und dazu wohl eher nicht wissen, welchen Teil des Scoutings man wegschmeißt..

Verlassen kann man sich wohl nur darauf, dass sich am Kader bis zum Spiel am Samstag kaum noch was ändern wird. Denn weder das schmale Budget, noch das geschlossene Transferfenster lassen größere Sprünge zu. Und so wird Dietmar Hirsch mit den 27 Spielern arbeiten müssen, die aktuell da sind.

Wobei es kurz vor Saisonbeginn kadertechnisch bei der SV Elversberg ziemlich dünn aussah. Mit Abedin Krasniqi und Maurice John Deville hatte man neben einigen anderen Spielern, die beiden offensivstärksten Akteure der vergangenen Saison ziehen lassen, ohne dafür lange Zeit adäquat Ersatz verpflichtet zu haben. Sodass Angelo Vaccaro, der im letzten Jahr fast ausschließlich von der Bank für (keine) Gefahr sorgte, in die Bresche springen musste. Mit Felix Dausend holte man einen vom Nachbarn Saarbrücken, der aktuell noch gar keine Rolle spielt.

Mit Felix Luz holte man sich zum Saisonstart, also nach Abschluss der Vorbereitung, einen, der in seiner Karriere bis hoch zur zweiten Liga schon viel gesehen hat und einst beim FC St. Pauli als großes Talent galt, diesen Ruf in der Folge aber nur selten einlösen konnte. Letztes Jahr schoss er fünf Tore für Burghausen, in diesem Jahr in sieben Einsätzen (davon vier von Beginn an) in Elversberg auch schon zwei. Angesichts von erst fünf  Toren, die die Sportvereinigung in sieben Spielen erzielte, ist die Baustelle des Teams eigentlich fast schon klar.

Die Transfers, die die Qualität des Kaders deutlich erhöhen, tätigte der Verein erst nach Saisonbeginn. Mit Onanga Itoua kam ein Innenverteidiger, der im vergangenen Jahr noch 28 Spiele in Israels erster Liga absolviert hatte. Anfang August unterschrieb auch Linksfuß Dominik Rohracker, der im vergangenen Jahr noch Stammspieler in Unterhaching war, in Elversberg. Und vor einer Woche folgte mit dem erfahrenen Mittelfeldmann Nico Zimmermann noch einer, der in den letzten Jahren in Saarbrücken, Braunschweig, Aalen und Rostock einige Dritt- und Zweitligaerfahrung sammeln konnte, aber in der zweiten Liga in Aalen keine Chance mehr hatte.

Wenn man es nüchtern sehen will, dann war der Kader der SV Elversberg, der sich in der vergangenen Saison nach einer prima Hinrunde in der Regionalliga mit Ach und Krach noch in die Relegationsspiele rettete und dort dann mit viel Glück den TSV 1860 München II bezwang, in Sachen Drittligafußball nicht wirklich konkurrenzfähig. Und so richtig viel an Qualität hat man in Elversberg nicht dazugeholt. Sodass man auch unter neuem Trainer, der dem Team die vielgepriesene Kompaktheit im Verbund mit robustem Einsatz beibringen will und betrachtet man das reine Resultat vom gestrigen Burghausen-Spiel (1:0) auch schon ein Stück beigebracht hat, nicht zu Unrecht einer der ersten Abstiegskandidaten bleibt.

Doch schon im letzten Jahr unterschätzte man die Mannschaft um den Routinier und ehemaligen Stuttgarter Erstligaspieler Timo Wenzel, was der nur 20 km von Saarbrücken entfernt beheimatete Verein dankend ausnutzte. Ob man dieses Kunststück mit nicht wesentlich gestärktem Kader, aber unheimlich ehrgeizigem Trainer wiederholen kann, muss man abwarten, genauso wie sich die Mannschaft unter neuer Führung spielerisch präsentiert.

Für RB Leipzig muss es in diesem Spiel fast noch mehr als in anderen Begegnungen darum gehen, das eigene Spiel durchzubringen und dem Rätselraten über mögliche Veränderungen bei der SV Elversberg die eigene Qualität entgegenzusetzen. Das ist am Ende einer englischen Woche nach der längsten Anreise der Saison und dem intensiven Spiel gegen Kiel sicherlich auch noch mal eine Willensfrage. Zumal in einem wahrscheinlich ziemlich leeren Ludwigsparkstadion im 20 km von Elversberg entfernten Saarbrücken, wo die Sportvereinigung wegen Untauglichkeit des eigenen Stadions spielen muss.

Nicht mit nach Saarbrücken wird Yussuf Poulsen reisen, was insgesamt nach steigender Leistungskurve bei dem Neuzugang ein Verlust ist. Aber auch eine Möglichkeit für die anderen Stürmer sich zu beweisen. Nach Lage der Dinge wird zudem Matthias Morys verletzt ausfallen, sodass es im Offensivbereich langsam ein wenig dünn wird. Ob RB Leipzig gegen Elversberg immer noch mit Dreiersturm auflaufen wird, ist jedenfalls fraglich.

Weitere Entscheidungen betreffen die Position des Rechtsverteidigers, wo sich weiterhin die Frage stellt, wann und ob Christian Müller zurückkehrt und so Tim Sebastian verdrängt. Und im Mittelfeld stellt sich die Frage, ob Timo Röttger seinen Trainer so von sich überzeugt hat, dass er ein zweites Mal von Beginn an im Team stehen darf. Alternativ könnte Tim Sebastian wieder in die Mittelfeldzentrale rutschen oder Clemens Fandrich eine Chance kriegen.

Die möglichen Formationen sind aufgrund vieler Unwägbarkeiten auf beiden Seiten nur schwerlich zu prognostizieren. Weswegen folgendes eher als Annäherung zu verstehen ist:

  • SV Elversberg: Kronholm – Wolf, Billick, Itoua, Groß – Bastürk, Wenzel – Rohracker, Zimmermann, Salem – Luz
  •  RB Leipzig: Coltorti- Müller (Sebastian), Hoheneder, Willers, Jung – Röttger (Sebastian), Kaiser, Schulz – Kammlott, Frahn, Thomalla

Fazit: RB Leipzig fährt aufgrund der Tabellensituation, der eigenen Ansprüche und der Kadermöglichkeiten sicherlich als Favorit ins Saarland, auch wenn in dieser dritten Liga jeder jeden an guten Tagen schlagen kann. Diese Favoritenrolle auch auf den Rasen zu kriegen und mit der Überzeugung und der Wachheit aufzulaufen, dass man den Gegner beherrschen will, dürfte die Hauptherausforderung in dem Spiel sein. Fehlt die Überzeugung, holt man den sicherlich auch dank des neuen Trainers hochmotivierten Gastgeber in die Partie. Fehlt die Überzeugung nicht, dann hat man gute Chancen auf drei Punkte.

[Anmerkung: Heute (05.09.) wird es eine Pressekonferenz zum Spiel RB Leipzig gegen den SV Elversberg geben. Aufgrund gewisser räumlicher Distanz zu Leipzig meinerseits wird es an dieser Stelle aber leider keinen Ticker von dieser PK geben. Ich verweise auf die offiziellen Vereinskanäle, die in der einen oder anderen Form im Tagesverlauf sicherlich Informationen aus der PK verbreiten.]

[Wer das Spiel von RB Leipzig bei der SV Elversberg nicht vor Ort verfolgen kann und am 07.09., ab 14.00 Uhr trotzdem dabei sein will, nutze die üblichen Kanäle, also Liveticker und das Fanradio.]

———————————————————————————–

Bisherige Duelle SV Elversberg vs. RB Leipzig

  • noch keine

Ein Gedanke zu „Favoritenrolle mit einigen Unbekannten“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert