4. Spieltag, ‘dank’ Heimrechtstausch gegen Lok das dritte Auswärtsspiel und der dritte Auswärtssieg in Folge für RB Leipzig. Ein völlig verdienter. War das 2:2 zur Pause angesichts des Kräfteverhältnisse auf dem Rasen noch eine Farce, bogen die RasenBallsportler das Spiel nach der Pause zum letztlich mehr als gerechten Sieg um. Dass es schließlich ein (gerechtfertigter, weil der Arm da oben nun mal nichts zu suchen hat) Handelfer eine Viertelstunde vor Schluss sein sollte, der die Weichen gen Sieg stellte, mag als Randnotiz durchgehen, war aber bezeichnend für ein Spiel, in dem man nie und nimmer so lange um die drei Punkte hätte zittern dürfen.
Überraschung – zumindest für mich – zu Beginn, dass Niklas Hoheneder seine Nase von Anfang an in den böigen Rathenower Wind stecken durfte. Ich hatte da auf Tim Sebastian gesetzt, muss aber zugeben, dass Niklas Hoheneder seine Aufstellung zu 100% und völlig fehlerfrei gerechtfertigt hat.
Von der 1. Minute an gab es in diesem Spiel nur ein dominantes Team und das hieß RB Leipzig. Doch schon nach 5 Minuten kam die kalte ‘Och, nicht schon wieder’-Dusche. Eine Fehlercoproduktion von Dominik Kaiser (Querschläger), Timo Röttger (zu kurze Kopfballrückgabe) und Fabio Coltorti (übermotiviertes Herauslaufen und in der Folge Gegnerumstoßen) führte zu einem völlig berechtigten Foulelfer, bei dem Coltorti Glück hatte, dass er nicht, wie von einigen Rathenower Spielern gefordert, Rot sieht. Aber er hatte zu Recht Glück, denn neben ihm standen noch Hoheneder und Franke, sodass Coltorti nicht letzter Mann war (trotzdem Glück, weil nicht jeder Schiedsrichter die Situation so genau sieht.)
Die Folge war trotzdem das 1:0 für die Gastgeber, also genau das, was man eigentlich in einem engen Stadion beim Underdog mit dem Damoklesschwert peinliche Niederlage im Nacken nicht braucht. Und in der Folge dazu führte, dass die Optiker mit viel Vehemenz die Zweikämpfe suchten und ihre Hälfte verteidigten. Wobei sie aber nicht verhindern konnten, dass die RasenBallsportler die volle Dominanz über das Spiel hatten und aus dem Ballbesitz heraus immer wieder in torgefährliche Situationen kamen. Weswegen das 1:1 auch völlig verdient war. Und gleichzeitig ein in der Entstehung dem 1:0 gegen Lok ähnelte. Denn die Vorbereitung kam indirekt von Fabio Coltorti, der mit einem langen Abschlag den Konter einleitete. Stefan Kutschke legte geradezu grandios für Daniel Frahn auf, der dann souverän vollendete.
Danach spielte in Rathenow eigentlich weiterhin nur ein Team und das hieß RB Leipzig. Deshalb kam der erneute Rathenower Führungstreffer wiederum völlig aus der Kalten. Und er war wieder das Resultat individueller Unachtsamkeiten bzw. eines Abstimmungsproblems. Mal abgesehen davon, dass man den Rathenower Gegenangriff nicht unterbinden konnte, war es Fabian Franke, der in der Mitte einer Flanke auf den hinter ihm postierten Stürmer nicht nachging (aus meiner Sicht wäre er relativ locker in der Lage gewesen, den Ball per Kopf zu klären), weil er sich auf den Keeper verließ, während Fabio Coltorti auf der Linie verharrte statt dem Ball entgegenzugehen, weil er sich offenbar auf Franke verließ (Weswegen es auch Quatsch ist, Hoheneder falsches Stellungsspiel zu unterstellen wie es der MDR getan hat, nur weil er nach dem Tor dem Torschützen am nächsten steht.). Und plötzlich lag RB Leipzig in einem Spiel, in dem man schon hätte führen können oder müssen, wieder völlig unnötig hinten.
Für einen Moment hatte man das Gefühl, dass Rathenow dadurch noch mal mit aller Macht ins Spiel zurück geholt wurde, aber das täuschte, denn das Bild blieb nach kurzem Schütteln das Gleiche. RB Leipzig mit Dominanz und mit vielen guten Versuchen gen Tor. Letztlich war es dann eine Einzelaktion wieder von Frahn, die glücklicherweise noch vor der Pause die Partie wieder egalisierte. Trotzdem durfte man zur Halbzeit einigermaßen fassungslos darüber sein, dass RB aus fünf, sechs sehr guten (und teilweise sehr gut herausgespielten) Einschussmöglichkeiten nur zwei Tore machte, während der Gastgeber aus zwei RB-Fehlern zwei Tore herausholte. RB Leipzig Defensive vs. RB Leipzig Offensive 2:2 hieß es praktisch zu Halbzeit.
Die zweite Hälfte war dann insgesamt seitens der RasenBallsportler nicht mehr ganz so überzeugend. In einigen Szenen schien man ihnen den zitternden Fuß anzumerken. Kam man noch mit dem Offensivschwung der ersten Hälfte aus der Kabine, wurde es ab etwa der 60. Minute stellenweise sehr ungenau und fahrig. Angesichts des mindestens 60 Minuten lang überlegenen Offensivspiels absurderweise musste es dann ein Handelfer richten. Und wieder war es Daniel Frahn, der mit seinem dritten Treffer gen Sieg einnetzte.
Alles was danach kam, war dann nur noch Zugabe gegen Gastgeber, die (auch körperlich) nichts mehr zuzusetzen hatten. Bastian Schulz brach seinen persönlichen, im vergangenen Jahr gepflegten Torfluch mit seinem ersten (wunderschönen) Treffer im RB-Trikot. Und in den letzten 10 Minuten lief noch der eine oder andere Konter gen Optik-Tor, der auch ein fünftes (auch nicht unverdientes) Tor hätte mit sich bringen können.
Nimmt man die Kräfteverhältnisse auf dem Rasen als Maßstab, dann war Optik Rathenow 90 Minuten lang chancenlos. Dass sie trotzdem bis kurz vor Schluss an der Überraschung schnupperten, war absurd und völlig unnötig, denn einen solchen Gegner, der ohne RB-Unterstützung nichts wirklich gefährliches anrührte, darf man eigentlich nicht noch stark machen. Ein stärkeres Team als Optik Rathenow jedenfalls hätte vielleicht wenig artig Danke gesagt und das Angebot zum Punkteklau angenommen. Noch weniger als Punktverluste braucht man jedenfalls selbstverschuldete Punktverluste nach überlegenem Spiel.
Dass ich trotzdem sehr zufrieden das Stadion Vogelgesang verließ, lag daran, dass mich die Mannschaft in Sachen offensiver Spielidee und Flexibilität sehr überzeugte. Selbst nach zweimaligem Rückstand und selbst angesichts eines massiv verteidigenden Gegners gelang es immer wieder spielerisch(!) für direkte Torgefahr zu sorgen. Das meiste, was auf das Optik-Tor kam war nicht zufällig und nicht Hoch und Weit, sondern flach, breit und tief.
Während im letzten Jahr gerade bei Rückstand verstärkt darauf zurückgegriffen wurde, dass sich Röttger und Rockenbach auf ihren jeweiligen Seiten gegen Minimum zwei Gegenspieler durchsetzen sollten, wurde gegen Rathenow zu jeder Zeit weiter versucht, systementsprechenden Fußball zu spielen. Dass der Spielaufbau variabel über Außenverteidiger oder zentrale Mittelfeldspieler betrieben wird, macht das Spiel der RasenBallsportler unausrechenbarer. Und der Spielaufbau über die Mitte schafft Möglichkeiten, in Strafraumnähe Pässe in die Tiefe oder auf die (durch die Konzentration auf die Mitte) nicht ganz so gut verteidigten Außen zu spielen und so den Defensivverbund des Gegners in Unordnung zu stürzen. Das sah an vielen Stellen sehr gut aus und deswegen hat mich nie das Gefühl verlassen, dass RB in der Lage ist, mehr Tore als die Gastgeber zu schießen.
Nach dem Spiel durfte man dann vernehmen, dass Optik Rathenow gut mitgehalten habe. Das mag bezüglich des Ergebnisses und des Einsatzes stimmen, aber insgesamt hat man fußballerisch zwischen Gastgeber und Gast deutliche Unterschiede gesehen, die durchaus eben der im letzten Jahr noch vorhandenen Differenz Oberliga vs. Regionalliga entsprach.
Klar war bei RB Leipzig noch nicht alles Gold war glänzt. Die individuellen Aussetzer in der Defensive, zwei, drei schwere Fehlpässe in der neuralgischen Zone nahe der Mittellinie (im Übrigen würde ich in diesem Zusammenhang behaupten, dass Rockenbach keine gute Option ist, um im Ballbesitz mit Dominik Kaiser die Plätze zu tauschen und als Sechser den Spielaufbau zu übernehmen) und auch ansonsten einige unnötige Ballverluste.
Wobei bei letzterem eigentlich nicht die Frage ist, ob man in der Offensive bei hohem Risiko und schnellem Spiel nicht auch einige Bälle verliert, sondern wo man sie verliert (und an der Mittellinie ist kein guter Ort), wie man darauf reagiert und ob man gleich ins Gegenpressing gehen und den Ball wiedergewinnen oder zumindest das Umkehrspiel stoppen kann oder wenn nicht, ob man schnell genug defensive Kompaktheit herstellt. Das war nicht in allen Situationen optimal, sodass der Gastgeber von Zeit zu Zeit die Gegenpressingwelle überspielen und so automatisch (durch viel Platz im Mittelfeld und auf den Flügeln) zumindest potenziell gefährlich werden konnte. Entscheidend nutzen konnten es die Optiker allerdings gen Strafraum nicht.
Dass aus dem geplanten Spielaufbau heraus von den Rathenowern nicht viel kam, lag dabei auch an der RB-Offensivreihe, die den Verteidigern wenig Luft zum Atmen ließ, sodass die Bälle oft lang gen RB-Verteidigung flogen und von dieser relativ problemlos geklärt werden konnten. Auch dies trug dazu bei, dass phasenweise Angriff auf Angriff gen Optik-Tor zu rollen schien.
Insgesamt und bei allen Schwächen, die Alexander Zorniger im Spiel gegen den Ball gesehen haben will (und die er für den weiteren Saisonverlauf auch völlig zu Recht anspricht) war das Spiel der RasenBallsportler ein gutes, weil man in der (offensiven) Spielanlage und ihrer Umsetzung eine Flexibilität und spielerische Qualität hat aufblitzen sehen, die man in dieser Form bei RB Leipzig in den letzten zwei Jahren (auch aufgrund unterschiedlicher taktischer Konzeptionen) in der Regionalliga selten bis nie gesehen hat. Das finde ich für den Moment sehr viel mehr wert als die Fehler, egal ob individuelle oder mannschaftliche. Denn auf dem gelegten Fundament kann man gut aufbauen. Und gleich zwei Klopse in einem Spiel schenken sich die RasenBallsportler wohl auch nicht jeden Tag ein.
Fazit: Es war ein völlig verdienter Sieg in einem offensiv sehr guten Spiel der RasenBallsportler, die über die vier Tore hinaus noch einiges an Treffern hätten erzielen können, während die zwei Gegentreffer überflüssige Geschenke an die Gastgeber waren, die die klare Überlegenheit von RB Leipzig unnötigerweise lange Zeit nicht im Spielergebnis auftauchen ließen. Man nehme das Engagement und die offensive Flexibilität mit in die Zukunft, lasse die individuellen Schnitzer und Ballverluste im Mittelfeld in der Vergangenheit zurück und arbeite weiter an der Feinabstimmung und an der Bewegung gegen den Ball und man wird viel, viel Freude an der weiteren Saison haben.
Randbemerkung: Was zum Schiedsrichter? Insgesamt fand ich es eine Spielleitung, die nicht spielentscheidend, aber definitiv auch nicht gut war. Fast schon Slapstick, dass es zwischendurch schien als würde er jeden Luftkampf mit Beteiligung von Stefan Kutschke zu dessen Ungunsten abpfeifft. Selbst als der Rathenower Keeper ihm außerhalb des Fünfers in den Rücken springt und den Ball nicht kriegt. Irgendwann war auch Kutschke selbst ratlos, genauso wie Daniel Frahn, der vor den Augen des Linienrichters umgestoßen wird und anschließend Handspiel gegen sich gepfiffen bekommt. Schräges Gespann, über das man sich eigentlich nur wegen des Ergebnisses nicht weiter ärgern muss.
Lichtblicke:
- Daniel Frahn: Na klar, wer drei Tore in einem Spiel schießt, muss viel richtig gemacht haben. Beim 1:1 mit kühlem Kopf den Torwart umkurvt. Beim 2:2 mit sehr guter Einzelleistung und beim wichtigen 3:2 in einer Situation, in der nicht jeder gern antreten würde, mit ihr wisst schon was in der Hose. Torjäger eben. Ein sehr effektiver dazu. Mehr muss man doch nicht dazu sagen, oder?
- Stefan Kutschke: Kampfschwein, Torvorbereiter, Ballsicherer. In der ersten Hälfte hatte man nach einer Meinungsverschiedenheit mit seinem Gegenspieler kurz Angst um seine Nerven, aber er hatte alles im Zaum und war wesentlicher Garant für den Sieg.
- Juri Judt: Sehr agil auf der linken Seite. Kaum Defensivschwächen, immer um Offensivakzente bemüht. Wird als Teil der Mannschaft immer wichtiger.
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Tore: 1:0 Scholz (6./FE), 1:1 Frahn (16.), 2:1 Turhan (36.), 2:2 Frahn (45.), 2:3 Frahn (74./HE), 2:4 Schulz (80.)
Aufstellung: Coltorti – Müller, Hoheneder, Franke, Judt – Kaiser – Röttger (46. Schulz), Rockenbach (82. Ernst), Heidinger (76. Schinke) – Kutschke, Frahn
Zuschauer: 1.351 (davon etwa 350 Leipziger)
Links: RBL-Bericht [broken Link], RBL-Liveticker [broken Link], RB-Fans-Bericht, MDR-Bericht [broken Link], Optik-Bericht
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Bild: © GEPA pictures/ Sven Sonntag
Wie immer sehr schöner Bericht über ein unterhaltsames Spiel, dass die Reise in jedem Fall wert war.
Immer wieder schön zu lesen, deine Impressionen.
Mich freut es ungemein, dass wir mit Judt endlich jemanden auf der linken Abwehrseite gefunden haben, der die Mannschaft weiterbringt.
Top Einschätzung, das Einzige, welches ich ein Bisschen anders gesehen habe, waren die ersten fünfzehn Spielminuten von Juri, da hat er mindestens drei Zweikämpfe direkt vor meinen Augen als zweiter Sieger beendet. aber dann hatte er die Sache im Griff.
Versuch eines Zusatzes:
S. Heidinger läuft sehr viel, arbeitet gut nach hinten und hat nach vorn sehr viele Ballverluste bzw. handelt oft überstürzt. Paul Schinke ist im Vorwärtsgang ob seiner technischen Qualitäten ( schnelle, präzise Pässe ) m.E’s stärker ( s. auch Initiierung der Situation, die zum 4. RB Tor führte.
Der Nutzen aus Standards, vom Elfer abgesehen, ist weiterhin Null. Auch hier könnte der linke Fuss von Paul Schinke für mehr Abwechslung bei den Ausführenden und größere Torgefahr sorgen ( Freistosstore im Heimspiel gegen HSV II in der Oral Saison !! )
P. Schinke verdient mehr Beachtung und Einsatzzeit.
… hallo Paul – das musst du alles dem Trainer sagen… :-)
Auch wenn es das allseits bekannte Boulevardblatt mir vorweg nimmt, so denke ich doch, daß hoffentlich RBL sich um die Verlängerung von Frahn bemüht. Ich hoffe, es liegt “nur” noch an dem Abschneiden der Mannschaft in der Winterpause. Ich sehe im Gegensatz zu Carsten Kammlott und Stefan Kutschke keine Alternative zu Frahn. Er ist immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort und für den Ausgang des Spieles ein wichtiger Faktor.
@ITWolle: Juri Judt war das Zugeständnis an meinen Mitreisenden. ;-)
@schaxel: Könnte mir gut vorstellen, dass am Sonntag gegen Halberstadt Schinke links und Heidinger rechts neben Rockenbach agieren. Ich befürchte aber, dass Schinke kaum über einen längeren Zeitraum seine Chance kriegen wird..
@Smood: Wird schon werden..