Gestern war ja wieder mal Fußballfreundschaftsnationalmannschaftsabend. Und auch wenn ich in einer Analyse des Spiels eher der Einschätzung bei spielverlagerung.de folgen und mit ihnen behaupten würde, dass “Brasilien taktisch nicht auf der Höhe” und das ganze deshalb ein “Pflichtergebnis für das deutsche Team” war, darf man auch feststellen, dass es schlimmere Abendbeschäftigungen gibt, als Mario Götze beim Fußball spielen zuzugucken.
Doch das eigentlich nur nebenbei. Gestern bin ich nämlich auch noch über ein Interview mit Philipp Lahm in der letztwöchigen Sport BILD (04.08.2011) gestolpert. Gefragt wurde er dort unter anderem auch, welche der beiden Versionen zum Ballack-Abgang denn der Wahrheit entspreche, die vom Bundestrainer oder die vom Ex-Kapitän. Geantwortet hat er auch:
Zu diesem Thema können sich nur die Beteiligten äußern. Dass ich aber dem Bundestrainer glaube und vertraue, ist selbstverständlich. Ich kann nur sagen, dass mir Herr Löw im Mai das Gleiche gesagt hat, wie er es nun in der Öffentlichkeit getan hat.
Ah ja. Heißt übersetzt, dass man erwarten würde, dass Lahm besser schweigt, dass er aber seinem Bundestrainer trotzdem noch mal seine Loyalität beweisen will und dafür auch im Subtext Michael Ballack eins reiwürgen darf.
Das Zitat scheint irgendwie paradigmatisch für den öffentlich wahrnehmbaren Menschen Lahm zu sein. Einerseits seine unangenehme Unterwürfigkeit, die sich im selbstverständlichen Vertrauen in Herrn Löw manifestiert (MIR, seinem Vertrauten hat HERR LÖW gesagt.). Auf der anderen Seite diese Art und Weise, nicht direkt sein zu wollen oder zu können, aber trotzdem sich öffentlich wahrnehmbar von anderen abgrenzen zu wollen. Lahm erscheint als jemand, der solange loyal ist, wie er meint, dass es seinem Vorankommen entgegenkommt. Macht Loyalität im Voranstreben keinen Sinn mehr, dann wird aber auch nicht die Konfrontation gesucht, sondern im illoyalen Subtext gestänkert. Vermutlich ist das auch die perfekte Charakterisierung des Prinzips der vielgelobten flachen Hierarchien. Wir sind ein Team und klare Ansagen sind nicht unsere Sache, weil wir Stänkereien zur Stärkung unserer Position lieber in strategischen Klüngeleien und Interview-Subtexten ausleben.
Philipp Lahm wirkt immer ein wenig als würde er seine Kontrahenten solange anlächeln bis er hintenrum eine Möglichkeit gefunden hat, sie auszubooten oder ihre Position einzunehmen. Eine Art Schwiegermutter-Typ, über den man – wenn man diese übertriebene Analogie wählen möchte – in Kriminalsendungen O-Töne einfangen würde, in denen Nachbarn von sich geben, dass sie das nie gedacht hätten, dass ausgerechnet er.. Wo er doch immer so nett war und freundlich gegrüßt hat..
Freundlich und nett, so ist er der Philipp Lahm. Und dazu mit Meinungen und Standpunkten, die man sich aus dem Subtext seiner Aussagen erschließen muss, was unweigerlich ein wenig an Joachim Löw erinnert. Dazu jene Art Gönnerhaftigkeit, die sonst DFB-Chef Zwanziger so gut beherrscht im Umgang mit seinen Schäfchen und die Lahm dazu berufen fühlt, Michael Ballack zur Annahme eines Abschiedsspiels aufzurufen, weil das “ein schönes und würdiges Ende für seine Nationalelf-Karriere” wäre. Geht es nur mir so, dass ich darin höre, dass es vor allem schön ist, dass sie zu Ende ist?
Man kann Philipp Lahms Gabe, ohne offene Konfrontation die Positionen zu erreichen, die er erreichen will, als Qualität interpretieren. Was nicht meins ist, weil ich es eher als unangenehm und unsympathisch empfinde. Trotzdem wird er seinen Weg gehen, weil er potenziellen Konkurrenten freundlich lächelnd, aber bestimmt und mit zielführenden Netzwerken und Kontakten ihre Grenzen aufzeigt. Bei all dem hat man das Gefühl, dass das Gesicht der flachen Hierarchien aller Flachheit zum Trotz sehr viel Wert darauf legt, dass seine (Macht-)Position nicht angekratzt wird.
Was Joachim Löw und Theo Zwanziger direkt nicht mehr stören wird, aber ihre (potenziellen) Nachfolger sollten sich schon mal darauf einstellen, dass sie irgendwann weggelächelt und -gelobt und zurück ins Team beordert werden. Denn dass Philipp Lahm dem Fußball auch nach seiner Spielerkarriere erhalten bleibt und auch dort nach den zentralen Positionen (die ihm angemessen wohl beim DFB liegen würden) strebt, scheint als Zukunftsvision sehr wahrscheinlich. Was zumindest ich trotz des 1:0-Treffers in den Winkel bei der WM 2006 gegen Costa Rica* als deprimierend empfinde.
*Dieser Artikel ist Teil der inoffiziellen Aktion “Keine Nennung von Philipp Lahm ohne Erwähnung seines Tors beim Eröffnungsspiel der WM 2006”.
Ich teile deine Skepsis gegenüber der Integrität unseres neuen Mannschafts-Kapitäns – wenn man dieses Amt noch als existent bezeichnen will oder kann. Für das, was sich Löw unter dieser Position vorstellt, scheint Lahm aber optimal geeignet und aus den selben Gründen ist Schweinsteiger “nur” Vize.
Die Zeichen der Zeit gebieten, dass die Ära der “Typen” vorbei ist. Es werden im modernen (National-)Fußball nur noch kompromisslos mannschaftsdienliche Teamplayer gewünscht. Die Mannschaft ist die neue “Persönlichkeit”.
Fein und treffend analysiert. Da fällt mir doch sofort die nervige und unnötig angezettelte Diskussion um das Kapitänsamt unmittelbar vor dem WM-Halbfinalspiel gegen Spanien. Das war damals für mich unglaublich. Nicht zu fassen. Mit so einem Kapitän kannst Du normalerweise nicht Weltmeister werden.
@Arrmaniac: Ich glaube, ich bin mir bewusst, dass das Team der neue Star sein soll. Meine These oder Behauptung wäre in diesem Sinne auch eher, dass man auf Team macht, das aber nur bedeutet, dass man die Konflikte, die es ja bei aller Mannschaftsdienlichkeit in jedem Team gibt, nicht mehr austrägt, sondern diese unter dem Deckel des Teams weggelächelt und hintenrum ausgetragen werden. Aber vielleicht täuscht das auch und mannschaftsintern ist alles super und nur im Umgang mit Personen außerhalb wird der latent aggressive Schwiegersohn-Modus gestartet..
“…Es ist eine Respektssache…es gab viele spiele in den er entscheidende Dinge gemacht hat…nur wegen einer Verletzung so eine Disskussion raus zu lassen, fand ich bißchen RESPEKTLOS. Deswegen bin ich ganz klar der Meinung, wenn er wieder fit und auf seinem Level ist, dass er uns auf dem Platz führt.” Zitat Bastian Schweinsteiger Anfang 2011.
Für mich spricht hier ein würdiger, fähiger und sehr glaubwürdiger Kapitän, der im Testspiel wieder gezeitg hat, dass er die Verantwortung sofort im entscheidenden Moment übernimmt und ihr gewachsen ist!