Ich hatte vor kurzem bereits meine damalige Sicht auf die Entwicklungen bei grün-weiß in der Nachfolge des FC Sachsen dargelegt oder besser gesagt dargeätzt. Seitdem ist schon wieder einiges passiert, was nur wenig Anlass gibt, darauf zu hoffen, dass die Zukunft im Alfred Kunze Sportpark besser werden wird als die jüngere Vergangenheit. Denn auch wenn man bei Lok Leipzig mit den Rücktritten von Aufsichtsratschef Gunter Weißgerber und Vorstandsangehöriger Katrin Pahlhorn (nach Morddrohung) offenbar etwas von der öffentlichen Aufmerksamkeit abhaben wollte, schlägt man das alles bei grün-weiß derzeit locker.
Es geht bei grün-weiß wie meist seit der Neugründung der BSG Chemie um den legitimen Vertreter grün-weißen Fußballs und damit derzeit auch um die Nachfolge des FC Sachsen Leipzig. Mit der Gründung der SG Leipzig Leutzsch, die nun von den Verbänden die Spielrechte der Nachwuchsteams von der U23 abwärts zugeschlagen bekam, stehen wieder die zwei grün-weißen Vereine auf der Matte, die es schon vor der Bekanntgabe des Endes des FC Sachsen gab.
Ehrlich gesagt ist es etwas schwierig zu erfassen, wofür die SG Leipzig Leutzsch steht und wer dahinter steht. Bis auf Jamal Engel tritt öffentlich niemand so recht für den Verein auf. Wodurch es auch schwierig ist einzuschätzen, worauf der Verein eigentlich fußt. Im Raum stehen Sponsoren, die nach dem Ende des FC Sachsen weiterhin grün-weißen Fußball unterstützen, aber nicht zur BSG Chemie wollen. Im Raum standen bei der SG Leipzig Leutzsch in den letzten zwei Wochen auch zwei grundverschiedene Konzepte. Auf der einen Seite das Konzept kompromisslose, erfolgreiche Nachwuchsarbeit ohne sonderliche Rücksicht auf Fans, Farben und Männermannschaft. Auf der anderen Seite das Konzept grün-weißer Fußball in der Nachfolge des FC Sachsen Leipzig, also ein Konkurrenzprodukt zur BSG Chemie, das sich an die Anhänger richtet, die mit der BSG nicht können oder wollen.
Als ersteres Konzept öffentlich kommuniziert wurde, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass das ganze auch gut ausgehen könnte. Die SG Leipzig Leutzsch wäre ein purer Nachwuchsverein geworden. Als solcher wäre er für jene interessant geworden, die ihr Kind jenseits von konkreten Leipziger Farbenlehren in einem Verein höchstmöglich Fußball spielen lassen wollen, aber den Schritt zur Tretmühle RB scheuen. Und Nachwuchsarbeit ist bei RB bis ziemlich weit runter jenseits des vorhandenen Spaßes eben auch absolut leistungsorientiert und somit nicht für jeden Erziehungsberechtigten die optimale Entscheidung für das eigene Kind. Zumal bereits in den Debatten bei Lok und beim FC Sachsen um die Nachwuchskooperationen auch deutlich wurde, dass jene, die im Nachwuchsbereich arbeiten oder ihre Kinder dort spielen lassen, nicht so emotional-ablehnend auf die Kooperationen blickten wie das langjährige Fan-Vereins-Mitglied. Was aus meiner Sicht auch hieß, dass es durchaus relevante Quantitäten an Eltern gibt, die ihr Kind nicht unbedingt zu RB schicken wollen, aber es durchaus gut finden, wenn der Verein, bei dem das eigenen Kind spielt eine verlässliche Nachwuchsarbeit betreibt und eventuell gar eine Brücke in den Leistungssport bei RB bauen kann.
Die SG Leipzig Leutzsch wäre also in dem Konzept des puren Nachwuchsvereins ein Angebot an diese Zielgruppe gewesen, hätte sich mit der BSG Chemie über ein gemeinsames Nutzungskonzept für den Alfred Kunze Sportpark verständigt, weil die marode Sportanlage für einen allein kaum sinnvoll zu bewirtschaften ist. Die BSG Chemie wäre so dahin gezogen, wo sie sowieso hinwollten, hätten dort dann zusammen mit denen, die nach dem FC Sachsen eine neue grün-weiße Fanheimat suchen, ihre Spieltage zelebriert und so eine neue grün-weiße Mitte kreiert. Sportlich hätte man von der Nachwuchsarbeit der SG Leipzig Leutzsch profitiert und wäre so langsam zu einer relevanten Kraft im Leipziger Fußball geworden. Die SG Leipzig Leutzsch wiederum wäre nach mittelfristiger Konsolidierung eine Kooperation mit RB Leipzig eingegangen und hätte dafür ein paar Euro und ein wenig Manpower und fachliches Wissen kassiert. Die Euros hätte man dann wiederum in den Alfred Kunze Sportpark stecken können, womit auch der BSG Chemie indirekt geholfen gewesen wäre, ohne dass die sich hätten die Finger an einer direkten Kooperation mit dem ‘Kommerz’ hätten schmutzig machen müssen. Ergo: Superperspektiven für alle Vereine und ein sich konsolidierendes und neu entdeckendes grün-weißes Lager und ein Szenario mit wenig Streit und Stress.
Doch die SG Leipzig Leutzsch entschied sich für das Konzept des grün-weißen Fußballs, also für die Konkurrenz und nicht die Nachbarschaft zur BSG Chemie. Dass sie der BSG die Spielrechte für sämtliche Nachwuchsmannschaften vor der Nase wegschnappten, war ein Schritt. Dass sie öffentlicht immer wieder postulieren, man könne mit der BSG derzeit nicht zusammen, weil die Sponsoren mit denen und vor allem deren Fans nichts zu tun haben wollen, war ein zweiter Schritt. Dass man den Alfred Kunze Sportpark als Hauptmierter für sich beansprucht ein dritter. Dazu noch der (gescheiterte) Versuch das Oberliga-Spielrecht des FC Sachsen auf die SG Leipzig Leutzsch übertragen zu lassen. Letztlich wollte die SG Leipzig Leutzsch der FC Sachsen Leipzig sein, nur dass man das Insolvenzverfahren nicht an der Backe haben wollte. Wäre man damit durchgekommen, hätte man die Schulden des FC Sachsen dank Insolvenz einfach vergemeinschaftet (Kassen, Kölmel und Co), aber den sportlichen Kern des Vereins einfach weitergeführt. Ein Hohn für alle, die ernsthaft versuchten den FC Sachsen Leipzig zu retten und immer wieder daran scheiterten, dass zu wenige Geld und Zeit in den Verein investieren wollten.
Dass die SG Leipzig Leutzsch mit ihrem Wunsch nach Oberligafußball letztlich an den Spielern des FC Sachsen scheiterte, die mehrheitlich nicht zum neuen Verein wechseln wollten (woraufhin die Spielrechtsübertragung keine formale Grundlage mehr hatte), ist bezeichnend für die Situation in Leutzsch. Die SG Leipzig Leutzsch vermittelt keine Aufbruchstimmung, weil zu viele Menschen sich öffentlich von ihr abwenden. Das betrifft Teile der Fanszene des FC Sachsen genauso, wie eben die Spieler (stellvertretend steht dafür der Kapitän Kevin Kittler) oder auch der letzte verantwortliche Trainer des FC Sachsen Kaubitzsch.
Bei der BSG Chemie macht man unterdessen auch gut Stimmung für sich, präsentiert beispielsweise Clemens Meyer auf einer eigenen Presseveranstaltung als schreibenden [broken Link] Unterstützer und tut alles dafür, öffentlich als einzige grün-weiße Zuzkunft zu erscheinen. Währenddessen werden die Spielrechtsbandagen auch hier straffer gezogen und dank Übertritt der ehemals dritten Leipziger Kraft, der ersten Männermannschaft von Blau-Weiß Leipzig sichert man sich die nächstjährige Teilnahme an der sechstklassigen Landesliga.
Was grundsätzlich völlig legitim und angesichts der schwierigen Zukunft der blau-weißen auch sinnvoll erscheint, bekommt seinen grotesken Touch erst dadurch, dass ausgerechnet die SG Leipzig Leutzsch zukünftig wohl auch in der Landesliga spielen wird, da sie die Spielrechte der zweiten Mannschaft des FC Sachsen übernehmen, die (ohne bei den Abstiegsverhältnissen der Landesliga ins Detail gehen zu wollen) wohl den Klassenerhalt in Liga sechs schaffen werden.
Sprich, derzeit hat man beim Lager grün-weiß im Stenogramm folgenden Situation: Zwei Vereine in derselben Liga, also ein Derby der völlig neuen Sorte. Zwei Vereine, die in den Alfred Kunze Sportpark als Hauptmieter einziehen wollen (und dem jeweils anderen gönnerhaft die Untermieterrolle zugedenken), der aber wohl nur in gemeinsamen Anstrengungen unterhalten werden könnte. Und zwei Vereine (und deren jeweilige Fans), die sich auf medialem Wege in Stellung bringen und so den immer wieder eingeforderten Zukunftsweg eigentlich schon wieder verbauen.
Die SG Leipzig Leutzsch hat zwar Sponsoren, aber offenbar das Problem, dass sich die sowieso schon kleine Fan-Basis des FC Sachsen noch mal teilen wird, bevor sie dann derart quantitativ erleichtert zur SG wechselt. Die BSG Chemie hat zwar eine aktive Fan-Basis und viele Fürsprecher, dafür aber (vermutlich) wenig Geld. Der grün-weiße Fußball steht somit weiterhin vor dem Problem, dass man eigentlich die jeweiligen Besitztümer zusammenlegen müsste, um zukunftsfähig zu sein, aber aufgrund gegenseitiger, grundsätzlicher Animositäten und Ablehnungen (von denen ich manche verstehe, manche eher weniger) nur schwerlich zusammenfinden dürfte. Zumal beidseitig in den letzten zwei Wochen verbal einiges an Porzellan zerschlagen wurde. Setzt man sich aber nicht an einen Tisch dürfte die Zukunft und der Alfred Kunze Sportpark für beide Vereine schwerlich zu bewältigen sein. Alles könnte so einfach sein, scheint aber in Leutzsch wie schon in den letzten drei Jahren weiterhin ein Ding der Unmöglichkeit. Hoffentlich bleiben zum Schluss dabei nicht beide Vereine auf der Strecke.
Sehr guter Beitrag. Objektive Darstellung der Situation. Das sollten sich die Leutzscher Verantwortlichen vielleicht mal durchlesen….
Also das ist wirklich ein guter Beitrag. Mir gefällt deine Art zu schreiben, liest sich gut!
Ich glaube, es gibt nicht wenige Leipziger außerhalb der grünweißen Szene, die sich bei den Ereignissen fragen, was eben diese sollen. Ich mich ja auch. Schau dich einfach mal um: [broken Link]