Noch ist Winterpause und demnach auch ein wenig Raum für eine neue Rubrik. Diese nennt sich ‘Vor 20 Jahren’ und beleuchtet – man ahnt es fast – das Fußballgeschehen vor 20 Jahren. Nun ja, nicht das komplette Fußballgeschehen, aber das subjektiv erlebt und erinnerte. Das bedeutet, dass es sich im heutigen Rückblick auf die Hinserie der Saison 1990/1991 praktisch komplett um mich und Energie Cottbus dreht.
Die Saison 1990/1991 war eine geschichtsträchtige Saison. Es sollte die letzte Spielzeit der DDR-Oberliga werden und war so auch der Qualifikationswettbewerb für die Bundesligen, in die es die DDR-Mannschaften zu integrieren galt. Die Plätze 1 und 2 waren als Aufstiegsplätze für die 1.Bundesliga ausgeschrieben. Die Mannschaften auf den Plätzen 3 bis 6 wanderten direkt in die 2.Bundesliga, während die Mannschaften auf den Plätzen 7 bis 12 und die beiden Meister der DDR-Ligen (das DDR-Äquivalent zur 2.Bundesliga) in 2 Viererstaffeln um 2 verbleibende Plätze in der 2.Bundesliga spielen sollten. Die letzten beiden Plätze der DDR-Oberliga, also Nummer 13 und 14 würden nach Abschluss der Saison als Absteiger in die 3.Liga (die dann Oberliga Nordost heißen sollte) feststehen.
Unter diesen Voraussetzungen war es klar, dass die anstehende Saison ein extremes Hauen und Stechen bedeuten würde. Lediglich 8 Plätze im Profifußball galt es zu vergeben, diese nicht zu erreichen, war – so die Empfindung – verbunden mit dem Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit. Energie Cottbus hatte die Vorsaison 1989/1990 im Zuge der Wende mit dem besten Ergebnis der Vereinsgeschichte beendet. Platz 7 noch vor dem großen 1.FC Lokomotive Leipzig, das war in jenen Tagen eine mehr als erstaunliche Leistung. Platz 7 also, eine Saison später und ein Platz besser und die direkte Qualifikation zur Bundesliga wäre eingetütet gewesen.
Und die Saison lief gut an. Im Intertoto-Cup (alias UI-Cup) fegte Energie Cottbus den amtierenden deutschen DFB-Pokalsieger 1.FC Kaiserslautern, der 1 Jahr später amtierender deutscher Meister sein sollte mit 4:0 vom Platz. Zu dem Zeitpunkt war die Qualifikation für die 2.Bundesliga im Fanherzen nur noch Formsache.
Vermutlich zur selben Zeit (oder auch schon etwas früher oder auch etwas später) beehrte auch ein gewisser Günter Netzer, in jenen Tagen als Repräsentant des Schweizer Sportvermarkters CWL (benannt nach dessem Besitzer Cesar W. Lüthi) unterwegs, den ganz tiefen Osten und beschrieb in einer vollen Stadthalle Cottbus den marktunerprobten, staunenden Ossis mit leuchtenden Worten die rosige Zukunft des FC Energie Cottbus in der modernen Fußballwelt. In der Folge gab es vermutlich ein bisschen Geld, was aber auch Geschichte war, nachdem der Cottbusser Fußball in den Niederungen des Nicht-mehr-Profifußballs verschwand. Aber noch war dank Intertoto-Cup und Kaiserslautern, Netzer und den erwarteten blühenden Landschaften alles in bester Ordnung.
In meiner fußballfernen Welt beendete ich ausgerechnet im Jahr 1990, im Jahr des Umbruchs also, die 10.Klasse und damit (zumindest vorerst) meine schulische Ausbildung. Die Wirren jenen Jahres waren dermaßen ausgeprägt, dass selbst unsere Schulabschlussparty fast der Währungsunion vom 01.07.1990 zum Opfer gefallen wäre. Eine Woche vor dem großen Tausch Ost-Mark gegen D-Mark war es schwierig, alle Eltern davon zu überzeugen, in eine solche Veranstaltung Geld zu investieren. Keine Ahnung mehr, was die Logik dahinter war, aber ich glaube, das ganze folgte der Idee, dass man seine Ost-Mark nicht verjubeln wollte, bevor man sie in D-Mark veredeln konnte.
Zwei Monate später rutschte ich in eine Lehre zum Industriemechaniker hinein. Auch hier waren Ost-West-Anpassungen, die meinen eigentlichen Ausbildungsberuf kurzerhand nicht mehr exisitieren ließen, die Ursache. Da wohl nur wenige Menschen ohne Fernweh im Osten des Jahres 1990 eine sichere Lehrstelle sausen gelassen hätten, fing ich halt damit an, eine Entscheidung, die eine Reihe guter und eine ganze Menge schlechter Folgen hatte. Eine Entscheidung jedenfalls für eine Tätigkeit, für die mir weitestgehend das durchschlagende Talent fehlte. Das bemerkte ich – und mein Ausbilder auch – spätestens in der ersten Woche, als ich 4 Tage lang versuchte ein U-Stück plan zu feilen. Also ein U aus feinstem Wald-und-Wiesen-Stahl solange mit der Feile bearbeiten, bis es eine gerade Fläche kriegt, die dazu noch rechtwinklig zu den anderen Seiten ist. Das ganze sollte noch dreieinhalb Jahre so weiter gehen (mit nicht ausuferndem, aber immerhin wachsendem Erfolg).
Vielleicht lag es an dieser ‘ausfüllenden’ Beschäftigung, dass ich nur wenige Erinnerungen an den Saisonstart habe. Ich erinnere mich an das erste öffentliche Training zum Saisonbeginn, bei dem auch die Neuzugänge vorgestellt wurden. Mit Ausländern! So richtige, also welche, die in fernen Ländern bereits Erfolge feierten. Als künftiger Supermegastar wurde der bulgarische Torschützenkönig Petr Alexandrov verpflichtet. Ach, was haben wir gestaunt. Jetzt war noch viel mehr klar, dass es mindestens die 2.Bundesliga werden würde.
An die ersten Saisonspiele habe ich keine brauchbaren Erinnerungen mehr. Überhaupt hab ich das Gefühl, dass mit den Wendeereignissen, die erste Welle der ganz großen Leidenschaft für den Cottbusser Fußball bei mir erst mal vorbei war. Doch die Saison lief, soweit die entsprechenden Websites (broken Link) darüber Auskunft geben, gut an: Ein Auftaktunentschieden gegen Stahl Brandenburg, ein Sieg beim Ex-‘Schiebermeister’ BFC alias FC Berlin, ein Sieg gegen den HFC und ein Punkt in Chemnitz brachten Platz 2 und die endgültige Gewissheit, dass die Saison ein Selbstläufer werden würde. Was folgte war ein – ohne konkrete Erinnerung – als absolut trostlos abgespeichertes 0:1 gegen Victoria Frankfurt und eine 1:3-Klatsche bei Rot-Weiß Erfurt und schon stand man auf Platz 10 und mit dem Rücken zur Wand.
Im folgenden Spiel kam der Tabellenvierte FC Sachsen Leipzig zu Besuch. Mittwochspiel, was in Stadien ohne Flutlicht Anfang Oktober eine entsprechend frühe Anstoßzeit mit sich bringt. Vielleicht war es 16 Uhr, auf jeden Fall hatte ich Mühe überhaupt rechtzeitig zum Spiel zu kommen. Es waren jene Tage des Fußballzeitgeschehens, wo sich der ehemals vereinte Fanblock in zwei Teile teilte. Einer stand an seiner angestammten Stelle, der andere Teil stellte sich so nah wie möglich an den gegnerischen Block und jubelte, pöbelte und fluchte nach besten Möglichkeiten und vor allem so, dass es die Gästefans mitkriegten. Sowieso war die Saison 1990/1991 die erste, in der der gegnerische Fanblock eingezäunt und bewacht war. In den Jahren davor liefen die Gästefans hinter unserem Fanblock vorbei zum Bierstand bzw. zur Toilette. Das heißt, meistens liefen sie vorbei, eine Fanclub-Fahne verloren wir zu jenen Zeiten an die nicht übermäßig beliebten Magdeburger, die sich nicht im Vorbeigehen begnügten. Sei es drum, ich entschied mich zu jener Zeit mal so, mal so und gegen den FC Sachsen nahm ich meinen Platz sehr nah an der gegnerischen Kurve ein, wo ich ein denkwürdiges Spiel erlebte. Zumindest dachte ich, dass es denkwürdig war, bis ich niederschreiben wollte, was eigentlich passiert ist. Nun, es muss einen frühen Rückstand inklusive roter Karte gegeben haben, dem ein einziger Sturmlauf unserer geliebter Gastgeber folgte, die das Spiel zu einem sicheren 4:1 führten. Der FC Sachsen – so sagt es mir die Erinnerung – in der Abwehr wie ein Absteiger und der große Hoffnungsträger Petr Alexandrov schoss (am 7.Spieltag!) sein erstes Saisontor für seinen neuen, aufstrebenden Verein. Vermutlich stand er 2 Meter vor dem Tor und der Keeper lag am Boden. Aber nein, denn dann hätte er vermutlich den Pfosten getroffen. Egal, nach dem Sieg war mit Platz 5 die Welt wieder in Ordnung.
Es folgte ein 1:1 gegen den großen Meisterschaftsfavoriten Dynamo Dresden und ein 0:2 beim Überraschungsteam Hansa Rostock, bevor mir nichts zu einem 0:0 gegen den 1.FC Magedeburg einfällt. Anschließend ging es wieder zu einem Leipziger Verein, den 1. FC Lok. Dieses Spiel ging nicht so sehr wegen der 1:3-Niederlage in die Energie-Geschichte ein (bei Lok gab es eigentlich nie was zu holen). Geschichte schrieb das Spiel dadurch, dass nach der Begegnung Fritz Bohla, der aktuelle Trainer entlassen wurde. Und zwar vor allem auf Wunsch der Spieler hin. Rädelsführer des Traineraufstandes war zu jener Zeit, wenn man den Legenden glauben darf, der inzwischen auch als Trainer bekannte Petrick Sander. Jaja, man möchte ihm nicht einen ähnlich respektlosen Haufen als Mannschaft wünschen. Fritz Bohla war seit 1986 im Amt und hatte aus der Fahrstuhlmannschaft Energie einen respektierten DDR-Oberliga-Club geformt. Toni Lehmann, Fußballgott Detlef Irrgang, Olaf Besser, Jens Melzig, Jörg Burow, Petrick Sander und wie sie alle hießen, sie alle genossen jede mögliche Wertschätzung der Fans und waren fest mit dem Wirken Bohlas verbunden. Welches auch fest mit dem meinen verbunden war, denn das erste Spiel Bohlas im Herbst 1986 war gleichzeitig auch der Auftakt für meine jahrelange Verbundenheit mit dem Verein. Nun war er also weg, der Held meiner Jugend und nichts sollte mehr so werden, wie es mal war. Für meinen Vater war der Verein wegen Bohlas Entlassung lange Zeit ein rotes Tuch, der Name Sander führt bei ihm immer noch zu mittleren Unmutsattacken.
Dem alten Ossi Bohla folgte typisch für diese Zeit mit Hans-Dieter ‘Timo’ Zahnleiter ein namens- und erfolgloser Wessi (ja so nannte man die Menschen von jenseits der Mauer damals, in Cottbus soll das ja auch heute noch der Fall sein, wenn man Pele Wollitz glauben darf), der nach eigener Auskunft auf Empfehlung von Kalli Feldkamp verpflichtet wurde. Nun ja. Zahnleiter übernahm den Verein nach Spieltag 11 mit 1 Punkt Rückstand auf den direkten Qualifikationsplatz zur 2.Bundesliga. 2 Spiele später war Winterpause und Energie hatte 1 Punkt und kein Tor mehr auf der Habenseite. Das mit dem neuen Besen war auf jeden Fall im Nichts verpufft. Und insbesondere das 0:0 gegen den kleinen, geographischen Nachbarn Stahl Eisenhüttenstadt war von einer derartigen trostlosen Tristesse, dass man schon zu jener Zeit die blühenden Landschaften hätte auf dem Müllhaufen der Geschichte versenken können.
Die Zahlen zur Winterpause waren erschreckend: Platz 11, 2 Punkte Rückstand auf den direkten Quali-Platz, aber auch nur 2 Punkte Vorsprung auf einen Abstiegsplatz. Dazu ein frühes Ausscheiden aus dem FDGB-Pokal (benannt nach dem Freien Deutschen GewerkschaftsBund), der sich in jenem Jahr aber sowieso extrem unwichtig anfühlte. Insgesamt war spätestens mit dem Namen Zahnleiter die fußballerische Depression in der Lausitz eingezogen. Lange war es her, dass man sich als Anhänger der BSG bzw. des FC Energie so hilflos-trostlos fühlte. Es war ein schmerzlich schnelles Ankommen in der Realität, die anhand der Tabelle gar nicht so schlimm aussah, aber sich angesichts der Tristesse auf dem Rasen schlimm anfühlte. Im Sommer noch war es ausgemachte Sache, dass die Qualifikation für die Bundesliga geschafft werden würde. Wenige Monate später war der Hoffnungstrainer Petr Alexandrov ein hoffnungsloser Stolperer, der eher Pfiffe als Beifall (und wenn dann höhnischen) erntete, die Mannschaft mut- und energie- und die Zuschauer ratlos. Schlechte Stimmung allerorten, aber nun kam ja die Winterpause, Zeit zum Mut schöpfen also..
Ein Gedanke zu „Blühende Landschaft Profifußball“