Zwei Tage noch, bis die zweite Liga wieder ihre Pflichtspielpforten öffnet. 15 Spiele stehen noch auf dem Programm. 45 Punkte gibt es entsprechend noch zu verteilen.
Bei RB Leipzig gab Ralf Rangnick in den letzten Tagen das Motto für den Rest der Spielzeit vor, indem er ein lockeres “für uns zählt nur der Aufstieg” formulierte. Das ist angesichts des Tabellenstandes und acht Punkten Vorsprung auf Nürnberg absolut richtig und nachvollziehbar, aber in der Deutlichkeit vom Übungsleiter (oder anderen Vereinsverantwortlichen) bisher auch nicht wirklich zu hören gewesen.
Damit rückt man kurz vor Ende der Winterpause von der bisherigen ‘würden gern aufsteigen, aber müssen nicht davon reden, sondern unsere Leistungen bringen und dann gucken, was rauskommt’-Sprachregelung ab. Und gibt auch öffentlich ein richtiges Saisonziel vor, an dem man sich messen lassen muss.
Alles andere würde in der sportlichen Situation des Vereins auch keinen Sinn machen. Denn nicht nur hat man reichlich Vorsprung auf einen Platz, der nicht direkt zum Aufstieg berechtigt, man hat auch das größte Potenzial im Kader und kann sich in der Rückrunde als eingespielte Einheit präsentieren.
Dass RB Leipzig der große Aufstiegsfavorit ist, begründet sich auch durch die Konstitution der zweiten Liga. Lassen wir mal Freiburg außen vor, die bei einer guten bis sehr guten Restrunde jederzeit die Möglichkeit haben, an RB Leipzig vorbeizuziehen, müssten Teams wie Nürnberg, Braunschweig, St. Pauli oder Bochum schon außergewöhnlich überragende Runden spielen, um RB noch einzufangen. Alles was danach kommt, ist bei 15 Punkten Rückstand aufwärts sowieso bereits praktisch chancenlos.
Wirft man einen Blick auf die vier Teams, die überhaupt noch in Betracht kommen, an RB vorbeizuziehen, dann hat Nürnberg sicherlich die besten Chancen auf einen direkten Aufstiegsplatz. Kadertechnisch hat man an relevanten Spielern lediglich Alessandro Schöpf verloren und dafür Zoltan Stieber bekommen, was kurzfristig für die Kaderqualität keinen großen Unterschied machen dürfte. Dazu hat man einige Spieler abgegeben, die im Profiteam keine Rolle mehr spielten und so den Kader auf ein scheinbares Optimalmaß von etwa 20 Feldspielern reduziert. Nürnberg hat aktuell Ruhe im Verein, ein eingespieltes Team, klare Strukturen, einen in der Breite gut bis sehr gut besetzten Kader und einen sehr guten Trainer. Also allerlei Bestandteile, um in den verbleibenden 15 Spielen sehr erfolgreich abzuschneiden.
Die entsprechenden Prognosen sehen bei den anderen Teams schon schwieriger aus. In Braunschweig, wo man in der Hinrunde gezeigt hat, dass man das Team sehr flexibel und sehr rotierend besetzen kann, hat man in der Winterpause Mads Hvilsom verliehen und Emil Berggreen (nach Mainz) gleich ganz verkauft. Diese Sturmabgänge versucht man mit der Wiederverpflichtung von Domi Kumbela aufzufangen. Ob der nach wenig Glück auf den letzten Stationen tatsächlich noch mal an alte Form heranreichen kann, ist völlig unklar. Tut er das nicht, ist Braunschweig vermutlich im Sturm etwas dünn besetzt, um noch mal an die ersten drei Plätze heranzuschnuppern.
Zu dünn besetzt dürfte auch der FC St. Pauli sein. Sag nie nie, aber für einen Aufstieg in die Bundesliga kann das Team vielleicht doch in der Breite und der Konstanz zu wenig. Bei aller Euphorie und guten Laune im Club, auf der man sicherlich gut reiten kann. Keine Kaderveränderungen im Winter, dafür mit Maier und Gonther schon jetzt zwei Verletzte, die die Qualtiät im Team reduzieren. Schön für St. Pauli, dass sie eine gute Saison spielen, für das Toptrio reicht es im Normalfall trotzdem nicht.
Bliebe noch Bochum, die ein wenig als Wundertüte erscheinen. Kadertechnisch ist der Club unverändert geblieben. Testspieltechnisch ließ man durch Siege gegen Mönchengladbach, Hertha und Leverkusen aufhorchen. Wird spannend, in welche Richtung das Pendel bei den unheimlich dynamischen Bochumern ausschlägt und ob man gute Leistungen im Gegensatz zur Hinrunde auch konstant über die gesamte Runde abrufen kann. Und über allem schwelt noch die Frage nach der Vertragsverlängerung von Gertjan Verbeek.
Wenn alles ganz normal läuft, machen die ersten Drei der Tabelle, also Leipzig, Freiburg und Nürnberg auch bis zum Ende die ersten drei Plätze unter sich aus. Wobei RB Leipzig sicherlich mit Abstand die besten Chancen hat, nach 34 Spielen Erster oder Zweiter zu sein. Man sollte dabei allerdings nicht so weit gehen und behaupten, dass sich die RasenBallsportler nur selbst schlagen können. Ein paar Fallstricke sollten vielleicht auch notorische Berufsoptimisten in Betracht ziehen.
Ganz vorneweg hat sich natürlich das psychologische Momentum komplett verschoben. Hatte man in der Hinrunde, gerade auch weil man eher von hinten kam, etwas zu gewinnen, steht man nun als Tabellenführer in der Position etwas verspielen zu können. Und zwar mit dem Aufstieg etwas, das derzeit in der Sicht von außen fast schon als sicher eingeplant ist. Man könnte schnell in einer Situation landen, in der man die restlichen 15 Spiele als Verteidigungskampf nach hinten begreift. Das könnte dann tatsächlich schnell krampfig werden und nach hinten losgehen.
Möglich, dass man dieser Situation durch psychologische Spielereien vorzubeugen versucht, indem man bspw. intern nur die Tabelle der letzten 15 Spiele an die Kabinentür hängt und sich als Ziel setzt, Meister dieser letzten 15 Spiele zu werden. Damit könnte man zumindest dem merkwürdigen, psychologischen Effekt wackliger Knie, dem gerade überlegene Spitzenreiter manchmal erliegen, etwas entgegenwirken, weil man den Fokus der sportlichen Zielsetzung verschiebt auf ein Ziel, bei dem es etwas neu zu erringen gilt und man nichts verteidigen muss, was man schon hat.
Wacklige Knie sind natürlich bei einer jungen Mannschaft wie der von RB Leipzig ein gutes Stichwort. In der Hinrunde hatte man kaum bis nie den Eindruck, dass die Nerven ein entscheidender Faktor für das mit Abstand jüngste Team der zweiten Liga werden könnten. Je weiter es Richtung Saisonfinale geht und je enger es vielleicht in der Tabelle wird, desto mehr könnte das allerdings doch noch zum Faktor werden. Zumindest könnte es sich in für junge Spieler typischen Formschwankungen widerspiegeln. Gerade im Offensivbereich geht es arg jugendlich zu. Und den entscheidenden Torschuss in der 89. Minute zu verwandeln, ist vielleicht am 12. Spieltag noch einfacher als am 32. Spieltag.
In diesem Zusammenhang sollte man auch konstatieren, dass RB Leipzig in der Hinrunde einige Male ordentlich Glück gehabt hat. Spiele wie die in Karlsruhe, Bielefeld und Fürth gewinnt man nicht immer und manchmal dreht sich solch ein Effekt auch in sein Gegenteil um. Es ist natürlich nicht ganz so einfach, diesen Effekt nur an Glück und Pech festzumachen, es ist auch eine Frage der Qualität und des Glaubens, wenn man in Fürth nach dem Ausgleich in der Nachspielzeit noch mal den Versuch startet, den Siegtreffer zu erzielen. Trotzdem reicht manchmal ein kleiner Impuls, um den Effekt umzudrehen und aus Glauben Zweifel werden zu lassen. Vielleicht auch gerade bei einem jungen Team, in dem noch nicht so viele Spieler Stresssituationen sehr gut kennen.
An Stresssituationen reicher wird die Rückrunde sicherlich vor allem bei Auswärtsspielen. Bisher ist RB Leipzig in fremden Stadien in zehn Spielen ungeschlagen und mit Abstand das beste Team der Liga. Allerdings warten auf die RasenBallsportler noch die Spiele beim FC St. Pauli, in Freiburg, in Düsseldorf, in Nürnberg und in Kaiserslautern. Also bei den fünf Teams mit den (neben Leipzig) höchsten Zuschauerzahlen der zweiten Liga. In vier der fünf Stadien holte Leipzig letzte Saison (Freiburg war ja noch nicht dabei) insgesamt gerade mal zwei Punkte. Man wird wohl in diesen heißen Auswärtsspielen bei teilweise direkter Konkurrenz mit ordentlich Gegenwind mehr Punkte holen und bestehen müssen, wenn man nach 34 Spieltagen noch ganz stehen will. Der Spielplan hat aber auf der anderen Seite auch den angenehmen Nebeneffekt, dass man die große Chance hat, den Aufstieg vor allem in den acht verbleibenden Heimspielen herauszuschießen.
Nervthema der verbleibenden Spiele könnte die Trainerfrage bei RB Leipzig werden. Noch ist nicht geklärt, wer kommende Saison auf Ralf Rangnick folgt. Und die Fragen an die Spieler werden jetzt schon lauter, ob sie nicht sowieso lieber mit Rangnick weiterarbeiten wollen. Wird früh ein Rangnick-Nachfolger verpflichtet, wird man vermutlich immer wieder abklopfen, ob der neue Trainer den durch Rangnick sportlich gesetzten Maßstäben entsprechen kann. Zieht sich die Trainerfindung, dann wird das Thema immer wieder neu für Unruhe sorgen, werden immer wieder neue Namen genannt und dementiert oder nicht dementiert werden. Wird spannend, ob man die Mannschaft von diesen administrativen Fragestellungen ein wenig abschotten kann. Hängt vermutlich auch davon ab, wie erfolgreich man Fußball spielt.
Wichtig für den Rest der Saison dürfte es in jedem Fall sein, gut in die Runde zu starten. Mit Braunschweig, St. Pauli und Union wartet gleich zu Beginn ein absolutes Topprogramm, bei dem es kein Abtasten gibt. Braunschweig und St. Pauli sind zwei Mannschaften, die selbst noch nach oben schielen. Union ist ein Team, das nach verkorkster Hinrunde mit nochmal verstärktem Team durchstarten will. Kommt RB Leipzig gut durch dieses Auftaktprogramm, dann darf man für den Rest der Saison guter Hoffnung sein.
Positiv für das Meistern des Auftaktprogramms nach der Winterpause könnte sein, dass RB Leipzig kadertechnisch fast unverändert in die kommenden Spiele geht und somit auf eine eingespielte Mannschaft zurückgreifen kann, die auch in taktischen Dingen wesentlich reifer agieren müsste als noch vor einem halben Jahr. Vielleicht ist es auf Dauer der Rückrunde (gerade wenn man Verletzungen und Ausfälle zu beklagen haben sollte) auch ein Nachteil mit im Kern nur 17 Feldspielern durch die Saison zu gehen, weil dem Kader ohne Neuzugänge ein wenig der frische Wind und die ganz große Breite fehlt. Auf der anderen Seite bekommen von den nach den Abgängen von Sebastian und Kalmár (Leihe) übriggebliebenen Feldspielern auch die meisten regelmäßig Spielzeiten. Was die Laune im Team heben und die Motivation stärken wird. Nicht zu vergessen, dass so auch der Weg für absolute Toptalente aus dem Nachwuchs ins Profiteam kürzer wird.
Fazit: Es gab in den vergangnenen Jahren wesentlich unpassendere Momente als den aktuellen, um RB Leipzig eine sportliche Favoritenrolle zuzuschieben. Am inzwischen klar formulieren Saisonziel Aufstieg wird man sich messen lassen müssen. Das Ziel zu erreichen, wird für das junge Team sicherlich kein Selbstläufer, zumal einige, kleinere Fallstricke ausgelegt sind und die Konkurrenten auf RB-Ausrutscher lauern werden. Es führt allerdings kein Weg daran vorbei, sich dieser Situation zu stelle und an der Aufgabe zu wachsen, um sie letztlich zu meistern.