Jobzufriedenheit ist wohl schon jetzt das (bzw. mein) Unwort des Jahres. Ralf Rangnick nutzte die Begrifflichkeit in den letzten Monaten bereits einige Male in verschiedensten Zusammenhänge. Zuletzt war es aber vor allem Neu-St.-Paulianer Andreas Rettig, der das Wort in diversen Interviews von Deutschlandfunk über NDR über Sky und Kicker bis hin zu allerlei anderen Blättern ein wenig überstrapazierte.
Eben diese Jobzufriedenheit stehe über den Zahlen auf der monatlichen Lohnabrechnung, durfte man sich dann immer wieder anhören. Mehr noch hatte man sich für die Präsentation Rettigs beim FC St. Pauli überlegt, dass es doch langweilig sei, Phrasen herunterzureiten und sich deswegen lieber dafür entschieden, das (offenbar der Wahrheit entsprechende) Bonmot zu präsentieren, dass sich Rettig für das “wirtschaftlich schlechteste Angebot” entschieden habe. Jobzufriedenheit ist keine Frage des Geldes, so die Message und St. Pauli so cool, dass man da auch für wenig Geld arbeite.
Mal ganz davon abgesehen, dass es am Ende vermutlich auch nicht wirklich wenig Geld ist, was da über die entsprechende Bankverbindung geschoben wird, bleibt dieser merkwürdige Gestus, Geld und Einkommen als etwas darzustellen, das in seiner Profanität und mangelnden Selbstlosigkeit kein Argument darstellen könne, um einen Job anzutreten. Die Entscheidung für etwas habe andere, altruistischere Gründe zu haben als Geld.
Nun bin ich als Blogger relativ unverdächtig, nicht verstehen zu können, dass man sich für Dinge entscheidet, weil das eine bestimmte inhaltliche Freiheit oder besser zu einem passende Arbeitsweisen mit sich bringt, auch wenn diese kein oder weniger Geld abwerfen als es andere Tätigkeiten tun würden. Aber das ewige Gezausel, weniger Geld oder am besten noch das Ehrenamt als angeseheneren Lebensweg und zu präferierenden Dienst an der Allgemeinheit zu ideologisieren und zu heroisieren (und nicht als hinzunehmendes bzw. notwendiges Übel anzusehen), darf durchaus gehörig nerven.
Man kann mit Geld ein Arsch sein oder eben nicht und dasselbe funktioniert auch ohne Geld. Aber hierzulande gilt Vermögen immer irgendwie als verdächtig und als Eigenschaft von denen da oben oder den sogenannten Mächtigen, von denen man sich unbedingt zu distanzieren habe.
Vielleicht ganz passend dazu, dass Andreas Rettig (und das soll hier eigentlich gar nicht unbedingt ein Rettig-Diss sein, vielmehr steht sein Beispiel vor allem exemplarisch bzw. ist sein Beispiel eher Ausgangspunkt der Gedanken) bei seiner Beschreibung, was er eigentlich beim FC St. Pauli zu finden glaube, eher diffus bleibt und sich auf Kollektive und damit implizit gegen das Verfolgen individueller Ziele beruft. “Heimat, Werte, Ideale” heißt es an der einen Stelle. “Sehnsucht nach Wärme, nach Zugehörigkeit” an einer anderen.
Eine merkwürdige, aber auch nicht untypische Melange, die den Zumutungen kapitalistischer Vergesellschaftung mit all den nach Erfolg strebenden Ich-AGs und dem Höher, Schneller, Weiter das Gemeinschaftsgefühl entgegensetzt. Ganz so als wäre das Problem der Zurichtung zu einer erfolgreichen, verwertbaren Arbeitskraft, die aber immerhin im Rahmen der gesetzten Grenzen noch nach Glück und individueller Verwirklichung strebt, dadurch zu lösen, dass man sich in der Gruppe einkuschelt und in der Wohligkeit der Kiezscholle zwar immer noch die Zumutungen des Alltags hat, aber das Problem des nichteingelösten Glücksversprechens bei Apfelschorle, Bierchen und kreativer Projektarbeit bis zur scheinbaren Nichtexistenz hinunterspült. Das Glück der Gruppe als zentrales Ziel des Alltags der Einzelnen. Oder wie mir mal ein Gesellschaftskritiker, der seine selbstbestimmten Begegnungsräume aus eigener Tasche mitfinanzierte, sinngemäß als Handlungsmotiv erklärte: ‘Ich bin glücklich, wenn andere glücklich sind.’
Um nicht falsch verstanden zu werden. Es gibt im alltäglichen Erleben viele Gründe aus dem Glück anderer eigenes Glück zu ziehen oder sich an manchen Orten wohler zu fühlen als an anderen und entsprechend auch Jobentscheidungen zu treffen. Einen merkwürdigen Touch bekommt das ganze dann, wenn daraus eine ideologische Verklärung von Zugehörigkeit und Heimat als Gegensatz zum individuellen Streben nach Erfolg und meinetwegen auch Geld wird. Also Gemeinschaftssinn per se über den ach so verdächtigen Eigennutz gestellt wird.
In der Rettigschen Jobzufriedenheit klingt diese Verklärung zumindest an. Was neben der quantitativen Überstrapazierung dazu beigetragen haben dürfte, dass das Wort zumindest bei mir in den Rang eines Unworts des Jahres rutscht. Möge Andreas Rettig mit seinem neuen Job trotzdem glücklich werden.
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Randbemerkung
Nicht ganz so jobzufrieden dürfte Rettig in seiner Zeit als DFL- Geschäftsführer gewesen sein, sonst würde er den Job noch ausführen. Begründet hat er den Schritt weg vom Verband damit, dass er wieder mal mit einem Verein arbeiten, leiden und jubeln wollte und dies bei der DFL nicht möglich gewesen sei. Fehlende Wärme und Ideale könnten hier sicherlich auch eine Rolle gespielt haben. Genauso wie jene unangenehmen “Eitelkeiten” im Fußballgeschäft, mit denen Rettig von der Zeit zitiert wird.
Wobei Rettigs DFL-Rolle auch im Nachhinein eher schwer greifbar ist. Und man immer den Eindruck hatte, dass er sich rhetorisch auf die Seite von kleinen Clubs und Fans stellen wollte (Stichwort Heimat und Zugehörigkeit) und diesen inhaltliche Brosamen hinwarf, die wenig praktischen Gehalt hatten. Bspw. wenn er auf einem Fankongress Richtung RB Leipzig meinte, dass Mitbestimmung oberstes Gut sei (um dann ein Jahr später die de facto weiter bestehende Vereinskonstruktion natürlich aufgrund der Regularienlage abzunicken).
Nach seinem Wechsel zum FC St. Pauli besteht Rettig auch immer noch darauf, dass der Erhalt der 50+1-Regel wichtig ist und vergisst dabei weiterhin zu erwähnen, dass die Regel schon vor seinem Amtsantritt bei der DFL faktisch abgeschafft oder zumindest zu einer freiwillig anzuwendenden wurde und er höchstselbst mit die Genehmigung erteilte, dass Dietmar Hopp in Hoffenheim die Stimmmehrheit bei der Spielbetriebs GmbH der Profis übernehmen konnte.
Merkwürdig auch der Vorgang rund um das RB-Logo. Im vergangenen Sommer hatte Rettig noch erklärt, dass ein Logo nicht Werbezwecken dienen dürfe und entsprechend RB Leipzig das Logo zur Zufriedenheit von Rettigs DFL geändert habe. Als Geschäftsführer des FC St. Pauli nun entdeckt er in neuem Amt, dass das Logo offenbar doch Werbung beinhaltet und man es deswegen nicht auf der Website präsentieren könne, weil man ja schließlich auch kein Geld dafür kriege.
In einem der vielen Interviews der letzten Wochen bemerkte er zu dem Thema augenzwinkernd, dass die Bezüge zum Geldgeber für die meisten irgendwie doch zu erkennen seien. Eine Erklärung, warum er es dann ein Jahr vorher in anderer Funktion noch abnickte und wie er zu seiner damaligen Entscheidung steht und ob die DFL damals was falscht gemacht hat und wenn nicht, ob dann St. Pauli was falsch macht, wenn sie ein RB-Logo anders behandeln als ein Bayer-Logo, musste Rettig nicht liefern. Das vergemeinschaftende Augenzwinkern, dass doch alle Bescheid wüssten (was ja auch viele tun, was aber inhaltlich im Sinne einer eigentlich zu führenden, aber praktisch nie geführten Debatte rund um die DFL-Lizenzentscheidungen nichts beiträgt), reichte aus.
Ist jetzt irgendwie wie doch ein Rettig-Diss geworden! Aber auch dir seien mal schlechte Artikel verziehen ;)