Eigentlich wäre seit letzten Montag und der Verpflichtung von Zsolt Kalmár alles vorbei gewesen in Sachen Transferaktivitäten. Fünf externe Neuverpflichtungen (Boyd, Khedira, Hierländer, Dähne, Kalmár) plus zwei Spieler aus dem eigenen Nachwuchs (Strauß, Prevljak) hätten alles sein sollen, was den Ex-Drittligakader weiter verstärkt.
Hätte. Wenn da nicht gleich drei langfristige Ausfälle gewesen wären. Die Achillessehnen-Probleme von Innenverteidiger Fabian Franke klingen seit Wochen nicht so ab, dass an Spieleinsätze zu denken wäre. Keeper Fabio Coltorti fällt nach einem Riss des Innenbands mindestens drei Monate aus. Und bei Stürmer Terrence Boyd ist mit einer ähnlichen Verletzungszeit zu rechnen. Boyd und Coltorti dürften demnach für große Teile der Hinrunde nicht zur Verfügung stehen. Bei Fabian Franke ist ähnliches zu befürchten.
In dieser Situation hat man bei RB Leipzig die eigenen Transferpläne noch mal über den Haufen geworfen und entschieden, auf die Ausfälle mit neuen Spielern zu reagieren. Wenn RB einen nicht unwesentlichen Vorteil hat, dann dass sie auf Ausfälle dank finanzieller Ressourcen jederzeit reagieren können. Und angesichts der kurz- bis mittelfristigen Aufstiegsziele auch nicht nur den Kader auffüllen, sondern bei Transferaktivität auch gleich richtig zulangen.
So auch in der aktuellen Transferrunde vom Wochenende, in der man sich einen Innenverteidiger und einen Stürmer vom AC Florenz holte, die zusammen sechs Millionen Euro Marktwert, also circa die Hälfte des gesamten sonstigen Kaders, auf die Waage bringen. Und auch bei der noch unklaren Torwartverpflichtung darf man jemanden erwarten, der für die zweite Liga ein ordentliches Kaliber ist.
Der schillernste Name unter den Neuzugängen dürfte Marvin Compper sein, der in manchen Medien als Nationalspieler Compper durchgeht, weil er vor knapp sechs Jahren mal ein Spiel im deutschen Trikot spielen durfte. Im kollektiven Gedächtnis tief verankert und jetzt auch wieder Thema, dass Compper seinen Abschied aus Hoffenheim vor eineinhalb Jahren mit fehlender Lust auf Abstiegskampf erklärt habe, eine Darstellung, die Compper selbst als eher deutlich fehlerhaft empfindet.
Fakt ist, dass der Abgang Comppers in Hoffenheim sicherlich verschiedene Facetten hatte und zudem weit nach Ralf Rangnick zu einer Zeit passierte, als in Hoffenheim sowieso nicht so richtig viele gute Entscheidungen getroffen wurden. Das Verhältnis zu Rangnick war jedenfalls jederzeit intakt, sodass es nicht erstaunt, dass der 29jährige Innenverteidiger Compper auf Rangnicks Liste landete. Zumal Compper das bei RB gepflegte hohe Verteidigen noch aus seiner Zeit in Hoffenheim kennt und in Florenz keine realistische Chance auf größere Einsatzzeiten mehr hatte (letzte Saison nur neun Ligaspiele).
Erstaunlich wird der Transfer wohl nur, weil er quasi gegen das Dogma verstößt, dass RB Leipzig nur junge Spieler holt. Offenbar sieht man in Compper einen, der zu einer Korsettstange werden kann, die dem Gesamtkonstrukt Kader Halt gibt. Dafür spricht auch ein Vertrag bis 2017, also bis Compper 32 Jahre alt ist und die Aussage Rangnicks, dass man eventuell Comppers integrative Fähigkeiten (spricht fünf Sprachen und kümmerte sich früher gern um Neuzugänge) zukünftig ganz gut gebrauchen könne, wenn der Kader multilingualer wird.
Mit Compper kriegt RB Leipzig sicherlich einen sehr guten Innenverteidiger, der in Hoffenheim schon nachgewiesen hat, auf Bundesliganiveau mitspielen zu können. Nach der letzten Saison in Florenz wird es nun auch darum gehen, wieder in den regelmäßigen Spielrhythmus zu finden. Als linker Innenverteidiger dürfte er Tim Sebastian relativ schnell Konkurrenz machen. Ob sich Compper, dem man in Hoffenheim ein überschaubares Aufbauspiel nachsagte, auch schnell und dauerhaft durchsetzen kann, wird er über sein Auftreten selbst entscheiden.
Letztlich kann RB Leipzig mit dem Transfer wenig falsch machen. Ralf Rangnick weiß ziemlich genau, was er kriegt. Eine lange Eingewöhnung dürfte bei Compper wegen Kenntnis der Grundsätze des Spielsystems auch wegfallen. Zudem kriegt man einen Spieler, der das Niveau kurzfristig hebt und mit dem man mittelfristig planen kann. In einem Bereich wohlgemerkt, in dem es in den letzten zwei Jahren unter Rangnick und Zorniger nur eine Neuverpflichtung gab. Und das war mit Tobias Willers jemand, der es schwer haben dürfte, auch nur in der zweiten Liga zu den besseren Spielern zu gehören.
Neben Marvin Compper kommt auch Ante Rebic vom AC Florenz, einer der anders als Compper wieder perfekt ins RB-Beutschema passt. Denn Rebic ist ein 20jähriger Stürmer, der schon jetzt kroatischer Nationalspieler und bei der WM in Brasilien in allen drei Gruppenspielen, wenn auch nur kurz, zum Einsatz kam. Unrühmlich dabei sicherlich sein Abgang in der Schlussminute, als er sich für ein grobes Foul eine rote Karte abholte.
Rebic debütierte bereits mit 17 in Kroatiens oberster Spielklasse und machte 2012/2013 erstmals auf sich aufmerksam, als er 19jährig in 29 Spielen in Split 10 Tore schoss. Die letztes Saison war dann bis auf die WM eine verschenkte, denn nach seinem Wechsel nach Florenz kam er auch wegen Verletzungen nur zu vier Ligaeinsätzen. Da die Perspektiven für die kommende Saison nicht besser aussehen, geht es für Rebic nun darum, bei einer vorerst einjährigen Leihe Spielpraxis zu sammeln und zu zeigen, dass er noch die Sturmhoffnung ist, die man mal in ihm sah.
Rund sechs Millionen Euro Kaufoption (wie BILD berichtet), also die Summe, die RB Leipzig auf den Tisch legen müsste, wollte man ihn am Ende der Saison fest verpflichten, klingt jedenfalls danach, dass man in Florenz hofft, dass bei Rebic der Knoten platzt und man entweder viel Geld einnimmt oder einen guten Spieler zurückbekommt. Denkbar auch, dass die Kaufoption nur bei einem Bundesligaaufstieg von RB Leipzig gilt, denn das Rebic längere Zeit unterklassig verbringen will, ist nicht wirklich anzunehmen.
Rebic ist die direkte Reaktion auf die Verletzung von Terrence Boyd, auch wenn er ein etwas anderer Spielertyp ist. Denn am liebsten ist Rebic auf dem linken Flügel unterwegs, von wo aus er immer wieder in den Strafraum zieht oder auf Bälle in die Tiefe lauert. Ein klassischer Wandspieler wie Boyd ist der 20jährige jedenfalls nicht. Und ein vornehmlich zentraler Strafraumstürmer wie Frahn auch nicht. Rebic ist eher einer wie Poulsen, einer der seinen Körper einzusetzen weiß und mit Geschwindigkeit die Eins-gegen-Eins-Situationen sucht.
Letztlich könnte Rebic natürlich auch so etwas wie den Stoßstürmer spielen und Konkurrenz für Frahn sein. Aber am wahrscheinlichsten verschiebt Rebic einfach die taktischen Optionen wieder stärker hin zu einem 4-3-3 mit zwei schnellen Außenstürmern, wie man es vor einem Jahr ja auch schon verstärkt probierte. Oder man kann es auch mal mit einem 4-3-1-2 mit zwei schnellen Stürmern und ohne lauernden Stoßstürmer Frahn probieren. Ist im Umkehrspiel mit einem Kaiser auf der Zehn, der die beiden Stürmer einzusetzen weiß, sicherlich auch keine schlechte Option.
Letztlich verändern sich durch Rebic die Optionen im Sturm und die Einsatzchancen für die anderen Stürmer. Am direktesten betroffen davon Matthias Morys, der dem Spielertyp Rebic sehr ähnlich ist und nun hinter Poulsen und Rebic kaum noch eine Chance hat, als schneller Außenstürmer zum Einsatz zu kommen. Wenn Boyd nach seiner Verletzungszeit zurückkommt, stünden bei RB Leipzig im Sturm Rebic, Poulsen, Boyd und Frahn im Kader. Für Prevljak und Morys blieben da wohl nur noch Einsatzzeitenkrumen bei Ausfällen der anderen Stürmer.
Insgesamt ist auch Rebic ein Transfer, bei dem RB Leipzig wenig falsch machen kann. Man hat ein Jahr Leihzeit, um sich den jungen Mann intensiv anzugucken. Geht bei Rebic in dieser Zeit der Knopf auf, kann man überlegen, ob man sechs Millionen Euro investieren will. Geht der Knopf nicht auf, dann geht Rebic eben wieder zurück nach Florenz. Und, so vermutlich die Überlegung, wenn der Knopf richtig aufgeht und Rebic RB mit zum Aufstieg schießt, hat es sich richtig gelohnt für alle Beteiligten.
Bliebe noch das Tor, das hier relativ schnell abgehandelt werden soll. Favorit soll, wenn man den einschlägigen Berichten glauben darf, Jens Grahl sein, der in Hoffenheim aktuell die Nummer 2 ist und vergangene Saison zwischenzeitlich die Nummer 1 war. Der 25 jährige Grahl hat auf jeden Fall das, was Zorniger bei seinen Keepern vermisst, nämlich Ausstrahlung. Fußballerisch ist es wohl aber eher weniger gut, was angesichts der Tatsache, dass der Torwart bei RB ja auch immer ein wenig Libero sein muss, ein kleiner Nachteil sein dürfte.
Alternativ zu Grahl wurden zuletzt die Namen Cican Stankovic und Alexander Walke ins Spiel gebracht, die letztlich miteinander zu tun haben. Der 21jährige Cican Stankovic soll laut österreichischen Quellen entweder als Keeper in Leipzig oder als Keeper in Salzburg (was Ralf Rangnick schon deutlich dementiert hat) in Frage kommen. In letzterem Fall wäre die dortige Nummer 2 Alexander Walke frei für einen Wechsel nach Leipzig.
Legt man beide nebeneinander, dann würde wohl der 31jährige Walke, der 2013/2014 insgesamt nur acht Pflichtspiele bestritt, besser ins Suchraster passen. Erfahren, einige Ausstrahlung, kennt die deutschen Ligen. Und würde sich im Fall der Fälle bei einer Coltorti-Rückkehr sicherlich bei entsprechender Entscheidung ohne Probleme auf die Ersatzbank setzen.
Cican Stankovic, der aktuell beim SV Grödig wechselt dagegen ganz klar nur den Verein, wenn er auch anderswo die Nummer 1 sein kann. In Leipzig bestünde diese Chance aber nur temporär, denn bei einer Coltorti-Rückkehr würde der Konkurrenzkampf ausgerufen. In Salzburg wiederum ist es auch nicht sehr wahrscheinlich, dass man zum aktuellen Zeitpunkt plötzlich ohne Not eine neue Nummer 1 holt. Wenn aber ein Stankovic-Transfer nach Salzburg unwahrscheinlich ist, wird das dadurch auch ein Walke-Transfer nach Leipzig.
Letztlich wird RB Leipzig wohl irgendeinen Keeper holen, der irgendwo höherklassig auf der Bank sitzt, dort aber auch schon Erfahrung gesammelt hat. Eben einen wie einen Jens Grahl, der mit seiner Nummer 2 in Hoffenheim nicht zufrieden ist und irgendwo im Kasten stehen will. Allerdings muss er sich dann auch überlegen, ob RB das richtige Ziel wäre, denn konkurrenzlos wäre Grahn nach einer Coltorti-Rückkehr auch in Leipzig nicht.
Insgesamt verändern die Neuzugänge bei RB Leipzig das Bild doch ein ganzes Stück. Waren die Kaderveränderungen bisher moderat und nicht in einer Form, dass man erwarten konnte, dass RB in der ersten Zweitligasaison durchstartet, wird die Erwartungshaltung nun doch um einiges größer. Ausgelöst von Verletzungsproblemen sind Compper und Rebic die ersten zwei Neuverpflichtungen mit Bundesliganiveau. Mit ihnen verändert sich der Kader in der Spitze und in der Breite sicher zum qualitativ positiven. Was die bisherige Erwartungshaltung obere Tabellenhälfte hin zu mindestens oberstes Tabellendrittel verschieben dürfte.
Wobei natürlich wie immer auch die Frage ist, wie sich durch die Neuzugänge die Kaderhierarchie verschiebt. Aktuell durchaus beachtliche 26 Feldspieler, von denen sieben externe und zwei interne Neuzugänge sind, die Beziehungen und Strukturen innerhalb des Kaders müssen sicherlich erst wieder wachsen. Auch die Sprache wird angesichts der Neuzugänge Kalmár und Rebic, die kein deutsch reden, nun langsam ein Thema, das für die Integration von Spielern relevant ist (wie man ja schon bei Papadimitriou und Sumusalo lernen durfte).
Insgesamt hat sich die Qualität im Kader von RB Leipzig durch Marvin Compper und Ante Rebic noch mal erheblich erhöht. Bei unklaren Folgen für die Teamchemie auch angesichts dessen, dass Rebic als Neuzugang plötzlich der wertvollste Spieler im Kader ist. Man wird erst einmal abwarten müssen, ob die Erhöhung der Kaderqualität kurzfristig auch zu einer Erhöhung der Qualitäten auf dem Platz führt. Nachvollziehbar sind die Transferaktivitäten trotzdem.