Die offizielle Vereinsline, nur auf sich selbst und die eigenen Entwicklung zu schauen und nicht auf Chemnitz, nehme ich mir heut sehr zu Herzen. Alles andere wäre nach dem deprimierend klaren 6:1 des Chemnitzer FC beim 1.FC Magdeburg auch überflüssig.
Das Heimspiel gegen die Herthabubis glich in fast keinem Belang den bisherigen Heimspielen. Zum ersten Mal kein Gegentor, erst zum zweiten Mal nicht einem Rückstand hinterhergelaufen (das erste Mal, dass ich ein Heimspiel ohne frühen Rückstand erleben durfte) und erst das dritte Mal, dass RasenBallsport Leipzig mehr als 1 Tor schoss. Macht summa summarum eine Heimbilanz von 3 Siegen, 2 Unentschieden und 1 Niederlage. 11 Punkte bei 9:6 Toren in 6 Spielen sind immer noch ausbaufähig. Auswärts hingegen läuft es mit 14 Punkten bei 10:2 Toren in 6 Spielen etwas besser.
Es wäre in diesem Heimspiel sicher vieles anders gelaufen, wenn die übliche Gästegroßchance in der ersten Viertelstunde ins Tor gegangen wäre. Da die sehenswerte Volleyabnahme aus 25 Metern (die zurecht selbst bei den RB-Sympatisanten Beifall hervorrief) nach einem Eckball in Minute 10 aber an der Oberkante des Querbalkens landete, wurde aus einem potenziell zähen, schweren und gegen schnelle Offensivspieler der Gäste auch möglicherweise desaströsen Spiel ein recht entspannter, gutklassiger Kick, bei dem ich selten das Gefühl hatte, dass RasenBallsport Leipzig nicht mit 3 Punkten den Platz verlässt. Während Geißler und Kammlott ihre Großchancen noch liegen ließen, war es Nico Frommer vorbehalten in der 35. Minute zum 1:0 einzunetzen, nachdem die Hertha-Defensive Shaban Ismaili unbedränkt flanken ließ. Im Anschluss brachte RB Leipzig den Vorsprung bis zum Halbzeitpfiff über die Zeit.
Nach der Pause RasenBallsport weiter am Drücker und Kammlott mit einer weiteren Großchance, die er in der übermotivierten Absicht sein torloses Selbstvertrauen aufzubauen, selbst abschloss und versiebte, anstatt den wesentlich besser postierten Daniel Frahn (?, vielleicht war es auch Nico Frommer) zu bedienen. Ein paar Minuten später war es dann aber soweit und nach einer Ecke durfte Carsten Kammlott völlig alleingelassen seinen ersten Treffer in der Regionalliga erzielen und im Kreise der Mannschaft ausgiebig bejubeln. Mit dem 2:0 war die Luft aus dem Spiel heraus. Zu verspielt waren die Herthaner in ihren Angriffsaktionen, als dass sie (trotz eines weiteren Pfostenschusses) größere Gefahr ausstrahlen konnten. Der Rest des Spiels war das Duell zwischen einer Mannschaft, die nicht mehr wollte und einer Mannschaft, die trotz Profi-Verstärkung (z.B. der sehr talentierte Lasogga) nicht mehr konnte. Die Zuschauer übten sich währenddessen in ersten (geglückten) Versuchen eines Wechselgesangs zwischen Block B und A. Und die RasenBallsportler zeigten Richtung Spielende, dass ihr Konterspiel eine Katastrophe ist und man wohl offensiv lieber in Unterzahl und gewohnter Spielordnung als in Überzahl und schnell spielend agiert. Sicher eine Baustelle.
Man sollte den nie gefährdeten Heimsieg von RasenBallsport Leipzig nicht überbewerten. Was aber tatsächlich Mut macht, ist die Tatsache, dass das neugefundene Spielsystem beginnt zu funktionieren. Das offensive 4-3-3 mit zwei offensiven Mittelfeldspielern (Baier und Geißler) führt dazu, dass es immer wieder Anspielstationen gibt, sodass der Ball auch mal laufen kann und man so auch aus dem Spiel heraus zu Chancen kommt. Tom Geißler merkt man an, dass es ihm gut tut, dass er nicht die alleinige Verantwortung für den Spielaufbau tragen muss. Benjamin Baier als kreativer Rechtsfuß tut dem Spiel mit seinen Ideen sehr gut. Und selbst Timo Rost scheint in seiner Alleinunterhalterrolle im defensiven Mittelfeld aufzublühen, weil er dort seine offensiven Schwächen am besten verbergen kann. Dazu kommt, dass RB Leipzig drei erstklassige Stürmer hat, die im Spiel häufig ihre Positionen wechseln und so für viel Unruhe in den gegnerischen Abwehrreihen sorgen.
Und das 4-3-3 ist nicht nur ein offensivstarkes System. Defensiv wird das ganze flugs in ein 4-1-4-1 uminterpretiert, was für die beiden Flügelstürmer viel Arbeit nach hinten bedeutet, eine Laufarbeit, die vor allem Kammlott und Frahn großartig verrichten. Zwei defensive Flügelstürmer plus ein zentrales Dreier-Mittelfeld führen also zu einem kompakten Defensivverbund, der in der Lage ist auch schon mal im Mittelfeld einen Ball zu erkämpfen und so potenziell Überzahlsituationen auszuspielen. Wo allerdings wieder die eklatante Schwäche im schnellen Umkehrspiel zum Tragen kommt. Spannend am Umstellen vom 4-3-3 in der Offensive auf ein 4-1-4-1 in der Defensive ist, dass dies offenbar ein neues taktisches Mittel ist. Im bisher einzig von mir verfolgten Versuch des 4-3-3 im Heimspiel gegen Hannovers U23 standen die Stürmer auch bei gegnerischem Ballbesitz oft auf einer Linie und versuchten die gegnerische Abwehrviererkette unter Druck zu setzen (teilweise agierte damals Tom Geißler auf einer Linie mit dem Stürmern, wurde also aus dem 4-3-3 ein 4-2-4), was aber zu vielen Räumen und Löchern im Mittelfeld und in der Folge zu mehr Gefahr für das eigene Tor als für das gegnerische Tor sorgte. Hier behebt also das Umschalten in der taktischen Grundordnung zwischen Offensive und Defensive einen Fehler im System und schafft dabei (dank flexibler Stürmer) den Spagat zwischen offensiver Power und defensiver Kompaktheit.
Fazit: Spiel 12 der RasenBallsportler war sicherlich noch weit davon entfernt, ein perfektes Spiel zu sein. Trotzdem ist man nach dem Spiel einige Schritte weiter als noch vor 2 Wochen. Taktisches Korsett und individuelle Leistungen beginnen zu funktionieren und machen Mut für die Spiele im November, bei denen die Gegner unter anderem Chemnitz, Halle und FC Sachsen (Pokal) heißen. Am Ende des Novembers wird man wissen, wohin die Reise der Saison führen kann.
Randbemerkung 1: Die Gestaltung der Halbzeitpause war – selbst wenn man die bisherigen Heimspiele als Maßstab betrachtet – unterirdisch. Keine Ergebnisse von den RB-Nachwuchsteams, noch nicht mal Halbzeitergebnisse von den anderen Plätzen, lediglich ein paar der üblichen Hits oder Nicht-Hits plus 4, 5 Werbespots. Luft nach oben beschreibt die Situation nicht ansatzweise. Mir persönlich ist es ein absolutes Rätsel, warum man die 15 Minuten mittendrin nicht nutzt, um die Situation der Teams von U23 abwärts darzustellen und so auch den Gesamtverein ins rechte Licht zu rücken. Vom Einladen einzelner Verantwortlicher aus diesem Bereich und kurzen Interviews mit diesen ganz zu schweigen.
Randbemerkung 2: Ich finde Freikartenaktionen super, wichtig und gut. Es lockt Fußballinteressierte ins Stadion, die sich davon eventuell begeistern lassen und wiederkommen, wodurch das Wachsen von Fans und Mannschaft befördert wird. Und sowieso macht es in einer 44.000-Zuschauer-Arena Sinn, den reichlich vorhandenen Platz auch zu füllen. Meiner Meinung nach sollte man aber aufpassen, dass das Publikum auch eine Chance hat zusammen zu wachsen und nicht jedesmal dank Freikarten ein völlig anderes, neues Publikum erscheint. Tausend Zuschauer weniger beim gestrigen RB-Spiel gegen Hertha hätte eventuell ein Plus an (trotzdem ok’er) Stimmung bedeutet, weil Block A dann zu großen Teilen mit Zuschauern gefüllt gewesen wäre, für die die RasenBallsport-Heimspiele ein gewohnter Ort sind und deren Mitfiebern mit der Mannschaft sich auch in Lautstärke (und sei es das rhythmische Klatschen) ausdrückt. Wenn man zum ersten Mal im Stadion ist, schnuppert man erstmal Atmosphäre und fiebert noch nicht zu 100% mit. Wenn dann Blöcke zu einem Drittel aus Neuzuschauern bestehen, dann beflügeln sich die Zuschauer nicht mehr gegenseitig und es wird stellenweise ruhiger als bspw. aus dem Wilhelmshaven- aber auch aus dem grottigen Wolfsburg-Spiel gewohnt. Eben nicht trotz der großen Zuschauerzahl von über 7000 sondern wegen. Just my 2 cents.
Licht- und Schattenblicke:
Es fällt mir diesmal schwer irgend einen Spieler positiv oder auch negativ herauszuheben. Die gesamte Mannschaft hatte einen gleichermaßen guten, aber auch ausbaufähigen Tag erwischt. Shaban Ismaili bspw., mit seiner Art und Weise immer zwischen Genie und Wahnsinn pendelnd, hatte gestern defensiv in Halbzeit 1 viel Wahnsinn erwischt und lief seinen Gegenspielern oft hinterher. Dafür bereitete er den Führungstreffer vor und war auch ansonsten gewohnt agil. Bei Benjamin Baier als weiterem Beispiel sah man etwas, was man bisher bei RasenBallsport Leipzig immer vermisste, den Versuch Bälle in die Spitze, in die Nahtstelle der gegnerischen Abwehr zu spielen. Baier bringt also kreatives Potenzial ins Spiel, das es bisher fast gar nicht gab. Da es oft bei Potenzial blieb, auch hier nicht unbedingt eine herausragende Leistung. Tom Geißler war neben Benjamin Baier ungewohnt auffällig als Ballverteiler, dabei aber auch noch ein gutes Stück entfernt von sehr gut. Carsten Kammlott schoss zwar ein Tor und hatte die eine oder andere gelungene eins-gegen-eins-Situation, verdaddelte aber auch gleich zwei Großchancen und hatte ansonsten noch einiges an Schatten. Oder anders gesagt, alle Spieler waren gut ohne zu glänzen, was summa summarum eine gute, souveräne Mannschaftsleistung ergab, der der letzte Glanz aber noch fehlte.
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