Der moderne kommerzorientierte Fußball und die finanziell-sportlich dahinsiechenden Traditionsvereine, das sind für viele Fans zwei Seiten derselben Medaille. Aktivitäten gegen den modernen Fußball beschränken sich dabei oft auf Beschimpfungen und Drohungen (wie bspw. das ‘Wir kriegen euch alle’ der Lok Leipzig-Kurve beim Spiel gegen RasenBallsport Leipzig). Doch es gibt auch ganz praktische Handlungsanweisungen. Zwei seien hier in aller Kürze vorgestellt.
Bei Ostfussball.com schlägt man vor, dass ostdeutsche Traditionsclubs in einer eigenen Liga spielen sollen [broken Link]. In dieser eigenen, von den klassischen Fußballverbänden unabhängigen Liga, sollen die Sponsorengelder reichlich fließen, weil volle Stadien bei allen Derbys phantastische Fußballatmosphäre produzieren und somit die Sponsoren angezogen werden. Mal abgesehen davon, dass damit im Grunde nichts anderes gesagt wird, als dass man auch soviel Geld wie die ‘Kommerz’vereine haben will, bleibt es unvorstellbar, dass eine solche eigene Liga außer für die Hardcore-Kurven-Fans von besonderem Interesse für Spieler, Betreuer und Haupttribünenpublikum sein könnte.
Eine solche Traditionsliga würde aussehen, wie das Spiel der BSG Chemie gegen die Dritte des 1.FC Magdeburg [broken Link]. Eine große Gruppe Ultras versucht die andere Gruppe Ultras stimmlich und choreographisch zu übertreffen. Das mag sicher Reize haben, ist aber nur die halbe Fußball(fan)wahrheit. Andererseits ist der Vorschlag einer eigenen Traditionsliga natürlich in gewissem Sinne folgerichtig. Wenn man tatsächlich dem modernen Eventfußball, wie er hoffentlich auch bei RasenBallsport in Bälde Einzug hält, etwas dagegen setzen möchte und Fleiß, Schweiß, Ehrlichkeit und die Namen Sachsenring und Chemie für wichtiger hält als moderne Stadien und ansehnlichen Fußball, dann klingt es selbst für mich plausibel, dass man sich einen Rahmen schafft, in dem es sich mit seiner Traditionseuphorie gut leben lässt. Fazit: folgerichtige Idee, aber undurchführbar und in seiner Erfolgsprognose falsch.
Bei konzeptspeicher.de entwickelt ein Sebastian die Idee eines Dynamo-Energydrinks (broken Link) (gefunden via chemieblogger.de). Weil Red Bull die bestehenden Traditionsvereine in Sachsen angreife, müsse man Red Bull mit seinen eigenen Mitteln schlagen: Energydrink Dynamo gegen Energydrink Red Bull, Marke gegen Marke, traditionsbewusstes Trinken gegen Kommerztrinken. Das klingt kreativ und ist, wenn man Red Bull als schlimmen Angriff betrachtet, genauso folgerichtig wie die eigene Ostliga. In letzter Konsequenz handelt es sich aber auch hierbei um eine Schnapsidee.
Schon die Annahme, dass ein Lok-Fan zu einer Dynamo-Flasche greifen könnte, weil man in Red Bull einen gemeinsamen Feind habe, klingt angesichts der fest verwurzelten Fanfeinschaft zwischen beiden Lagern abwegig. Das gilt natürlich ebenso für andere Fanlager in Sachsen. Zudem ist die Einführung einer Marke auch immer mit Problemen verbunden. Die Annahme hinter der Idee des Dynamo-Energydrinks ist ja, dass man einfach das positive (traditionsbewusste?) Image der Marke Dynamo nimmt und damit einen Drink und letztlich wieder den Verein beflügelt. Doch könnte es nicht sein, dass damit das Image von Dynamo Schaden nimmt (Kommerzverein! [;-)])? Oder ‘Dynamo – der Drink’ einfach floppt, weil die breite Masse es nicht braucht oder er gar nicht erst in der Mehrzahl der Läden landet? Oder es nicht gelingt, den potenziellen Käufern (mit angemessenen Marketingmitteln) zu verklickern, dass es traditionsbewusstes Handeln ist, wenn man ‘Dynamo – der Drink’ kauft? Fazit: folgerichtige Idee, aber mit vielen Unwägbarkeiten verbunden und letztlich vermutlich undurchführbar.
Zwei Sachen noch allgemein: Ich finde es erstaunlich, dass man mit dem Einstieg von Red Bull erkannt hat, dass die Traditionsvereine dadurch den Bach runtergehen. Da schaffen es fast alle ostdeutschen Traditionsclubs 20 Jahre lang (bei zugegebenermaßen schwierigen Ausgangsbedingungen), sich sukzessive zugrunde zu richten (wie man auch im Osten erfolgreich Fußball arbeiten kann, hat Energie Cottbus in einer 100000-EInwohner-Stadt mit strukturschwacher Region drumrum überzeugend gezeigt) und in die Insolvenz zu führen oder permanent an der Grenze zur Insolvenz zu verwalten und dann kommt Red Bull, gründet einen Fußballclub im Osten und ist Schuld, dass die Traditionsvereine den Bach runtergehen? Naja.
Zweitens ist es erstaunlich, dass die Gegner von Red Bull offenbar vor allem ein Problem damit haben, dass die Firma viel Geld hat und die Traditionsvereine nicht. Angenommen Red Bull hätte 100 Millionen Euro versprochen, um Sachsenring Zwickau (unter diesem Namen) in die Bundesliga zu führen, wäre Red Bull dann der Retter eines Traditionsclubs geworden oder auch ein Vernichter?
Oder anders gefragt, was verbindet den FSV Zwickau von vor einem halben Jahr, der Geld ausgibt, das er nicht hat, mit der Fahrstuhlmannschaft Sachsenring Zwickau aus den Achzigern des letzten Jahrhunderts? Was ist es, was einen Traditionsclub ausmacht? Ist es das Image? Ist es eine Zuschreibung der Zuschauer, die zufälligerweise sehr lange in der selben Stadt wohnen und dabei die Höhen und Tiefen eines Vereins hautnah miterleben?
Ich für meinen Teil glaube nicht, dass Vereine so etwas wie einen Kern haben, der sich über die Jahrzehnte nicht verändert und so etwas wie das Traditionsgerüst bildet. Vereine sind immer ganz stark davon geprägt, wie die aktuelle Leitung (Präsidium und sportliche Verantwortliche) arbeitet und deshalb verändern sich Vereine auch über die Jahre und sind eigentlich nur anhand ihres Namens (wobei auch das für viele Ostvereine nicht gilt), dem Traditionszimmer oder der Zuschreibung der Zuschauer (eine Zuschreibung, die nicht mal einheitlich ist für alle Fans desselben Vereins) auch nach 30 Jahren noch als die alten Vereine auszumachen.
Und eins noch abschließend: Ich finde es insgesamt gut, wenn sich Leute Gedanken machen, wie sie jenseits der Beschimpfung und Drohung kreativ mit der Situation Red Bull umgehen und versuchen, ihrem Lieblingsverein zu helfen. Das ist ein pragmatischer Umgang mit der Situation, der den Vereinen im Osten unter Umständen sogar hilft und der dem Duktus von Lok-Präsi Kubald folgt, der richtigerweise und sinngemäß davon sprach, dass er an der Situation mit Red Bull nichts ändern könne und dementsprechend versuchen muss, das Beste für seinen Verein daraus zu machen.
So sieht es aus: Vereinsarbeit ist in Ostdeutschland durch Red Bull weder leichter noch schwerer geworden und alle, die vernünftig weiterarbeiten mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, werden ihren Weg gehen. Wenn man allerdings wie der FC Sachsen und der FSV Zwickau viel Geld (welches man nicht hat) falsch und mit geringem sportlichen Erfolg investiert, wird man im Traditions-Osten auch zukünftig Insolvenzen ernten.
Hej, schön, daß Du meinen Beitrag gefunden hast und ihr hier aufgreifst. Leider fehlt mir gerade die Zeit, um die zwei eigentlichen Kernthemen (1. Kann der rein kommerzielle Gedanke “Marke macht Fußball” den Fußball als solchen kaputt machen, weil er den Gedanken “Fußball hilft Marke” ersetzt? und 2. Wieweit kann Merchandising erfolgreich gehen) zu diskutieren.
Natürlich handelt es sich bei meiner Idee um eine “Schnapsidee” und wenn ich von einer Durchführbarkeit ausgegangen wäre, dann hätte ich sie nicht in meinem Blog veröffentlicht sondern als Einschreiben an Sportfive gesendet!
Ich hatte mir vielmehr erhofft, daß es tatsächlich zu der Diskussion kommt, wie stark die Marke “Fußballverein” wirklich sein kann und welche Eigenproduktionen sich daraus ableiten ließen, die über das klassiche Merchandising (Trikot, Handtuch, Bettwäsche, Tasse) hinausgehen..
Bei Dir finde ich dazu Ansätze, das freut mich!
Sebastian
Nur kurz zur Info. Der “Sebastian” vom Chemieblogger und ich (schreibe ab und an mal bei ostfussball.com nen Kommentar) sind nicht ein und die selbe Person.
Das Problem sind die Masse der Großunternehmen oder Unternehmer welche immer mehr in den Fußball drängen und sich nicht mehr nur mit Trikot- oder Bandenwerbung zufrieden geben, sich stattdessen ganze Vereine unter den Nagel reißen oder gar neu gründen und auf Tradition und Vereinsfarben schei*en. Das ist der Kern des Problems. Fußball ist Volkssport, und keine Wochenendvergnügung für Reiche oder das Hobby zum Zweck für Unternehmer und Unternehmen. Denen gehts nur vordergründig um Sport, vielmehr um Gewinnoptimierung, Wiedererkennung der Marke und Konsumentengewinnung. So wird Beruf zum Hobby. Eben mal umgekehrt.
@Sebastian II: Ich glaube, ich verstehe diese Argumentation immer nicht ganz. Fußball ist Volkssport gilt vielleicht für Teams unterhhalb von Liga 3 (eher wahrscheinlich unterhalb von Liga 5), in den Bundesligen ist Fußball ein Sport, der von Firmen gemanagt wird, egal ob sie Borussia Dortmund oder Hoffenheim heißen. Wenn man dorthin will, braucht man professionelle Vereinsstrukturen, die dem Anspruch gerecht werden, jedes Jahr viele Millionen Euro umzusetzen, Verträge zu schließen und sich um die Infrastruktur (Training, Scouting, Stadion etc.) zu kümmern. Wenn Du Fußball als Volkssport willst, dann bist Du doch bei Chemie richtig und beim FC Sachsen hört man in Fankreisen ja auch oft, dass man es eigentlich gut findet mit jungen Spielern ehrlichen Fußball zu spielen und nicht ganz nach oben zu wollen. Damit spielen sowohl Chemie als auch der FC Sachsen schon jetzt in ganz anderen, ideellen Ligen als RasenBallsport, die Fußball eben als professionelles Produkt anbieten wollen (so wie bspw. Borussia Dortmund). Somit stehen sich die Vereine auch nicht gegenseitig im Weg oder nehmen sich etwas weg, sondern grasen auf unterschiedlichen Wiesen.
Und: “Gewinnoptimierung, Wiedererkennung der Marke und Konsumentengewinnung” ist kein Red-Bull-Spezifkum, sondern vermutlich etwas, was alle Bundesligavereine und deren Sponsoren umtreibt. Das kann man dem ‘modernen Fußball’ meinetwegen vorwerfen (mein Vorwurf ist es nicht), daraus zu schließen, dass den Unternehmen der Fußball egal ist, halte ich allerdings für gewagt. Ich vermute, dass bspw. Herr Beiersdorfer eine recht hohe Affinität zum Fußball hat bzw. auch die professionellen Vereine nur funktionieren, weil sie auf Funktionärsebene (Trainer, Betreuer) von Fußballverrückten geführt werden. Oder anders gesagt: Dass Du eine Meinung hast, wie Dein Fußballverein aussehen soll, ist ja schön, aber sinngemäß mit einem Zitat zu den HFC-Ultras geantwortet: es ist ziemlich anmaßend, Funktionären, Spielern und Anhängern eines anderen Vereins sagen zu wollen, wie ihr Verein auszusehen und zu arbeiten hat.
Ist doch eigentlich ganz einfach:
Ein BVB benötigt den kommerziellen Erfolg als Mittel zum Zweck, welcher da lautet: Größtmöglicher sportlicher Erfolg.
Das Ziel ist, trotz allen Wettkampfes ums Monetäre, immer noch vorrangig, die bestmögliche sportliche Leistung zu erbringen.
Das ist der Sinn und Zweck der meisten “Fußball-Unternehmen” – und eint sie, trotz anderer Größenverhältnisse mit den Vereinen aus der Landesliga oder tiefer…
Bei Red Bull hingegen ist der sportliche Erfolg bloß Mittel zum Zweck: Größtmöglicher wirtschaftlicher Erfolg.
Und eben da, wo der Fußball in seiner Bedeutung derart degradiert wird, verliert er seine Seele.
Von daher:
Bullen sichten und vernichten…
@ Waldschrat: Für ALLE Vereine gilt, dass sportlicher und kommerzieller Erfolg untrennbar zusammenhängen und in Deinen Worten: “Das Ziel ist, trotz allen Wettkampfes ums Monetäre, immer noch vorrangig, die bestmögliche sportliche Leistung zu erbringen.”
Für ALLE Vereine gilt zudem: Die Hauptsponsoren der Vereine sind in erster Linie am größtmöglichen wirtschaftlichen Erfolg interessiert, sportlicher Erfolg (besser das Image des Vereins) ist vor allem Mittel zum Zweck.
Für ALLE Vereine gilt: Fußballer und sportliche Leitung kämpfen vor allem für sportlichen und persönlichen Erfolg und somit unmittelbar für den kommerziellen Erfolg des Vereins. Der Erfolg des Hauptsponsors wird dabei quasi ‘in Kauf’ genommen oder in Marketingaktionen direkt unterstützt.
Für NICHT ALLE Vereine gilt: Der Hauptsponsor gibt nicht nur Geld, sondern hat selbst die Verantwortung für den sportlichen Bereich (gilt aber auch für VW und Bayer).
Für ALLE Vereine gilt trotzdem: Entscheidend ist auf dem Platz.
Für ALLE, die hier fürderhin Kommentare schreiben wollen gilt zudem: Beleidigungen, Beschimpfungen, Drohungen werden zukünftig umstandslos gelöscht. Das gilt auch für Drohungen gegen bestimmte Tiere männlichen Geschlechts.
Der Schein trügt …
Weniger reißerisch, dafür aber ehrlich, wäre die Überschrift:
“Gedanken zu Aktivitäten gegen den modernen Fußball”
Der verwendete Titel unterstellt ja geradezu, dass bösartige Machenschaften bereits in vollem Gange sind.
Vielleicht hat uns die unbekannte Energie, die zu mehr antreibt, hier auch schon erfasst?
Ein netter Marketingtrick.
Gratulation!