Zwischen Erfolgen und Fachidioten – RB Leipzigs Nachwuchssaison 2014/2015

Über alle Maße erfolgreich war sie die (fast) abgelaufene Nachwuchssaison bei RB Leipzig. Die U23 sicherte sich als Aufsteiger in die Oberliga auf sehr überlegene Art und Weise den Aufstieg in die Regionalliga und wurde gleichzeitig Meister. Mit Tom Nattermann als Torjäger (26 Treffer, aktuell fünf weniger als Neugersdorfs Jan Nezmar) gewann man von bisher 29 Spielen (eins steht noch aus) 22 und landet nun in einer Spielklasse, die auch für Nachwuchsspieler mit Profiambitionen langsam interessant wird.

Zur neuen Saison steht mal wieder ein Umbruch an. Ältere Spieler wie Heinze, Schinke oder Felke, die an den letzten Aufstiegen mitentscheidend beteiligt waren, machen Platz für Nachwuchsspieler. Auch Tom Nattermann, der einst von Peter Pacult noch einen Profivertrag erhalten hatte, wird den Verein wegen fehlender Perspektiven Richtung Zweitligateam wohl verlassen und im besten Fall in der dritten Liga unterkommen.

Es ist dies der vorerst letzte Schritt in einem Umbau hin zu einem echten Zweitteam mit vielen Talenten und zwei, drei Korsettstangen, wie sie auch Henrik Ernst, der von den Profis runterkommt, eine sein soll. Sodass die sportlichen Ziele in der Regionalliga vor allem Eigengewächse erreichen sollen.

Aus der U19 werden deshalb absolute Leistungsträger wie Innenverteidiger Sören Reddemann und Mittelfeldspieler John-Patrick Strauß mit in die U23 rücken. Wer von den anderen Spielern aus dem 96er-Jahrgang, der kommende Saison nicht mehr für die U19 spielberechtigt ist, noch nach oben rückt, wird man dann Richtung Saisonbeginn sehen.

Fakt ist, dass die U19 als Aufsteiger in die Bundesliga eine überragende Saison gespielt hat und es als erste Mannschaft überhaupt schaffte, direkt Meister zu werden und an den Endspielen um die deutsche Meisterschaft teilzunehmen. Am Ende scheiterte man im Halbfinale etwas unglücklich mit zwei 2:3-Niederlagen an Hoffenheim, die körperlich etwas robuster und offensiv effektiver agierten.

Ähnlich erfolgreich die U17, die zum zweiten Mal in Folge an der Endrunde um die deutsche Meisterschaft teilnahmen und erstmals Staffelsieger in der Bundesliga Nord/Nordost wurden. Mit Toptalenten wie Felix Beiersdorf, Ermedin Demirovic, Vitaly Janelt, Dominik Franke oder Renat Dadashov hatte man auch Borussia Dortmund im Halbfinale der deutschen Meisterschaft am Rande des Ausscheidens, musste sich am Ende in der Summe zweier Spiele aber doch 1:4 geschlagen geben. Was den Grad an Ausgeglichenheit in den Partien insgesamt nicht sonderlich gut wiedergibt.

Entscheidend im Nachwuchsbereich weiterhin, wie man die Durchlässigkeit nach oben gewährleistet. Aktuell wird vor allem viel im Bereich der 14- bis 16-jährigen gescoutet und die bis dahin lokal geprägte Fußballergruppe aufgefrischt. Von dort aus ist zumindest der Weg Richtung U19 und im Fall der Fälle auch der U23 gewährleistet. Darüber hinaus bleibt es sehr schwer.

Denn mit Smail Prevljak hat es bisher nur ein Spieler bei RB Leipzig zu Einsatzminuten in einem Pflichtspiel bei den Profis geschafft, der vorher bei einem Nachwuchsteam U19 abwärts spielte (zumindest wenn man die zwei Einsätze eines Nattermanns bspw. 2013 in sportlich irrelevanten Ligaspielen nach Erreichen der Meisterschaft nicht mitzählt). Und der Bosnier Prevljak geht auch nicht unbedingt als absolute Leuchte der RB-Nachwuchsförderung durch, da er vor seinem ersten Zweitligaeinsatz am ersten Spieltag dieser Saison gerade mal ein Jahr im Verein war und drei Wochen später nach Liefering verliehen und inzwischen nach Salzburg abgegeben wurde.

Für die nächsten Jahre wird interessant sein, ob Spieler aus dem eigenen Nachwuchs auch den Schritt nach oben schaffen. Für die kommende Spielzeit scheint man wieder mal komplett auf externe Neuzugänge zu setzen. Mit John-Patrick Strauß hat man zudem noch einen Nachwuchsmann, der schon letzte Saison zeitweise nah am Profikader war und sich kommende Saison über U23-Einsätze neu präsentieren kann. Die Attraktivität der RB-Nachwuchsarbeit wird auch davon abhängen, inwiefern den Spieler dadurch Schritte in die Karriere als Profifußballer ermöglicht werden.

Damit zusammen hängt natürlich auch die Art und Weise der Ausbildung bei RB Leipzig, die in den letzten Jahren immer mal wieder im Mittelpunkt von Diskussionen stand. Zuletzt klagten Philipp Selldorf und Ronald Reng in einem Gespräch im Deutschlandfunk über die Nachwuchsarbeit bei RB, die zu eindimensional und auf Athletik, Geschwindigkeit und Aggressivität fokussiert sei. Die Ausbildung individuell-technischer Qualitäten werde dabei vernachlässigt, wodurch pointiert gesagt Fachidioten im Sinne der Pressingphilosophie des Vereins und nicht in verschiedenen taktischen Settings flexibel einsetzbare Spieler entstünden.

Diese Form der kritischen Diskussion um die Ausbildung bei RB Leipzig ist nicht ganz neu. Als einer der ersten ließ DFB-Nachwuchstrainer Frank Engel in einem inzwischen nicht mehr online verfügbaren Interview auf der DFB-Website vor einem Jahr erkennen, dass es diesbezüglich zwischen Verband und Verein inhaltlich unterschiedliche Ansichten und anregende Diskussionen gebe.

Engel erklärte, dass ihm der Fokus auf Tempo zulasten “der Ausbildung von individuellen, technisch-taktischen Fähigkeiten” gehe und dies nicht im Sinne der Grundausbildung der Spieler sei. Aus DFB-Sicht macht diese Anmerkung sogar Sinn, denn für den Verband, der bei der Ausbildung der Spieler den Vereinen vertrauen muss, geht es natürlich im Gegensatz zum Verein nicht darum, Talente auf eine spezielle Philosophie hin zu trimmen.

Eine Philosophie, die bezüglich ihrer erfolgsversprechenden Fokussierung auf Athletik und Geschwindigkeit (wie man sie auch bei der U17 gegen Dortmund gesehen hat, als die Gäste doch einige Mal von der Agressivität im RB-Pressing beeindruckt waren und früh Bälle verloren) nicht nur von Konkurrenten kritisch gesehen wird, sondern auch dazu führen kann, dass eigene Talente diesen Weg nicht mehr bestreiten wollen.

So verließ beispielsweise der 16jährige Bastian Strietzel vor einem Jahr RB Leipzig in Richtung Mönchengladbach. “Die Spielphilosophie bei RB gefällt mir nicht.”, ließ Strietzel, der in dieser Saison zum Stammspieler in der U17 der Borussia wurde, nach dem Wechsel via LVZ verlauten. Als ballbesitz- und passorientiert beschrieb das Blatt den Spielstil von Strietzel, der nicht so recht zum schnellen, gern auch mal hoch und langen Spiel in die Tiefe und der Jagd nach dem zweiten Ball bei RB Leipzig passte.

Es macht natürlich wenig Sinn, bei der Bewertung der Nachwuchsausbildung bei RB Leipzig ästhetische Argumente einzubringen, wie dies Reng und Selldorf in ihrem interessanten Gespräch taten. Denn die zentrale Frage hinter diesem Gesamtfragekomplex, wie eine Nachwuchsausbildung auszusehen hat, besteht eher darin, für wen der Aufwand letztlich betrieben wird. Für den Verband, den Verein oder gar den Spieler selbst?

Wenn man die Idee hinter den Nachwuchsleistungszentren nimmt, wie sie für Proficlubs Vorschrift sind, dann ging es dabei vor allem darum, verbandsseitig Strukturen vorzuschreiben, die in der Lage sind flächendeckend in Deutschland Talente auf hohem Niveau auzubilden und somit auch auf Sicht die nationalen Teams mit sehr guten Spielern zu versorgen. Nimmt man diese Idee als Reaktion auf den qualitativen Niedergang der Nationalmannschaft in Teilen der 90er, dann soll die flächendeckende Talentausbildung eher zu einem breiten, in den Grundlagen ausgebildeten Spielerreservoir führen.

Dagegen steht das Vereinsinteresse wie es aktuell bei RB Leipzig besonders stark in der Nachwuchsausbildung betont wird, weil man die Spielphilosophie der Profis bis in die jüngsten Altersklassen hinein als protoypisches Ausbildungsziel benennt. Was dann eben in der Konsequenz zu einem stärkeren Fokus auf Umschaltbewegungen, Geschwindigkeit mit und gegen den Ball, Kompaktheit, Athletik und Dynamik führt.

Das ist aus Vereinssicht (der die ganze Zeche ja auch bezahlt und sich davon natürlich auch Ertrag erhofft) natürlich wiederum auch vollkommen sinnig. Zumindest wenn irgendwann tatsächlich mal gut in der eigenen Philosophie ausgebildete Spieler im eigenen Profiteam landen und sich nicht herausstellt, dass man mit den Vorteilen durch Athletikfokussierung im Nachwuchsbereich im Profibereich eher Nachteile hat, weil dort stärker individuell-technische Fähigkeiten gefragt sind, um mitschwimmen zu können.

Gewissermaßen zwischen Verband und Verein steht dann der Spieler selbst, der die Frage, welche Ausbildung er eigentlich genießen will, auch erst mal beantworten muss. Wobei in der Praxis die Pole Geschwindigkeit/ Athletik und Technik/ Taktik/ Individualität gar nicht so weit auseinander liegen dürften, wie sie dies auf abstraktem Diskussionsniveau tun. Sicherlich nicht einfach für Eltern und Kinder, sich bewusst gegen einen Verein zu entscheiden, weil der mehr Wert aufs Spiel in die Tiefe statt auf Ballbesitz legt. Zumal wenn der entsprechende Verein sportlich erfolgreich (immer noch das Kernziel des Ausübens von Sport) arbeitet.

Vermutlich wird sich die Frage, inwiefern die Ausbildung bei RB Leipzig einen zu stark eingeschränkten Fokus auf die Spielphilosophie der Profis hat, wohl nur durch die Zukunft beantworten lassen. Wenn ein Verein, der aktuell in den beiden höchsten Nachwuchsspielklassen jeweils zu den Topclubs des Landes gehört, in den nächsten Jahren nicht einige Talente im Profifußball auch jenseits des eigenen Profiteams unterbringen kann, dann läuft in der Ausbildung wirklich was schief, weil man dann mit der Vereinsphilosophie im Nachwuchs zwar offenbar erfolgreich ist, aber dies individuell trotzdem nicht zu höherem beruft.

Bis dahin bleibt es eine Debatte, die natürlich auch vom Standpunkt bei Verband, Verein oder auf Spielerseite abhängt, also interessegeleitet ist. Oder auch mal normative Positionen beinhaltet, wenn man den Athletik- und Geschwindigkeitsfokus als unästhetisch und den Fußball als schön anzusehendes Spiel zerstörend ansieht. In diesem Meinungsraum ist allerlei Platz für viele, mal mehr mal weniger inspirierende Debatten. Und vieles darin ist auch eine Frage des fußballerischen Zeitgeists.

Raum für Debatten böte auch die Tendenz, dass immer mehr Teams ihre zweiten Mannschaften abmelden, weil sie verbandsseits nicht mehr zum Führen einer solchen verpflichtet sind. Was dahingehend interessant ist, dass die Verbände früher die Teilnahme der zweiten Mannschaften am Männerspielbetrieb bspw. in der Regionalliga damit verteidigten, dass in diesen Teams eine unverzichtbare Ausbildung für den deutschen Fußball stattfinden würde.

Wenn dieselben Verbände nun meinen, dass U23-Teams nicht mehr so wichtig sind, als dass man sie den Vereinen vorschreiben könnte, dann sollte man doch annehmen, dass damit auch das Argument für ihre Teilnahme am Männerspielbetrieb verloren gegangen ist. Vor allem angesichts der Tatsache, dass die großen Toptalente, die für die Nationalmannschaft interessant werden, sowieso spätestens mit 19 irgendwo bei einem Profiteam (und sei es per Leihe) spielen und keine U23 (die neuerdings meist zu U21 gemacht werden) mehr sehen.

Vermutlich geht man bei den Verbänden soweit in der Logik des Arguments dann doch nicht, sodass weiterhin diverse Zweitteams ab Liga 3 abwärts unterwegs sind. Wobei die Vereine, die ihre U23 nicht abmelden im Vergleich mit den Abmeldern noch mal einen zusätzlichen Vorteil generieren. Denn das Argument, dass die U23 mehr kostet als einbringt, mag in der einfachen Schlussrechnung stimmen.

Aber das damit einhergehende Argument, dass die besseren Spieler auch schon beim Übergang von der U19 für den Profifußball reif sind und die U23 nicht brauchen, vergisst ein wenig, dass sich möglicherweise Spieler überhaupt erst für die Ausbildung in einem Verein entscheiden, weil es dort potenziell eine U23 gibt, die für einen 16jährigen und dessen Eltern eine Zukunftsvision sein kann, wenn es denn bis 19 doch nicht mit dem Durchbruch klappt und wo man noch ein, zwei Jahre spielen kann, um den nächsten Schritt vorzubereiten.

Sprich, für einen Verein mag die U23 uninteressant sein, weil die meisten Spieler, die auf längere Sicht zum eigenen Profikader gehören, in diesem Nachwuchsteam sowieso nicht viel Zeit verbracht haben. Allerdings könnte die Ablehnung der U23 dazu führen, dass man gar nicht erst eine größere Anzahl an Talenten, aus denen dann die ein, zwei passenden 19jährigen wachsen, kriegt, weil sich Nachwuchsspieler aus Gründen der Absicherung, falls man es bis 19 nicht schafft, für einen Verein entscheiden, der noch eine U23 führt.

So gesehen hätte auch RB Leipzig einen Wettbewerbsvorsprung. Und falls irgendwann mal die Hoffnungen auf einen Platz in der dritten Liga mit der U23 in Erfüllung gehen, dann wäre dieser vermutlich sogar noch größer. Vielleicht ringen sich die Verbände bis dahin ja aber auch mal zum fälligen Schritt einer ausgelagerten bundesweiten U21-Liga durch, in der dann die in drei Bundesliga-Staffeln ausgebildeten Talente ihren nächsten Schritt dadurch gehen, dass sie jede Woche auf Topniveau spielen müssen und nicht nur jede dritte.

Fazit: Nachwuchstechnisch war die Spielzeit 2014/2015 für RB Leipzig unfassbar erfolgreich, auch wenn der U19 und der U17 der letzte Schritt Richtung Meistertitel verwehrt blieb. Man hat sich auf Topniveau durchgesetzt und weiterentwickelt und in den höchsten Spielklassen etabliert bzw. bei der U23 in die zweithöchstmögliche Spielklasse gespielt. Im Gegensatz zu vielen anderen Vereinen gerade der zweiten Liga hat man in Leipzig auch perspektivisch die Mittel, Nachwuchsausbildung auf allen Ebenen und Altersstufen professionell abzusichern. Was den Verein auf absehbare Zeit in den entsprechenden Ligen oben mitspielen lassen wird. Die Frage nach der Spielphilosophie im Nachwuchsbereich wird dabei keine über den Erfolg entscheidende Rolle spielen, bleibt aber in Bezug auf die eigenen Spieler und auf die Nachwuchsausbildung allgemein eine interessante.

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Tagesaktuell und mit viel mehr Tiefe aufbereitet wird das Thema natürlich im Nachwuchsbereich der offiziellen Vereinshomepage, wo man zeitnah zu den Spielen auch meist die Spielberichte (zumindest zu den höheren Altersklassen) findet oder im Nachwuchsforum von rb-fans.de. Die einst gern genutzte und immer informative RBL-Wiki ist leider inzwischen etwas verstaubt, weil ihr zur Pflege helfende Hände fehlen. Dafür findet man bei Twitter mit @crankrbl einen, der an den Entwicklungen des Nachwuchses und an vielen Spielen sehr nah dran ist. Wer ergebnistechnisch immer auf dem laufenden bleiben will, sollte sich zudem die RB-Vereinsseite bei fussball.de merken, wo man alle Nachwuchsmannschaften von RB Leipzig finden kann.

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Bisher schon erschienen:

Ein Gedanke zu „Zwischen Erfolgen und Fachidioten – RB Leipzigs Nachwuchssaison 2014/2015“

  1. Grundsätzlich ist es ja erstmal nur deine These, dass die Existenz einer U23 für Jugendspieler ein Argument beim Wechseln sind. Ich glaube das nur bedingt. Und wenn, dann sicherlich nicht für die begehrten Nachwuchsspieler, die von etlchen Vereinen geködert werden. Die werden auch in ihremn Selbstverständnis davon ausgehemn den Sprung direkt zu schaffen oder sich eben in die 2.BL/3.Liga verleihen zu lassen.
    In Bochum sollen zukünftig die jeweils besten 5-6 Spieler der U17 und U19 bei den Profis mittrainieren. Wäre die Frage, ob es für ein Talent, das sich fragt, ob es in die Jugend des VfL Bochum oder doch lieber Düsseldorf wechseln soll, wichtiger ist, dass es beim VfL zukünftig nach der U19 außer für 2-3 Spieler pro Jahrgang keine Zukunft geben wird (statt wie bisher wo vll. 5-6 Spieler in die U23 gewechselt sind), oder ob das regelmäßige mittrainieren bei den Profis schon als U17-Spieler nicht doch relevanter ist, wenn man als 16-jähriger den Wunsch hat Profi-Fussballer zu werden.

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