Sieben Pflichtspiele hat RB Leipzig 2015 bisher bestritten. Inklusive des DFB-Pokal-Ausscheidens gegen den VfL Wolfsburg verlor man viermal (einmal unglücklich), spielte zweimal (glücklich) Unentschieden und gewann zwei Partien. In fünf der acht Partien blieb man zudem ohne eigenes Tor, traf trotzdem insgesamt noch siebenmal und kassierte zehn Treffer.
Die Gesamtbilanz ist also mehr als überschaubar. Zumal, wenn man bedenkt, dass man in der Winterpause mit den Millionentransfers von Forsberg und Damari das deutliche Zeichen setzte, dass man schon in dieser Saison aufsteigen will. Diese Chance hat man vor den letzten acht Ligaspielen im hohen Wahrscheinlichkeitsbereich schon verschossen, sodass man sich in der Restsaison der Stabilisierung der Mannschaft und dem Abklopfen der wichtigen Einzelteile für die kommende Saison zuwenden kann.
Im Nachhinein muss man wohl festhalten, dass der Trainerwechsel nach bereits einem Rückrundenspiel von Alexander Zorniger zu Achim Beierlorzer nicht den vielleicht erhofften Aufschwung brachte, geschweige denn dass es ein Brustlöser für das Team gewesen wäre. Ob das auch bedeutet, dass der Trainerwechsel überflüssig war, muss jeder für sich beantworten. Fakt ist, dass die Bewertung dieser Frage wohl nicht nur über den sportlichen Erfolg in den letzten Spielen erfolgen kann, da hier ja auch Punkte wie das Binnenverhältnis zwischen Rangnick und Zorniger in Bezug auf die Weiterentwicklung der Mannschaft oder der Zeitpunkt bzw. das Handling der Trennung eine Rolle spielen.
Wenn man sich die letzten Spiele anschaut, dann könnte man aber die These aufstellen, dass mit dem Trainerwechsel einerseits das mannschaftsdienliche und defensiv stabile Pressing von Alexander Zorniger (Sportbild verstieg sich zuletzt sogar zur Behauptung, dass Zorniger ein “Defensiv-Fanatiker” sei) zeitweise in sich zusammenfiel, aber gleichzeitig die stärker auf Ballkontrolle und Offensivabläufe zielende Denkweise von Achim Beierlorzer nicht in dem Maße zum Tragen kam, wie man sich das im Sinne des Punktestandes gewünscht hätte.
Das mag insgesamt gar nicht so sehr erstaunen, bedenkt man, dass Achim Beierlorzer nur ein Spieltag nach der Winterpause ein Team übernahm, das zuvor noch die komplette Vorbereitung unter Zorniger absolvierte und die Neuzugänge noch lange nicht integriert waren. Dass unter diesen Voraussetzungen ein Umbruch mitten im Spielbetrieb ein gewisses Risiko birgt, musste allen Beteiligten klar sein und Achim Beierlorzer ist da auch nur derjenige, der das nach bestem Wissen und Gewissen ausbaden muss.
Erschwerend kommt dabei hinzu, dass der Abgang von Alexander Zorniger beim Großteil der Mannschaft und vor allem beim bisherigen Kern der Mannschaftshierarchie keine Befreiung war. Die Posse um den angeblich schlechten körperlichen Zustand von Dominik Kaiser, wegen dem er nach Zornigers Entlassung ein Spiel auf der Tribüne verbrachte, verweist in diese Richtung. Erst ein paar Wochen später wurde aus verschiedenen Äußerungen ziemlich deutlich, dass Kaiser nach dem Zorniger-Abgang vor allem ein mentales Problem hatte und sich nicht entsprechend auf Fußball fokussieren konnte.
Damit verbunden ist das generell von Achim Beierlorzer zu lösende Problem, dass er zusätzlich zum spieltaktischen Umbau auch einen Umbau in der Mannschaftshierarchie moderieren muss. Nicht etwa, weil Jungs wie Daniel Frahn oder Niklas Hoheneder oder Sebastian Heidinger Stinktiere wären, die nach Spielen auf der Tribüne schlechte Stimmung verbreiten würden, sondern weil die Mannschaft, die aktuell auf den Platz läuft, wieder eine neue Leitstruktur braucht, die auch durch negative Spielsituationen hilft.
Dass in Sachen Mannschaftsgeist etwas fehlt, lässt sich aus vielen Auftritten in den letzten Spielen ableiten. Vor allem das Auseinanderbrechen bei praktisch allen Auswärtsauftritten (wenn auch nie über die kompletten 90 Minuten) verweist darauf, dass das Team aktuell bei Gegenwind nicht Topleistungen abrufen kann. Das, was einmal die Qualität des Teams war, Gegenwind als etwas zu nehmen, was noch stärker zusammenschweißt und das Kollektiv stärkt, scheint ein wenig verloren gegangen zu sein, weil dem Team eine auch mental starke Achse fehlt.
Dazu passend auch die Ansicht vom Kapitän des FSV Frankfurt Manuel Konrad, der nach Beierlorzers erstem Pflichtspiel öffentlich am RB-Team zweifelte: “Wenn man sieht, wie sie Fußball spielen, ist das keine Mannschaft.” Ein Satz, den man wohl davor zuletzt unter Pacult gehört hatte.
Das Problem war natürlich auch unter Alexander Zorniger zu erahnen, der nach dem ersten Spiel in Aue richtigerweise anmerkte, dass in der ersten Halbzeit eine Mannschaft, aber nicht genug individuelle Klasse auf dem Platz stand und in der zweiten Halbzeit zwar die individuelle Klasse zu sehen gewesen sei, aber das Team fehlte.
Gerade die noch nicht vollständig in das Team und das Mannschaftsspiel integrierten Neuzugänge wie Yordy Reyna oder Emil Forsberg oder Omer Damari oder auch der nicht mehr neue Ante Rebic oder der erst recht nicht neue, aber verzweifelt um seine Form ringende Yussuf Poulsen verdeutlichen dieses Problem, wenn sie im Sturm als Alleinunterhalter um Offensivgefahr bemüht sind, aber fast komplett nebeneinander statt miteinander agieren.
Dass der nominell beste Sturm der Liga mit (bis auf Frahn) komplett nationalmannschaftserfahrenen Spielern seit der Winterpause erst ein Tor geschossen hat, ist jedenfalls bei allen Relativierungen, die man auch finden kann, eine ziemliche Katastrophe. Wenngleich sich darin natürlich nicht nur ein Stürmerproblem, sondern ein generelles Problem in der Offensivbewegung ausdrückt.
Das heißt auch, dass man bei der Lösung der in der Winterpause erkannten Probleme noch nicht so richtig weiter gekommen ist. Weiterhin generiert man zu wenig Torgefahr, auch wenn man unter Beierlorzer insgesamt schon wieder mehr aufs Tor schießt, als in der letzten Phase unter Zorniger (siehe RB-Fans.de). Zu sehen ist allerdings schon jetzt, dass man mit Forsberg und Damari die entscheidenden Bausteine an der Hand hat, um offensiv zuzulegen. Weil sie Spieler sind, die sowohl in den Zwischenräumen als auch im Spiel in die Tiefe agieren können.
Gerade Omer Damari könnte hier der absolute Unterschiedsspieler sein. Funktioniert er als jener, der sich auch immer wieder tief fallen lässt und Bälle sichert bzw. als Passstation zur Verfügung steht, dann sieht das RB-Spiel gut aus, weil sich dann Lücken für andere Stürmer wie Poulsen oder Forsberg ergeben. Damari hat einen prima Blick für die Spielsituation und trat bisher vor allem als Vorbereiter und Vorvorbereiter in Erscheinung. Findet er jetzt noch mit seinen Mitspielern so zusammen, dass die ihm auch mal was auflegen, wird es perfekt.
Bis dahin kämpft RB Leipzig aber ersteinmal nicht nur mit Offensivabläufen, sondern auch mit den Defensivrückschlägen. Vor allem in den Auswärtsspielen 2015 war die Abwehr und das Defensivverhalten als Team zeitweise ein Desaster, das nur deswegen nicht ganz so ins Gewicht fiel, weil man in den vier Spielen trotzdem nur vier Gegentore kassierte (was allein schon als Wunder durchgeht). In den Spielen in Braunschweig und Karlsruhe kassierte man jeweils neue Negativrekorde in Sachen zugelassene Torschüsse und präsentierte sich im Mannschaftsverbund vor dem eigenen Tor als absolut nicht reif für die Zweitligaspitze.
Das war meist vor allem der Tatsache zuzuschreiben, dass man in Sachen kompakt-aggressivem Pressing teils deutlich vom eigenen Weg abgewichen war. Wie die Mannschaft bspw. in Braunschweig vor der Pause gar nicht mehr aus dem Strafraum rausrückte bzw. sich sieben Feldspieler im Strafraum verschanzten und drei Stürmer 30 Meter davor interessiert zuguckten, das war in Sachen Aggressivität und Aktivität so eklatant nicht mehr das Team von zwei Monaten zuvor, dass es schon weh tat.
Generell verteidigt man derzeit nicht mehr immer nur nach vorn, sondern macht im Fall der Fälle in der Abwehrviererkette das, was unter Alexander Zorniger noch Tabu war, nämlich den Schritt nach hinten. Man scheint auch mit der Abwehrkette generell etwas tiefer zu stehen als zuvor, wobei gerade in Auswärtsspielen (Karlsruhe) die Abstände zu den Mittelfeldspielern nicht immer passten und die Gegner sich dazwischen austoben konnte. Auch die Außenverteidiger bekamen es durch den fehlenden Druck auf den gegnerischen Ballbesitz immer öfter mit Eins-gegen-Eins-Situationen gegen mit Geschwindigkeit auf sie zukommenden Gegenspieler zu tun, bei denen man im Normalfall als Außenverteidiger nur schlecht aussehen kann.
Das Verhalten des Teams im Spiel gegen den Ball wurde in den letzten Wochen also zum neuen Problem. Auf der anderen Seite sah man aber gerade in den Heimspielen auch jene Ansätze an Ballkontrolle und Offensivabläufen, die man sich als neuen Schwung vom neuen Coach erhoffte und an denen dieser auch sofort mit der Mannschaft gearbeitet hatte. Mit den eigenen Offensivqualitäten überrollte RB Leipzig bspw. Union in der ersten Halbzeit des entsprechenden Spiels. An einem Tag, an dem Forsberg und Damari ihre Klasse auf den Platz brachten und man miteinander spielte und nicht nebeneinander her dribbelte.
Taktisch ist Achim Beierlorzer zuletzt vom 4-3-3 zum 4-4-2 mit Doppelsechs geswitcht. Das 4-4-2 ist jenes System, das Zorniger in seinen Anfangstagen als präferierte Variante bezeichnet hatte. Nach wenigen Versuchen wurde dieses System allerdings schnell ad acta gelegt, weil die RasenBallsportler mit dieser Formation enorme Probleme hatten, defensive Gegner zu bespielen und gleichzeitig im Gegenpressing kompakt zu agieren.
Unter Beierlorzer funktionierte es gegen Düsseldorf, in ersten Halbzeit in Heidenheim und in der zweiten Halbzeit in Karlsruhe (dort als 4-4-1) eigentlich gut, weil man durch die zwei Viererketten eine vernünftige Balance zwischen Offensive und Defensive hatte und aus der dichten Formation heraus gut die eigenen Offensivkräfte einsetzen konnte. Dabei gewann man gegen Düsseldorf aber nicht in erster Linie wegen neuem offensiven Pass- und Kombinationsspiel, sondern eher durch Rückgriff auf aggressiv pressenden Zorniger-Fußball, entsprechende Ballgewinne und Umkehrspiel.
Wobei das natürlich auch Sinn macht, denn wenn man den Pressingschwarm, den man bis zum Winter bei RB Leipzig meist hatte, mit Kombinations- und Zwischenraumspielern wie Forsberg und Damari plus Poulsen als Mann für die Tiefe offensiv veredeln kann, dann hat man schon allerlei gewonnen. Als die zwei zentralen offensiven Probleme wurde im Winter ausgemacht, dass im Zwischenraum vor des Gegners Innenverteidigung (zwischen Neun und Zehn) und in der Verarbeitung von Bällen in die Tiefe mit der ersten Berührung Qualität fehlt. Nominell hat man dieses Problem gelöst. Gegen Düsseldorf hatte man als Zuschauer zum ersten Mal eine richtige Idee, wie diese gestiegene individuelle Qualität auf dem Platz aussehen könnte.
Trotzdem bleibt es augenscheinlich, dass die Probleme der (letzten) Zorniger-Tage, tief stehende Gegner zu bespielen, weiter ein Kernproblem sind. Wenn es robust und kompakt zugeht wie bspw. in Heidenheim, dann tut sich RB Leipzig unheimlich schwer, mit klarem Kopf solange den Gegner zu bespielen, bis der umfällt. Weil man die Lösungen, um ein Spiel aus dem Mittelfeld heraus in Offenisvgefahr umzumünzen, noch nicht immer umzusetzen weiß.
Es gab in den letzten sieben Spielen unter Beierlorzer diesbezüglich Ansätze. Immer wieder den Pass in den Strafraum und hinter die Abwehrkette des Gegners zu suchen war einer. Dass inzwischen Mittelfeldspieler auch wieder aus dem Feld treffen, was bis zur Winterpause nur in einem DFB-Pokalspiel der Fall war, weist auch in diese Richtung, dass man im Strafraum für mehr Gefahr sorgen will und dafür auch Nicht-Stürmer in entstehende Lücken nachrücken.
Fazit: Die Herausforderungen in der Winterpause waren (auch wegen den spät dazukommenen oder verletzten Neuzugängen) groß. Der Komplettumbau im Sturm, der Plan weg vom 4-3-1-2 hin zum klareren 4-3-3 und zu mehr Offensivaktionen zu kommen (und jetzt zum 4-4-2 weiterzuwechseln), die Integration von neuen Spieler, die größtenteils der deutschen Sprache nicht mächtig sind, dazu der durch die Transfersummen höher werdende Aufstiegsdruck. Das alles allein hätte schon ausgereicht, um eine schwere Rückrundenaufgabe vor sich zu haben. Mit dem Trainerwechsel kam ein kleines Erdbeben dazu, dass die Teamsteinchen noch mal ordentlich durcheinander purzeln ließ und die Aufgabe verkomplizierte, weil nun auch noch die bis dahin existente Mannschaftshierarchie ein wenig durcheinanderkam.
Die kurze Nach-Zorniger-Zeit ist entsprechend ein ziemliches Auf und Ab, bei dem auf der einen Seite zeitweise das Defensivverhalten des Teams komplett auseinanderbrach und man auf der anderen Seite durchaus die einzelnen Bausteine für künftige Erfolge schon allesamt in irgendeiner Form sehen konnte (Offensivabläufe, Defensiv-Offensiv-Balance, aggressives Pressing). Jetzt muss man sie nur noch zu einem Gesamtbild zusammensetzen und vor allem dafür Sorge tragen, dass sie nicht an jeder Ecke wieder auseinanderfallen. Und man muss Sorge tragen, dass das Team auch wieder zu einem richtigen Team mit klaren Strukturen wird.
Das ist alles weder spieltaktisch noch teampsychologisch ein Selbstläufer, sodass man durchaus erwarten kann, dass Inkonstanz auch für die Restsaison ein treuer Begleiter bei RB Leipzig sein wird. Ein Aufwärtstrend sollte angesichts der individuellen Qualitäten und der länger werdenden Zeit, diese Qualitäten durch Training in stabile Teamqualität zusammenfließen zu lassen, allerdings in den nächsten Wochen sichtbar werden.
“Union überrollte RB Leipzig in der ersten Halbzeit mit den eigenen Offensivqualitäten. ”
Verdreher, oder so gemeint?
@dabdab: So gemeint, wie ich es lese. ;-) RB ist natürlich der Überroller und Union der Überrollte. Das mag aus der Synatx des Satzes nicht eindeutig hervorgehen, weil das Akkusativ-Objekt nicht gekennzeichnet wird. Durch den Kontext sollte es sich eigentlich erschließen, aber stimmt schon, dass es schriftlich eher schwer ist. Deswegen stelle ich den Satz mal um.