Den fünften Trainer im sechsten Jahr der Vereinsgeschichte darf man seit einer Woche bei RB Leipzig bei der Arbeit beobachten. Nach Tino Vogel (heutiger U23-Coach), Tomas Oral (vereinslos), Peter Pacult (vereinslos) und Alexander Zorniger (vereinslos) wird es mit Achim Beierlorzer nach Lage der Dinge eine Interimslösung bis zum Saisonende, also zum ersten Mal auch ein Trainer, der gar kein Weihnachtsfest im Verein erleben wird (zumindest nicht als Coach der Profis), wenn man diese von Vorgänger Alexander Zorniger eingebrachte Erfolgsrechnung aufmachen will.
Für Beierlorzer, der wie Zorniger 47 Jahre alt ist, ist der Sprung in die zweite Bundesliga ein enormer und in der Kürze der Zeit auch unerwarteter Karrieresprung. Schließlich kam der Coach erst zu Beginn der Saison aus dem Nachwuchsbereich von Greuther Fürth zu RB Leipzig, wo er wie schon beim alten Club die U17 in der Bundesliga betreute.
Auch wie für Zorniger ist der Posten als Cheftrainer bei RB Leipzig für Beierlorzer der erste Job im Profifußball, denn im Männerbereich coachte er zuvor lediglich ein Jahr lang in der damals noch viertklassigen Bayernliga (2002/2003) und konnte damals den SC Schwabach noch vor dem Abstieg retten. Zudem stehen neben der Nachwuchsarbeit in Fürth und Leipzig sechs Jahre mit dem SV Kleinsendelbach im Bezirksligafußball als Spielertrainer zu Buche.
Auch ähnlich wie Zorniger spielte Achim Beierlorzer in seiner aktiven Fußballerzeit ausschließlich unterklassig Fußball und war dabei zumindest zwei Jahre lang in der damals drittklassigen Regionalliga bei der SpVgg Greuther Fürth aktiv. Als Erfolge stehen neben Aufstiegen wohl vor allem die A-Jugend-Vizemeisterschaft mit dem 1.FC Nürnberg 1986 und der Sieg in der ersten Runde des DFB-Pokals mit Fürth gegen den aktuellen Pokalsieger Borussia Dortmund (3:1) zu Buche. Inklusive Beierlorzer-Tor.
Parallele zu Zorniger auch, dass Beierlorzer immer sehr mit der Region, aus der er stammte, verbunden blieb und in seiner ganzen Karriere als Spieler und Trainer vor seiner Leipziger Zeit nie aus einem Umkreis von 50 km rund um Nürnberg, der auch seine Heimat bei Erlangen einschloss, herauskam. Dass das jetzt bedeutet, dass nach der Schwaben-Welle bei RB Leipzig die Franken-Welle ausgerufen wird, darf man erst mal bezweifeln.
Bliebe noch eine letzte, die wohl für die aktuelle Jobperspektive wichtigste Parallele zu Zorniger, die darin besteht, dass auch Achim Beierlorzer bei der DFB-Fußballlehrer-Ausbildung, nach der er vom jetzigen Coach der Sportfreunde Siegen Michael Boris (wohlwollend gemeint) als “Studienrat” bezeichnet wurde, der Jahrgangsbeste war (1,0). Nur ein Trainer aus seinem Jahrgang arbeitet aktuell in einer höheren Spielklasse als Beierlorzer und das ist der HSV-Coach Joe Zinnbauer. Mit Valerien Ismael ist zudem ein weiterer Trainer dabeigewesen, der diese Saison schon in der zweiten Bundesliga tätig war.
Dass Achim Beierlorzer eine größere Karriere als Trainer anstrebt, war noch bis vor zwei Jahren nicht wirklich ausgemacht. Von 2010 an trainierte Beierlorzer zwar die Bundesliga-U17 von Greuther Fürth, aber erst zum Sommer 2013 gab er seinen Job als Gymnasiallehrer auf, weil er sich dazu entschlossen hatte, sich beim DFB zum Fußballlehrer ausbilden zu lassen, also den letzten Schritt in der Trainerausbildung zu gehen. In Absprache mit seinem Verein wagte er sich in dieses Abenteuer, in dessen Verlauf er endgültig merkte, dass er die Arbeit auf dem Fußballplatz auch dauerhaft betreiben möchte. Im Frühjahr 2014 war Beierlorzer dann gerüchteweise beim Drittligisten Jahn Regensburg im Gespräch, bevor Ralf Rangnick wieder mal zuschlug und ein im zumindest bundesdeutschen Rahmen unbekanntes, größeres Trainertalent nach Leipzig lotste.
Auf seinen bisherigen Trainerstationen stand Achim Beierlorzer immer auch für erfolgreiches Arbeiten. Bei der SpVgg Greuther Fürth entwickelte er die U17 zuletzt von einem Bundesliga-Abstiegskandidaten zu einem Spitzenteam. Wenn man die besonderen Bedingungen in Fürth und die bayerische Konkurrenz beim Kampf um Talente bedenkt, ein erstaunliches Ergebnis. Und auch in seinem ersten halben Jahr in Leipzig leistete er hervorragende Arbeit und übergab sein U17-Team als Tabellenführer der Bundesliga Nord/Nordost an seinen Nachfolger Robert Klauß, der vorher die U14 trainierte.
Achim Beierlorzer gilt, dafür steht nicht nur seine sehr gute Trainerausbildung, als taktisch sehr versierter Trainer, der zudem als ausgebildeter Pädagoge über die Fähigkeit verfügen sollte, um Inhalte nicht nur zu wissen, sondern sie auch in sinnvollen Portionen zu lehren. Im Nachwuchsbereich konnte er diese Fähigkeit schon nachweisen. Ob er damit auch Profis dauerhaft ansprechen kann, wird sich dann in Zukunft zeigen.
Lässt man mal alle Umstände der Beförderung Beierlorzers zum Cheftrainer außer Acht, dann ist die Wahl eine absolut plausible und auch gute und sie vermittelt zudem einen guten Eindruck vom Scouting bei RB Leipzig, das nicht nur auf Spieler, sondern auch auf Trainer abzielt. Noch relativ frisch bzw. noch unterklassig an der Linie stehende Talente zu beobachten und ihnen über die Einbindung in die eigene Nachwuchsausbildung und das Hineinwachsen in die Vereinsphilosophie auch einen Karriereweg im eigenen Verein anzubieten, klingt durchaus nach einer guten Idee. Hätte man Beierlorzer etwas weniger ad hoc und mit klar dauerhafter Perspektive zu Beginn einer Saisonvorbereitung zum Chef befördert, wäre es fast schon perfekt gewesen.
Aber auch ohne diese perfekten Rahmenbedingungen ist es natürlich für Achim Beierlorzer eine gute Karrierechance, mit einer indivduell gut aufgestellten Mannschaft die ersten Schritte im Profifußball machen und seine Idee von Offensivfußball umsetzen zu können. Dass er mit Ralf Rangnick und Co hinter ihm noch einige Personen hat, die ihm den Schritt erleichtern können, dürfte Beierlorzer eher als hilfreich, denn als einschränkend empfinden. Hätte nicht Rangnick selbst den Namen Tuchel als interessant bestätigt, dann könnte man fast denken, dass eine Struktur mit einem nah am Team agierenden Rangnick und einem fachlich kompetenten, eng mit dem Sportdirektor zusammenarbeitenden Cheftrainer, den man im Idealfall über die eigene Jugend herangeführt hat, zukunftsfähig wäre. Funktioniert natürlich nicht, wenn der Cheftrainer auf relativ autonomes Arbeiten setzt.
Man kann zum jetzigen Zeitpunkt nur spekulieren, wie sich RB Leipzig durch die Arbeit von Achim Beierlorzer verändern wird. Seine bisherigen Einlassungen könnte man dahingehend interpretieren, dass er insbesondere die Offensivabläufe beleben will. Sprich, die Abstimmung zwischen den Mannschaftsteilen beim Spielaufbau verbessern und den Ball bestmöglich in Zonen im und am Strafraum befördern, in denen die Stürmer ihre individuellen Stärken ausspielen können. Wie das System dabei am Ende formal heißt, ist Beierlorzer dabei ziemlich egal. Fakt bleibt aber, dass die Situation im Sturm mit gleich fünf Nationalspielern plus einem Daniel Frahn es auch erfordert, dass man die Stürmer irgendwo unterbringt.
Nicht nur die Situation im Sturm birgt einiges an Konfliktpotenzial in Sachen Kaderzufriedenheit. Ein Diego Demme beispielsweise sitzt sicherlich auch nur ungern auf der Bank. Nicht zuletzt weil der 23jährige diese Situation in den letzten drei Jahren überhaupt nicht kannte. Egal welchen Namen man noch nennen wollte, es geht letztlich bei der Arbeit bei RB Leipzig aktuell nicht nur darum, sportliche Abläufe zu verfeinern, sondern beim offensichtlich avisierten Antasten alter Mannschaftshierarchien auch das Teamgefühl mitzunehmen bzw. unter neuen Voraussetzungen zu entwickeln.
Achim Beierlorzer steht seinem Vorgänger Alexander Zorniger in taktischer Hinsicht sicherlich keinesfalls nach. In welchen Nuancen sich beide in ihrer Spielphilosophie unterscheiden (im Groben bleibt ja die Balljagd das zentral von oben vorgegebene Element), wird man dann demnächst im sportlichen Output erkennen. Dass sich Beierlorzer als Mensch von Zorniger unterscheidet, ist dagegen schon jetzt zu sehen (und auch nicht weiter verwunderlich). War Zorniger eher der offensive Typ, der mit seiner kommunikativen Art im Sommer 2012 in Leipzig Fußballeuphorie auslöste, ohne dass auch nur ein Pflichtspiel bestritten war, ist Beierlorzer sicherlich nicht weniger offen, aber wesentlich zurückhaltender in seiner Art und Weise der Kommunikation. Wobei die zurückhaltende Art nicht bedeuten muss, inhaltlich weniger deutlich zu sein, wie man in Beierlorzers erster RB-Woche schon an der einen oder anderen Stelle erkennen konnte.
Sieht man mal davon ab, dass es nicht verwundert, dass die Ernennung Beierlorzers zum Cheftrainer angesichts der Umstände keine spontanen Jubelstürme oder Euphorie auslöste, bleibt aber trotzdem zweifelhaft, ob Beierlorzer in die großen Fußstapfen treten kann, die Zorniger mit seinem Ego vor allem als meinungsstarkes, für den Verein stehendes und ihn verteidigendes Gesicht hinterlassen hat. Vielleicht ist es aber auch falsch, die Erwartung zu hegen, dass ein Fußballlehrer jenseits des eher technokratischen Arbeitens am Fußballoutput glänzen und sich einmischen können muss.
Der Job als Chefcoach bei RB Leipzig ist für Achim Beierlorzer eine große Chance, selbst wenn er am Ende nur bis zum Sommer auf dem Trainerstuhl sitzt. Denn er bekommt einen ersten Praxiseindruck, inwiefern er sein großes Fußballwissen auch in der Arbeit mit Profis umgesetzt bekommt. Ralf Rangnick lobte jedenfalls schon mal sein verbales Auftreten gerade im Umgang mit den Fußballern. Nur dass die eben wie seine Schüler am Gymnasium bisher eher jung waren.
Für Verein und Trainer bleibt letztlich eine Win-Win-Situation. Den Aufstieg erwartet kaum noch jemand ernsthaft, sodass Beierlorzer mit der Arbeit am Team eigentlich nur gewinnen kann bzw. zumindest nichts zu verlieren hat. Und für den Verein ist Beierlorzer eine Wahl, bei der kein Trainer, den man für die kommende Saison im Auge hat, kurzfristig verbrannt wird und jemand an der Linie steht, der den Verein und die Spielphilosophie schon kennt und somit wenig Anlaufzeit braucht, um zielgerichtet mit der Mannschaft zu arbeiten. Zumal mit Ralf Rangnick einer da ist, der gewillt ist, näher ans Team heranzurücken und mehr auf den Trainer einzuwirken.
Was dabei dann am Ende sportlich herauskommt, muss man abwarten. Fakt ist, dass die Kombination aus einem Chefcoach Beierlorzer und einem immer wieder mitredenden Rangick aktuell und in Bezug auf eine sichtbare Weiterentwicklung der Mannschaft in den verbleibenden 13 Ligaspielen sicher nicht die schlechteste ist, weil sich fachliche Kompetenz in Taktikfragen und in der Trainingsarbeit mit Kenntnis vom Kader und allerlei Erfahrung auch aus zweieinhalb Jahren RB Leipzig paart. Und auch wenn sich die Karrieren von Zorniger und Beierlorzer in vielerlei Hinsicht sehr ähneln, bleibt doch die Vermutung, dass Beierlorzer zumindest in den nächsten Wochen noch eher leicht formbar sein wird, sodass aus der Konstellation mit einem starken Sportdirektor auch kein Konfliktpotenzial resultieren dürfte.
Mögliche Unzufriedenheit mit den Ereignissen der letzten Zeit rund um den Zorniger-Abgang auf Achim Beierlorzer abzuwälzen, wäre sicherlich das falscheste und unfairste, was man machen kann. Rein fachlich ist Beierlorzer sicherlich absolut in der Lage ein Zweitligateam zu führen und da er zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, hat er sich die Chance des Chefcoachs bei RB Leipzig und vor allem auch Unvoreingenommenheit bei der Bewertung seiner Arbeit absolut verdient. Man darf aufgrund seines bisherigen Wirkens sehr gespannt sein, ob Beierlorzer seiner Mannschaft einen Stempel aufdrücken kann und wie der dann aussieht.
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