Topspiel ohne Topteams

[Direkt unter dem folgenden Vorbericht vor der Partie von RB Leipzig gegen den FC St. Pauli (23.11.2014, 13.30 Uhr) befindet sich der Liveticker von der Pressekonferenz zwei Tage vor dem Spiel. Mit Alexander Zorniger und Diego Demme.]

Es war Anfang Juli als der Aufsichtsrat des FC St. Pauli beschloss, den alten Präsidenten nicht mehr zur Wiederwahl vorzuschlagen (satzungsgemäß benennt der Aufsichtsrat einen Präsidentschaftskandidaten, der dann von der Mitgliederversammlung gewählt oder abgelehnt werden kann). Statt Stefan Orth wurde Oke Göttlich als Kandidat erwählt (und am vergangenen Wochenende von den Mitgliedern auch gewählt), weil man sich nach Zeiten der wirtschaftlichen Konsolidierung und Aufbauarbeit nun einen “Zehner” wünsche, der kreativ im Zeitalter zunehmender Kommerzialisierung an der “Behauptung der eigenen Werte” arbeitet.

Viereinhalb Monate später ist von der darin steckenden Aufbruchstimmung Richtung Zukunft sportlich gesehen nicht mehr viel übrig geblieben, weil man in der zweiten Liga mit dem Rücken zur Wand steht und rhetorisch eher Durchhalten und Kämpfen als Kreativentwicklung propagiert. Dabei ist wohl das erschreckendste, dass der bereits nach dem vierten Spieltag erfolgte Trainerwechsel von Vrabec zu Meggle weitgehend verpufft ist. Vier Punkten aus den ersten vier Spielen unter Vrabec folgten ähnlich dürftige acht Punkte aus neun Spielen unter Meggle. Und wenn man nicht zwischen siebten und neunten Spieltag eine Erfolgssträhne von sieben Punkten aus drei Spielen gehabt hätte, stünde man noch schlechter da als man als 17. mit 12 Punkten sowieso schon steht.

Alle Zahlen sprechen dafür, dass der FC St. Pauli aktuell zurecht auf einem Abstiegsplatz steht. Die meisten Gegentore der Liga, nur zwei Teams, die weniger Tore schossen. Dazu die schlechteste Auswärtsbilanz und die schlechteste Chancenverwertung aller Mannschaften. Viel schlimmer geht es nicht. Der letzte Auslöser für die derzeit ziemlich schlechte Stimmung rund um den Club dürften aber die letzten zwei klaren Heimniederlagen gegen Karlsruhe und Heidenheim gewesen sein, als man bei insgesamt 0:7 Toren ziemlich komplett chancenlos war.

Wenn vor dem Auswärtsspiel bei RB Leipzig (mal abgesehen von der Masse an mitfahrenden Fans und der diesbezüglich überschaubaren Statistiken von RB in den letzten vier Jahren zu dieser Zeit) etwas positiv für den FC St. Pauli spricht, dann dass man in den letzten drei Auswärtsspielen zweimal nach Rückständen noch zu einem Unentschieden kam (insgesamt lag man diese Saison schon neunmal in Rückstand und holte anschließend nur diese zwei Punkte aus den Auswärtsspielen) und nur einmal verlor. Und das knapp und durchaus ein wenig unglücklich gegen effektivere Düsseldorfer. Scheint auf jeden Fall so, als käme St. Pauli auswärts mit der eigenen Spielanlage besser zurecht als in Heimspielen gegen umschaltstarke Teams wie es Heidenheim und Karlsruhe nun mal sind.

Geprägt ist der Spielstil von St. Pauli von Ballbesitz. Nach Kaiserslautern ist man das Team der Liga, das am häufigsten im Spiel den Ball hat (wobei das natürlich auch ein Stückweit davon geprägt ist, dass man so oft in Rückstand lag und entsprechend mehr Energie in das Spiel mit dem Ball stecken musste). Was unter Vrabec noch meist völlig brotlos und ineffektiv aussah, hat sich unter Meggle ein wenig konsolidiert. Mit ganz viel Ruhe und Geduld versucht man sich im strukturierten Aufbau- und Flachpassspiel beginnend bei den beiden Innenverteidigern und einem zwischen diese abkippenden Sechser.

Problematisch bleibt dabei aber weiter und gerade gegen gegen gut organisierte Gegner, dass die Bindung zwischen den Aufbauspielern und den Offensivkräften gering ist und das Aufbauspiel vor allem im Mittelfeld immer die Gefahr birgt, dass man Bälle verliert und dadurch in Umschaltsituationen des Gegners läuft, die man dann aufgrund des Ortes und der Unterzahl im Mittelfeld nicht mehr gut verteidigen kann. Insgesamt wirkt das Spielbesitzkonstrukt jedenfalls nicht so gefestigt, als dass es offensiv genug Durchschlagskraft hätte und defensiv zur Stabilität beitragen könnte. Interessant dabei, ob Coach Thomas Meggle auch in Leipzig der implementierten Philosophie treu bleibt oder ob er an das anschließt, was eigentlich die meisten Teams machen, die nach Leipzig kommen, den Ball nämlich möglichst schnell aus der hintersten Linie weg und irgendwie nach vorn auf die Außenpositionen zu kriegen.

Wenn der der FC St. Pauli den Ball erst mal in eine offensive Position gebracht hat, sieht das meistens gar nicht so schlecht aus. Nicht immer agiert man in vorderster Linie sonderlich konventionell, sondern vor allem mit einer gewissen, schwer einzuschätzenden und zu verteidigenden Wildheit. Zumindest bis zu jenem Zeitpunkt, wo der Ball dann mal ins Tor sollte. Denn dort wird es dann doch gelegentlich ziemlich abenteuerlich.

Exemplarisch dafür steht der 23jährige Stürmer Ante Budimir, der Anfang August für immerhin 900.000 Euro aus Kroatien kam und seitdem noch ohne Tor in der zweiten Liga ist. Nicht dass Budimir ungefährlich wäre, ganz im Gegenteil ist er ein ziemlich kompletter Stürmer, mit dem man kombinieren, der auch mal seinen Körper einsetzen und der sich selbst auch Chancen erarbeiten kann. Nur dass er die dann eben nicht nutzt. Sprich, bei Budimir ist es wie beim ganzen Team. Es sieht in seinen wilden Ansätzen durchaus gut aus, nur dass dabei am Ende viel zu wenig rumkommt.

Vielleicht hätte man beim Toreschießen mehr Ruhe und Selbstvertrauen, wenn man im gleichen Atemzug nicht in der Defensivorganisation vor allem gegen das Umkehrspiel nicht so schlecht aussehen und immer wieder Tore kassieren würde. Diese Tore sind es, die immer wieder zurückwerfen und das ruhige Aufbauen und gelegentlich Durchkommen zu durchaus gefährlichen Offensivaktionen zu einem Vabanquespiel machen.

Es ist natürlich meist eine Floskel, die man bei Kellerkindern gern anwendet, dass diese besser sind als ihr Tabellenplatz. Bei einem FC St. Pauli, der sich selbst vor der Saison auf jeden Fall in der oberen Tabellenhälfte sah, gilt das in jedem Fall automatisch. Aber auch die Tatsache, dass man die meisten Bausteine für ein Team, das auch Erfolg und Zukunft haben kann, bereits zusammen hat, spricht dafür, dass die Floskel nicht nur eine Floskel ist. Man hat einige junge Spieler mit Potenzial, Offensivkräfte mit individuellen Fähigkeiten, ein paar erfahrene Korsettstangen und eine Spielidee. Wenn sich die Bausteine mit Leben füllen und zusammenfügen lassen, dann ist der FC St. Pauli sicherlich jenes Team aus der vorderen Tabellenhälfte, das man auch vor der Saison in ihm gesehen hatte.

Eine Einschätzung, die vermutlich nicht so recht weiterhilft für ein Team, das akutell im Abstiegskampf steckt und diese Aufgabe auch ernst nehmen sollte, weil man schneller als man denkt abgestiegen ist, wenn man sich einredet, dass man eigentlich besser ist als der Tabellenplatz. In diesem Sinne ist es auch Trainer Thomas Meggle, der zuletzt immer wieder eindringlich diesen Abstiegskampf proklamiert und eine intensive Zweikampfführung angemahnt hatte. Dem entgegen steht die Tatsache, dass der FC St. Pauli bisher die zweitwenigsten Fouls aller Zweitligisten begangen hat, während man am achthäufigsten gefoult wurde.

Zusammen mit einer generell eher geringen Zahl an geführten Zweikämpfen ergibt sich das Bild, dass der FC St. Pauli im proklamierten Kernbereich der kämpferischen Sekundärtugenden im Nachteil ist. Was aber auch mit dem ruhigen und geordneten Ballbesitz zu tun hat, aus dem heraus es generell weniger Zweikämpfe und Fouls geben dürfte und es vor allem auch schwer ist, bei einer generell auf Breite abzielenden Spielweise nach Ballverlusten das Spielfeld schnell eng zu machen und in den Zweikampf zu kommen, sodass man den Gegner entscheidend stört. Gewissermaßen ist die Art und Weise der eigenen Spielidee mit die Ursache dafür, dass man nicht so richtig in das körperliche Spiel findet, dass der Coach anmahnt.

Wie das in Leipzig auflaufende Team aussehen wird, ist aktuell eher unklar. Nach der ins Mark treffenden Heimniederlage gegen Heidenheim stehen einige Positionen auf dem Prüfstand. Dazu kommen einige angeschlagene Spieler, bei denen noch unklar ist, ob sie überhaupt für das Spiel in Leipzig zur Verfügung stehen. Weswegen es wenig Sinn macht, die mögliche Aufstellung komplett durchzugehen.

Eine Korsettstange ist auf jeden Fall Keeper Philipp Tschauner (29), der eine mindestens solide, manchmal auch spektakuläre, aber auch nicht immer fehlerfreie Nummer 1 ist und inzwischen auf die Erfahrung von rund 150 Zweitligaspielen für St. Pauli und 1860 zurückblicken kann. Direkt vor Tschauner läuft im Normalfall Lasse Sobiech (23) auf, der in Dortmund ausgebildet und dann zweimal verliehen wurde (St. Pauli und Fürth), um vor einem Jahr zum HSV zu wechseln und dann von dort in diesem Sommer zu St. Pauli ausgeliehen zu werden. Sobiech hat schon einiges an Erst-, Zweit- und Drittligaspielen bestritten, aber seinen finalen Durchbruch und seinen heimatlichen Vereinshafen noch nicht gefunden. Als Innenverteidiger ist er vor allem in der Luft stark und hat in Sachen Spielaufbau auch einen sehr feinen Fuß.

Im Mittelfeld könnte der 22jährige Christopher Buchtmann zurückkehren, der verletzungsbedingt größere Teile der aktuellen Saison verpasste. Buchtmann hat angesichts seines Alters schon eine bewegte Karriere hinter sich und kam via Dortmund, Liverpool, Fulham (wo er ausgebildet wurde) und Köln zum FC St. Pauli, wo er aktuell in der dritte Saison spielt und (falls der Trainer auf ihn setzt) mit für Stabilität im Mittelfeld sorgen könnte.

Interessant im Mittelfeld auch ein Dennis Daube (25), der unter Meggle zum Stammspieler wurde und sich nicht unerheblich für den Spielaufbau einsetzt. Nicht ganz so auffällig und überzeugend bisher der aus Kaiserslautern gekommene Enis Alushi (28). Besonders auffällig dagegen der schwer zu stoppende Wirbler Marc Rzatkowski (24), der mit seinen drei Treffern zusammen mit Stürmer Christopher Nöthe Toptorschütze im Team ist. Zu nennen sind in Sachen interessante Spieler vielleicht auch noch die sehr jungen Mittelfeldspieler Okan Kurt (19) und Sebastian Maier (21). Ersterer profitierte vom Trainerwechsel enorm durch Spielzeiten. Zweiterer ist mit drei Scorerpunkten in 360 Minuten Einsatzzeit der effektivste Offensivspieler. Einer, der links außen auch mal was auf den Rasen zaubern, aber auch immer wieder hängen bleiben kann.

Im Sturm wurden der bisher glücklose Ante Budimir (23) (immerhin drei Torvorbereitungen) und der (verletzte) Toptorschütze Christopher Nöthe (26) bereits genannt. Fehlt noch John Verhoek (25), ein ziemlich kantiger Stürmer der Sorte ‘möchte man nicht im Dunkeln begegnen. Sein Einsatz von Beginn an dürfte davon abhängen, ob sich Meggle für ein 4-4-2 oder ein 4-2-3-1 entscheidet, aktuell eine ziemlich spekulative Fragestellung, bei der ersteres vielleicht die etwas sinnigere Option wäre.

Auf Seiten von RB Leipzig stellt sich die Frage, ob man den FC St. Pauli zu denselben Fehlern zwingen kann, zu denen der auch von Heidenheim gezwungen wurde und ob man diese auf ähnliche Art und Weise ausnutzen kann. Sollte Mittelfeldmann Joshua Kimmich ausfallen, könnte sich auch die Frage stellen, ob man nicht gleich vom 4-3-1-2 in ein 4-3-3 mit zwei schnellen Außenstürmern wechselt. Eine Formation allerdings, die im Spiel gegen den Ball auch eine wacklige Formation sein könnte. Egal wer die Außenstürmer letztendlich sein könnten. Am wahrscheinlichsten wäre sicherlich eine Formation Morys-Boyd-Poulsen, aber auch ein Ante Rebic hätte Außenseiterchancen auf seinen ersten Startelfeinsatz und brächte durch seine Dribbelqualitäte auch noch ein wenig Flexibilität, aber eben auch Einbußen bei der Stabilität des Gesamtkonstrukts mit.

Sollte Joshua Kimmich noch fit werden, dann gäbe es wohl im Vergleich zum Darmstadt-Spiel nicht allzuviele Wechsel. Bis eben auf den zwischen Kimmich und Heidinger im Mittelfeld. Wobei die Annahme weniger Wechsel auch darauf beruht, dass Yussuf Poulsen in einem Zustand von der dänischen Nationalelf zurückkommt, in dem er so nah an 100% dran ist, dass er auch auflaufen kann.

Mögliche Formationen:

  • RB Leipzig: Coltorti – Teigl, Sebastian, Compper, Jung – Kimmich, Khedira, Demme – Kaiser – Poulsen, Boyd
  • FC St. Pauli: Tschauner – Nehrig (Startsev), Gonther, Sobich, Schachten (Thy) – Rzatkowski, Daube, Alushi (Buchtmann, Kurt), Maier – Verhoek, Budimir

Es ist das Spiel des 7. gegen den 17., das Spiel eines Teams, das nur eins der letzten sechs Spiele gewinnen und in dieser Zeit nur fünf Tore erzielen konnte gegen ein Team, das aus den letzten vier Spielen bei 2:10 Toren nur einen Punkt holte (dass diese Partie bis zu 40.000 Zuschauer, davon bis zu 7.000 Gästefans sehen wollen, bedarf wohl auch eines eigenen Erklärungsansatzes). Müsste man daraus einen Tipp ableiten käme wohl ein 1:0 oder ein 1:1 heraus, aber nach der Länderspielpause ist es immer wieder eine kleine Wundertüte, wie und mit welchen Ideen der Kontrahent wohl aus den Startlöchern komt. Fakt dürfte sein, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der FC St. Pauli über Ballkontrolle und geduldiges Aufbauspiel gegen RB Leipzig zu einem Dreier kommen könnte, eher gering ist, weil das eigentlich immer das gefundene Fressen für die RB-Balljagd war. Wenn die Jäger denn wieder in einem Frischezustand sind, der für ihr Treiben notwendig ist.

Fazit: RB Leipzig gegen den FC St. Pauli. Interessemäßig ein absolutes Topspiel. Sportlich trotz der Tabellensituation zumindest eine reizvolle Partie, die aber durch die Lage der Gäste auch einen ordentlichen Abstiegskampftouch haben könnte. Beide Mannschaften haben sich vorgenommen, im Vergleich zu den letzten Partien verbessert (bzw. einfach nur erfolgreich) aufzutreten. Beide würden die Punkte aus recht unterschiedlichen Gründen gern mitnehmen. Mal sehen, wer sich letztlich aufgrund welcher Fähigkeiten durchsetzen kann.

Randbemerkung 1: Neben den Anhängern von Erzgebirge Aue sind jene des FC St. Pauli die bisher einzigen in dieser Saison, aus deren Reihen es keine Boykott-Aufrufe für das Auswärtsspiel bei RB Leipzig gibt. Ganz im Gegenteil fährt man mit besonders vielen Fans nach Leipzig. Und hat sich dazu entschieden, aus der Reise eine Mottofahrt zu machen und alle Anreisenden dazu aufzufordern, sich mit möglichst alten Fanutensilien auzustatten, um zu “zeigen, was wir schon erlebt haben und wie viele Erlebnisse uns mit unserem Verein verbinden”.

Wenn man tatsächlich bei der Konnotation bleibt, hier wollen Leute zeigen, dass sie schon mehr erlebt haben als die gegnerischen Fans, dann ist das reichlich schräg. Denn nichts würde näher liegen als dies, wenn man einen fünf Jahre alten Verein gegen einen 1910 gegründeten Verein spielen lässt und ergo bei letzterem Verein natürlich viele Leute unterwegs sind, die schon länger als fünf Jahre dabei sind. Wenn man ein wenig weiterdenken will und aus der Aktion auch herauslesen mag, dass man bei den Fans des FC St. Pauli auch zeigen möchte, dass man Sachen erlebt hat, die man bei RB Leipzig auch in Zukunft nie erleben wird, dann mag sich das vielleicht bewahrheiten, wären das aber auch Zukunftsprognosen, bei denen man nur mit den Schultern zucken könnte.

Sprich, die Beschwörung der eigenen Erlebnisse und ergo von Tradtion hätte vielleicht Charme, wenn man sie zum Beispiel in Kaiserslautern präsentieren und damit behaupten würde, dass man die schönsten Fanerlebnisse der Welt hatte, weil es da tatsächlich vor allem um Selbstabfeiern ginge. Wenn man seine Erinnerungen zu einem fünf Jahre alten Verein, quasi dem Gesicht der Moderne, trägt, um dem zu demonstrieren, dass der traditionslos ist, dann wird es allerdings ziemlich lahm, denn nichts wäre rein formallogisch naheliegender und (auch als kritische Meinungsäußerung) weniger relevant als dieser Fakt.

Die dazukommende, generelle inhaltliche Kritik am Hochhalten von Tradition als Wert an sich hat man beim St-Pauli-Blog lichterkarussell [broken Link], wo auch die sehr charmante Idee formuliert wurde, “nicht in Lumpen in den Osten [zu] reisen, sondern in Ralph Lauren, mit Federboa und Schampus”, sehr nachvollziehbar und gut formuliert (Essenz: “Traditionspflege ist romantisierendes Verklären der Vergangenheit”; “scheißegal wie lange du zum Fußball gehst und wie lange dein Verein besteht”). Metalust legt auch noch einen Text mit ähnlicher Schlagrichtung nach.

Grundsätzlich soll an dieser Stelle aber auch darauf hingewiesen sein, dass die Auseinandersetzungen und Debatten, die im Umfeld vom FC St. Pauli im Vorfeld der Partie bei RB Leipzig an verschiedenen Stellen mitzubekommen waren, in ihrer Qualität deutlich über fast allen Debatten stehen, die man in den verschiedenen anderen Vereinsumfeldern, mit denen RB Leipzig in den letzten Wochen und Monaten in Kontakt kam, beobachten durfte. Weswegen die Randbemerkung hier auch eher die Anerkennung ist, dass das zumindest Debatten sind, an denen man trotz sicherlich vorhandener Meinungsverschiedenheit mit manchem Protagonisten anknüpfen und die man auch ohne erhöhtem Puls wegen verschwörungstheoretisch angehauchter oder komplett falscher Behauptungen verfolgen kann.

Randbemerkung 2: Das letzte Mal, dass RB Leipzig und der FC St. Pauli miteinander zu tun hatten, ist reichlich zwei Jahre her und endete mit einem homophoben Ausbruch von Coach Peter Pacult (“schwule Sau”) in hitziger Atmosphäre, in der ein Stefan Kutschke bei den heimischen Anhängern Sympathiepunkte wohl nur im Minusbereich sammelte, eher unschön. Die damaligen Worte der Verständnislosigkeit für den Umgang des Vereins mit dem Vorfall hier im Blog (“Schwul ist kein Schimpfwort“) gelten heute in dieser Form immer noch.

Aktualität gewinnt die damalige vom Verein verkommunizierte Reaktion Pacults (keine Entschuldigung, sondern ein ‘aber die haben angefangen mit Beleidigungen’) noch dadurch, dass man bei RB Leipzig erst kürzlich versuchte, mit ziemlich viel Peitsche gegen einen homophoben Fangesang (“Schwulenliebe ist ok – Erfurt, Lok und HFC.”) beim Auswärtsspiel der U23 bei Lok Leipzig vorzugehen. Die angedachten Hausverbote erwiesen sich dabei aber als nicht umsetzbar (offizielle Begründung: es war niemand zu identifizieren; geklärt wird die Sache nun zwischen Fanclubs, Verein und Fanbetreuung).

Wäre aber auch ein arger Treppenwitz der Geschichte gewesen, wenn ein Peter Pacult mit einer halbgaren Erklärung ohne inhaltliche Reue durchgekommen, aber 100 oder 150 Fans mit einem definitiven Griff ins falsche Liedbuch und zumindest hinter den Kulissen vernehmbarer Reue künftig vor für sie verschlossenen Stadiontoren gelandet wären. Auch wenn man für künftige Ereignisse in dieser Richtung die pädagogisch begründete Toleranz nicht überstrapazieren sollte. Egal ob es um Fans oder Vereinsangestellte geht.

[Wer das Spiel von RB Leipzig gegen den FC St. Pauli nicht vor Ort verfolgen kann und am 23.11.2014, ab 13.30 Uhr trotzdem dabei sein will, nutze die üblichen Kanäle, also Liveticker und Vereinsradio. Bilder gibt es live natürlich bei Sky.]

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Bisherige Duelle RB Leipzig vs. FC St. Pauli

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Pressekonferenz zwei Tage vor dem Spiel von RB Leipzig gegen den FC St. Pauli. Mit Alexander Zorniger und Diego Demme.

10.21

Na dann, auf geht es in die heiße Phase vor dem Spiel von RB Leipzig gegen den FC St. Pauli. Zwei Tage noch, Karten gibt es akutell nur noch für den Oberrang. Immer noch ein bisschen merkwürdig, dass das Spiel so überhyped wird.

10.25

Merkwürdig auch, dass Diego Demme heute zu seinem Geburtstag die Pressekonferenz besuchen muss, statt sich ein ausführliches Geburtstagsfrühstück in heimischer Umgebung zu gönnen. Anyway, herzlichen Glückwunsch!

10.29

Sportlich gesehen ist es für beide Mannschaften ein nicht unwichtiges Spiel nach den letzten beiderseits enttäuschenden Wochen. Wobei die Lage in Hamburg natürlich wesentlich prekärer ist als in Leipzig, wo rein tabellarisch noch überhaupt nichts negatives passiert ist.

10.30

Sei es drum, gleich Diego Demme und Alexander Zorniger. Und irgendwas mit ‘St. Pauli besser als der Tabellenplatz sagt’.

10.36

Diego Demme zu den letzten Wochen: “War immer mal angeschlagen zwischendurch. Gegen Darmstadt Schlag auf die Wade und musste zur Halbzeit raus. Hoffe, dass ich am Sonntag auflaufen kann. Müssen gegen St. Pauli was gut machen, weil das in Darmstadt unser schlechtestes Spiel war. Freuen uns riesig auf das Spiel.”

Heim vs. auswärts: “Zu Hause pushen einen die Fans enorm, aber wir müssen auch auswärts mal die Punkte holen.”

“Nach dem Spiel in Darmstadt waren wir alle geknickt, weil es ein beschissenes Spiel war. Haben das Spiel aufgearbeitet und Fehler angesprochen und im Training daran gearbeitet.” Arbeit richtet sich auf Gegenpressing und Spielaufbau. Nach Ballgewinn nicht nur tief und ungenau, sondern auch mal genauer ins Mittelfeld über Zehner und Sechser.

“Gegenpressing bleibt Plan A. Dazu suchen wir andere Lösungen, z.B. dass wir auch mal ins Kurzpassspiel gehen.” Nicht immer nur den langen Ball auf Poulsen.

“Cool, dass das Stadion mal fast voll ist.” “Freue mich, gegen so einen Kultverein zu spielen.”

10.49

Alexander Zorniger: Diego Demme wieder im Mannschaftstraining. Kimmich mit Schambeinproblemen und Problemen mit der Bauchmuskelatur. Wird wohl nicht spielen. “Soll erst ganz fit werden.” Fandrich mit Prellung oberhalb des Beckenkamms. Wird ausfallen und vielleicht nächste Woche zurückkommen. Dähne auch nicht im Trainingsbetrieb wegen Prellung. Ernst und Franke sollen in der Wintervorbereitungsphase wieder zur Verfügung stehen. Nationalspieler sind fit zurückgekommen. Hoheneder wird dabei sein (zumindest im Kader). Sumsualo fällt mit Bänderriss aus.

“St. Pauli mit durchwachsener Vorrunde bis jetzt. Ergebnistechnisch auch mit neuem Trainer mal hoch mal runter. Fällt ihnen schwer das Spiel zu machen, obwohl sie fußballerisch eine gute Mannschaft sind.” Man werde sich überraschen lassen müssen, wie St. Pauli dann letztlich spieltaktisch auftritt. Werden sich vor ihren 6.000, 7.000 Fans zerreißen wollen. Körperlich sehr robust, vor allem in der Verteidigung. Einige Ausfälle. “Geht in erster Linie darum, was wir ihnen dagegenstellen. Positiv gestimmt aufgrund unserer Trainingsleistung in den letzten eineinhalb Wochen.” Man habe insbesondere im Spiel mit dem Ball Eingriffe vorgenommen. Mehr Passspiel im zentralen Bereich. “Langer Ball ist aber auch legitim, das ist auch eine Waffe.” “Müssen Plan A konsequent durchziehen und dann alle Alternativen, die der Fußball bietet, ausnutzen.”

4-3-3 als Option? Habe man im Training nicht probiert, sondern Frahn habe in der Konstellation Poulsen, Frahn, Boyd den Zehner gespielt.

Noch nicht viele Mannschaften, die die angebliche Defensivschwäche des Systems von RB Leipzig ausgenutzt hätten. Man müsse aber wieder torgefährlicher werden. “Jeder einzelne Spieler ist aufgefordert, an seine Grenze zu gehen.” Dass Poulsen viel allein versucht, sei ab und zu ok, insgesamt aber eher ein “unbrauchbares Mittel”. Mittelfeldspieler seien auch zu torungefährlich.

Dreierspitze mit Frahn und Boyd werde es nicht geben, weil beide Zentrumsspieler seien. Eine Formation mit Frahn, Boyd und Poulsen bedeute zudem nicht, dass es offensiver sei als eine Formation mit Mittelfeldspieler auf der Zehn.

11.04

Alexander Zorniger: “Wir versuchen, uns nicht ausrechenbar zu machen.” Man spiele nicht nur lange Bälle, sondern habe auch in Darmstadt spielerische Lösungen gesucht. Gehe darum, “das richtige Mittel zu finden, um den Gegner zu schlagen”. Sagen immer auch: “Setzt immer deinen normalen Fußballsachverstand ein.” Auch darin würden die Spieler geschult.

Kleines Loblied auf Hoheneder als Spieler und als Typ. Werde aber wohl nicht in die Startelf rücken, solange die aktuellen Innenverteidiger ihre Sache gut machen.

“Jeder Spieler (bis auf Sumusalo und Dähne) hat bis jetzt die Möglichkeit gekriegt, sich zu zeigen. Wenn man die nicht nutzt, muss man sich wieder hintenanstellen und im Training anbieten.”

Rani Khedira hat von seiner Absage des Länderspiels in Sachen Fitness profitiert. Rebic muss sich im Ausdauerbereich noch deutlich verbessern. “Wer uns kennt, weiß das das ein Ausschlusskriterium ist. Ante hat deutlich gezeigt, dass er auf dem richtigen Weg ist.” (Klingt zwischen den Zeilen so, als bliebe Rebic eine Option für die letzten 20 Minuten.) Müsse jetzt zeigen, wie es weitergeht. Boyds Physis tue gut. “Entwickelt sich in die richtige Richtung. Macht Spaß im Moment.”

Die Jugendspieler, die gegen Kasan aufgelaufen sind, sind akutell kein Thema für das Wintertrainingslager. Gehe nicht nur darum, ein “populistisches Zeichen” zu setzen, dass man auf die Jugend setze, sondern es müsse auch Sinne machen. Man habe sechs, sieben Spieler aus der U19 auf dem Zettel und werde die weiter beobachten. Werde die Spieler weiter ab und zu im normalen Profitraining ranschnuppern lassen.

Zorniger sieht nicht, dass man in Darmstadt unter besonderem Druck stand und deswegen so schlecht gespielt habe. Wiederholt noch mal die Sachen aus der Woche in Bezug auf Erwartungshaltungen. Man formuliere die Saisonziele selbst und nicht Medien oder Öffentlichkeit.

“Wir analysieren die Spiele immer in Sachen, was schief gelaufen ist.” Einstellung sei dabei nicht so ein Thema gewesen. Die letzten fünf Monate seien für Kopf und Körper sehr intensiv gewesen. Daraus habe man seine Lehren gezogen. Möglicherweise habe da zuletzt ein wenig “die Frische im Kopf” gefehlt. “Man muss sich bei der Mannschaft keine Sorgen um die Einstellung machen.”

“FC St. Pauli ist eine besonderer Verein. Man hat ja die Spiele gesehen, die da schon abgegangen sind. Die Fans leben auch seit Jahrzehnten diesen Verein. Das ist aber nur aus der Entfernung das, was ich davon im Kopf habe. Ob das nur ein Mythos oder tatsächlich ein besonderes Fleckchen Profifußball ist, diese Interpretation überlasse ich euch.”

Für Kimmich bzw. Fandrich könnten Hierländer, Jung oder Heidinger ins Mittelfeld rücken. Wenn man denn nicht auf die Option mit Frahn auf der Zehn und Kaiser statt Kimmich zurückgreift.

11.06

Das war es dann von hier. Ein recht entspannter Alexander Zorniger, der glaubt einen guten Plan für das Spiel gegen St. Pauli gefunden zu haben. Ob das dann tatsächlich mit Frahn auf der Zehn ist (was zumindest gegen den Ball keine falsche Option wäre), wird man am Sonntag sehen.

Ansonsten bleibt mir nur, einen guten Rutsch ins Wochenende und viel Spaß am Sonntag zu wünschen. Genießt das fußballerische und nichtfußballerische Wochenende. Bis dahin.

4 Gedanken zu „Topspiel ohne Topteams“

    1. Das liest du aus dem Vorbericht? Dann habe ich was falsch gemacht. ;-) Nein, natürlich ist RB Favorit, wenn auch nicht so arg wie bei den Buchmachern. Aber deswegen muss man ja nicht den Respekt vor dem Gegner und seinem Potenzial verlieren. Die Frage wird sein, ob sich in Hamburg über die Länderspielpause was geändert hat.

  1. Nein. Das hast du geschrieben mit Bezug zu den letzten Heimspielen von St. Pauli. War nur ein Schmunzeln meinerseits: entweder komplett chancenlos oder ziemlich chancenlos, aber “ziemlich komplett” klingt irgendwie schräg in meinen Ohren.

    Ihr werdet schon gewinnen. Thomas Meggle muß die Punktw woanders holen schätze ich.

  2. @Wuppertaler: Ah, verstehe. Eine stilistische, nicht inhaltliche Anmerkung in Bezug auf meinen Hang, Allaussagen mit Relativierungen zu versehen. Verstehe ich. Manchmal kann ich aber nicht widerstehen..

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