Statistische Anomalie

  • Gegentore Benjamin Bellot in 17 Ligaspielen zwischen 2009 und 2014: 7 in 17 Spielen (0,41 pro Spiel)
  • Gegentore andere Keeper bei RB Leipzig zwischen 2009 und 2014: 127 Gegentore in 153 Spielen (0,83 pro Spiel)

Wäre Bellots Torwartspiel ein Zufallsexperiment, dann weichen die Ergebnisse des Experiments sehr weit vom Erwartungswert ab. Oder anders gesagt: Im statistischen Sinne sind Bellots Werte ein enorm unwahrscheinlicher Output, der sich nicht nur durch Zufall erklärt, sondern sich auch aus den Leistungen von Bellot selbst erklären muss. Zumindest, wenn es sich bei den Daten nicht um einen großen Zufall handelt.

Selten wurde jedenfalls über einen Torwart mit so guten statistischen Werten so kontrovers diskutiert wie über Benjamin Bellot. Geborener Leipziger, seit 2009 bei RB spielend und noch nie eine Niederlage kassiert. Wohl selbstverständlich, dass Bellot angesichts dieser Tatsachen die klare Nummer 2 bei RB und ein würdiger Coltorti-Vertreter ist. Sagen die einen. Zu wenige Ausstrahlung, unsicher bei Flanken und Hereingaben, bei denen er zu sehr auf der Linie klebt. Sagen die anderen.

Vielleicht prototypisch für die Diskussionen das Gegentor gegen Paderborn. Geht ganz klar auf Bellots Kappe, weil er viel zu weit vor dem Tor steht, sagen die einen. Er muss aus spieltaktischen Gründen so weit draußen stehen, im Mittelfeld wird einfach nicht gut genug verteidigt, sagen wiederum die anderen.

Fakt ist, dass Benjamin Bellot in seiner Zeit bei RB Leipzig in 17 Ligaspielen (Partien in DFB- und Sachsenpokal wurden nicht mit dazugerechnet, weil gerade im Landespokal oft nur eine B-Mannschaft auflief) nur halb so oft hinter sich greifen musste wie alle anderen Keeper von RB Leipzig in den restlichen Spielen. Fakt ist auch, dass diese Statistik für die zweite und dritte Liga sogar noch besser ist.

Lediglich vier Gegentore in 13 Partien stehen hier für Benjamin Bellot zu Buche und bedeuten, dass er seit Anfang 2014 lediglich ungefähr in jedem dritten Spiel hinter sich greifen musste. Zum Vergleich: Domaschke holte den Ball letzte Saison in acht Spielen neunmal aus dem Netz, Fabio Coltorti in 20 Spielen 21mal. Beide durften also im Schnitt in jedem Spiel hinter sich greifen. Manuel Neuer tat es in den vergangenen zwei Jahren in der Bundesliga etwas öfter als in jedem zweiten Spiel.

Man kann sich natürlich trefflich über die Torhüterleistungen von Benjamin Bellot streiten. Und wer die Tiefen des Torwartspiels bis zum fachlichen Boden durchdrungen hat, werfe den ersten Stein. Unbestritten dürfte sein, dass Benjamin Bellot über sehr starke Reflexe verfügt, für die ihn wohl auch ein Fabio Coltorti beneiden würde. Einige Bälle, die Bellot im Verlauf von 2014 spektakulär hielt. So auch gegen Paderborn kurz vor dem Rückstand, als er an einen Ball aus kurzer Distanz noch die Hand kriegt und so klären kann.

Unbestritten dürfte auch sein, dass Benjamin Bellot fußballerisch der kompletteste der aktuellen RB-Keeper ist. Wenn Bellot in welcher Situation und Not auch immer mit dem Fuß zum Ball muss, kann man sich beruhigt zurücklehnen, weil man sich darauf verlassen kann, dass er die Gefahr bereinigt. Was ihn wiederum zu einem modernen, mitspielenden Torwart macht. Einen, den du jederzeit ins Passspiel einbeziehen kannst.

Was Benjamin Bellot fehlt (letztlich auch der Grund, warum die sportliche Leitung nach der Coltorti-Verletzung eigentlich eine neue Nummer 1 holen und nicht auf Bellot, die Nummer 2 vertrauen wollte) ist die Ausstrahlung auf dem Platz. Klar, wenn man den furcht- und humorlosen Coltorti als Maßstab anlegt, dann muss ein Bellot dahinter natürlich schlecht aussehen.

Zumal die fehlende Ausstrahlung auch manchmal als Unentschlossenheit daherzukommen scheint. Manchmal Unentschlossenheit, von der Linie zu kommen und sich eine Hereingabe zu fischen, manchmal Unentschlossenheit bei Flanken.

Erschwerend kommt in dem Zusammenhang dazu, dass Bellot mit seinen 1,86 m wohl schlicht 5 bis 10 cm zu klein ist. Einerseits für den perfekten Umgang mit Flanken, andererseits für die ganz große Torwartkarriere. Klar, auch ein Timo Hildebrand hat mit der Bellot-Größe Karriere gemacht, aber alles ab 1,90 m aufwärts (bei gleicher Sprungkraft und Beweglichkeit) ist natürlich ein Wettbewerbsvorteil. Den sich Benjamin Bellot nicht antrainieren oder anderweitig erwerben kann.

Benjamin Bellot kam im Sommer 2009 18jährig (bzw. zum Punktspielstart dann 19jährig) aus der Jugend des FC Sachsen Leipzig zur Neugründung RB Leipzig und war in den ersten zwei Jahren die Nummer 3 hinter Sven Neuhaus (inzwischen Karriereende) und Alexander Moritz (zuletzt Borea Dresden) bzw. Sven Neuhaus und Christopher Gäng (Großaspach).

Unter Pacult wurde Benjamin Bellot 2011/2012 dann zur Nummer 2, auch weil der potenzielle, neue Konkurrent um diesen Platz Andreas Kerner oft verletzt war. Zu vielen Spielen reichte es aber trotzdem nicht, weil die neue Nummer 1 Pascal Borel (inzwischen Karriereende) zu selten ausfiel. Genaugenommen nur einmal.

Auch Alexander Zorniger legte sich ein Jahr später direkt auf Benjamin Bellot als Nummer 2 hinter dem noch von Pacult als neue Nummer 1 geholten Fabio Coltorti fest. Doch ein Bruch des Sprunggelenks nahm ihn erstmal aus dem Verkehr und sorgte für die Verpflichtung des neuen Konkurrenten Erik Domaschke. Der auch vor Bellot stand als sich Coltorti in der vergangenen Saison verletzte. Erst als Domaschke selbst ausfiel, kam die Zeit von Bellot, die er (zumindest statistisch) zu seinem Vorteil nutzte.

Was ihn auch in dieser Saison zur Nummer 2 noch vor dem Neuzugang Thomas Dähne machte. Erst als Fabio Coltorti sich erneut am Innenverband verletzte und vier Monate Ausfallzeit eher als Minimum denn als Maximum erschienen, sollte Bellot ein weiterer Keeper vor die Nase gesetzt werden. Inzwischen ist unklar, ob RB noch einen Keeper holen wird, da auch die Ausfallzeit von Coltorti leicht nach unten korrigiert wurde.

Auf jeden Fall hätte eine Neuverpflichtung zu diesem Zeitpunkt einen Schatten auf die Kaderplanung bei RB Leipzig geworfen. Denn die drei Torhüter hat man ja im Normalfall mit Bedacht und der Absicht zusammengestellt, dass Nummer 2 und 3 in der Lage sind, verletzungsbedingte, aber auch andere Ausfälle der Nummer 1 zu kompensieren. Dass die Verletzung von Coltorti quasi direkt dazu führte, ihn durch einen externen Keeper ersetzen zu wollen, ist letztlich nicht gerade eine Kompliment für die eigenen Ideen, die man mit der Bildung des Torwartteams Coltorti, Bellot, Dähne hatte.

Ganz zu schweigen vom Signal, dass man Bellot und Dähne gegeben hat, die ja letztlich als Nummer 2 und 3 sich genau auf die Situation vorbereiten, die Nummer 1 ersetzen zu können. Wenn dann aber der Ausfall der Nummer 1 bedeuten würde, eine neue Nummer 1 zu holen, dann wären diese Mühen ziemlich umsonst.

Dass man also der eigenen Kaderplanung nicht zu 100% traut, kann durchaus ein wenig erstaunen. Sportlich gesehen macht es natürlich Sinn, auch zu überlegen, ob man einen langfristigen Ausfall von Coltorti mit angesichts von Alter und Verletzung unklaren Rückkehroptionen nicht gleich mit der Suche nach der ganz großen Torwartlösung, die mittelfristig sowieso ansteht, begegnet. Die gehandelten Namen von Trapp über Horn und Ziegler bis hin zu Grahl deuten jedenfalls darauf, dass man sich bei RB Leipzig mit einer dauerhaften Nummer 1 beschäftigt, die diese Rolle aufgrund des Alters auch langfristig spielen könnte.

Was für den 19jährigen Fabian Bredlow, der aktuell nach Liefering ausgeliehen ist und in zwei, drei Jahren sicherlich gern in attraktiverem sportlichen Umfeld die Nummer 1 (bzw. ein ernsthafter Kandidat im Kampf um die Nummer 1) sein würde, genauso schlechte Nachrichten sind, wie es die vielen, immer wieder neu verpflichteten Konkurrenten für Bellot waren. Wobei Fabian Bredlow auch noch andere Wege über Leihen und Salzburg offenstehen, wenn ihm danach ist, irgendwann in Leipzig Stammkeeper werden zu wollen.

Für Benjamin Bellot ist der dauerhafte Weg ins Tor bei RB Leipzig jedenfalls relativ utoptisch. Was nicht nur daran liegt, dass Torhüter es im Verein, in dem sie ausgebildet wurden, meist ein wenig schwerer haben als die Keeper, die von außen dazu kommen. Bellot ist sicherlich auch in der zweiten Liga eine solide Nummer 2 (also ein sehr guter Torwart) hinter einer Nummer 1, die nicht durchgängig verletzt oder sehr verletzungsanfällig ist.

Mehr liegt gerade nicht drin und die Befürchtungen um Coltorti erklären, warum Bellot trotz grandioser Statistiken ein weiterer Konkurrent vor die Nase gesetzt werden sollte oder vielleicht ja sogar noch gesetzt wird. Bis dahin hält Benjamin Bellot einfach weiter seinen Kasten sauber und lässt mögliche Diskussionen um seine Person Diskussionen sein.

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Daten Benjamin Bellot und RB Leipzig 2009 bis 2014: Saison, Spiele Bellot, Gegentore Bellot – Liga, Ligaspiele Bellot – Spiele RB Leipzig, Gegentore RB Leipzig

  • 2009/2010: 1 Spiel, 2 Gegentore – NOFV-Oberliga, in Gera – 30 Spiele, 17 Gegentore
  • 2010/2011: kein Spiel – 34 Spiele, 29 Gegentore
  • 2011/2012: ein Spiel, 0 Gegentore – Regionalliga Nord/ Nordost, in Lübeck – 34 Spiele, 30 Gegentore
  • 2012/2013: zwei Spiele, 1 Gegentor – Regionalliga Nordost,  in Cottbus, gegen Lok – 30 Spiele, 22 Gegentore
  • 2013/2014: 11 Spiele, 4 Gegentore – 3.Liga, Erfurt, Wiesbaden, Kiel, Elversberg, VfB II, Osnabrück, Unterhaching, Heidenheim, Regensburg, Chemnitz, St. Kickers – 38 Spiele, 34 Gegentore
  • 2014/2015: zwei Spiele, 0 Gegentore – 2.Liga, Aalen, 1860 – 2 Spiele, 0 Gegentore
  • Insgesamt: 17 Spiele, 7 Gegentore – 168 Spiele, 134 Gegentore

Ein Gedanke zu „Statistische Anomalie“

  1. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ggf. auch, dass Bellot in seinen 33 Spielen für RBL II (21 Bezirksliga / 11 Landesliga) auch nur einmal verloren hat. 12/13 gegen den späteren Aufsteiger und RBL Pokalbesieger Neugersdorf.
    In den 33 Spielen kassierte er 26 Gegentore (18/8 = BL/LL = 0,79 GTpS) und spielte 14 Mal zu Null (8/6).

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