Es war als Spitzenspiel angekündigt, das Aufeinandertreffen zwischen dem SV Darmstadt 98 und RB Leipzig. Ein Anspruch, den die Partie zumindest in Bezug auf die spielerische Klasse beiderseits nicht halten konnte. Nichtsdestrotz war es eine intensive Partie mit unheimlich viel Tempo, in der RB Leipzig letztlich das glücklichere Ende für sich hatte.
Angefangen hatte der Spieltag mit einer Überrraschung bei der Nominierung. Zwar hatte der Coach Alexander Zorniger schon vor der Partie erklärt, dass er das Innenverteidigerdou Franke/Willers nicht verändern und damit Niklas Hoheneder nach Gelbsperre nicht in der Startelf stehen werde. Dass Hoheneder es nicht mal in den Kader schaffte, damit konnte man aber nicht rechnen (machte aber Sinn, da mit Tim Sebastian auf der Bank schon ein Innenverteidiger saß, der potenziell auch Außenverteidiger und Sechser hätte spielen können, also flexibler einsetzbar als Hoheneder war).
Dass auch Anthony Jung nicht mal im Kader stand, war auch ein wenig überraschend, aber im Vergleich zu Hoheneder, der bis zu seiner Gelbsperre alle bisherigen Saisonspiele bestritten hatte, nicht ganz so sehr. Als Außenverteidigerersatz durfte anstelle von Jung Juri Judt die Bank besetzen.
Erwartet hatte man dagegen, dass Christian Müller als Außenverteidiger zurückkehren und Juri Judt verdrängen würde. Ansonsten blieb es allerdings bei der Aufstellung aus dem Spiel gegen Borussia Dortmund und dem 4-3-3 in Form eines 4-3-1-2 mit der hängenden Spitze/ dem Zehner (je nach Sicht) Thomalla. Eine Formation, die gegen Dortmund noch viel Ballsicherheit im Mittelfeld und gutes Arbeiten gegen den Ball mit sich brachte. Etwas das in Darmstadt bei einem zugegebenermaßen auch wesentlich aggressiveren Gegner (auch später mit Fandrich, der blass blieb, für Thomalla) nicht mehr ganz so gut funktionierte.
Auf dem Spielfeld zeigten die Lilien von Beginn an, dass sie es Ernst meinten mit ihrem Ziel, gegen RB Leipzig gewinnen und damit Platz 2 erobern zu wollen. Denn für die ersten 30 bis 35 Minuten waren sie das deutlich dominantere Team mit der wesentlich gefährlicheren Spielanlage. Immer wieder kamen sie vor allem über Außen und vor allem über links und Marcel Heller gefährlich Richtung Strafraum und manchmal sogar in diesen. Aber bei allem, was bis dahin gut lief, dort trafen sie im Normalfall auf ihre Meister in Form der Innenverteidiger und – wenn es dann ausnahmsweise mal Not tat – in Form von Keeper Coltorti.
Sodass bis zur Pause erstaunlicherweise bis auf einen Distanzschuss, den Coltorti zu einer gern genommenen und spektakulären Flugeinlage nutzt, keinerlei direkt torgefährliche Aktionen auf dem Zettel der Gastgeber standen. Was schon deswegen erstaunlich war, weil das Spiel manchmal wirkte, wie der Auftritt von RB in Chemnitz. Sprich, man im Mittelfeld immer wieder Bälle verlor oder die Stürmer den Zugriff auf das Aufbauspiel nicht fanden und die armen RB-Außenverteidiger mit den langen Bällen auf die Außen konfrontiert waren, die bei der Spielanlage von RB Leipzig mit dem hohen Verteidigen so schwer zu verteidigen sind.
Schwer deshalb, weil die Außenverteidiger nach den langen Bällen oft ins Eins-gegen-Eins-Sprintduell mussten und bei diesen Duellen natürlich nicht zu erwarten ist, dass diese immer an den Verteidiger gehen. Und wenn sie nicht an die Verteidiger gehen, wird es sofort gefährlich, weil die Außenspieler schon im Strafraum sind.
Außer man hat eben Innenverteidiger, die einen Sahnetag erwischen und alles wegputzen, was dann doch irgendwie durchkommt. Im Unterschied zum Chemnitz-Spiel korrigierten Willers und Franke 35 Minuten lang (und darüber hinaus) die Fehler, die im Mittelfeld und die ‘Fehler’ die auf den Außenpositionen passierten.
In den letzten zehn Minuten der ersten Hälfte kämpften sich die RasenBallsportler dann auf Augenhöhe mit dem Gastgeber, gestalteten das Spiel optisch ausgeglichen und versuchten sich im Angreifen des gegnerischen Strafraums. Aber über Ansätze ging es meistens nicht hinaus, weil Ballbesitz in guten Positionen entweder ungenau ausgespielt oder mit ungefährlichen Distanzschüssen abgeschlossen wurde. Der einzige Torschuss, der ansatzweise als solcher durchgehen konnte, kam von Henrik Ernst aus lockeren 30 Metern und landete direkt in den Armen von Darmstadt-Keeper Zimmermann.
(Nach fünf Minuten der ersten Hälfte wollten die Gastgeber übrigens einen Elfmeter haben, als Marcel Heller nach einem Zweikampf mit Christian Müller im Strafraum zu Fall kam. Aus Tribünensicht keine ganz verwegene Forderung, die der Schiedsrichter allerdings ablehnte. Sodass RB Leipzig nicht wie in Chemnitz einem Rückstand hinterher rennen musste.)
In der zweiten Halbzeit wirkte das Spiel dann zwar ausgewogener, allerdings wurden die Aktionen der Gastgeber nun etwas gefährlicher. Sailer hatte nach 53 Minuten Keeper Coltorti schon umkurvt, brachte den Ball aber aus spitzem Winkel nicht an Franke vorbei im Tor unter. Ansonsten war bei Torabschlüssen immer ein RB-Bein dazwischen oder der Abschluss war zu ungenau.
Auf der anderen Seite passierte trotz eigentlich auf Augenhöhe (weil RB im Mittelfeld mehr Zugriff auf den Gegner bekam) hin und her wogendem Spiel bis zur 68.Minute praktisch nichts. Und dann kam Dominik Kaiser, nahm den Ball 30, 35 Meter vor dem gegnerischen Kasten auf, lief noch ein paar Meter und versenkte ihn mit links oben rechts im Winkel. Ein Traumtor. Aber zugegebenermaßen auch so ziemlich ein Tor aus dem Nichts. Und auch erst der zweite als Torschuss zu bewertende Abschluss von RB überhaupt in der Partie. Das ist wohl das, was man gemeinhin als effektiv bezeichnet.
Nach dem Rückstand hatten die Gastgeber direkt die dicke Ausgleichschance. Der Kopfball von Sulu strich allerdings am langen Pfosten vorbei. Danach wirkte Darmstadt ein wenig benommen, aber nach einem Durchschütteln berappelte man sich wieder und versuchte noch mal das Tor zu belagern. Allerdings wurden die Versuche jetzt ungenauer und fast alles köpfte die Innenverteidigung hinten raus. Ein paar knifflige Situationen musste man noch überstehen, inklusive einer Großchance, bei der der Ball über Coltorti, aber auch über den Kasten gehoben wurde. Aber insgesamt schien bei den Gastgebern mit zunehmender Nähe zum Schlusspfiff auch die Überzeugung zu schwinden. Und die Brechstange fruchtete an diesem Tag gegen die Brecher-RB-Innenverteidigung überhaupt nicht.
Auf der anderen Seite hätte Kaiser das Zittern bis zum Schlusspfiff fast beendet, als er nach 84 Minuten einen Freistoß von halbrechts an den rechten Pfosten schießt. Bzw. Darmstadt-Keeper Zimmermann ihn von der Mitte des Tores aus an den Pfosten guckt. Tobias Willers gab nach dem Spiel bekannt, dass er solcherlei Nervenkitzel bis zum Schluss lieber mag als klare Siege. In diesem Sinne sei es ihm gegönnt, das Vergnügen gehabt zu haben, dass Kaisers Freistoß nicht ins Tor ging.
Letztlich muss man den Sieg von RB Leipzig in Darmstadt wohl als glücklich bezeichnen. Denn die Lilien waren über weite Strecken des Spiels das dominantere und bis zum Strafraum gefährlichere Team. RB Leipzig verpasste es auf der anderen Seite vor allem in der ersten halben Stunde die eigenen Angriffe passsicher abzuschließen und blieben deswegen über die fast gesamte Spieldistanz offensiv harmlos.
Verdient hat sich RB Leipzig den Sieg trotzdem mit einer aufopferungsvollen, fehlerfreien Abwehrarbeit und im entscheidenden Moment mit dem Quentchen Glück im Torabschluss. In Osnabrück verliert man ein Spiel, das man nicht verlieren darf. In Darmstadt gewinnt man ein Spiel, das man nicht unbedingt gewinnen muss. Bitter natürlich für die Gastgeber, dass es ausgerechnet sie traf beim Ausgleichen der Gerechtigkeit.
Fazit: Das Spitzenspiel war zumindest hinsichtlich Tempo und Intensität ein Spitzenspiel. Spielerisch ging auf einem tiefen, bereits früh zerfurchten Platz nicht allzu viel. Darmstadt legte die Aggressivität (auch im Kampf um den zweiten Ball) an den Tag, die man vor dem Spiel erwarten konnte. RB Leipzig lauerte auf den entscheidenden Punch, spielte aber insgesamt zu ungenau, um größere Torgefahr auszustrahlen. Letztlich entschied das Spiel – und das ist wohl nur folgerichtig – eine Einzelleistung in Form eines Sonntagsschusses von Dominik Kaiser und statt eines durchaus spielentsprechenden 0:0 wurde es dann eben ein Auswärtssieg für RB. An manchen Tagen hat man eben das Glück auf seiner Seite.
Randbemerkung 1: So, es ist soweit. Hier an dieser Stelle im Blog wird das Wort Aufstieg in den Mund genommen. Nicht wegen der Fußballphrase, dass wer solche Spiele gewinnt auch Meister wird, sondern weil sich die Situation in dieser dritten Liga nach 16 Spielen so darstellt, dass es außer Heidenheim keine Mannschaft gibt, der man zutraut, dass sie die Liga punktetechnisch dominieren kann. Zudem steht RB Leipzig als Tabellenzweiter mit drei Punkten Vorsprung auf den Dritten Unterhaching (von denen ich immer noch nicht glauben kann, dass sie eine ernsthafte Aufstiegschance haben) so gut da, wie man es zu diesem Zeitpunkt der Saison (als Aufsteiger und mit einer praktisch nicht vorhandenen Sommerpause) auf gar keinen Fall erwarten konnte. Sprich, die Chancen auf einen Durchmarsch sind angesichts der aktuellen Lage und der Schwäche der erwarteten Aufstiegskonkurrenz (namentlich vor allem Münster und Chemnitz) sehr gut. Und vor Erfurt, Osnabrück oder Wehen Wiesbaden muss man Respekt, aber keine Angst haben. Vermutlich wird es in absehbarer Zeit keine dritte Liga mehr geben, in der so wenige Teams (also aktuell genau eins, nämlich Heidenheim) aus dem Durchschnitt herausragen. In diesem Sinne darf man mit dem 16.Spieltag anfangen, die aktuelle Saison mit dem Hintergedanken Aufstieg zu betrachten. Sag ich mal so.
Randbemerkung 2: Ich hatte mich vor dem Spiel schon gewundert, warum der Darmstädter Linksaußen Marcel Heller erst drei Assists auf seinem Scorerkonto hat. Spielszenen, die ich von ihm gesehen hatte, verwiesen auf einen unheimlich schnellen, quirligen und tororientierten Flügelspieler, für den drei Vorlagen eher wenig erscheinen. Aber nach dem Spiel gegen RB Leipzig verstehe ich die Situation besser (auch wenn es etwas albern ist, aus einem Spiel endgültige Schlüsse zu ziehen). Denn Heller hatte einige Male viel Platz auf der linken Seite und dribbelte sich aussichtsreich in den Strafraum, verpasste aber jedes Mal den entscheidenden Pass oder alternativ auch den gefährlichen Torabschluss. Sodass all die gefährlich wirkenden Situationen letztlich wirkungslos verpufften. Läuft das mit Heller immer so, dass es bis zum Strafraum unheimlich gefährlich wirkt, aber dann drin nicht gefährlich wird, verwundern die wenigen Vorlagen nicht mehr. Letztlich einer der Bausteine, warum die Lilien letztlich mit null Punkten und wenig Effektivität bei viel Aufwand aus dem Spiel gingen.
Randbemerkung 3: Auswärtsfahrten sind für mich ja auch immer Bildungsreisen in Sachen Fußballkultur in den verschiedenen Winkeln der Republik. Und die mochte ich – abgesehen von ein, zwei Randerscheinungen abseits des Platzes – in Darmstadt sehr gern. Das ging schon vor dem Spiel mit dem Singen der Vereinshymne (zwar eine, die mich musikalisch und inhaltlich nicht überzeugt hat, aber eben eine Vereinshymne) los, als das ganze Stadion in diese einsetzte. Und fand im Spiel seine Fortsetzung, als immer wieder das komplette Stadion mit Gegentribüne den Platz mit einem “Lilien, Lilien” überstrahlte. Klingt vielleicht nicht sonderlich spannend, ist es aber schon deswegen, weil das Stadion in Darmstadt in Leichtathletik-Art und ohne Dach eben die Stimmung nicht per se trägt und weiterhallt. An mancher Stelle überkam mich ein der Satz “schon geil”. Dafür habe ich dann sogar über die notorischen “Bullenschweine” und das pseudophilosophische “Wir sind wer. Wer seid ihr?” (gesungen und als Banner) hinwegsehen können. Macht Spaß am Böllernfalltor, auch wenn die Idee mit zwei räumlich deutlich voneinander getrennten Fanblöcken auf der Haupttribüne doch ein wenig komisch erscheint (gibt es aber bestimmt eine historisch schlüssige Erklärung für.)
Randbemerkung 4: Was der Schiedsrichter in Hälfte 1 veranstaltete, war stellenweise Wahnsinn. Man kann als Schiedsrichter einen schlechten Tag erwischen oder kleinlich pfeifen oder großzügig (also eine persönliche Note haben), aber nie einseitig. Und das war der Unparteiische in der ersten Halbzeit für mindestens eine halbe Stunde. In der er jeden Schubser gegen die Gastgeber konsequent abpfiff, auf der anderen Seite aber fast immer stumm blieb. In der zweiten Halbzeit wurde es dann wesentlich besser und die verständlichen und unverständlichen (wohlgemerkt aus Tribünensicht mit einiger Entfernung vom Geschehen) Pfiffe wechselten sich beidseitig ausgewogen ab.
Randbemerkung 5: “Elendige Auswärtsschwäche” und “auswärtsschwache Sachsen” schrieb der Kicker in Berichten zum Spiel von RB Leipzig in Darmstadt. Und hub damit in eine seltsame Kerbe, denn vor dem Spieltag war die Auswärtstabelle noch arg verzerrt, da RB ein Spiel weniger (sieben) als die Hälfte der Drittligakonkurrenz bestritten hatte. Und nach dem Sieg in Darmstadt liegt man in dieser Wertung, in der nur Heidenheim weit über allen steht, auf Platz 4. Viel wichtiger aber noch, dass RB Leipzig in dieser Saison nur in Elversberg und in Chemnitz schlecht gespielt und nur in Chemnitz verdient verloren hatte. Osnabrück und Wehen Wiesbaden waren unglückliche Niederlagen nach zumindest in Teilen ordentlichen Spielen. Insgesamt schwächelte RB Leipzig auswärts nicht öfter als zu Hause, holte nur ein paar Punkte weniger, weil an manchen Stellen Glück und individuelle Fehlerfreiheit nicht zur Stelle waren, wie sie das zu Hause (zum Beispiel gegen Erfurt oder gegen Regensburg) waren. Wenn man RB Leipzig eine Auswärtsschwäche andichten will, dann kann man ihnen auch eine Heimschwäche unterstellen. Ist aber beides gleichermaßen absurd.
Lichtblicke:
- Tobias Willers/ Fabian Franke: Gemeinsam fischten sie alles weg, was in den Strafraum kam. Und das war zeitweise nicht so wenig. Sie rückten nach außen nach, wenn die Außenverteidiger überspielt wurden und bereinigten da einige brenzlige Situationen. Sie köpften alles raus, was nach vorn geschlagen wurde. Und sie meldeten den Toptorschützen der Liga Dominik Stroh-Engel bis auf einen Torschuss komplett ab. Starke Vorstellung des Duos, das sich erst durch die Gelbsperre von Niklas Hoheneder gefunden hatte.
- Yussuf Poulsen: Auch wenn er an keinem Tor beteiligt war, bot er eine Partie mit unheimlich viel Aufwand und zeigte, warum RB Leipzig ohne ihn ein paar Prozente weniger wert ist. Jagte jedem Ball nach, warf sich ohne Rücksicht in die Zweikämpfe und sicherte damit sehr viele Bälle und beschäftigte die Darmstädter Abwehr. Gen Tor kam dann zwar nicht mehr viel effektives, aber für die Verlagerung des Spielgeschehens und für die Entlastung der eigenen Defensive war Poulsen mit seiner Ballbehauptung und -eroberung an diesem Tag Gold wert.
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Tore: 0:1 Kaiser (68.)
Aufstellung: Coltorti – Müller, Willers, Franke, Heidinger – Kimmich (77. Sebastian), Ernst, Kaiser (89. Röttger) – Poulsen, Thomalla (57. Fandrich), Frahn
Zuschauer: 7.200 (davon 350 Gästefans)
Links: RBL-Bericht, RB-Fans-Liveticker, MDR-Bericht [broken Link], 98-Bericht [broken Link], Kicker-Bericht
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Bild: © GEPA pictures/ Roger Petzsche
“Dass Zorniger es nicht mal in den Kader schaffte, damit konnte man aber nicht rechnen” – also ich habe Zorniger im Kader gesehen ;-)
Ich nicht. Und ich finde der Coach sollte sich mal hinterfragen, warum es einfach nicht für einen Platz im Kader reicht. ;-)