Der regelmäßige Leser hier wird wissen, dass ich meine Fußballsozialisation ein reichliches Jahrzehnt lang zwischen 1984 und 1997 im Cottbusser Stadion der Freundschaft genossen habe. Und tatsächlich meistenteils GENOSSEN habe. In meiner Erinnerung war mein letzter Stadionbesuch mit Cottbusser Beteiligung das erste Heimspiel in der zweiten Bundesliga 1997 gegen den VfB Leipzig (1:1).
Mit dem gestrigen Auftritt der U23 von Energie Cottbus bei RasenBallsport Leipzig, fast 14 Jahre später schloss sich da gewissermaßen der Kreis und auch wenn es nur die kleine Energie war, die da anreiste, irgendwie war es eben doch etwas besonderes. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich an mir keine besondere Emotionalität gegenüber dem Gegner feststellen konnte, sieht man vom sentimentalen Ziehen in der Magengegend ab, das mich ereilte, als die für Zweitmannschaftsverhältnisse recht zahlreich erschienenen Cottbusser Anhänger (insgesamt etwa 100) ein kurzes “Nur, nur, nur Energie” ertönen ließen.
Das von seinen Umständen her zumindest für mich besondere Spiel entwickelte sich auch auf dem Rasen zu einem besonderen Spiel. Als Zweitligaspiel vor 20.000 Zuschauern wäre das ein hochemotionaler Knaller gewesen, so war es in Bezug auf den Spielverlauf ein hochunterhaltsamer Fußballabend mit viel Zittern um den Sieg der RasenBallsportler aus Leipzig.
Tomas Oral versuchte es gegen Cottbus mit einem 4-4-2. Ein System, was mich eigentlich nicht unbedingt überzeugt, aber gestern ein durchaus guter Versuch war. Vor der gewohnten Vierkette durfte Kapitän Tim Sebastian den klassischen Sechser spielen, während Rockenbach, Geißler und Schinke sich vor Tim Sebastian und um ihn herum ziemlich viele Freiheiten nehmen durften, um das Offensivspiel anzukurbeln. So wurde den Abwehrspielern immer wieder entgegen gegangen, um Anspielstationen zu schaffen. Insbesondere Geißler war dabei sehr präsent, auch wenn man ihm manchmal das nicht 100% ausgeprägte Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten anzumerken glaubt. Durch die variablen Anspielstationen kam stellenweise etwas auf, was man in dieser Saison nur selten sah, nämlich ansehnlicher Kombinationsfußball, was Tomas Oral nach dem Spiel nicht ganz zu Unrecht (zumindest für Heimspiele) zur Analyse verleitete, dass man in den letzten Wochen “spielerisch einen großen Sprung gemacht” habe.
Nachteil des 4-4-2 (oder 4-1-3-2, wie ich das gestrige Spiel eher interpretieren würde) ist die Doppelspitze Kutschke/ Frahn, in der aus meiner Sicht Daniel Frahn ein wenig untergeht, weil er nicht genug Raum hat für sein Spiel, er sich immer wieder mit zurück fallen lässt und sich am Spiel beteiligt und dabei um die größte Fähigkeit beraubt wird, die er hat, nämlich im Sturmzentrum die Bälle zu verwerten. Andererseits harmonieren Kutschke und Frahn in vielen Situationen auch sehr gut, wie beispielsweise die Vorarbeit Frahns zu Kutschkes 1:0 beweist. Mal sehen, was draus wird. Andererseits sollte man sich wohl bei RasenBallsport Leipzig nicht zu sehr an taktische Formationen gewöhnen, zwei Spiele später kann das alles aus irgendeinem Grund schon wieder ganz anders aussehen und dann spielt plötzlich Frommer im Sturm und Frahn wird rechter Flügelstürmer (nur mal so als fiktives Beispiel).
Gestern also Frahn und Kutschke als Sturmduo und die schienen bis zur 60.Minute RasenBallsport Leipzig zu einem lockeren Sieg zu schießen. Nach 20 Anfangsminuten, in denen die RasenBallsportler zwar geduldig das Spiel bestimmten, der Gegner aber durch Hebler die Riesenchance zur Führung hatte (dieser entschied sich nach Neuhaus-Unachtsamkeit glücklicherweise für das Schießen neben das leere Tor) kamen die RasenBallsportler in einem dann überlegen geführten Spiel zu 2 Toren, einem Latten- und einem Pfostentreffer. Als dann Stefan Kutschke eine missglückte Rückgabe der Cottbusser nach 50 Minuten zum 3:0 verwandelte, schien der Abend im schönsten Sinne gelaufen. Zumal RasenBallsport Leipzig in der Folge diverse Ballstafetten auf den Rasen zauberte, die zwar nicht zum Ziel führten, aber zeigten, dass die Mannschaft auch anders kann als hoch und weit. Zu diesem Zeitpunkt war das Spiel schon abgehakt, die Frage nur noch, ob es 4:0 oder 5:0 oder gar 6:0 ausgehen würde. Auch die fiktive Headline für den Spielbericht “Cottbus nur besserer Sparringspartner” war vermutlich nicht nur in meinem Kopf vorgefertigt.
Mit dem 1:3-Anschluss bei dem eine Handvoll RasenBallsportler den Torschützen Hebler freundlich bei dessen Kopfall eskortierten, bekam das Spiel der jungen Cottbusser noch einmal völlig neuen Schwung. Dieser Schwung wurde mit freundlicher Unterstützung von Sebastian Albert, der seinen Gegenspieler im Strafraum völlig unmotiviert fällte, noch stärker. Es gehörte zu den besonderen Geschichten dieses Spiels, dass Markus Obernosterer zwar an Sven Neuhaus scheiterte, aber anschließend von keinem Gegenspieler bedrängt den Nachschuss im Kasten unterbringen konnte. Besondere Geschichte deshalb, weil Lars Müller nur sechs Minuten später auch per Elfmeter völlig zurecht die Chance bekam, das Spiel in die verdienten Bahnen zurückzulenken und auch am Torhüter scheiterte, den anschließenden Nachschuss aber nicht wie Obernosterer im Kasten unterbrachte, sondern am stark reagierenden Cottbusser Keeper Renno scheiterte.
Der Rest des Spiels war Zittern. Wobei ich es immer wieder überraschend finde, dass eine Mannschaft wie RasenBallsport Leipzig in solchen Situationen so wenig Klasse hat, das Spiel zu beruhigen und wieder an sich zu reißen. Was ab Minute 70 für Querschläger und Fehlpässe produziert wurden, war äußerst erstaunlich. Gepaart mit hanebüchenen Offensivbällen, die immer wieder und sehr schnell beim Gegner landeten, der sich sehr darüber freute, in eine Rolle zu kommen, in der er den Favoriten noch mal in verschiedenen Situationen ins Wanken bringen konnte. Wenn das Momentum schon beim Gegner liegt, sollte man es doch nicht auch noch dadurch unterstützen, dass man permanent den Ball herschenkt. Ballkontrolle, kompaktes Arbeiten gegen den Ball (wenn der Gegner ihn doch mal kriegt), Sicherheit gewinnen und auf den entscheidenden Punch lauern, das würde man erwarten. Dafür scheint dem Spiel der RasenBallsportler aber die dominante Hand zu fehlen, die dies in solchen Phasen durchsetzt.
Dass man nochmal intensiv zittern musste, war also in weiten Teilen selbst produziert und das Spiel somit eine Lehrstunde für alle, die immer schon mal wissen wollten, wie es aussieht, wenn man den Gegner stark macht. Da das ganze in einem für die Tabellensituation nicht sonderlich wichtigen Spiel trotzdem gut gegangen ist, kann man auch Schwamm drüber sagen, man könnte aber auch Lehren daraus ziehen und an den offensichtlichen Problemen mit der Spieldominanz in kniffligen Situationen arbeiten. Dürfte etwas sein, was man später noch mal braucht..
An der Regionalligaspitze geht derweil der Kampf um den Aufstieg zwischen dem Chemnitzer FC und dem VfL Wolfsburg II unvermindert und im Gleichschritt weiter. Beide gewannen ihre nicht einfachen Aufgaben gegen Hamburg II und Hertha II und steuern vier Spieltag vor Schluss weiter auf ein spannendes Finale zu. Für RasenBallsport Leipzig ist das einzige worauf man in der Regionalliga noch zusteuern kann – realistisch betrachtet – Platz 4. Dabei kommt es im Spiel gegen den lokalen und tabellarischen Nachbarn Hallescher FC in zwei Wochen zum vorentscheidenden Duell. Nicht gerade ein Straßenfeger, aber ein Heimspiel der RasenBallsportler ist immer einen Ausflug wert. Sehr viele wird es davon in dieser Saison nicht mehr geben.
Fazit: Ein unterhaltsamer Fußballabend mit einem insgesamt völlig verdienten Sieger, auch wenn die Cottbusser am Ende um den nicht geholten Punkt trauern dürfen. Damit wächst die Heimsiegesserie auf sechs Partien an, während die Auswärtssieglosserie derzeit noch bei der Zahl fünf steht. Nächste Woche geht es nach Meuselwitz, die sicher sehr gerne an der Fortsetzung der Negativserie der RasenBallsportler arbeiten werden..
Randbemerkung 1: Schön fand ich das Halbzeitinterview mit Maximilian Watzka. So geht das ganze zumindest schon einmal in eine Richtung, die man sich für die Halbzeitgestaltung wünscht. Informationen aus dem Verein. Sportlich, menschlich, geschäftlich, infrastrukturell. Gibt doch genug Themen, die der geneigte Stadionbesucher erfahren würde wollen.
Randbemerkung 2: Wohl dem, der einen Kader hat, bei dem man sogar darauf verzichten kann Timo Rost, Ingo Hertzsch und Alexander Laas überhaupt auf die Bank zu setzen! Keiner der drei galt vor dem Spiel als so verletzt, als dass es nicht zu einem Einsatz gereicht hätte. Rost gilt seit Wochen als jemand, der nach Verletzungspause noch nicht bei 100% sei, sollte demnach also inzwischen wieder komplett fit sein. Hertzsch stand noch vor zwei Spielen in der Anfangsformation. Selbiges gilt für Laas für das letzte Spiel. Manchmal geht das bei RasenBallsport Leipzig sehr schnell vom Rasen auf die Tribüne und zurück..
Randbemerkung 3: Mit “Amateure” feuerten die angereisten Cottbus-Anhänger ihre Mannschaft fleißig an. Was mich persönlich immer ein wenig erstaunt. Sind denn die U23-Spieler eines Proficlubs tatsächlich Amateure? Einige Spieler der U23 gehören zum Profikader und für alle anderen dürfte gelten, dass ihr hauptsächliches Ziel das Spielen in den obersten Profiligen ist. Man muss sich ja als Anhänger eines Proficlubs nicht gleich den Forderungen nach einer eigenen Liga für zweite Mannschaften anschließen, wie sie von Zeit zu Zeit aus der Regionalliga kommen. Dass man aber die eigene zweite Mannschaft als amateurhaftes Gegenprinzip zum Profisport feiert, kommt mir schon schräg vor, wenn es sich doch nur um den unter professionellen Bedingungen arbeitenden Unterbau eines Zweitligaclubs handelt. Vielleicht ist es aber auch nur eine Floskel, die Anfeuerung und gar nicht so aufgeladen gemeint, wie ich es hier interpretiere. Und falls es mir jemand erklären mag: Ich hab nicht verstanden, wessen Dolch die Fans der Cottbusser BSG an ihrer Kehle spüren und trotzdem zum Verein stehen, wie es ein entsprechendes Spruchband im Gästeblock verlauten ließ.
Randbemerkung 4: Heute um 18 Uhr beginnt im MDR-Fernsehen eine Dokumentation über RB Leipzig unter dem Titel “Fußball nach Plan” [broken Link]. Die Doku wird sechs Wochen lang jeweils samstags um 18 Uhr im MDR gezeigt. Die Folgen sind jeweils 15 Minuten lang und sollen auch in der Mediathek des MDR verfügbar sein.
Lichtblicke:
- Tim Sebastian: Ihm hatte ich die Sechser-Rolle nie wirklich zugetraut. Positiv überrascht bin ich deshalb, dass er in dieser Position doch eine überragende Präsenz auf dem Platz hat. Defensiv sowieso ein guter Abräumer ist er auch im Offensivspiel in einer Art ballsicher, wie man es aus seiner Zeit als Innen- und Rechtsverteidiger nicht kannte.
- Stefan Kutschke: Wirkt als Stürmer derzeit recht abgezockt. Ein wunderschöner Lattentreffer, ein überlegter Flachschuss zum 1:0, aufmerksames Spielverhalten beim 3:0. Derzeit macht Kutschke, für den dies die ersten zwei Ligatreffer waren sehr viel richtig. Im Saisonverlauf hauptsächlich durch Kurzeinsätze aufgefallen, scheint er jetzt eine wichtige Option für die Stammelf geworden zu sein. Arbeiten sollte Stefan Kutschke eventuell an seinem manchmal übermotivierten und nickligen Einsteigen gegen die gegnerischen Verteidiger. Da noch mal mit der Hand nachgewischt, dort noch mal mit dem Fuß den Kontakt gesucht. Ich finde es unnötig beziehungsweise unsportlich und es führt dazu, dass er sich unnötig gelbe Karten und die Gefahr des Platzverweises einhandelt.
Schattenblicke:
- Carsten Kammlott: Am Anfang der Rückrunde schien er noch in Topverfassung. Scheint inzwischen seinen Rhythmus komplett verloren zu haben. Nach seiner Einwechslung ohne gute Offensivaktion, ohne Effekt. Und das in einer (Konter-)Spielsituation, die einem schnellen Stürmer wie ihm eigentlich liegen sollte. Fairerweise muss man aber auch dazu sagen, dass die Anspiele auf ihn eher suboptimal waren.
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Tore: 1:0 Kutschke (36.), 2:0 Frahn (38.), 3:0 Kutschke (50.), 3:1 Hebler (59.), 3:2 Obernosterer (70./ FE)
Aufstellung: Neuhaus – Albert, Kläsener, Franke, Müller – Sebastian – Schinke, Geißler (88. Rosin), Rockenbach – Frahn (73. Frommer), Kutschke (73. Kammlott)
Zuschauer: 2125
Links: RBL-Bericht [broken Link], RBL-Liveticker [broken Link], RB-Fans-Bericht [broken Link], MDR-Bericht [broken Link], Energie-Bericht [broken Link]
Recht du haben…:-)
Gutes Spiel von Geißler, wirklich sehr präsent. Vielleicht noch einen Tick mehr Selbstvertrauen für Offensivaktionen.
Und wer mir auch immer besser gefällt aber sicher noch etwas besser kann… der Herr Albert.
Dafür fand ich Paul Schinke diesmal etwas unauffällig.
Grüße