RasenBallsport Leipzig vs. Hannover 96 II 1:1

Man sollte ja immer das positive Denken in den Vordergrund stellen. Nein, das zielt nicht darauf, dass RB Leipzig weiter unbesiegt bleibt. Das zielt vor allem auf ein Lob des Publikums. Mehr als 2600 Zuschauer sind an einem regnerischen Samstagmittag nach durchwachsenem Saisonstart gegen einen wenig attraktiven Gegner durchaus sehr, sehr respektabel. Man kann hoffnungsfroh davon ausgehen, dass man hier den Kern des RB-Regionalliga-Publikums gesehen hat. Wenn man bedenkt, dass der Verein fantechnisch ein Jahr alt ist, ist diese Zahl erstaunlich und zeigt einmal mehr, dass es jenseits vom FC Sachsen und von LOK Platz im Leipziger Fußball gibt, selbst für einen Viertligisten. Doch jenseits der Zahlen ist es auch die Art und Weise des Publikums, die man einmal einer Lobeshymne unterziehen sollte. Sicher, es ist kein fanatisches Publikum, sicher es ist keine Ultra-Kurve mit Dauerstimmung. Doch es ist ein Publikum, das selbst in zwei dürftigen Spielen bei allem Unmut immer wohlwollend und begeisterungsfähig geblieben ist. Da wird nicht nach zwei Fehlpässen die Pfeiffkonzertkeule herausgeholt, sondern vielmehr jede halbwegs gelungene Aktion mit dankbarem Applaus quittiert. Ich finde, dass es zuschauertechnisch Spaß macht, Spiele von RasenBallsport Leipzig zu besuchen. Bleibt zu hoffen, dass das so bleibt und wächst und gedeiht.

Über das Spiel selbst gibt es nicht ganz so viel positives zu berichten. Klar könnte man vom Spiel absehen und sich über den Schiedsrichter beschweren. Möglicherweise zu Unrecht einen Handelfmeter nicht gegeben, möglicherweise eine gelb-rote Karte für Nico Frommer zu Unrecht gegeben und ganz sicher nicht regelkonform nach einer Halbzeit mit Tor, Platzverweis und viel Hannoveranerschem Zeitspiel pünktlich bei 90:00 abgepfiffen. Aber insgesamt konnte der Schiedsrichter nichts für das alles in allem leistungsgerechte Unentschieden.

Man könnte sich auf jeden Fall schon einmal über taktische Finessen unterhalten. Tomas Oral krempelte seine Mannschaft um und verordnete ihr statt des bisherigen 4-4-2 ein offensives 4-3-3 mit zwei Flügelstürmern. Das führte dazu, dass Kammlott, Frahn und Frommer zusammen als Stürmer auf dem Platz standen, wo sie permanent ihr Positionen wechselnd für Unruhe sorgen sollten. Das gelang zumindest bis zum Gegentor nach einer Viertelstunde durchaus recht gut, auch weil die drei vom Rest der Mannschaft bis dahin gut eingesetzt wurden. Defensiv hat das 4-3-3 hingegen erhebliche Tücken, wie vor allem der gar nicht schlechte, rechts verteidigende Shaban Ismaili erfahren musste, dem die Angriffe Hannovers nur so um die oft allein stehenden Ohren flogen.

Und nach dem 0:1 war der offensive Schwung sowieso ein ganzes Stück verpufft. Es schien als wäre das über die Woche gesammelte Selbstvertrauen wie weggepustet. Weder defensiv, noch offensiv kehrte für das restliche Spiel Ruhe und Leichtigkeit ein. Defensiv mit haarsträubend vertändelten Bällen wurde es offensiv oft unpräzise, auch wenn das ganze schon um Klassen besser aussah als im Auswärtsspiel in Braunschweig.

Und sowieso kann man über Spielsysteme reden wie man will, wenn man wie schon gegen Türkiyemspor durch einen Standard in Rückstand gerät, dann helfen taktische Feinheiten auch nicht weiter. Gerade in schwierigen Phasen sind es oft die einfachen Sachen, die darüber entscheiden, ob es bergauf oder weiter bergab geht. Und mit den einfachen Sachen tut man sich bei RasenBallsport Leipzig nicht nur wegen des Gegentors schwer. Zumal das Offensivspiel eher auf Ballsicherheit, schnelle Kombinationen und Schönheit, also auf die hohe Fußballkunst abzielt. Eine Fußballkunst, die das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und ein eingespieltes Team voraussetzt. Beides ist bei RB Leipzig derzeit nicht zu haben. Nicht nur der Wechsel in der Spieltaktik ist der Eingespieltheit vermutlich nicht gerade dienlich, auch im personellen Bereich ist die Stammelf wohl noch lange nicht gefunden.

Profitiert haben gegen Hannover davon Ingo Hertzsch, der für Thomas Kläsener weitgehend solide, aber auch nicht durchgängig sicher spielte und Daniel Rosin, der neben Timo Rost und Tom Geißler zentral im Mittelfeld agierte und zumindest für Ansätze von Spielkultur sorgte. Da auch Daniel Frahn von Anfang an spielen durfte, war kein Platz mehr für Steven Lewerenz und Benjamin Baier, die beide gegen Braunschweig noch von Beginn an spielten. Als kurz vor Ende auch noch Alexander Laas eingewechselt wurde, der in den bisherigen Pflichtspielen noch auf gar keine Einsatzminute kam, standen im Mittelfeld plötzlich mit Laas, Rosin und Lewerenz drei Spieler, die in der Form noch gar nicht zusammen agierten und auf die vor dem Spiel wohl auch niemand als Trio gewettet hätte. Was gar nicht schlecht sein muss, aber zeigt, dass man derzeit noch weit entfernt von einer harmonischen Stammformation ist. Leidtragende dessen waren gegen Hannover Kläsener und Watzka, die jeweils 90 Minuten auf der Bank saßen und Patrick Bick, der – wenn ich das richtig gesehen habe – nicht einmal in den Kader für das Spiel rutschte.

Mit mangelndem Selbstvertrauen einher geht auch ein Phänomen, das ich immer wieder schräg finde, das Problem der Übermotiviertheit. Immer wieder wurden in der Offensive hochoptimistische Bälle gespielt (Stichwort nicht die einfachen Sachen beherrschen), die hauptsächlich zu Ballverlusten führten. Und viel schlimmer, defensiv führt das Wollen oft dazu, den Gegenspieler anzugreifen, ohne den Ball erkämpfen zu können, sodass man häufig einen Schritt zu spät kommend überspielt wurde und sich dadurch für den Gegner diverse Räume zum kombinieren ergaben. Räume, die vom Hannoveraner Nachwuchs glücklicherweise nicht energisch genug genutzt wurden, die aber den kommenden Gegnern Kiel und Magdeburg noch mehr liegen könnten. Das 4-3-3 Orals kann wie schon das offensiv ausgerichtete 4-4-2 sicher positive Akzente setzen, wenn man jedoch wie bei RasenBallsport Leipzig in Sachen Spielsicherheit und Selbstvertrauen von den berühmten 100% noch weit entfernt ist, dann kann man mit solchen System auch mal eine richtige Klatsche kassieren. Abwarten.

Fazit: der Saisonstart endgültig misslungen, die Mannschaft noch auf der Suche nach Form, System und Selbstvertrauen und zwei Mitkonkurrenten um den Aufstieg vor der Brust. Die Lage könnte besser sein für RasenBallsport Leipzig, sie könnte aber auch noch schlechter werden. Trotzdem bleibt das Gefühl, dass die Mannschaft fußballerisch wächst (was nach Braunschweig auch nicht schwierig war), sowieso willig ist und das Publikum bereit ist, mit durch das Tal zu gehen.

Randbemerkung: 6 Pflichtspiele haben die drei ranghöchsten Leipziger Klubs inzwischen absolviert, herausgesprungen sind 6 Unentschieden. Treffender kann man das Leben der Leipziger Vereine im aktuellen fußballerischen Niemandsland nicht ausdrücken..

Lichtblicke:

  • Shaban Ismaili: zwar immer für einen defensiven Aussetzer gut, aber unheimlich agil und mit dem einen oder anderen Vorstoß auch gefährlich; wirkt für mich eher wie ein rechter Mittlelfeldwirbelwind als ein Verteidiger; sollte Oral mal wieder auf ein 4-4-2 zurück stellen, dann könnte man sich auch ein Duo Albert/ Ismaili für die rechte Seite vorstellen.
  • Stefan Kutschke: groß (gut für die langen, hohen Bälle), kampfstark, technisch nicht schlecht wirkend (schwer zu beurteilen bei den wenigen Einsatzminuten); hat bei seinen drei Einwechslungen bisher jedesmal ordentlich Wind ins sandgefüllte Getriebe gebracht; könnte aus meiner Sicht eine gute Alternative für die Mittelstürmerposition im 4-3-3 sein.

Schattenblicke:

  • Tom Geißler: kriegt momentan noch gar kein Bein auf den Leipziger Rasen; im Passspiel ungenau und unsicher, im Eins-gegen-Eins meist erfolglos und bei einer guten Schusschance auch noch mit Pech; ein Tom Geißler in Form könnte der entscheidende Baustein der RasenBallsport-Offensive sein, mit einem blassen Tom Geißler in seiner exponierten Position im 4-3-3 leidet das RB-Spiel enorm.

Links: RBL-Bericht [broken Link], Hannover-Bericht [broken Link], MDR-Bericht [broken Link]

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