Gesucht: Stressresistenz

Irgendwann in der Endphase der Partie bei der TSG Neustrelitz sinnierte ich darüber, warum es – rein gefühlsmäßig – RB Leipzig eigentlich immer so schwer fällt, in engen Partien kühlen Kopf zu bewahren. Mir erschien vieles an den Aktionen der letzten 15 bis 20 Minuten überhastet und eher dazu geeignet, den Gegner noch mal zum Ausgleich einzuladen als den entscheidenden Konter zum 3:1 zu setzen.

Woraus bei mir gleich die Frage resultierte, ob RB Leipzig eigentlich ein nachweisbares Problem mit engen Partien hat, also mit Partien, die mit nur einem Tor Unterschied oder mit einem Unentschieden enden. Sprich, einerseits stellte sich mir die Frage, ob RB Leipzig im Vergleich mit Tabellennachbarn seltener Spiele mit einem engen Resultat gewinnen (These: RB Leipzig gewinnt die Spiele überwiegend mit mindestens zwei Toren Vorsprung, enge Siege gibt es bspw. wegen fehlendem kühlen Kopf seltener.) und ob sie in engen Spielen überdurchschnittlich oft den kürzeren ziehen (These: RB Leipzig behält in engen Spielen nicht die Nerven und gewinnt sie deswegen selten). Um das Finden der Antwort auf diese Fragen zu vereinfachen, habe ich mich bei der Analyse auf die letzten beiden Regionalliga-Jahre beschränkt.

[Hinweis: Die Zahlen gibt es im kompletten Überblick unter dem Artikel noch mal.]

Betrachtet man zuerst einmal den Anteil der engen Siege an der Gesamtzahl der Siege, dann fällt auf, dass für die Regionalliga-Spitzenteams der vergangenen zwei Spielzeiten gilt, dass der Anteil der Siege mit nur einem Tor Vorsprung an der Gesamtanzahl der Siege bei ca. 40% liegt. Im Jahr 2010/2011 unter Oral entspricht RB mit 39% (also bei 18 Siegen insgesamt 7 Siege mit nur einem Tor Vorsprung) ziemlich exakt der Zahl, im Jahr 2011/2012 hingegen waren 50% aller Siege knappe Siege (ähnliche Ausreißer hatten Wolfsburg II und Lübeck ein Jahr zuvor).

Anteil enger Siege an der Gesamtzahl der Siege - Regionalliga 2010/2011 und 2011/2012 | © rotebrauseblogger

Das würde eine meiner Annahmen aus der letzten Saison unterstützen, dass RB Leipzig unter Pacult nicht am Mannschaftsgeist gescheitert ist. Denn im Jahr 2011/2012 gleich 11 knappe Siege über die Zeit zu bringen (oder am Ende zu erkämpfen), erfordert ein Mindestmaß an Einsatz und Kollektivgeist. Der Anteil knapper Siege an der Gesamtzahl der Siege ist jedenfalls im Vergleich mit anderen Mannschaften ziemlich normal bis überdurchschnittlich, was eher für eine mit der Konkurrenz vergleichbare mentale Stärke und kühlen Kopf spricht.

Betrachtet man alle engen Spiele, also alle Spiele in denen das Ergebnis nicht größer war als +1 (egal für wen), dann werden die Unterschiede bereits deutlicher. Vorneweg fällt bereits auf, dass RB Leipzig mit der Anzahl der engen Spiele pro Saison 2010/2011 leicht und 2011/2012 stark über dem Durchschnitt liegt (und sowieso jeweils 4 bzw. 5 enge Spiele mehr als der spätere Aufsteiger hatte). Was sich sicherlich dadurch erklären lässt, dass die Spiele für die Gegner oft Spiele des Jahres sind, in denen sie sich an den RasenBallsportlern festbeißen.

Anzahl der engen Spiele - Regionalliga Nord 2010/2011 und 2011/2012 | © rotebrauseblogger

Wesentlich interessanter ist allerdings die Tatsache, dass RB Leipzig in zwei Regionalligajahren am Stück jedes fünfte enge Spiel verloren hat (4 bzw. 5 Spiele insgesamt), während der Chemnmitzer FC in seiner Aufstiegssaison kein einziges (!) Spiel knapp verloren hat und der Hallesche FC sich letztes Jahr auch nur ein einziges Mal knapp geschlagen geben musste. Eine solch schlechte Bilanz wie RB Leipzig hat von den Spitzenteams in beiden Jahren lediglich Holstein Kiel, die man aufgrund der Tatsache, dass sie letztes Jahr jedes dritte enge Spiel verloren haben (6 Niederlagen allein dadurch), auch guten Gewissens als Schönwetterteam bezeichnen kann.

Ergebnisse in engen Spielen - Regionalliga Nord 2010/2011 und 2011/2012 | © rotebrauseblogger

Ergebnisse in engen Spielen - Regionalliga Nord 2011/2012 | © rotebrauseblogger

Fakt ist, dass RB Leipzig offenbar ein Problem damit hat, enge Spiele für sich zu entscheiden. Das erklärt sich ein wenig bereits dadurch, dass man schlicht mehr enge und umkämpfte Spiele als die Konkurrenz hat und vermutlich auch in den engen Spielen mit einer härteren Gegenwehr zu kämpfen hatte als die Aufstiegskonkurrenz, aber die deutliche Differenz im Anteil der Niederlagen an der Gesamtzahl der engen Spiele erklärt es nicht umfassend. Denn dass CFC und HFC in ihren Aufstiegsjahren aus den engen Partien im Schnitt 2,18 bzw. 1,94 Punkte mitbrachten, ist eine deutliche Differenz zu den ziemlich deprimierenden 1,48 und 1,74 RB-Punkten pro engem Spiel aus dem Oral- bzw. Pacult-Jahr.

Punktausbeute in engen Spielen - Regionalliga Nord 2010/2011 und 2011/2012 | © rotebrauseblogger

Fazit: Letztlich liegt die Interpretation sehr nahe, dass RB Leipzig in engen Spielen aufgrund hochmotivierter Gegner, aber auch aufgrund mangelnder Abgeklärtheit und fehlendem kühlen Kopf in Stresssituationen, mehr Punkte verliert als die Konkurrenz. Gerade weil die Gegner gegen RB Leipzig immer hochmotiviert sind, ist Stressresistenz ein nicht unentscheidender Faktor im Aufstiegskampf. Zumindest im vergangenen Jahr wäre RB Leipzig aufgestiegen, hätten sie dieselbe Bilanz in engen Spielen gehabt wie der HFC. Im Moment steht RB in engen Spielen bei 2 Punkten pro Spiel. Ein Aufstiegswert. Jetzt fehlt nur noch ein klarer Sieg, um statistisch gesehen auf Aufstiegskurskurs zu kommen (ca. 60% aller Siege von CFC und HFC waren klare Siege). Wenn da nicht mal Lok genau zur richtigen Zeit kommt..

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Datenanhang (Basis: fussballdaten.de)

2010/2011

  • CFC: 25 Siege, 10 eng (40%), 15 klar (60%)
  • WOB II: 23 Siege ,13 eng (56,5 %), 10 klar (43,5%)
  • Lübeck: 21 Siege, 10 eng (47,6%), 11 klar (52,4%)
  • RB Leipzig: 18 Siege, 7 eng (38,9%), 11 klar (61,1%)
  • Halle: 16 Siege, 6 eng (37,5 %), 10 klar (62,5%)
  • Kiel: 15 Siege, 6 eng (40%), 9 klar (60%)
  • CFC: 17 enge Spiele – 10 Siege (58,8%), 7 Unentschieden (41,2%), 0 Niederlagen – 2,18 Punkte/ Spiel
  • WOB II: 22 enge Spiele – 13 Siege (59,1%), 6 Unentschieden (27,3%), 3 Niederlagen (13,6%) – 2,05 Punkte/ Spiel
  • Lübeck: 19 enge Spiele – 10 Siege (52,6%), 6 Unentschieden (31,6%), 3 Niederlagen (15,8%) – 1,89 Punkte/ Spiel
  • RB Leipzig: 21 enge Spiele – 7 Siege (33,3%), 10 Unentschieden (47,6%), 4 Niederlagen (19,1%) – 1,48 Punkte/ Spiel
  • Halle: 18 enge Spiele – 6 Siege (33,3%), 10 Unentschieden (55,6), 2 Niederlagen (11,1%) – 1,56 Punkte/ Spiel
  • Kiel: 20 enge Spiele – 6 Siege (30%), 10 Unentschieden (50%), 4 Niederlagen (20%) – 1,4 Punkte/ Spiel

2011/2012

  • HFC: 23 Siege 9 eng (39,1%), 14 klar (60,9%)
  • Kiel: 24 Siege 9 eng (37,5%), 15 klar (62,5%)
  • RB Leipzig: 22 Siege, 11 eng (50%), 11 klar (50%)
  • Halle: 18 enge Spiele – 9 Siege (50%), 8 Unentschieden (44,4%), 1 Niederlagen (5,6%) – 1,94 Punkte/ Spiel
  • Kiel: 18 enge Spiele – 9 Siege (50%), 3 Unentschieden (16,7%), 6 Niederlagen (33,3%) – 1,67 Punkte/ Spiel
  • RB Leipzig: 23 enge Spiele – 11 Siege (47,8%), 7 Unentschieden (30,4%), 5 Niederlagen (21,7%) – 1,74 Punkte/ Spiel

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