Wäre ich 15 oder 20 Jahre jünger, wäre meine Zugeneigtheit zu den RasenBallsportlern vermutlich eine gute Chance, quasi im Vorübergehen ein guter Groundhopper zu werden. Bis der Verein irgendwann eventuell seine sportlichen Ziele erreicht, hätte man auf dem Weg von der fünften in die erste Liga eine hübsche Sammlung an Stadien zusammengekriegt. So als Auswärtsfahrer meine ich. Von Auerbach bis Bremen, von Bautzen bis München. Da ich nun aber in meinem halbwegs gesettelten Alter Auswärtsfahrten nur im Ausnahmefall mitnehme, entgeht mir diese Chance.
Das Amateurstadion zu Berlin darf ich mir trotzdem gutschreiben. Berlin bietet die subjektiv hervorragende Chance, den Fußballbesuch mit einem sozial motivierten Wochenendausflug zu verknüpfen. Es ist jetzt nicht so, dass man das Amateurstadion der Herha gesehen haben muss. Nett ist es da trotzdem und wenn man in Betracht zieht, dass es quasi ein Zweitsstadion der Hertha ist, dann ist der Bau mit seiner hübschen Sitzplatztribüne durchaus beachtlich, auch wenn man ernsthafte Zweifel haben darf, wie man dort 5.000 Zuschauer unterbringen wollte, wie man behauptet, dass man könnte.
Zum Auswärtsspiel zu gehen, hat ja auch deswegen einen gewissen Charme, weil man noch mal einen anderen Eindruck vom Auftreten des Vereins kriegt. Sportlich, weil das Spielen in nichtheimischer Umgebung offenbar tatsächlich einen Unterschied macht. Fantechnisch, weil man so ein bisschen das schräg-absurde Gefühl deutscher Urlauber im Ausland hat und schon die relativ hohe Dichte von Autos mit dem L-Kennzeichen auf dem Anmarsch zum Stadion zum Anlass nimmt, innerlich Grüße an die unbekannten Insassen zu senden. Überhaupt rutschen im Auswärtsblock die verschiedenen Anhängerschichte, die man sonst nicht zusammen zu Gesicht bekommt, enger zusammen. Vom 60jährigen Ehepaar über die Fanfamilie bis hin zum grenzwertig alkoholisierten Knapp-Zwanzigjährigen war unter den etwa 150 Gästen alles am Start.
Mal abgesehen vom besonderen Auwärtsambiente ist das beste, was man über den sportlichen Teil des Ausfluges nach Berlin sagen kann, dass er mit drei Punkten erfolgreich gestaltet wurde, dass man einen Rückstand in der Schlussphase noch drehen konnte und dass man tatsächlich bei aller spielerischen Schwächen bis zum Schluss auf den Erfolg drängte. Man muss nicht unbedingt die These vom verdienten Auswärtserfolg vertreten, aber immerhin einen Sieg der Moral und der Kampfkraft konstatieren.
Dabei ging alles – überraschend exakt in der Formation von letzte Woche – so los, wie es gegen den 1.FC Magdeburg endete. Mit wenig Genauigkeit im Spiel nach vorn, wenigen gelungenen Flanken und zu geringer Präsenz im zentralen Mittelfeld schoben sich die RasenBallsportler ohne direkte Torgefahr (mal abgesehen von den ersten zwei Minuten) den Ball hin und her. Was den Gegner direkt dazu einlud mit schnellen Angriffen für Gefahr zu sorgen. Erstaunlich wie unsortiert die Defensive bei RB Leipzig in einzelnen Situationen immer wieder wirkt.
So auch beim 0:1, als die Herthaner aus einem Einwurf am eigenen Strafraum (!) nach gefühlten 10 gewonnenen Kopfballduellen (de facto waren es vielleicht vier) im Mittelfeld plötzlich über links durchbrachen und Christian Müller überliefen, der mit zumindest ungeschicktem Zweikampfverhalten einen Elfmeter produzierte. Und schon wieder 0:1 mag mancher gestöhnt haben.
In der Folge spielte RB Leipzig nicht lustlos, aber uninspiriert gegen flink verteidigende Nachwuchs-Herthaner und lief ein- oder zweimal in kreuzgefährliche Konter, bei denen durchaus auch das 0:2 fallen kann. Auf der Gegenseite kaum klare Aktionen bis auf einen Kopfball von Daniel Frahn aus 5 Meter in die Arme des Herthaner Torwarts, der gar nicht anders konnte als den Ball locker zu fangen.
Die Schlüsselszene des Spiels war die rote Karte für einen Herthaner, der in einer höchst kuriosen Szene offenbar den Ball mit der Hand davon abhielt, über die Linie zu rollen. Dass er überhaupt die Chance bekam zur Parade, war schon unglaublich in einer Situation als die RasenBallsportler ungefähr fünfmal aus dem Fünfmeterraum den Ball im Tor unterbringen wollten, aber entweder am Pfosten, einer unsichtbaren Mauer im Tor, eigenem Unvermögen oder einem Herthaner scheiterten. Einmal eben auch an einer Hand. Dass Daniel Frahn dann mit dem fälligen Elfmeter scheiterte, war bezeichnend für das Spiel von RB Leipzig, aber auch für die aktuelle Situation des Schützens selbst.
Zu zehnt war von der kleinen Hertha außerhalb der Defensivarbeit nichts mehr zu sehen, fortan spielte nur noch RB Leipzig, äh besaß den Ball wollt ich sagen, denn genaugenommen ging in Überzahl an Torgefahr fast noch weniger als bei numerischem Gleichgewicht. Viel, viel quer. Wenig Selbstvertrauen, kaum durchdachtes, noch weniger Offensivgefahr. Das ganze war teilweise ziemlich nah an der Schmerzgrenze. Bemühen ja, zielführendes Können überwiegend nein.
Und als viele im Gästeblock die Hoffnung auf eine Wende im Spiel schon fast abgeschrieben hatten, fiel doch noch das – und das Gefühl hatte man trotz des vielen, aber brotlosen Ballbesitzes – überraschende und beflügelnde 1:1, ausgerechnet durch den zuvor bestenfalls glücklosen Daniel Frahn. Danach versuchte Herha tatsächlich auch zu zehnt noch mal mitzuspielen, konnte aber nicht mehr. Ganz im Gegenteil war es Tom Geißler, der entweder einen herrlichen Schlenzer oder eine verunglückte Flanke (so genau war das nicht zu sagen) ins lange Eck fabrizierte und ungeteilte Begeisterung beim Gästeanhang auslöste.
Der Rest war eine gelb-rote Karte für Thiago Rockenbach, nachdem dieser ein hanebüchenes Zweikampfverhalten von Carsten Kammlott mit unerlaubten Mitteln ausbügeln und zurecht vom Platz musste und ein knapp am Tor vorbei zischender Freistoß in der Schlußminute für die Hertha.
Anschließend plumpsten inetwa 1000 große Steine von den Herzen der RasenBallsportler und ihrer Betreuer. Peter Pacult stapfte, heftig Richtung Anhang Beifall klatschend, vom Platz. Stefan Kutschke sagte ungefähr 20 mal danke als er die Reihe der Fans abklatschte und auch alle anderen waren ob des gedrehten Spiels und der abgewehrten Blamage gegen 10 Berliner höchst erlöst.
Fazit: Ende gut, alles gut. Naja, vieles. Man sollte jedenfalls nicht vergessen, dass man insgesamt und auch in Überzahl gegen keine überirdische Hertha teilweise einfallslos-grottigen Fußball gespielt und eigentlich direkt beim Magdeburg-Spiel weitergemacht hat. Der Sieg war insgesamt eher glücklich erkämpft, angesichts dessen dass die Herthaner in Unterzahl nichts mehr ins Spiel investieren konnten, aber nicht unverdient. Abhaken und das positive Erlebnis, dass man eine missliche Spielsituation doch noch lösen konnte, mit in die weitere Saison mitnehmen.
Lichtblicke:
- Sebastian Heidinger: Kam in der 60. Minute auf den Platz und war auffälligster Akteur der RasenBallsportler. Weit davon entfernt, fehlerlos zu spielen, war er unheimlich viel auf Achse und riss auf der linken Seite Löcher in des Gegners Abwehr, die es da zuvor nicht gab. War mit seiner Torvorlage zum 1:1 essenzieller Bestandteil der Wende hin zum positiven Spielausgang.
- Umut Kocin: Defensiv sicher. Über seine linke Seite ging kaum was. Offensiv dauerbemüht, wenn auch im Kontext der Mannschaftsleistung nicht immer glücklich.
Schattenblicke:
- Daniel Frahn: Bis zu seinem Tor hätte ich gesagt, dass man ihm derzeit wohl den Ball auf die Torlinie legen könnte und er einen Weg finden würde, das Tor nicht zu treffen. Was natürlich extrem ungerecht ist. In der Tendenz und trotz seines Ausgleichtores stimmt es aber, dass Daniel Frahn in diesem Spiel ziemlich oft beim Abschluss und im Spiel daneben lag. Folgerichtig ausgewechselt.
- Christian Müller: Wahrscheinlich interpretiert man Leistungen auch oft wegen einzelner Szenen. Bei Christian Müller war es die Szene, die zum Elfmeter für die Hertha führte. Danach fand sich aber auch keine Gelegenheit mehr für mich, ihn von meiner negativen Eindrucksliste zu streichen.
- Carsten Kammlott: Der nächste Anlauf für ihn, diesmal 40 Minuten lang. Unauffällig im besten Fall. Völlig blockiert im schlechtesten. Ein Rätsel der junge Mann.
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Tore: 1:0 Djuricin (11./ FE), 1:1 Frahn (72.), 1:2 Geißler (78.)
Rote Karte: Yigitoglu (35./ Handspiel)
Gelb-Rote Karte: Rockenbach (80./ Foulspiel)
Aufstellung: Borel – Müller, Sebastian, Franke, Kocin – Röttger (52. Kammlott), Schulz (61. Heidinger), Geißler, Rockenbach – Kutschke, Frahn (81. Ernst)
Zuschauer: 554
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Wusst ich’s doch. Wenn man weiß, wie du aussiehst und was du trägst, warst du von der Tribüne aus gut zu erahnen. :-)
Hehe, man muss ja auch nur nach einer Zigarettenrauchwolke Ausschau halten. Andersrum war das mit dem Erkennen von Ticker und Fanradio im Übrigen trotz Versuch schwierig..