Die diskursigste und protestigste zweite Liga aller Zeiten. Dass Sport 1 auf diesen Claim nicht vor der Saison gekommen ist, sollte ihnen in Sachen Nähe zum Publikum echt zu denken geben. Aber es ist ja noch nicht zu spät für eine tägliches Format, in dem die kreativsten Fanaktionen und die langweiligsten hyperspannendsten Wortmeldungen aller Pro-und-Contra-Art rund um den einzig wahren RasenBallsport zwischen diversen Werbeblöcken zu Topnews aufgeblasen werden.
Das soll gar nicht sarkastischer klingen als es gemeint ist, aber die Ernsthaftigkeit mit der in der öffentlichen Debatte vielerseits mit Klischees um sich geworfen und meist nur ein Selbstgespräch geführt wird, bei dem es vor allem um Bekenntnisse und nicht um Argumente geht, ist durchaus erstaunlich. Also eine Situation, in der für den Rezipienten irgendwas zwischen offenem Mund und lautem Lachen bleibt.
Das Diskursrauschen erreicht pünklich zum Union-Spiel am Sonntag wieder mal einen Höhepunkt. Konnte man natürlich auch nicht auslassen, das Storytelling von den völlig unterschiedlichen Vereinen zum Quasi-Kulturkampf aufzublasen. Man möchte immer mal was von Kapitalismus, Wesen, Erscheinungsform und Ideologie dazwischenwerfen, aber der Versuch, sich gesellschaftlichen Verhältnissen und Phänomenen analytisch zu widmen, würde an dem Bekenntnisspielchen abprallen wie ein Wassertropfen von den schwarzen Regenponchos, die die Berliner Zuschauer nach Willen der Union-Ultragruppe Wuhlesyndikat am Sonntag tragen sollen.
Oder vielleicht ja auch nicht tragen werden, denn dass die BZ als Medienpartner von Union die Aktion schon vier Tage vor dem Spiel öffentlich machte, ist den Machern etwas übel aufgestoßen. Ist offenbar auf dem Markt der Faneitelkeiten nicht wirklich vorgesehen, dass Choreos schon vor dem Spieltag bekannt werden. Und könnte als Grund durchgehen, von der Aktion Abstand zu nehmen.
Der BZ-Bericht hatte jedenfalls derartige Scoop-Qualitäten, das sich die Online-Copy-and-Paste-Industrie mit Freude auf die Story stürzte und einmal quer durchs Netz trieb. Vielleicht bezeichnend für die Copy-Qualitäten, dass aus den Regenponchos schon bald schwarze Mülltüten wurden, mit denen gegen RB Leipzig protestiert werden soll. Fange mit diesem Bild jeder an, was er oder sie will.
Erstaunlich jedenfalls, dass aus einem Protestchoreoplan im öffentlichen Sauseschritt eine “Mega”aktion gegen das “Hassobjekt” wurde. Manchmal fragt man sich, wie nah die Wortwahl diverser Medienerzeugnisse eigentlich an geistiger Brandstiftung dran ist, wenn Effekthascherei auf Claqueur-Niveau über nüchterner Berichterstattung steht.
Vielleicht hätte man mal bei Union-Präsident Dirk Zingler, auch nicht gerade als Anhänger des RasenBallsports bekannt, nachfragen sollen, der erst vor ein paar Wochen im Kicker in der Auseinandersetzung mit RB Leipzig den Fuß vom Gaspedal genommen und eher eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Zuständen im Allgemeinen angemahnt hatte. Ein Wunsch nach einer Form der Debattenkultur, der in seiner Frommheit mal eben unter dem Diskurs-Klangteppich begraben wurde.
Nun ja, auch wenn vielerorts der Tod (vielleicht ja deswegen das falsch kopierte Bild mit den schwarzen Müllsäcken) von Sport und oder Fankultur ausgerufen wird, spielt man an diesem Spieltag in Liga 2 auch wieder Fußball. Nicht nur mit Beteiligung von RB Leipzig, sondern wie jede Woche (abseits der Länderspielpausen) auch bei vielen anderen spannenden Partien. Karlsruhe gegen das kriselnde Nürnberg zum Beispiel. Oder das kriselnde Braunschweig gegen die wohl größte Überraschung bisher, den SV Darmstadt. Oder die kriselnden Sechzger gegen den Tabellenführer aus Ingolstadt. Oder, oder. Viel zu viel jedenfalls, um tatsächlich alles verfolgen zu können. Was schade ist, auch vor dem Hintergrund, wie viel wertvolle Lebenszeit man im Gegenzug mit Diskursrauschen verbringt.
Sei es drum, die erste englische Woche der Zweitligasaison wartet und am Ende der Woche wird das Tabellenbild langsam Aussagekraft bekommen haben. Drei Spiele in einer Woche, das bedeutet wie immer, dass man viel Boden verlieren oder gutmachen kann. Für RB Leipzig sind die Spiele in Berlin, gegen Karlsruhe und in Düsseldorf ein ordentlicher Test, wie sehr man schon zu einem Team des oberen Tabellendrittels taugt. Schade, dass sich die Poleposition in der öffentlichen Debatte nicht einfach zur Poleposition im Sport machen lässt..
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6. Spieltag
- Eintracht Braunschweig – SV Darmstadt 98 – 1
- VfR Aalen – SV Sandhausen – 1
- FC Erzgebirge Aue – FC St. Pauli – 0
- SpVgg Greuther Fürth – 1. FC Kaiserslautern – 1
- TSV 1860 München – FC Ingolstadt – 0
- FSV Frankfurt – VfL Bochum – 2
- Karlsruher SC – 1. FC Nürnberg – 1
- Fortuna Düsseldorf – 1. FC Heidenheim – 0
- 1. FC Union Berlin – RB Leipzig – 2
Bisherige Tippquote: 20 von 45 (Quote bei RB-Spielen: 4 von 5)
“Vielleicht hätte man mal bei Union-Präsident Dirk Zingler nachfragen sollen”
Hat man doch:
https://www.morgenpost.de/sport/union/article132367796/Union-Praesident-Zingler-lobt-Fans-fuer-Leipzig-Protest.html
Klar, er hatte sich auch schon mal mäßigend geäußert. Und nun wieder so. Der Mann beherrscht halt die komplette Klaviatur des Populismus und verwendet sie, wie es ihm gerade passt. Und momentan, nach der ganzen Aufregung um den Mattuschka-Transfer und dem verkorksten Saisonstart, ist RB ein willkommener Anlass, die Reihen fest zu schließen. Und die Presse spielt das Spiel dankbar mit. Allen voran mal wieder der widerliche Berliner Kurier, der sämtliche Klischees auffährt, ohne sie auch nur ansatzweise zu hinterfragen. RB sei vor allem deshalb so widerlich, weil man Geld ausgebe, welches man nicht erarbeitet habe und der ganze übrige Bullshit. Vergessen offenbar die 18 Millionen, die Kölmel in den Verein gepumpt hat. Vergessen vieles andere, wie u.a. der mehr als fragwürdige Deal mit ISP, deren Stasi-Verstrickung seit langem bekannt gewesen war, wie auch deren kriminelle Geschäfte im Ausland (der eigentliche Skandal). Gelöst wurde der Deal aber erst, als ISP a) nicht mehr zahlen konnte und b) die Hintergründe an die Öffentlichkeit gerieten. Die Trennung wurde dann sogar noch zum PR-Coup gemacht, indem suggeriert wurde, Union verzichte auf einen Batzen Geld, bevor es “seine Werte” verrate. Und das sei bei ISP der Fall, aufgrund der politischen Vergangenheit eines seiner Protagonisten. Behauptete Dirk Zingler, als seine eigene Vergangenheit beim Wachregiment Felix Dzierzynski noch nicht aufgeflogen war. Die Affaire um diese Geschichte samt Vorgehen gegen diverse Medien war dann ein Kapitel für sich. Kurzum, man sollte über die zahlreichen Schwenks eines Dirk Zinglers samt seines Klubs nicht allzu sehr überrascht sein. Das gehört zum Geschäftsmodell.
Sehr gut auf den Punkt gebracht. Respekt.
Was man da so im Netz findet, gruselig. Wer darin bohrt, bekommt das unsichtbare Netzwerk zu spüren.