Auswärtsspiel in Bochum. Es gibt sicher einfachere und lustigere Aufgaben in dieser zweiten Liga. Trotzdem gewann RB Leipzig die Partie absolut verdient und über weite Strecken auch souverän mit 2:1 und schoss damit zum ersten Mal seit dem Spiel in Düsseldorf am achten Spieltag auswärts mehr als ein Tor.
Dass RB Leipzig in Bochum den dritten Auswärtssieg der Saison landen kann, deutete sich schon früh in der Partie an. Denn in der ersten knappen halben Stunde spielten ausschließlich die Gäste und erarbeiten sich eine Reihe sehr guter Torgelegenheiten. Los ging es damit schon in der ersten Spielminute, als Georg Teigl zeigte, dass er kein Kopfballungeheuer ist und eine Reyna-Flanke aus kurzer Distanz neben den Pfosten setzte.
Besser machte es Yussuf Poulsen, der nach 13 Minuten von halblinks in die lange rechte Ecke vollendete. Emil Forsberg hatte zuvor einen Pass von VfL-Innenverteidiger Patrick Fabian, dem Anthony Losilla nicht entgegen gegangen war, aufgenommen und perfekt auf den Dänen durchgesteckt.
Das Tor war gewissermaßen prototypisch für das RB-Spiel in der ersten halben Stunde, in der man den Gastgebern keine Luft zum Atmen ließ, sie permanent durch Pressing unter Druck setzte, Fehler provozierte und in verheißungsvolle Situationen kam. In die Karten spielte dabei ein wenig, dass der VfL Bochum versuchte, sich aus der Abwehr heraus durch das Mittelfeld zu kombinieren, dabei aber zu ungenau agierte bzw. nicht durchgehend die individuellen und mannschaftlichen Qualitäten hatte, ballsicheren Kombinationsfußball zu spielen.
So spielte man RB Leipzig mit dem Passspiel in die aggressiv ausgeteilten Karten, sodass die Gäste viele hohe Ballgewinne verzeichnen konnten und den Gastgeber dauerhaft vom eigenen Tor fernhielten. Erst nach 30 Minuten kam der VfL zu seiner ersten richtigen Chance, als der agile Marco Terrazino über links freigespielt wurde und allein Richtung Coltorti laufen konnte, dort aber knapp rechts verzog. Auch das sollte prototypisch für die Partie sein, denn wenn der VfL in den 90 Minuten mal gefährlich war, dann weil er es schaffte, sich durch tiefe Pässe auf die Außen Platz zu verschaffen. Was zugegebenermaßen selten gelang, weil die RasenBallsportler überwiegend schon weiter vorn zupackten und das meiste, was auf die Defensivkette zukam, sicher klären konnten.
Hilfreich dabei wie schon in der zweiten Halbzeit gegen Nürnberg die für mehr Kompaktheit sorgende Mittelfeldformation. Egal ob man es nun ein 4-1-4-1 oder ein 4-2-3-1 nennen will (situationsabhängig war es mal das eine, mal das andere und zwischendurch auch mal ein 4-4-2) sorgten die zentralen Mittelfeldspieler Kimmich, Kaiser und Forsberg zusammen mit den Außenspielern Reyna und Teigl für guten Zugriff auf den Ballbesitz des VfL.
Ging die erste Halbzeit aufgrund der ersten 30 Minuten deutlich an RB Leipzig (11:4 Torschüsse), war das Spiel in der zweiten Halbzeit vorerst ausgeglichener. 20 Minuten lang war es nun ein Spiel auf Augenhöhe, bei dem die Gastgeber die besseren Chancen hatten. Die erste Chance vergab Torjäger Terodde noch. Nach 62 Minuten ließ er sich die Gelegenheit frei vor Coltorti aber nicht nehmen und machte das 1:1.
Ein natürlich aus RB-Sicht völlig überflüssiges Tor, weil es nicht aus drückender Überlegenheit des VfL resultierte, sondern schlechtem defensiven Umschalten nach einem Standard folgte. Ein Standard, den Bochum-Keeper Luthe, der den im Sommer nach Österreich wechselnden Esser ersetzte, abfing und den Ball noch eine Weile in der Hand hatte, sodass beide Mannschaften schon Zeit für die Umschaltbewegung und die Herstellung der Spielordnung hatten. Trotzdem fand Luthe mit einem langen Abwurf auf der linken Seite den eingewechselten Gregoritsch, der von einem sich komplett verschätzenden Georg Teigl profitiert und dann den Platz hat, um perfekt und automatisiert diagonal von links auf halbrechts den völlig freien Terodde zu bedienen, der noch ein paar Meter laufen muss und dann einschiebt.
Der Treffer schien für einen kurzen Moment dazu zu führen, dass das Spiel, das die Leipziger bis dahin sehr gut im Griff hatten, kippt. Der Gast nun ein bisschen beeindruckt, auch weil jetzt das Bochumer Publikum erwachte und sich in das Spiel einbrachte. In der Vorwärtsbewegung schlichen sich in dieser Phase einige Fehler bei RB ein, die aber folgenlos blieben.
Das Spiel wieder zurück in Richtung von RB Leipzig brachte ein umstrittener Freistoß aus etwa 20 Metern. Dominik Kaiser war vom Ball getrennt worden. Der Schiedsrichter sah darin eine unfaire Aktion. Abwehrspieler Fabian war der Meinung, dass er den Ball gespielt hatte. Letzteres sicherlich nicht falsch, aber das Einsteigen mit gestrecktem Bein voraus durchaus eines Foulpfiffs würdig, weil es ein rüdes Foul billigend in Kauf nahm. In der Liveansicht bestand an dem Pfiff jedenfalls höchstens ein kleiner Zweifel.
Dominik Kaiser war das alles sowieso egal. Er schnappte sich in er 67. Minute den Ball und schoss ihn unter der hochspringenden Mauer hindurch in die kurze Ecke. Luthe sah das Unheil zu spät kommen und kam deswegen auch zu spät. Und Kaiser verriet nach der Partie, dass diese Aktion nicht etwa zufällig, sondern seinem Studium des Verhaltens der Bochumer Abwehrmauer vor dem Spiel zu verdanken war. Wenn die Geschichte so stimmt, dann Respekt für diese spielvorentscheidende Detailvorbereitung.
Spielvorentscheidend, weil von Bochum bis zum Spielende bis auf ein paar Versuchsansätze praktisch nichts mehr kam und RB Leipzig bei einigen Konterchancen den Sack frühzeitig hätte zumachen können bzw. müssen (Poulsen, Forsberg, Reyna, Demme). 6:1 Torschüsse standen schließlich für die letzten 25 Minuten nach dem Kaiser-Tor für die Gäste zu Buche. Und führten dazu, dass man eigentlich nie das Gefühl hatte, dass RB Leipzig noch mal in Gefahr kommen würde.
Erleichternd kam dabei hinzu, dass Anthony Losilla nach 77 Minuten mit einer gelb-roten Karte vom Platz geschickt wurde. Auch hier hatten die Gastgeber kein Schiedsrichterglück auf ihrer Seite, weil die Entscheidung in einer sicher nicht sonderlich harten Partie etwas kleinlich wirkte, aber unberechtigt war der Platzverweis ebenfalls keineswegs. Er führte halt nur dazu, dass es defensiv beim VfL löchriger wurde und offensiv auch nicht mehr der allerletzte Punch ausgepackt wurde.
Fazit: Es war ein völlig verdienter Sieg von RB Leipzig, weil man über 90 Minuten gesehen mehr in das Spiel investierte und abgesehen von 20 Minuten nach der Pause das bessere Team war. Was sich auch in unglaublichen 21:7 Torschüssen für RB Leipzig ganz gut ausdrückte. Nimmt man die letzten Auswärtspiele als Maßstab, dann war der Auftritt unerwartet souverän. Begünstigt wurde man dabei aber auch von Gastgebern, die es vor allem in der ersten Halbzeit mit spielerischen Mitteln versuchten, die dem Pressing von RB Leipzig in die Karten spielten, weil die spielerische Klasse des VfL sowohl individuell als auch mannschaftlich nicht ausreichte, um dadurch auch Dominanz über den Gegner zu erlangen.
Randbemerkung 1: Letztlich lustiger Schreckmoment, der mitten in der ersten Halbzeit nach geschätzten 35 Minuten in die Zuschauer fuhr. Eine Automatenstimme sagte plötzlich in mehren Sprachen an, dass kein Grund zur Sorge bestünde und man auf die Anweisungen der Ordner hören solle. Wenn man etwas weiß, dann dass in dem Moment wo jemand ‘Keine Panik’ sagt, Panik angemessen wäre. So wurde es im Stadion auch ganz plötzlich mucksmäuschenstill, weil keiner wusste, warum man sich ruhig verhalten solle. Am Ende stellte es sich als Fehlmeldung heraus (vielleicht wurde ja irgendwo ein Feueralarm und entsprechend eine automatisierte Ansage ausgelöst). Aber für ein paar Sekunden schießt einem dann doch mal durch den Kopf, wie es wohl aussehen würde, wenn wegen irgendeiner Katastrophe ein Stadion mit knapp 20.000 Zuschauern schnell geleert werden müsste und wie sich das wohl anfühlen würde. Und dann kann man sich mal vorstellen, wie dies in Leipzig im Unterrang von Sektor A, auf der bautechnisch katastrophalen Haupttribüne mit ihren verwinkelten Nadelöhren aussehen würde..
Randbemerkung 2: Entgegen der Gepflogenheiten machten sich die RB-Spieler in der zweiten Halbzeit nicht hinter dem eigenen Tor vor der Bochumer Fankurve warm, sondern auf der anderen Seite hinter dem Luthe-Tor. Weswegen die VfL-Spieler, die dort schon herumsprangen, einmal ums Spielfeld herum vor die eigene Kurve mussten. Ob das die Entscheidung des Unparteiischen-Gespanns war und inwiefern da vielleicht sogar die Security oder DFL/DFB (nach der kolpotierten Geschichte, in Heidenheim seien Urin-Becher geflogen) ihre Finger im Spiel hatten, bleibt unklar. Fakt ist, dass es eigentlich ein Unding ist, dass man davor kapituliert, dass sich in welcher Kurve auch immer Deppen befinden, die Gegenstände aller Art nicht bei sich behalten können. Wobei es andererseits völlig korrekt ist, dass man dies nicht auf dem Rücken der Spieler austrägt, sondern deren Schutz um Vordergrund steht.
Randbemerkung 3: Inoffizielle Schweigeminute zum Anfang des Spiels. So wie ich es verstanden habe, weil ein Fan der Bochumer in den letzten Tagen nach einem Zusammenbruch letzte Woche in Darmstadt verstorben war. [Siehe Kommentar-Spalte.] Gut, dass man im Gästeblock diejenigen stoppen konnte, die von dieser Schweigeminute offenbar nicht wussten und singen wollten. So viel Respekt muss immer drin liegen.
Randbemerkung 4: Ein wenig schwierig ist in Bochum die Besucherführung nach dem Spiel, da der Strom der Heimfans direkt am Gästeblock vorbeiführt. Sodass nach der Partie einige verbale Nettigkeiten ausgetauscht wurden und ein Teil der Gästefans am Auslass zurückgehalten wurde, um später geschlossen den Bereich zu verlassen. Das ganze anfangs beobachtet von 10 etwas verloren wirkenden, aber immerhin einen Schalklau verhindernden Polizisten.
Randbemerkung 5: Irgendwer Lust auf Aufstiegsrechnungen? Nein, oder? Wenn es in zwei Wochen nach dem Spiel gegen Darmstadt noch was zu rechnen geben sollte, können wir ja noch mal damit anfangen.
Lichtblicke:
- Tim Sebastian: Gewohnt sichere Bank in der Innenverteidigung, der abräumte, wenn es etwas abzuräumen gab und rettete, wenn Not am Mann war. Souveräne Vorstellung mit Abzügen in der B-Note in Bezug auf die Passsicherheit im Aufbauspiel.
- Joshua Kimmich: Wieder mal der Kopf im Spiel. Kaum Fehler im Passspiel, viel unterwegs. Fordert den Ball, verteilt den Ball, steuert das Spiel.
- Emil Forsberg: Bringt viel Bewegung ins Spiel und nutzt von der Mittelfeldposition, die er inzwischen bekleidet, seine Möglichkeiten, Einfluss auf das Offensivspiel zu nehmen. Das 1:0 vorbereitet und auch sonst an vielen Angriffsaktionen beteiligt. Wenn er vor dem Tor noch effektiver wird, dann wird es sogar noch besser als gut.
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Tore: 0:1 Poulsen (13.), 1:1 Terodde (62.), 1;2 Kaiser (67.)
Aufstellung RB Leipzig: Coltorti – Klostermann, Sebastian, Rodnei, Jung – Kimmich – Teigl (68. Demme), Kaiser, Forsberg (88.), Reyna (85. Compper) – Poulsen; nicht eingewechselt: Bellot, Ernst, Hierländer, Kalmár, ; nicht im Kader: Boyd, Khedira, Damari (alle verletzt oder krank), Strauß, Franke, Dähne, Hoheneder, Heidinger, Rebic
Aufstellung VfL Bochum: Luthe – Celozzi, Fabian, Bastians, Abdat – Losilla, Latza – Sestak (61. Gregoritsch), Eisfeld (81. Bulut), Terrazino – Terodde
Schiedsrichter: Michael Weiner (Souveräne Spielführung ohne Probleme und gröbere Fehlentscheidungen. Gelb-rot für Losilla war etwas hart, weil das Spiel keine Treterei war, aber zumindest vertretbar. Die Foulentscheidung vor dem Freistoß zum 2:1 ging aus Stadionsicht und in Realgeschwindigkeit auch in Ordnung, weil Fabian mit gestrecktem Bein voraus in Ball und Gegner geht. Klar zeigt die Zeitlupe, dass er nur Ball trifft, aber einerseits nimmt er in Kauf, dass er vielleicht nicht nur den Ball, sondern auch den Gegner mittrifft (ginge als versuchtes Foulspiel durch) und andererseits wirkt die Dynamik in der Realgeschwindigkeit schon noch mal deutlicher so, als ginge der Fuß auch stärker gegen den Gegenspieler.)
Gelb-Rot: Losilla (77./ wiederholtes Foulspiel)
Gelbe Karten: Fabian, Latza – Kaiser (4. gelbe Karte), Teigl, (6.)
Zuschauer: 18.529 (davon 400 Gästefans)
Links: RBL-Bericht, RB-Fans-Liveticker, MDR-Bericht [broken Link], VfL-Bericht [broken Link], Kicker-Bericht
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- Torschüsse: 7 : 21
- gewonnene Zweikämpfe: 47,2% : 52,8%
- Ballbesitz: 51,2% : 48,8%
- Passquote: 61,3% : 66,8%
- Laufstrecke: 109,5 km : 112,4 km
- Sprints: 219 : 215
- Fouls: 22 : 18
- Ecken: 2 : 6
- Abseits: 4 : 4
- Meiste Torschüsse: Terodde: 3 – Poulsen, Reyna: je 5
- Meiste Torschussvorlagen: Celozzi, Eisfeld: je 2 – Forsberg: 5
- Beste Zweikampfquote (mindestens 10 Zweikämpfe): Celozzi: 70,0% – Rodnei: 73,3%
- Meiste Ballkontakte: Celozzi: 71 – Jung: 86
- Beste Passquote (mindestens 20 Pässe): Terrazino: 72,7% – Kimmich: 85,0%
- Größte Laufstrecke: Latza: 11,9 km – Kimmich: 12,0 km
- Meiste Sprints: Terrazino: 32 – Teigl: 32
Statistiken von bundesliga.de, bild.de
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Saisontorschützen: Poulsen – 10; Kaiser – 6; Teigl, Frahn – je 3; Boyd, Kimmich – je 2; Reyna, Rodnei, Thomalla, Morys, Hoheneder, Holthaus (VfL Bochum/ Eigentor), Verhoek (St. Pauli/ Eigentor) – je 1 Treffer
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Bild: © GEPA pictures/ Roger Petzsche
Korrektur zu Randbemerkung 3: war scheinbar ein anderer Bochumer Fan und nicht derjenige, der in Darmstadt kollabiert war. Soll wohl auf einen Strommast geklettert sein (warum auch immer, jugendlicher Leichtsinn?) und wurde von einem Stromschlag tödlich verletzt. War wohl ein sehr aktives Mitglied in einem der Bochumer Fanclubs.
Immer wieder schön, so eine Analyse aus Stadionsicht zu lesen, was man bei Sky nicht so mitbekam, wie die Schweigeminute anfangs.
Ja, objektiv sah es so aus, daß Weiner uns leicht bevorteilt hat, einige Pfiffe waren “kann man geben, muss man aber nicht” Gleicht sich aus, siehe z.B. Union
Eine Randbemerkung hätte ich noch. Die Einwechslung von Daniel F. Fand ich eine Klasse Aktion von Achim. Er hätte auch Kalmar oder Hierländer bringen können zur weiteren Absicherung der 3 Punkte. So geht Trainer!