Manchmal sollte man sich wohl einfach auf sein Gefühl verlassen. So wie auf das Gefühl vor dem Ausflug von RB Leipzig zum TSV 1860 München, dass die Gastgeber den RasenBallsportlern in ziemlich vielen Details des aktuellen Teamzustands gut liegen könnten. Eine Mannschaft, die neu zusammengestellt auf Ballbesitzfußball setzt und defensiv noch einige Schwächen hat, das schien vorher als gefundenes Fressen für die Balljäger von RB Leipzig.
Und letztlich bewahrheitete sich das Gefühl fast vollumfänglich, sahen die Löwen bei ihrem ersten Heimauftritt unter Ricardo Moniz nur selten einen Stich und verloren letztlich verdient. Ob das 0:3 nun ein Törchen zu hoch war oder nicht, darüber ließe sich trefflich streiten. Letztlich war das Ergebnis irgendwie folgerichtig.
RB Leipzig war schon zu Beginn der ersten Halbzeit das bessere Team, setzte den Gastgeber früh unter Druck und erarbeite sich so ein paar Ecken, denen die allerletzte Torgefahr abging. Die große Chance zur Führung aber dann nach einer knappen Viertelstunde, als der offensiv sehr gute und für seinen Gegenspieler wieder mal zu schnelle Georg Teigl im Strafraum gelegt wurde und es folgerichtig Elfmeter gab.
Wie immer in solchen Fällen schritt der Kapitän höchstselbst zum Punkt. Aber Daniel Frahn klebt das Glück gerade nicht wirklich an den Füßen und so landete der Schuss, der so unplatziert war, wie man wohl noch nie einen Frahn-Elfer gesehen hatte, sicher in den Armen von Keeper Kiraly. Da schien dem Kapitän das Füßchen ordentlich zweitligagezittert zu haben.
Dieser Fehlschuss brachte die RasenBallsportler kurzzeitig ein wenig aus dem Tritt bzw. stachelte er die Heimmannschaft ein bisschen an. Ohne dass die Löwen daraus größeres Kapital schlagen konnten, wurde die Partie nun ausgeglichener und spielte sich weitestgehend zwischen den Strafräumen ab. Der Spanier Bedia kam zwischendurch mal frei vor dem RB-Tor zum Kopfball, aber der Druck auf den Ball reichte nicht aus, um Benjamin Bellot ernsthaft in Schwierigkeiten zu bringen.
RB Leipzig derweil weiter mit viel Druck im Spiel gegen den Ball, konnte aber den einen oder anderen Ballgewinn nicht gut verarbeiten und spielte den letzten Pass zu ungenau. Bis Dominik Kaiser Yussuf Poulsen bediente und der fünf Minuten vor der Pause zeigte, warum er aktuell selbst in einer Mannschaft wie RB Leipzig über allen Dingen schwebt und letztlich den Unterschied ausmacht. In unnachahmlicher Art setzte er gegen zwei Münchener Verteidiger seinen Körper ein und sich im Strafraum durch und behielt dann noch die Übersicht, Keeper Kiraly zu überwinden.
Es war trotz eines Wood-Schuss kurz vor Halbzeitpfiff, bei dem Demme auf der Linie klären musste, eine völlig verdiente Halbzeitführung. Die wiederum Poulsen direkt nach der Pause fast ausgebaut hätte, als er sich auf der rechten Seite durchsetzte und an der Unterkante der Latte scheiterte, während Frahn in der Mitte auf das Zuspiel wartete, um den Ball über die Linie zu drücken.
Es wäre beim Zustand der Löwen bis dahin vermutlich bereits die Vorentscheidung gewesen. Doch in den folgenden knapp 20 Minuten hatten die Gastgeber dann ihre beste Phase. Die eingewechselten Tomasov und Adlung sorgten in dieser Phase dafür, dass das Spiel über die Flügel besser und gefährlicher wurde. Insgesamt fehlten zwar weiterhin die ganz großen Tormöglichkeiten, doch die Einschüsse kamen näher. Hoheneder fast mit einem Eigentor, zwei Abseitstore und ein paar mehr oder minder gefährliche Hereingaben. Getrieben vom zwischenzeitlich erwachten, eigenen Publikum schienen die Gastgeber noch mal in der Lage, dem Spiel eine Wende zu geben.
Doch schon in dieser Phase lief der TSV 1860 München einige Male Gefahr, in einen schnellen Konter zu laufen, blieben die RasenBallsportler doch weiter ihrer Linie des aggressiven Pressings treu und ließen gerade der gelobten ballsicheren Zentrale um Sanchez, Badia und Weigl keinen Raum, um ins Spielen zu kommen. Sodass die Gäste immer wieder auch in aussichtsreiche Spielsituationen kamen.
Es war dann wieder Yussuf Poulsen vorbehalten, mehr oder minder im Alleingang für die Vorentscheidung zu sorgen, als er sich mit dem Ball am Fuß und permanent bedrängt von Löwen-Verteidiger Kagelmacher über die linke Seite fast von der Mittellinie bis zur Grundlinie durchtankte, dort die Übersicht behielt und den kurz vorher eingewechselten Matthias Morys bediente, der nur noch den Fuß hinhalten brauchte. Eine beeindruckende Aktion, die aber auch das ganze Drama der Hintermannschaft der Münchener offen zum Vorschein brachte.
Von dem 2:0 erholten sich die Gastgeber nicht mehr. Zwar versuchten sie es weiterhin, aber gelingen wollte nur noch wenig und RB Leipzig hatte weiter Gefallen an der Balljagd und bei etwas mehr Konsequenz im Ausspielen der Torgelegenheiten hätte man sogar noch deutlicher gewinnen können. So blieb es letztlich beim 3:0, das mit Denis Thomalla ein weiterer Einwechsler, der eigentlich vor allem das Spiel gegen den Ball noch mal beleben sollte, nach Vorarbeit von Morys erzielte.
Insgesamt war der Sieg mehr als verdient, weil sich die taktisch reifere und eingespieltere Mannschaft durchgesetzt hatte. Im Vorfeld hatte man prognostiziert, dass es für die Löwen schwer werden würde, wenn sie wie in Kaiserlautern in Hälfte 2 keinen Platz zum Spielen bekommen. Zumal sie defensiv bei Ballverlusten im Mittelfeld kaum über eine effektive Absicherung verfügen.
Und letztlich sorgten die frühe Pressingdreierreihe mit Frahn, Poulsen und Kaiser zusammen mit dem sehr präsenten und laufstarken Mittelfeld mit Kimmich, Demme und Khedira dafür, dass die Hintermannschaft von RB Leipzig nur noch Reste zum Abräumen bekam und sich vor allem immer wieder Chancen für das schnelle Umkehrspiel mitten in die Schwachstellen der Löwenabwehrkette ergaben. Perfekt die Schwächen der Gastgeber erkannt, perfekt genau diese ausgenutzt.
Fazit: Es war ein beeindruckender Sieg vor zumindest gelegentlich beeindruckender Kulisse (die größte Auswärtskulisse in der Geschichte von RB Leipzig), errungen von einer Mannschaft, in der mit Rani Khedira nur ein Neuzugang in der Startelf stand und die entsprechend wie aus einem Guss agierte und das Prinzip der aggressiven Balleroberung, das man als Team verinnerlicht hat, perfekt erledigte. Und für die Sahnehäubchen auf diesen Tag, an dem 1860 taktisch perfekt zu RB Leipzig passte, hatte man Yussuf Poulsen, der sein Team fast im Alleingang auf die Siegerstraße brachte.
Randbemerkung 1: Alle reden über Boyd und Rebic. Und dann kommen Denis Thomalla und Matthias Morys, bei denen viele – der Verfasser dieser Zeilen nimmt sich da nicht aus – gedacht hatten, dass ihre Zeit bei RB Leipzig angesichts der neuen Aufgaben und Kaderkonkurrenz vorbei sein könnte, und schießen die Löwen ab. Zwei Spieler, die RB Leipzig vor einem bzw. eineinhalb Jahren aus der Regionalliga holte und die wohl außerhalb von Leipzig nur Insider kennen, als Matchwinner in der Allianz Arena. Geschichten, die der Fußball schreibt. Gute Geschichten, die der Fußball schreibt.
Randbemerkung 2: Die Allianz Arena ist natürlich schon ein ganz hübsches Ding. Quasi das komplette Gegenkonzept zum einen oder anderen Sportplatz der letzten Jahre. Kann man mögen, man muss es aber auch nicht übertrieben mögen. Letztlich ist es auch nur ein Stadion wie es viele andere moderne Stadien sind, nur eben etwas größer.
Randbemerkung 3: Interessant an dieser Allianz Arena, dass so etwas wie Fantrennung sowohl vor dem Spiel als auch nach dem Spiel ein Fremdwort zu sein scheint. Ist man so aus vielen Stadien in diesem Land gar nicht gewohnt (man denke nur an den Hochsicherheitstrakt-Gästebereich in Rostock), aber schön zu sehen, dass das tatsächlich funktioniert hat.
Randbemerkung 4: Vier Punkte nach zwei Spielen sind eine wenig aussagekräftige, aber trotzdem ordentliche Bilanz. Der Start in die Saison ist jedenfalls geglückt, auch wenn die wirklichen Tests der eigenen Leistungsstärke erst noch warten. Interessant aber, wie sich das Ärgen über das fehlende Tor vor einer Woche gegen Aalen inzwischen dadurch relativierte, dass der VfR beim 2:0 gegen den FC St. Pauli am Freitag unheimlich viele Chancen aus dem schnellen Umschaltspiel heraus hatte. Genau jene Chancen, die ihnen RB eine Woche zuvor fast gar nicht erlaubte. Wertet das 0:0 zum Saisonstart durchaus noch mal ein bisschen auf.
Lichtblicke:
- Yussuf Poulsen: Stammgast in dieser Rubrik. Vermutlich auch in den nächsten Wochen. Ganz starke Partie des jungen Dänen. Spätestens jetzt dürften ihn sämtliche Vereine der Republik auf dem Zettel mit den interessanten Spielernamen zu stehen haben. Wie schon zuletzt öfters mit einer großartigen Mischung aus Physis, Technik, Schnelligkeit, Übersicht vor dem Tor und Torjägerqualität. In der aktuellen Form eine eierlegende Wollmilchsau.
- Joshua Kimmich: Merkte man sein Selbstvertrauen, das er sich unter anderem bei der U19-EM geholt hat, deutlich an. Gelegentlich an der Grenze zum Übermut, wie bei einem (letzlich gelungenen) Dribbling an der Außenlinie tief in der eigenen Hälfte in Halbzeit 1, aber insgesamt gewohnt ballsicher und dribbelstark. Löste so offensiv ein paar Situationen sehr gut auf. Im Spiel gegen den Ball auch wieder mal eine sehr gute Partie.
- Rani Khedira: Hatte auf der Sechs viele Freiheiten und wusste diese auch zu nutzen. Im Spiel gegen den Ball sicher und alle Lücken stopfend, wagte er sich in vielen Situationen auch mit in die Offensive bzw. leitete Angriffe mit ein. Sehr gute zweite Partie im Dress von RB Leipzig.
- Niklas Hoheneder: Die Innenverteidigung bekam in diesem Spiel nicht allzu viel zu tun, aber wenn sie gefordert war, dann war sie auch da. Insbesondere Niklas Hoheneder mit einer sehr aufmerksamen Partie. Machte den Schritt nach vorn oder nach außen, wenn es nötig war, war aber auch zur Stelle, wenn er in der Mitte gebraucht wurde. Sehr präsent, sehr sicher. Gute Partie des Österreichers.
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Tore: 0:1 Poulsen (39.), 0:2 Morys (68.), 0:3 Thomalla (82.)
Aufstellung RB Leipzig: Bellot – Teigl, Hoheneder, Sebastian, Jung – Demme (84. Hierländer), Khedira, Kimmich – Kaiser – Poulsen (78. Thomalla), Frahn (64. Morys); nicht eingewechselt: Dähne, Heidinger, Willers, Fandrich ; nicht im Kader: Coltorti, Franke, Ernst, Boyd, Sumusalo (alle verletzt), Rebic, Compper (Trainingsrückstand), Strauß, Palacios, Prevljak, Kalmár
Aufstellung TSV 1860 München: Kiraly – Kagelmacher, Sanchez, Wittek (46. Tomasov), Schindler – Weigl, Bedia, Steinhöfer (46. Adlung) – Leonardo, Okotie, Wood
Schiedsrichter: Guido Winkmann (souveräne Spielleitung, hatte die Partie jederzeit voll im Griff)
Gelbe Karten: Demme (1. gelbe Karte)
Zuschauer: 32.000 (davon 2.000 Gästefans)
Links: RBL-Bericht, RB-Fans-Liveticker, MDR-Bericht [broken Link], TSV-Bericht [broken Link], Kicker-Bericht
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Bild: © GEPA pictures/ Thomas Bachun
“größte auswärts Kulisse der Geschiche” Da muss ich leider widersprechen. In Lotte waren mehr (irgendwas zw.2.200 &2.500).
Ansonsten wie immer richtig gut! Danke dafür
Kann ich alles unterschreiben.
Ergänzend kann man vielleicht noch sagen, dass der gross angekündigte (und vor allem von Welt und Münchner Lokalzeitungen aufgeputschte) Fanprotest eine Randnotiz blieb mit ein paar hundert Uneinsichtigen.
Als Münchner und lebenslanger Löwen-Fan war das gestern eine Fan-Loyalitäts-Zerreissprobe für mich. Da ich nicht im RB-Block, sondern in der Hauptribüne sass hatte ich einen guten Eindruck von den “normalen” Löwen-Fans. Diese beschäftigten sich dankenswerter Weise zu 99% mit ihrem eigenen Team – glücklich war da keiner – und zollte den Spielern von RB (“die anderen san richtig guad” – “mei is der Neiner (Poulsen) schnell” – “…der Bartige (Anm: Hoheneder) gewinnt jeden Ball in der Luft”) viel Respekt.
Damit war es versöhnlich und schön zu sehen, dass viel von der befürchteten Anti-RB Hatz einfach nicht existent war.
Kleines Highlight: als ich oben an den Türen zum RB-Block auf Freunde gewartet hatte, kamen zwei “junge Löwen” und wollten Stunk machen. Die RB-Fan-Gruppen ignorierten die beiden trotz sehr aggressiver Provokationen. Am Ende kamen dann zwei Sechzger “in Zivil”, nahmen die beiden jungen Spinner unter die Arme und schleppten sie weg von den RB-Fans. Kein Ordner und keine Security war erforderlich.
Ein junger Sechzger Fan im rappelvollen Bus des Schienenersatzverkehrs der U6 zeigt auf mein Poulsen Trikot und meinte “so oaner g’hört net in de Zwoute”. Recht hat er. Hoffentlich nimmt er die ganze Mannschaft mit.
Ein grandioser Sonntag.
Spiel, Ergebnis, Kulisse, Gastgeber, so gefällt mir Fußball.
60er Kopf hoch, 99% Eurer Fans sind faire Verlierer. Wir haben uns jederzeit sicher gefühlt.
Auf ein Wiedersehen in Leipzig!
Auch wenn es den Rahmen sprengen wird, noch mein persönlicher Lichtblick, der mir hier ein wenig gefehlt hat: Georg Teigl. Es freut mich riesig, dass er sich auf der Position endlich eingespielt hat und ist mittlerweile auch defensiv gut eingestellt, vlt. sogar einer der wenigen, die in der Lage wären, einen Yussuf zu stoppen. Seine Entwicklung im Hinblick auf seine erste Halbsaison bei Leipzig gefällt mir sehr gut. Über seine offensiven Stärken brauchen wir uns ja auch keine Gedanken machen.
Da gebe ich dir vollkommen recht. Er scheint sich immer mehr an seine Rolle als Rechtsverteidiger zu gewöhnen. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich bei dem einen oder anderen langen Ball auf seine Seite die Luft anhalte. Denn hier und da verschätzt er sich doch noch. Zum Glück kann er die kleineren Stellungsfehler aber noch mit seiner Geschwindigkeit reparieren!
@Crazy Doc: Ich meinte die Gesamtkulisse, nicht nur die Zuschauer im Gästeblock. Bin der Meinung, dass RB auswärts noch nie vor 32.000 Zuschauern gespielt hat.
Danke für den tollen Bericht. Bis auf wenige Deppen, die sinnfreie Parolen blökten, war der Kontakt zu den Anhängern der Blauen sehr sachlich, Viele wollten wissen, wie man denn zu RB gekommen ist und man merkte, dass nach so vielen Jahren deutscher Einheit gerade bei den jungen Leuten immer noch das Wissen über eine Stadt wie Leipzig sehr unterentwickelt ist.
Die Stimmung im gut gefüllten RB-Block war jedenfalls fantastisch, aber sicher auch teilweise der Neugier auf die Allianzarena geschuldet. Ob das immer so klappt – die Zukunft wird es entscheiden.