Kein körperlicher Stresstest

21 Punkte aus neun Spielen. Kein Punkt davon kam glücklich zustande. Immer noch ungeschlagen. Platz 2 in der Bundesliga. Die fußballinteressierte, mediale Öffentlichkeit überschlägt sich entsprechend gerade hinsichtlich der Leistungen und Perspektiven von RB Leipzig. Die große Frage ist, ob da schon kurzfristig ein Bayern-Jäger heranwächst. Eine weiterhin eher unspannende Frage, weil diese Momentaufnahme wenig über einen nachhaltigen Stand der Dinge oder längerfristige Perspektiven aussagt.

Die Zeit hatte letzte Woche in Bezug auf die längerfristigen Perspektiven gefragt, inwieweit RB Leipzig mit Rangnick-Fußball tatsächlich in der Lage ist, oben mitzumischen. Die dortige (auch hier im Blog ja schon immer mal wieder verhandelte) Frage lautete vor allem, ob man mit dem Fokus auf Balleroberung und Umkehrspiel nicht eigentlich Underdog-Fußball spielt, mit dem man als Aufsteiger gut fährt, aber langfristig eher nicht konstant oben mitspielt.

Genährt wurde die Frage mit dem Verweis darauf, dass Ralf Rangnick (und im Kern spielt RB Leipzig nun mal Fußball nach den grundsätzlichen Maßgaben des Sportdirektors) in seiner Karriere noch keine wichtigen Titel vorweisen kann (bzw. der DFB-Pokalsieg mit Schalke lediglich abgestaubt war).

Die Frage ist grundsätzlich keine uninteressante. Aber sie erinnert auch ein wenig an den Umgang mit Darmstadt. Ihnen so lange erklären, dass ihre Art von Fußball rückständig und unmordern ist, bis sie tatsächlich irgendwann mal an die Grenzen gelangen. Aber die Grenze irgendwo in der ersten Liga liegt. Also deutlich über dem, was ihre Grenze noch vor kurzem war.

RB Leipzig liegt aktuell auch deutlich oberhalb der Grenzen, die man vor der Saison noch für sie gesehen hatte. Das muss natürlich nicht so bleiben. Zumal 9 von 34 Spieltagen nur bedingt Prognosen über den weiteren Saisonverlauf zulassen. Aber derzeit ist Platz 2 eben Platz 2. Und eine möglicherweise kommende Schwächephase wäre nur ein schwacher Hinweis, dass man mit der Spielphilosophie nicht oben dabei sein kann.

Interessant neben der wohl nur langfristig zu beantwortenden Zeitfrage (die vielleicht auch am Ende nur eine fußballästhetische ist) auch die gern geäußerte Vermutung, dass es für RB Leipzig schwer werden wird, die aktuelle Intensität im Spiel gegen den Ball und an den Spieltagen generell über eine ganze Saison hinweg durchzuhalten. Eine Vermutung, die auch in der aktuellen Folge des Rasenfunk noch mal formuliert wurde. Eine Vermutung, die sich ja auch direkt auf die Spielphilosophie bezieht und thesenhaft formuliert, dass diese zu aufwändig sei, um über eine ganze Saison zu tragen.

Dabei sollte man allerdings mit Karl-Heinz Rummenigge bedenken, dass der Spielplan zumindest in diese Saison eher auf Seiten von RB Leipzig ist. Der Bayern-Chef hat am Wochenende nicht zu Unrecht angemerkt, dass Leipzig keine Mehrfachbelastung durch DFB-Pokal oder internationale Wettbewerbe hat. Sprich, man kann sich abgesehen von englischen Wochen schön im normalen Spielrhythmus auf die jeweiligen Gegner intensiv vorbereiten. Taktisch und psychisch, aber auch physisch. Man kann also in die Trainingssteuerung jederzeit so eingreifen, dass Spieler an der Belastungsgrenze mal ein wenig rausgenommen werden und Ruhepausen kriegen. Ruhepausen, die anderen Vereinen fehlen.

Zudem kann Ralph Hasenhüttl jede Woche die umfassenden Möglichkeiten der Fokussierung auf den nächsten Gegner im Scouting und in der täglichen Trainingsarbeit nutzen. Dass ständige englische Wochen beispielsweise durch das Starten in einem europäischen Wettbewerb die Dinge deutlich erschweren würden, hatte der Übungsleiter zuletzt bereits bekannt.

Hinzu kommt bei der körperlichen Belastung der Spieler aufgrund eines intensiven Spielstils, dass man auf den meisten Positionen einen relativ breiten Kader hat. Das gilt zuvorderst für den Sturm und das Mittelfeld. In der Innenverteidigung ist die Problematik nicht ganz so zentral, weil dort die Lauf- und vor allem die Sprintleistungen nicht so hoch sind wie im Rest des Teams.

Bliebe noch die Außenverteidigerposition, die bezüglich körperlicher Probleme im Saisonverlauf Sorgen machen könnte. Nach den Ausfällen von Gipson, Klostermann und Bernardo ist man dort ganz dünn besetzt, hat also praktisch gar keine Luft mehr auf individuelle Belastungen durch Wechsel zu reagieren. Dazu kommt mit Marcel Halstenberg jemand, der in der Vergangenheit immer auch ein Kandidat war, auf erhöhte Belastungen mit körperlichen Problemen zu reagieren. Bisher hat man das aber durch Trainingssteuerung ganz gut gemanagt, sodasss Halstenberg neben Orban und Gulacsi der einzige RB-Profi ist, der in jedem Spiel über die komplette Spieldauer auf dem Platz stand.

Im Vergleich zum Vorjahr verteilt sich die Belastung im RB-Kader ungefähr auf ähnlich vielen Schultern (wobei das nach neun Spieltagen noch keine so recht verlässliche Aussage ist). Im Vorjahr elf bzw. aktuell zwölf Feldspieler haben mindestens die Hälfte der Einsatzzeit bestritten. Der Kernfeldspielerkader umfasst etwa drei, vier Personen mehr.

Dabei ist die Belastung in dieser Saison insgesamt noch nicht so hoch wie in der Vorsaison. Jeder Spieler läuft ungefähr 200 Meter weniger pro Spiel. 2 Kilometer Laufstrecke pro Spiel absolviert das Team entsprechend in dieser Saison weniger. Eine Bilanz, die deutliche abgeschwächt auch für die Werte im Bereich hoher Laufgeschwindigkeiten gilt. Lediglich bei den Sprints legt man diese Saison ein paar Meter mehr zurück als noch in der zweiten Liga. Genaugenommen sind es sieben Meter pro Spieler pro Spiel. Nicht nichts, aber auch nicht unbedingt etwas, was über die Saison den Riesenunterschied macht.

Relevant dabei aber vor allem auch der Vergleich zwischen den Ligen. Bei dem auffällt, dass in der ersten Liga der Laufaufwand, den die Teams betreiben, deutlich geringer ist als noch in der zweiten Liga. Im Schnitt laufen die Teams ingesamt 2,3 Kilometer weniger. Im höheren Geschwindigkeitsbereich schrumpfen die Differenzen zwar zusammen, aber bleiben trotzdem bestehen. Sodass jedes Bundesliga-Team bisher im Schnitt 220 schnelle Meter pro Spiel weniger geht als ein letztjähriges Zweitligateam und 160 Meter weniger sprintet.

Sprich, für RB Leipzig hat sich in Sachen eigenem Laufaufwand im Vergleich zum Vorjahr nichts zum Negativen oder noch aufwändigeren verändert. Vielmehr hat man etwas weniger Aufwand, trifft aber auf Gegner, die auch weniger Aufwand betreiben als noch die Gegner vom letzten Jahr. Warum dann der Faktor Spielintensität und Laufaufwand in dieser Saison ein größerer und entscheidenderer werden sollte als in der Vorsaison, wäre die Frage. Aus den Daten erschließt sich das jedenfalls nicht.

Warum in der Bundesliga weniger gelaufen wird als in der zweiten Liga ist nebenbei bemerkt auch eine nicht uninteressante Frage. In der aktuellen Spielzeit sind die beiden Aufsteiger Freiburg und Leipzig zusammen mit Ingolstadt (Trainer, der letzte Saison noch Zweitligist war und Team, das erst im zweiten Jahr Bundesliga spielt und vom Laufaufwand lebt) die Mannschaften mit den mit Abstand größten Laufstrecken. Wenn man die drei Teams noch aus dem aktuellen Schnitt herausrechnet, dann laufen die Teams im Schnitt sogar 3 Kilometer weniger pro 90 Minuten als ein letztjähriger Zweitligist über 34 Spiele.

Vielleicht ist es die Bundesliga nicht gewohnt, Dinge über Physis zu lösen, wie man es in der zweiten Liga gewohnt ist. Vielleicht erklärt sich darüber ja ein Stückweit der Überraschungseffekt, den Teams wie Ingolstadt, Freiburg oder Leipzig landen können (mit Abstrichen gehört da auch Darmstadt rein, wobei die in der letzten Saison eher über Physis und Robustheit als über Laufaufwand kamen). Wobei es erstaunlich wäre, dass Klubs, die in vielerlei Hinsicht immer versuchen die Grenzen auszuloten, im Bereich der Physis plötzlich bereit sind, Abstriche machen.

Vielleicht passt zu dem Phänomen ganz gut, dass Emil Forsberg und Yussuf Poulsen zuletzt fast gleichlautend davon sprachen, dass sie in der Bundesliga mehr Raum und mehr Platz hätten als in der zweiten Liga, wo näher am Mann agiert werde. Erklärt wurde das damit, dass die höhere individuelle Qualität in der Bundesliga dazu führe, dass vorsichtiger verteidigt werde, weil Fehler schneller ausgenutzt werden.

Eine etwas unbefriedigende Erklärung. Denn warum sollte es in der Bundesliga mit Defensivspielern mit ja ebenfalls höherer individueller Qualität plötzlich weniger erfolgsversprechend sein, den Gegenspielern intensiv auf den Sack zu gehen und auf die Füße zu steigen? Außer die Schiedsrichter sehen das in dieser Liga nicht so gern wie in der zweiten Liga. Was nach erstem Blick auf Zweikampfbewertungen in der Bundesliga durchaus ein Faktor sein könnte.

Insgesamt bleibt es aber ein eher seltsamer Fakt, dass in der Bundesliga (im Schnitt) die Intensität in Form von Laufaufwand niedriger ist als in der zweiten Liga. Was RB Leipzig eher entgegenkommen dürfte. Weil sie den Laufaufwand, den sie aktuell betreiben aus der zweiten Liga mehr als gewohnt sind. Zudem über einen breiten Kader verfügen, der Fitnessschwankungen (bis auf die Außenverteidigerposition) auffangen kann. Und weil sie auf Gegner treffen, die nicht denselben Laufaufwand betreiben wie noch die Gegner in der zweiten Liga.

Bleibt allerdings noch die Frage, ob Hasenhüttl- und Rangnick-Teams in der Vergangenheit einen Leistungsabfall hinnehmen mussten. Den man natürlich immer noch verschieden interpretieren kann. Der aber zumindest ein Hinweis sein könnte, dass es am höheren Laufaufwand liegt.

Mit Ingolstadt holte Hasenhüttl letzte Saison in 17 Rückrundenspielen genauso viele Punkte wie in 17 Hinrundenspielen. Dabei holte man allerdings in den letzten fünf Spielen nur noch einen Punkt. Wobei da schon der Klassenerhalt eingetütet war und die Gerüchte um einen Hasenhüttl-Abgang am Ende auch noch einmal ein paar Prozente kosteten. Ein Leistungsabfall aufgrund physischer Probleme ist da also nur schwerlich zu diagnostizieren.

Das könnte man für die Ingolstädter Aufstiegssaison in der zweiten Liga schon eher feststellen. Dort holte man 40 Punkte in 19 Spielen bis zur Winterpause (also reichlich 2 im Schnitt) und nur noch 24 in 15 Spielen nach der Winterpause (also 1,6 Punkte im Schnitt). Wobei dort dann auch der Effekt zu tragen kam, dass Ingolstadt nach der Winterpause verstärkt gegen defensiv agierende Teams antreten musste und nicht der Underdog sein konnte (was dann wieder den Kreis nach oben zur Frage der Spielphilosophie schließt). Vielleicht  kamen auch Effekte zu tragen, die Laufaufwand betrafen, weil sich Ingolstadt gegen laufstarke Teams abarbeiten musste.

Rangnick seinerseits holte mit RB Leipzig in der Aufstiegssaison bis zur Winterpause 41 Punkte in 19 Spielen und nach der Winterpause nur noch 26 in 15 Spielen. Ähnliche Tendenz also wie bei Ingolstadt und ähnliche Phänomene gegen auch zu Hause defensiv auftretende und viel laufende Gegner (St. Pauli, Nürnberg, Freiburg).

Über die Jahre hinweg gibt es bei Ralf Rangnick aber wenig Auffälligkeiten hinsichtlich eines Leistungsabfalls nach der Winterpause. In sieben vollständig absolvierten Spielzeiten seit 1999 gab es dreimal schlechtere, zweimal bessere und zweimal gleichgute Ergebnisse in der zweiten Hälfte der Saison. Spricht nicht unbedingt für einen aufwandsbezogenen Leistungsabfall nach der Winterpause. Zusammen mit den Daten von Ralph Hasenhüttl seitdem er ein laufintensives Spiel gegen den Ball spielen lässt, ergibt sich ein eher indifferentes Bild.

Insgesamt könnte man festhalten, dass es wenig Grund gibt, daran zu glauben, dass RB Leipzig im Saisonverlauf aufgrund des hohen Aufwands, den man betreibt, einbrechen könnte. Da spricht intern (also vom Kader her gedacht) genauso wenig dafür wie extern (also von den Anforderungen, die von der Konkurrenz kommen, her gedacht). Solange die RasenBallsportler nicht in internationalen Wettbewerben unterwegs sind, droht da wenig Gefahr. Wobei die vielen Nationalspieler, die der Verein hat, natürlich auch noch eine kleine Unbekannte in diesem Spiel sind.

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Ein bisschen Training und die paar Kilometer mehr sind auch kein Problem.. Foto: GEPA Pictures - Roger Petzsche
Foto: GEPA Pictures – Roger Petzsche

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Ein Gedanke zu „Kein körperlicher Stresstest“

  1. Erstmal schön, daß der Blog ohne Datenverlust wieder online ist.

    Die Aussage von KHR stimmt zum Teil, denn es trifft bis jetzt doch nur auf das Spiel gegen Darmstadt zu. Sonst haben doch die Rasenballer immer den gleichen Rhytmus wie der Gegner gehabt. Jetzt gegen Mainz haben sie wieder den ausgeruhten Vorteil auf ihrer Seite.

    Es ist aber erstaunlich, das die Jungs weniger laufen als in Liga 2! Hätte ich nicht gedacht. Auch das die Gegner eher lauffaul sind. Das wird dann wohl gegen Freiburg ein Marathonspiel ;-)
    Das in Liga 1 anders verteidigt wird, ist nachvollziehbar. Jetzt gegen DA war aber das Beste Gegenbeispiel. Da hat man gesehen, wie Poulsen genervt war, das Sulu ihm ständig auf den Fersen war.

    Lustig ist, daß die Süddeutsche heute “Die-Jungbullen-laufen-Gegner-müde-Artikel” online stellt.

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