Integrationsprojekt

Viel geredet wurde nach dem Testspiel von RB Leipzig gegen Paris Saint-Germain über den misslungenen Trikottausch von Daniel Frahn mit Zlatan Ibrahimovic. Der RB-Kapitän hatte vor dem Spiel via BILD verkündet, dass er sich das Trikot von seinem Idol holen werde. Nicht zugehört hatte (vielleicht wollte er auch nicht) Neuzugang Terrence Boyd, der seinem Kapitän dann zuvorkam und sich das Trikot schnappte. Woraufhin Frahn entrüstet reagierte, was wiederum Ibrahimovic dazu bewog, ein zweites Trikot mit seinem Namen aus der Kabine zu holen.

Klar, dass die Geschichte hinterher medialerseits gut ausgeschlachtet wurde. Dass eine hiesige Lokalzeitung einen ganzen Artikel mit internationalen Pressestimmen über die Sache zusammenstückelte, war dann aber doch bereits ein ganzes Stück jenseits der berühmten Linie. Was bleibt ist trotzdem die durchaus bemerkenswerte Symbolik, dass ein Neuzugang dem Kapitän etwas vor der Nase wegschnappt, was der öffentlich als seins proklamierte. Ein kleiner Affront, zumindest wenn Boyd davon vor dem Spiel wusste. Dass Boyd alle Ausgaben der BILD intensiv durchblättert, muss man allerdings auch nicht als gegeben ansehen.

Die ganze Story ist durchaus nett und erzählenswert, aber auch zu belanglos, um daraus die ganz große Soap zu basteln. Sie führt aber zu einem damit verbundenen Punkt, der für die weitere Saison durchaus von Belang sein könnte. Denn Kaderplanung bedeutet ja auch jedes Jahr aufs neue Eingriffe in eine fragile Gruppe von Männern zwischen 18 und 30+ mit ihren jeweiligen Eigenheiten vorzunehmen. Im konkreten Fall von RB Leipzig Eingriffe in eine Gruppe, die immer wieder betonte, wie eng der Zusammenhalt und wie gut das Klima sei.

Jeder Neuzugang und jeder Abgang schraubt ein Stück an diesem internen Gleichgewicht und führt dazu, dass sich die Gruppe neu finden muss. Kaum steuerbare, gruppeninterne Dynamiken inklusive. Wo dann wiederum ein Terrence Boyd ins Spiel kommt, der mit seiner extrovertiert-selbstbewussten Art ein Neuzugang ist, wie ihn RB Leipzig bisher auch noch nicht hatte. Nämlich einer, dem man anmerkt, dass er in den vergangenen zwei Jahren bei Rapid Wien sehr in den Mittelpunkt des Faninteresses gerückt ist und ein kleiner Star wurde.

Die Geschichte mit dem Trikot ist eigentlich nicht der Rede wert, aber in ihr steckt auch ein wenig das Selbstverständnis von Terrence Boyd. Frisch zu einem Verein zu kommen und der derzeit letzte Neuzugang zu sein, aber sich trotzdem in der Rolle zu fühlen, sich das Trikot von einem Zlatan Ibrahimovic zu holen und nicht auf die Idee zu kommen, dass vielleicht jemand in diesem Verein spielt, der aufgrund seiner längeren Anwesenheit eventuell eher für diesen Trikottausch in Frage käme.

Das ist natürlich grundsätzlich für einen Fußballer auch eine gute Eigenschaft, ein derartiges Vertrauen in sich und seine Person zu verspüren, weil dieses weltvergessene Selbstvertrauen in entscheidenden Spielsituationen auch den Unterschied machen kann. Sowieso tun individuelle Extravaganzen in einem Teamsport durchaus auch gut. Wenn dabei das Team intakt bleibt. Und genau diesbezüglich stellt sich ein wenig Frage, wie ein funktionierendes Team mit eher introvertierten Typen einen wie Boyd integriert und ob dabei etwas am Team bricht oder es sich einfach ein wenig verändert neu aufrichtet.

Letztlich soll das gar nicht heißen, dass das bisherige Team eine Ansammlung von Mäuschen ohne Selbstbewusstsein wäre. Ganz im Gegenteil ist natürlich auch die bisherige Mannschaft in fast allen Einzelteilen individuell komplett von sich überzeugt (sonst wären sie keine Profifußballer geworden und erst recht nicht bei RB Leipzig gelandet) und sich (wenn man an Hoheneder, Heidinger und Co denkt) auch für einen Spruch nicht zu schade. Aber Terrence Boyd ist darüber hinaus eine popkulturelle Marke, die sich mit einer entsprechenden Selbstverständlichkeit vermarktet und auftritt.

Das fängt schon in den sozialen Netzwerken an, wo Terrence Boyd mit seiner gern befüllten Twitterseite aktuell 220.000 Menschen erreicht, während alle sonstigen mit RB Leipzig beschäftigen Spieler- und Vereinsaccounts zusammen keine 10.000 Follower haben. Aber es drückt sich vor allem auch im Hang zum Selfie und zur großen Geste aus. Letztere findet sich u.a. in seinem Zyklopen-Torjubel [broken Link] (Unterarm auf den ein Auge gestochen ist vor die Augen halten und Zunge heraushängen lassen), den er auch via T-Shirts vermarktet.

Mit Terrence Boyd kommt – so stellt sich das von außen dar – jemand nach Leipzig, der nicht nur auf dem Platz, sondern auch in seiner Selbstvermarktung ein moderner Fußballer ist. Das ist, wie gesagt, nicht per se schlecht (ganz im Gegenteil), aber es ist letztlich die Frage, wie sich dies in einen Red-Bull-Verein mit recht klaren Kommunikationsgrenzen und mit Spielern, die bisher nicht das Bedürfnis hatten, die öffentliche Selbstvermarktung jenseits der Vereinswege zu suchen, integriert.

Eine besondere Note bekommt das alles noch dadurch, dass Terrence Boyd im Sturm natürlich direkter Konkurrent von Daniel Frahn ist. Aktuell versucht sich Alexander Zorniger in einem Dreisturmsystem, um beide unterzubringen, aber dass dies die finale Konstellation für große Teile der kommenden Saison ist, muss man nicht unbedingt annehmen. Der extrovertierte Selbstvermarkter Boyd gegen den Teamkapitän Frahn, auch so eine eigene Symbolik, die letztlich nichts bedeuten muss, aber unter Umständen durchaus etwas bedeuten kann.

Ein Alexander Zorniger wird natürlich sehr die Hand darauf haben, dass sich im Team keine negativen Tendenzen durchsetzen und im Fall der Fälle dazwischengehen. Dazu hat man mit Philipp Laux weiterhin einen Psychologen, der sicherlich auch Ideen für den Fall hat, dass die Gruppendynamik in eine verkehrte Richtung läuft.

Dass es in eine falsche Richtung läuft, ist auch für den Fall Boyd nicht ausgemacht, denn bei allem speziellen Typus, den er mitbringt, ist er im Sturmzentrum auch ein echtes Bollwerk, das sich für sein Team in Zweikämpfen aufreibt und sich somit vermutlich dort, wo es drauf ankommt, nämlich auf dem Platz, in seinem Auftreten vom Rest der Mannschaft kaum unterscheidet. Und letztlich wird das wohl der entscheidende Punkt, egal wie der Neuzugang heißt. Falls die Mannschaft das Gefühl bekommt, sie spiele für jemanden im Team, damit der glänzen kann, dann geht es schief. Wenn alle das Gefühl haben, dass alle ihren Teil beitragen und alle durcheinander glänzen, ist dagegen alles gut.

Vielleicht wird beim Teambuilding auch wieder wie in der vergangenen Saison die Ablehnung von Fans anderer Vereine zum stilbildenden Faktor. Ein Faktor mithin, der interne Differenzen glättet und deren Ausbrechen verhindert, weil der Kampf gegen das Außen, gegen die Umwelt, der man es zeigen will, wichtiger ist, als die Frage, ob der Nachbar in der Kabine seinen 220.000 Twitterfollowern unter Umständen Selfies und Zyklopen-Shirts schmackhaft macht.

Letztlich lässt es sich schwer voraussagen, in welche Richtung der Teamspirit mit den Neuzugängen gehen wird. Viel zu viel hängt auch vom sportlichen Abschneiden in den nächsten Wochen ab, ob sich Unzufriedenheit Bahn brechen kann oder man fokussiert bleibt. Fakt ist, dass man mit Terrence Boyd einen Menschenschlag verpflichtet hat, wie es ihn so bei RB Leipzig bisher noch nicht gab und durchaus die Frage besteht, wie sich dies auf das Team auswirken wird. Positive und negative Prognosen inklusive.

Die Geschichte des nüchternen Vollprofis Roman Wallner, der in Leipzig vor reichlich zwei Jahren vor allem daran scheiterte, dass er nicht ins Team und ins Spiel integriert wurde, zeigt, dass Geschichten nicht immer positiv enden müssen. Mal sehen, wie das bei Terrence Boyd und den anderen Neuzugängen sein wird.

4 Gedanken zu „Integrationsprojekt“

  1. Die Interviews mit ihm sind zum Glück sympathischer als die von Dir gut beschriebene selbstvermarkungsoptimierte Corp. Identity ;-).

    Auch die Imagebildung als US Amerkianischer Spieler ist beachtenswert.
    Ich brauch das nicht. Bin mal gespannt wie Zorniger mit ihm klar kommt.

  2. Man kann es wohl nicht oft genug sagen, dass der als „rotebrauseblogger“ getarnte Herr in mittleren Jahren mit mehr Herzblut hinter seinem Club stehen dürfte als die meisten seiner oftmals sich sehr wichtig vorkommenden Journalistenkollegen der Leipziger Fußballszene! Das meine ich übrigens aus einiger Entfernung sehr ehrlich, da von mir nicht erst seit heute der Entwicklungsverlauf dieses Vereines seit seiner schwierigen Geburt 2009 in dem bekannten Leipziger Vorort (kritisch) mit großer Aufmerksamkeit, doch ohne Drang nach internen Teilinformationen, verfolgt wird.

    Das letzte Testspiel schien eigentlich abgeharkt. Richtig ist, dass dabei das erfreuliche Ergebnis aufgrund der beiderseitig gezeigten „Talenteshow“ nur eine unwesentliche Rolle spielte. Negativ waren andere Begleitumstände, wie z.B. der schon oftmals erwähnte misslungene Einstand der nicht mehr ortsansässigen Neuerwerbung des Cateringservices, der nach den vielen Wortmeldungen unzufriedener „Schlangenansteher“ nicht nur den Teilauftritt des Gästestars, Ibrahimovic, verpassten, sondern auch halbdurstig bzw. –hungrig und unzufrieden zurück zu den angestammten Besucherplätzen kamen.

    Zur übertriebenen „Getränkewerbung“ hatte ich mich bereits geäußert, wunderte mich, dass es doch auch andere Meinungen dazu gibt. Ein Gag wäre es doch gewesen (und ganz nebenbei auch die wirklich beste Werbung), wenn aus den übergroßen Dosen in den Trainerbereichen der (extra aufgefüllte) flüssige, farbige Inhalt an die Zuschauer verteilt worden wäre, um ihren Ärger über die überforderten Leute in den nur halb geöffneten Buden wenigstens mit Getränken bei dieser ungewöhnlich schwülen Atmosphäre herunter spülen zu können. Andernseits hätte der finanziell übersprudelnde Sponsor mit jeweils einer Büchse als Zugabe zur Eintrittskarte danach bestimmt nicht am Hungertuch genagt, und als Wurfgeschosse hätte man diese auch bestimmt nicht eingesetzt…….
    Auch das in Beuteln und Rucksäcken von zuhause mitgebrachte Getränke- und Essgut, wurde vom Sicherheitspersonal vorsorglich abgenommen und am Fußboden eingelagert!

    Doch zurück zum Sportlichen. In einem Kurzkommentar hatte ich kürzlich dem MDR mitgeteilt, das mir mein Gefühl nach dem Durchlesen speziell des Werdeganges des Neulings, Boyd, sagt, dass genau dieser Spieler zukünftig so oder so bei „RaBa“ zukünftig für erhöhte Aufregung sorgen könnte. Und schon ist es gleich zweimal passiert! Nachdem der als Torjäger geholte Stürmer, der bei seinen Treffern fast alle Körperteile einsetzt, zum ersten Male an der richtigen Stelle stand, wiederholte er das auch bei dem Gang zur Halbzeit in die Kabine als er seinem internen Konkurrenten, Frahn, trotz dessen medialer Vorankündigung, mit dem Stargast einen Trikottausch vornehmen zu wollen, ein regelrechtes Schnäppchen schlug. Der immer etwas launig und streng wirkende Zorniger wird zukünftig alle pädagogischen Fähigkeiten anwenden müssen, um besonders für diese beiden „Sonderlinge“ eine entsprechende Rangordnung festzulegen, damit erfolgsorientiert in deren Schlepptau das richtige Gemisch aus alt und neu in den bevorstehenden harten Punktekampf geschickt werden kann!

    Fast nur nebenbei ist bekannt geworden, dass sich die Leitung des Clubs in diesen Tagen neben den verpflichteten bekannten Neuzugängen auch von vier Akteuren getrennt hat. Im Profisport hat man leider keine Zeit, diesen Ausgeschiedenen nochmals ein paar freundliche Sätze im Nachhinein zu widmen. Unerfreulich ist dabei, wenn plötzliche Verletzungen, wie sie z.B. gerade erneut Torhüter Coltorti am gleichen Knie erlitt, eine sportliche Unterbrechung oder im Ernstfall sogar das Ende bedeuten kann.
    Nachdem ich schon den schlimmen Kreuzbandriss von Ernst, der aber auch weiterhin noch zum Team zählt, live miterlebt habe, beeindruckte mich z.B. besonders der vor einigen Monaten gezeigte MDR-Filmbeitrag über die sich fürchterlich anschauende schwere Knieverletzung von Abwehrspieler Christian Müller sowie die gefühlte Clubunterstützung bei seinen langwierigen Reha-Maßnahmen! Dass sich dieser in dem Beitrag überraschend optimistisch wirkende Familienvater aber auch Sorgen um seine generelle Zukunft machte, ist mir noch gut in Erinnerung! Die traurige Rückblende an diesem sehr unglücklichen Unfall in einem eigentlich harmlosen Trainingsspiel deutete bereits daraufhin, dass allein bereits ein ganz normales Laufen für ihn ein toller medizinischer Sieg sein würde. Die harte Wahrheit ist aber, ohne sein derzeitiges Befinden einschätzen zu können:
    „Trennung“ nach Auslaufen des Vertrages mit drei anderen ehemaligen „Arbeitskollegen“! Das ist die Kehrseite der oftmals schillernden Medaille! Ich persönlich würde mir sehr wünschen, dass der verletzte Müller nach Beendigung seiner langfristigen, vorsichtigen Aufbauversuche sich mit dem Verein einigen kann, in irgendeiner anderen Aufgabe diesen auch weiterhin die Treue halten zu dürfen….

    Zum Schluss kann ich allen „RaBa“-Sportlern, die durch ihre sichtbar demonstrierte Nähe zu ihrem großzügigen Hauptgeldgeber, der unbewusst neben den auswärtigen Zuschauern auch immer mehr die Verantwortlichen der neuen Konkurrenten in der 2. Bundesliga etwas verunsichert, auch wünschen, dass sie trotz mancher zu erwartender Störversuche mit einer veränderten Besetzung auf dem Rasen mit ähnlich guten Leistungen wie in der vergangenen Saison aufzuwarten!

  3. Jetzt ist der Coltorti wieder verletzt. ich glaube kaum, dass AZ wieder 5 Monate wartet. Und wieder erst konservative Heilung. Ging letztens schon schief. Ich mag FC als Typ, aber was zuviel ist. ..
    Wer soll ihn ersetzen???

    Benny Bellot ist auf der Linie stark. ..
    Manuel Neuer!

  4. Ich find es gut, so einen “bunten Vogel” in unseren Reihen zu haben.
    Auch AZ hat Ecken und Kanten, wie wir schon gemerkt bzw. gehört haben.
    Es wird spannend. Und genau dies macht den Fußball aus. Man kann soviel planen, bereitstellen, ebnen, am Ende spielen 11 Fußballer gegen 11 Fußballer.

    Das unser Blogger ein Kenner der Szene ist, wer mag dies noch bezweifeln.;-)

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