Versuch über die instrumentelle Bloggervernunft

Bloggen über den Fußball im Allgemeinen und den einzig wahren RasenBallsport im Besonderen scheint grundsätzlich eine einfache Geschichte zu sein. Man schreibt über die vielen Dinge, die mit rund und eckig und drumherum zu tun haben. Statistiken, Spiele, Rückblicke, Vorberichte, Meinungen, sportpolitisches Trallala und und und. Und im Kern ist es das ja auch.

Jenseits der Schreiblust will man natürlich auch, dass man gelesen wird. Weswegen die meisten Blogger als Blogger auf verschiedenen sozialen Kommunikationswegen von Twitter bis Google+ zu finden sind und dort versuchen, ihre Inhalte zu streuen und bestenfalls zum viralen Hit werden zu lassen und es zusätzlich natürlich zulassen, dass sie in den Suchmaschinen dieser Republik gefunden werden können.

Gestern dann trat mit “15.30 – Die Fußballblogs” [broken Link] erstmals eine Art Aggregator auf den Plan, der die Inhalte verschiedener Fußballblogs auf einer Seite in Form von Links zusammenbringt. Eine Art bebilderte Linksammlung als Verweis in die Blogsphäre. Wobei der Umfang der beteiligten Blogs aktuell noch recht überschaubar ist. Im Gegensatz zu Suchmaschinen, die sich alles holen, was man nicht bloggerseits gesichert wird, werden Inhalte bei 15.30 von den Bloggern selbst eingereicht und dann als Link mit Kurzbeschreibung veröffentlicht.

Hintergrund der Geschichte ist natürlich wie immer ein wirtschaftlicher. 15.30 ist letztlich anbieterseits der Versuch, eine Art Blognetzwerk an der Hand zu haben, über das man eine relativ klar definierte Fußballfanzielgruppe erreichen kann. Sodass sich die Plattform im Idealfall über Werbekampagnen aller Art, die über die Blogs laufen, finanzieren würde. Für die Blogger wiederum ist es potenziell die Möglichkeit als Teil eines Netzwerks den einen oder anderen wirtschaftlichen Effekt mitzunehmen, den man als einzelner Blogger nicht kriegen würde, weil ein Netzwerk per se bessere Möglichkeiten der Werbeakquise hat und zudem vielleicht den einen oder anderen Leser (bzw. bei Podcasts Hörer) zu gewinnen, die sonst nicht über die eigene Seite gestolpert wären.

Ein solcher Blogaggregator ist also von seiner Idee her erst einmal eine vernünftige Sache, wenn man einmal den gegebenen Rahmen kapitalistischer Verwertung und entsprechender Versuche permanenter Maximierung von Einnahmen und Sichtbarkeit als gesetzt nimmt (und nur in diesem Rahmen funktioniert ja ein Begriff wie der der instrumentellen Vernunft aus der Überschrift), weil er Sachen zusammenbringt, die ähnliche Inhalte (Fußball) und Absichten (Monetarisierung und oder Reichweite) haben. Dass man dabei einen Anbieter nutzt, der ein wirtschaftliches Eigeninteresse hat, das letztlich überhaupt erst durch die Inhalte der Fußballblogger funktionieren kann, diese also letztlich ‘ausbeutet’ ohne selber welche beizusteuern, ist klar. Es ist letztlich die selbe Vermittlungsleistung, wie sie Google in Suche und Werbung macht, nämlich Webseitenbetreiber und potenzielle Leser/Hörer bzw. Werbetreibende zusammenbringen und von den dabei anfallenden Erlösen einen nicht unwesentlichen Teil einbehalten.

So weit, so schlicht und einfach und nichts worüber es groß zu reden lohnen würde. Bis gestern Mittag 15.30 das Licht der Online-Öffentlichkeit erblickte und ein wahrnehmbarer Shitstorm mit Entfolgungsankündigungen und -aktionen zumindest durch die Twitterwelt zog. Weil 15.30 ein vom Springer-Verlag initiiertes Projekt ist und man seine Seele nicht an das große Böse der Publizistik verkauft. Schon gar nicht als Blogger, der doch per se einem höheren, unabhängigen, irgendwie auch unpopulistischem Zweck zu dienen hat. Jene, die ihre Inhalte bei 15.30 einstellen, sollten sich doch schämen und in sich gehen, so die sinngemäße Aussage.

Wenn man das mal auseinandernimmt, bleibt als oberstes Argument gegen 15.30 ‘Scheiß Springer’ übrig. Der Verlag sei mit seinen Boulevard-Printprodukten mit regelmäßigen Verkürzungen und populistischen Thesen als Partner nicht tragbar. Nie. Nirgends. Ein Prinzip, was mir persönlich fremd ist. Denn im Normalfall beurteile ich konkrete Inhalte. So wie ich als Blogger die Verantwortung für meine Inhalte übernehme, mache ich im Normalfall auch die jeweiligen Autoren für ihre Inhalte verantworlich. Weil ich gelernt habe, dass jedes Medium gewinnbringende und weniger gewinnbringende Geschichten veröffentlicht und es oft eher an Personen denn an Medienprodukten hängt. Und man letztlich auch die Sportbild gewinnbringend lesen kann. Wobei der Gewinn manchmal von den Autoren intendiert gewesen sein mag, oft aber auch eher nicht. In Bezug auf Ersteres verweise ich immer gern auf die Begleitung der Regionalliga-Reform durch die Sportbild vor ein paar Jahren. Zu einer Zeit als sich anderenorts (außer in Onlinefankreisen) noch niemand um das Thema scherte.

Man kann mit der Art und Weise der permanenten Massenpublizistik der BILD nicht einverstanden sein, man kann ihr auch jeden Tag an konkreten Beispielen auf die Füße treten. Letztlich wird es genau dann absurd, wenn Journalisten anderer Verlage und Zeitungen oder verantwortliche Spiegelredakteure, die im Alltag ihrer jeweiligen Häuser auch untragbare Sachen wie den unsäglichen Jakob Augstein verantworten, mit dem moralischen Zeigefinger herumhantieren, weil sie es völlig unerträglich finden, wenn Leute, die nicht im wirtschaftlichen Schutz großer Verlagsanstalten hausieren, im Dunstkreis eines Blattes auftauchen, das mit seinem Hofieren des kleinen Mannes versucht das imaginäre Massenbürgertum in seiner deutschen Unperfektion zu bedienen oder immer wieder neu herzustellen. Was einiges an positivem Einstehen für Individualrechte und universelle Freiheiten, aber auch den negativen Rattenschwanz an Projektionen auf Minderheiten, Populismus und nationalistischen Abwehrreflexen mit sich bringt.

Ja, im Hause Springer beschäftigt zu sein, könnte unter Umständen ziemlich schwierig sein, zumal die Journalisten, die dies tun, in vielen Fällen auch nicht dumm sind (um jeden Tag Themen auf den BILD-Stil reduzieren zu können, kann man auch nicht dumm sein, das geht an manchen Stellen schon als minimalistische Kunstform durch..). Aber im Hause der Süddeutschen Zeitung kulturrelativistische Barbareien Erklärungen oder im Hause Spiegel den ‘aufgeklärten’ deutschen Israelhasserkritiker mittragen zu müssen, ist auch nicht nett. Und bei der Madsack-LVZ schreibt man auch nicht anders als bei der Springer-LVZ von vor ein paar Jahren. Das Bewegen in der Welt mit all den möglichen Fallstricken und Auseinandersetzungen ist natürlich letztlich immer eine permanente Selbstbefragung. Die aber nicht mehr stattfindet, wenn man den bösen Wolf hat, der alle Übel verkörpert, während man im eigenen Haus noch für den letzten Schrunz Verständnis hat, wenn es nur im verständnisheischenden Schwurbelton formuliert wird.

Nein, das wird hier keine Springer-Verteidigungsschrift, weil ihr Stil nicht die Art der inhaltlichen Auseinandersetzung ist, die man sich vorstellt, wenn man über eine perfekte Welt nachdenkt. Aber es wird eben auch keine Springer-Anklage, weil man im Glashaus des eigenen imperfekten Tuns immer genau gucken sollte, ob man auf ganze Verlagshäuser oder lieber auf einzelne Autoren oder auf bestimmte inhaltliche Aussagen und Themensetzungen zielt. Denn letztlich ist es ziemlich absurd, wenn man glaubt, dass das (völlig legitime) Beharren einiger auf Unkommerzialität und Werbefreiheit, schon als Qualität an sich durchgeht. Wenn man in die Geschichte des Blogs schaut, das gestern den Anti-Springer-Empörungsvorreiter spielten, dann begegnet einem jedenfalls auch das eine oder andere, das gerade hinsichtlich der inhaltlichen Qualität schwerlich zu verteidigen wäre.

Sowieso ist der Anspruch, dass Blogger irgendwie für eine bessere Schreibwelt stehen müssten, eine ziemliche Anmaßung. Blogger sind zuerst einmal überwiegend Nischenautoren, die mit ihren (oftmals) Spezialinteressen und teilweise privaten Themen auf Gleichgesinnte und Öffentlichkeit stoßen wollen. Und dabei völlig unterschiedliche Vorstellungen haben, wie ihre Öffentlichkeit aussehen mag und was man ihr in welcher Art erzählen möchte. Und auch über völlig unterschiedliche Voraussetzungen verfügen bzw. sich ausprobieren wollen und Fehler machen. Also letztlich Menschen sind, die man für ihre Texte kritisieren, loben, abfeiern oder in den Keller schicken kann, weil es Menschen mit Meinungen und Ansichten sind (und auch bleiben, wenn sie ohne Werbung und finanzielle Entlohnung auskommen).  Genau wie jene Menschen bei all den Tageszeitungen, Zeitschriften, Fernsehsendern und Co.

Man verkaufe sich mit seinen Inhalten und gebe seine Unabhängigkeit auf, heißt es auch noch in den Vorwürfen an 15.30-Blogger. Was alles in allem schwierig. Verkauft man sich an Google, weil man dort mit seinen Inhalten gelistet wird? Klar, aber kaum jemand würde das so problematisch finden, dass er darauf verzichtet. Verkauft man sich an 15.30 und damit an Springer, wenn man seine Inhalte dort einstellt? Sicherlich, weil auch hier mindestens einseitig monetäre Interessen im Spiel sind. Letztlich bleibt es aber dabei, dass man nicht die Rechte an seinen Inhalten abgibt, weil die Texte weiterhin im eigenen Blog erscheinen und die Rechte am Text beim Blogger verbleiben. Das mit dem Verkaufen ist also im über das indirekte hinausgehenden Sinne eher schwierig. Und dass man gleich seine Seele verkauft, weil man seine Texte in einem von Springer organisierten Blogaggregator verlinken lässt, ist schon ein wenig absurd. Denn dass hier plötzlich andere Texte stehen, nur weil ein Sportbild-Website-Surfer mal auf einen Text hier aufmerksam werden könnte, ist dann doch eher weniger anzunehmen. Da macht ein Springer-Link keinen Unterschied zu einem Zeit-, Spiegel-, Guardia- oder privatem Facebooklink.

Unabhängigkeit ist wiederum sowieso ein völlig überbewertetes Thema, weil es unterschwellig vorgibt, einen Sprechort schaffen zu können, an dem man frei argumentieren kann. Dabei geht es bei Argumentationen eben nicht um Freiheit von Einflüssen der Umwelt, die auch ein Blogger in Form von Lesern, Gegenstand eigenen Ansichten und einigem mehr hat, sondern eben um ein sinnvolles Argumentieren, bei dem auch die Vorraussetzungen klar sind. Letztlich scheint das Argument Unabhängigkeit vor allem darauf abzuzielen, besonders scharf argumentieren zu können.

In diesem Sinne habe ich wohl schon deswegen an Unabhängigkeit verloren, weil ich in den letzten Jahren durch die intensive Begleitung von RB Leipzig und Pressekonferenzen immer näher an Vereinsprotagonisten herangerutscht bin und natürlich entsprechend vorsichtiger beim Formulieren geworden bin. Was ich persönlich nicht als Verlust von Unabhängigkeit begreifen würde, weil ich Kritik an Stellen, wo ich sie für angebracht halte (wie beim Mateschitz-Interview) weiterhin formulieren kann. Vielmehr drückt sich die Veränderung eher darin aus, Thesen vor allem in Bezug auf die Fähigkeiten handelnder Personen vor dem Formulieren noch stärker auf ihren Wahrheitsgehalt und Sinn zu prüfen. Was letztlich aus meiner Sicht eher zur Erhöhung von Qualität denn zur Verringerung von Unabhängigkeit führt.

Letztlich bleibt das Verhältnis zum Gegenstand natürlich auch schwierig, wenn man sehr nah dran ist, weil man immer auch fürchten muss, dass einem ein Stück Liebe in Form von Arbeitsgrundlage entzogen wird. Das trifft allerdings Journalisten von Tageszeitungen und Agenturen, die auf Interviews und O-Töne angewiesen sind viel stärker, als eher analytisch orientierte Angebote wie dieses hier. Schwierig wird das Dogma der Unabhänigkeit immer dann, wenn es dazu führt, dass man sich verschließt, wie ich es in meinem früheren Leben tat, als ich nie und nimmer bei studentischen Radio- oder Onlineprojekten mitgemacht hätte, weil die doch eh inhaltlich nur Quatsch machen. Ein Distinktionsunsinn, der letztlich nur dazu führt, dass einem wichtige Erfahrungen durch die Lappen gehen. Selbst wenn man mit seiner Meinung Recht behalten würde, dass in den betreffenden Projekten überwiegend Unsinn gemacht wird, ist das Urteil von Außen ohne die entsprechende Erfahrung meist hochnäsiger Käse.

Letztlich ist meine Teilnahme an 15.30 einfach auch eine Erfahrung, von der ich von vornherein nicht wissen kann, ob sie wirklich Sinn macht. Zu vermuten ist aktuell, dass die Ablehnung aus Teilen der Bloggerszene dazu führt, dass 15.30 nie die kritische Masse an Blogs und Bloglesern erreichen wird, um tatsächlich zur Monetarisierung überzugehen. Das mag man als schade ansehen, vor allem auch weil ein Scheitern ja nicht bedeutet, dass jemand eine breiter akzeptierte Vermarktungsplattform für Fußballblogs schafft, weil eben dies auch Finanz- und Manpower braucht, die es in Bloggerzirkeln nicht wirklich gibt, aber es wäre dann zumindest auch keine Verschlechterung des finanziellen Status Quo.

Für meinen Teil ist es denn tatsächlich vornehmlich der Test wirtschaftlicher Potenziale und der Freiheit über mögliche Werbekampagnen selbstbestimmt entscheiden zu können, der mich zu 15.30 gebracht hat. Eine mögliche Erweiterung der Reichweite ist zwar als Effekt auch nett, aber meine Monetarisierungsideen (die Gründe, warum ich finde, dass das was ich hier im Blog tue, auch Geld einbringen sollte, habe ich an anderer Stelle schon formuliert), die im Kern darauf beruhen, dass sich möglichst große Teile der Stammleserschaft bemüßigt fühlen, Supporter im rotebrauseblock zu werden, werden nicht essenziell positiv beeinflusst, wenn bspw. 10.000 zusätzliche Klicks im Monat 3 Euro Werbeerträge mehr einbringen.

Meine Teilnahme an 15.30 ist wie so vieles (wenn auch bei weitem nicht alles) im Alltagsleben ein Versuch instrumenteller Vernunft, der nur deswegen möglich ist, weil ich das grundsätzliche ‘nie und nirgends etwas, das in irgendeiner Form mit Springer zu tun hat’ nicht teile, weil ich den Umgang mit Inhalten eher als Frage von Medienkompetenz und nicht des Boykotts ansehe und zudem Springer die ersten waren, die einen solchen Aggregator mit seiner Vernetzungsidee anbieten. Den ich erst einmal als Linkmaschine zu nutzen gedenke. Und alles andere wird man sehen und später bewerten müssen. Bis dahin glaube ich jedenfalls nicht daran, dass eine im öffentlichen Newsstream ziemlich marginale Fußballbloggerszene durch Teilnahme an einer Linkseite und daraus resultierenden Millioneneinnahmen den Medienkonzern Springer onlinezukunftsfest macht. Und wenn doch, dann gratuliere ich mir schon mal zu einem prallen Bankkonto. Bis dahin mache ich einfach weiter wie bisher.

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Bei halbangst [broken Link] gab es gestern den Anti-15.30-Versuch, der vierte Offizielle auch gestern mit einer Gegenrede.

5 Gedanken zu „Versuch über die instrumentelle Bloggervernunft“

  1. Ist ja in der Tat deine Entscheidung wie du mit deinen Inhalten umgehst. Ich wäre an deiner Stelle eher bei den halbangst-Leuten, ohne das ich jetzt irgend jemanden empfehlend wöllte, was er oder sie tun oder lassen sollen.
    Zudem finde ich den Populismus von Augstein ja noch halbwegs erträglich, da prinzipiell politisch kompatibel mit meinen persönlichen Ansichten. Und seine(n) Artikel zu Israel als Israelhass zu bezeichenen, empfinde ich als sehr diffamierend. Da hat Broder ganze Arbeit geleistet. Wohingegen ein Fleischhauer bei Spiegel online, oder eben einen Henryk M. Broder oder Thomas Schmid bei der Welt oder ein Uwe Jean Heuser bei der Zeit nicht lesen mag und mich nur über die aufrege bzw. sie zunehmend ignoriere.
    Aber ich vermute, wie können nicht nur über unsere unterschiedliche Position über RBL, sondern auch über unterschiedliche politische Verortung ganz vortrefflich beim nächsten Mal diskutieren ;)

  2. Wunderbarer Artikel, ab jetzt ist mir dieser Blog nicht nur wegen der tollen Inhalte und Berichterstattung um das RB Leipzig-Projekt sympathisch, sondern auch politisch und emotional sehr nahe. Weiter so!

  3. … ich sehe es eher pragmatisch – so wie sich kommerzielle Interessen und Fussball nicht ausschliessen (müssen), kann ein gut gemachter Blog auch durchaus einen finanziellen Mehrwert in der einen oder anderen Form abwerfen.

    Ich möchte deine extrem detaillierten Statistiken und fundierten Analysen auf keinen Fall missen und habe auch kein Problem damit, wenn du damit Geld verdienst – GS ist auch nah dran, nur halb so gut und kriegt zehnmal so viel… schätze ich.. :-)

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