Internetdörfer

Es begann alles mit einer Meldung, die soweit ich sehen kann, zuerst von der Lausitzer Rundschau verbreitet wurde. Die berichtete am Montag davon, dass ein Testspiel von Energie Cottbus gegen Maccabi Haifa im Rahmen ihres Trainingslagers in Österreich von der Tiroler Polizei wegen Sicherheitsbedenken abgesagt worden sei. Hintergrund war, dass die örtlichen Behörden sich mit den Kollegen aus Brandenburg ausgetauscht hatten und die angekündigte Anreise von Mitgliedern der in Cottbus mit einem Erscheinungsverbot belegten Rechtsaußen-Fangruppe “Inferno” mit antisemitischen Vorgeschichten vermutlich vor dem Hintergrund des Testspielgegners nach dem Austausch als Grund empfanden, die Sicherheit nicht gewährleisten zu können.

Sehen wir der Einfachheithalber mal davon ab, dass die Absage nicht Maccabi Haifa, sonder Maccabi Tel Aviv galt, ein Fehler den offenbar alle von der Lausitzer Rundschau übernahmen (die ihn – peinlich, peinlich – offenbar vom Verein selbst hatten), machte die Berliner Zeitung [broken Link] aus der Nachricht später am Montag eine Meldung mit der bereits etwas merkwürdig anmutenden Original-Überschrift (der Artikel wurde später erheblich überarbeitet und verbessert):

Energie Cottbus sagt Testspiel ab. Angst vor rechten Hooligans.

Im Artikel selbst wurde dann allerdings der Zusammenhang zwischen Absage und behördlicher Ursache auch in der Originalfassung des Textes dargestellt. Trotzdem nahm die Sache nun ihren internettypisch eigenen Verlauf. Heimlicher Höhepunkt der Empörung, die auch immer einen Adressaten braucht, von dem man sich einfach nur gut vorstellen können muss, dass er verantwortlich ist, war zumindest in seiner boulevardesken Überspitztheit folgender Tweet: “Energie Cottbus knickt vor Nazis ein und sagt Testspiel gegen Maccabi Haifa ab” (siehe die erklärende Anmerkung des Tweetverfassers unter diesem Artikel in den Kommentaren):

Kann passieren so ein Tweet. Im Eifer des Gefechts. Wenn es doch gegen Nazis geht. Und Energie Cottbus so gut zu so einer Nazi-Nachricht passt. Passiert bei größeren Printzeitungen ja auch öfters, dass Inhalt eine knackige, allgemein geteilte Überschrift und Zusammenfassung braucht. Welt ist ja schließlich auch immer ein Stück, was du draus machst. Oder so.

Der Tweet schaffte es bis zum Zeitpunkt des Niederschreibens hier in reichlich 24 Stunden immerhin auf 46 Retweets, darunter einige Twitter-Fußball-Größen. Zählt man die diversen Follower, die dahinter stehen zusammen, dann wurde damit eine recht beträchtliche Masse an Leuten erreicht.

Wirkliches Erstaunen rief aber (bei mir) erst hervor, dass sich das Aktuelle Sportstudio, eine – auch in der Selbstsicht – renommierte Institution der deutschen Sportberichterstattung, mehr als 24 Stunden nach der Nachricht und dem Tweet, als also auch die Berliner Zeitung ihren Artikel schon lange in einen etwas fundierteren Text zum Thema geändert hatte, sich noch mit auf den Zug schmeißen wollte und den Tweet auch noch mal der Öffentlichkeit präsentierte. Ohne redaktionelle Anmerkung, ohne irgendwas. Und demnach auch ohne irgendwelche Infos, die das vereinsseitige Einknicken belegen würde.

Bisher kannte man Text-Bild- und Ton-Bild-Scheren, also das Auseinanderfallen von Optik und Schrift bzw. Ton. Jetzt muss man wohl auch die Tweet-Link-Schere, die das Auseinanderfallen von Tweetankündigung und Linkinhalt meinen würde, mit ins Analysevokabular aufnehmen..

Die Geschichte hat natürlichen einen miesen Hintergrund. Dass man in Österreich wegen einer Handvoll Leute mit mutmaßlichem Nazi-/ Hool-/ und/oder Antisemitismus-Hintergrund in Panik verfällt und ein Testspiel gegen ein Team aus dem jüdischen Staat nicht austragen lassen will, ist ein ziemlich ekliges Signal. Auch wenn man in einer bergidyllischen Kleinst-Gemeinde wie Angerberg wohl kaum über Erfahrungen im Umgang mit schlagkräftigen Gruppierungen verfügem dürfte. Angereist sind sie ja aber schließlich doch.

Man kann diesen Umgang sicherlich sehr fragwürdig finden, genau wie die Entscheidung des DFB vor einem Jahr, Testspiele unter Beteiligung einiger türkischer Clubs in Deutschland in der Sommerpause zu untersagen, weil sie in der Betreuung durch Ordnungskräfte zu aufwändig gewesen wären. Beide Entscheidungen senden eher negative Signale. Die eine, dass die Anwesenheit einer kleinen politisch-schlagkräftigen Gruppe Einfluss auf die Auswahl des Gegners nehmen kann, die andere, dass man eine Entscheidung entlang ethnischer Zugehörigkeit trifft. Beide Entscheidungen hatten aber auch einen sicherheitstechnischen Hintergrund (im Kern Unlust in der Sommerpause das große Securitypaket aufzufahren), dessen reale Grundlage man sicherlich zumindest zur Kenntnis nehmen muss.

Doch von Anfang an ging es im konkreten Fall in der öffentlichen (Online-)Wahrnehmung weniger um das Stellen von Fragen, sondern um das reflexhafte Aburteilen eines Vereins, der das schon irgendwie verdient haben muss und damit ging es letztlich nur um die Selbstversicherung, auf der richtigen Seite zu stehen. Der Antifaschismus, der im postnazionalsozialistischen Deutschland schon immer ziemlich inhaltsleer war, braucht geradezu hier und da den mehr oder minder gut identifizierten Nazi und im Fall der Fälle eben den per Image erkannten Nazifreund, um sich mal so richtig schüttelnd abwenden zu können.

Das hat ein bisschen was von Antifa-Demonstrationen auf dem Dorf vor einigen Jahren. Vier, fünf Stunden in Hinterkleckersdorf die ansässige Bevölkerung als Nazis, Rassisten und Deppen beschimpfen und anschließend – sich seiner Gruppenidentät sicher – wieder nach Hause in die Hausprojekte, WGs und andere herrlich homogene Orte fahren und das flache Land flaches Land sein lassen. In dem Sinne hat sich Deutschland spätestens seit dem Antifa-Sommer im Jahr 2000 unter Schröder, als man in Deutschland begann Rassismus als Standortnachteil mies zu finden, zu einer Art modernem Hausprojekt gewandelt, dass via Internet immer mal wieder auf der Suche ist nach einem Nazi-Dorf, über das man mal wieder so richtig herzergreifend schimpfen kann. Klar trifft man dabei auch immer mal den richtigen, doch das scheint oft eher Zufall als Ergebnis einer kritischen Auseinandersetzung zu sein.

Auch im Cottbuser Fall könnte man einwenden, dass es schon irgendwie und trotz allem den Richtigen trifft. Teilweise auch aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man in Cottbus eigentlich seit der Wende immer auch problematische Fangruppen hatte. Ein wenig relativierte sich das Problem eigentlich erst mit dem Bundesligaaufstieg, als die öffentliche Aufmerksamkeit zu einer umfangreicheren Absicherung im Umfeld der Spiele führte, sich zudem die Zuschauerzusammensetzung verschob und nicht zuletzt die unter Geyer betriebene Umwandlung in eine Best-of-Osteuropa-Mannschaft die Anknüpfungspunkte für ein bestimmtes Klientel nahm.

Trotzdem verhielt sich der Verein in all den Jahren eher unangebracht zurückhaltend, was ihm ja auch in jüngerer Vergangenheit einiges an Kritik am kritiklosen Umgang mit den eigenen Fans einbrachte. Einiges davon – wie ein LR-Artikel – durchaus auf sachlich-fundierter Basis. Dass der Verein schließlich zuletzt einige Stadionverbote aussprach und der Gruppe “Inferno” das oben genannte Erscheinungssverbot im Stadion auferlegte (sprich sie sich nicht mehr mit Gruppenbannern präsentieren dürfen), war wohl auch der Versuch dieser Kritik ein wenig entgegenzusteuern. Dass sich Leute das österreichische Trainingslager als Ort aussuchten, um zu demonstrieren, dass “Inferno” lebt (unter anderem durch das Zeigen eines Banners am Rande eines Ersatzfreundschaftsspiels für das Tel-Aviv-Spiel), ist letztlich Ausdruck dieses Konflikts.

Wenn man den Cottbusern etwas vorwerfen kann, dann dass sie im Nachgang der Freunschaftsspielabsage merkwürdig still sind und bspw. auf der eigenen Website keinerlei Erklärung und Distanzierung zu finden ist und man sich (wenn entsprechende Medienberichte denn stimmen) auch nicht mit dem Kontrahenten nach der Absage in Verbindung gesetzt hat. Im besten Fall geht das als schlechter Stil durch, denn eigentlich sollte man in den letzten Monaten doch recht intensiv gelernt haben, dass Füße still halten in der Kommunikationsgesellschaft eher schlechte Folgen hat.

Letztlich bleibt eine hässliche Testspielabsage, für die die örtlichen Behörden ein bisschen eingeseift gehören und eine Basislektion darin, wie durch bestimmte negative Images und eine damit verbundenen Gruppendynamik letztlich aus Meldungen weit vom inhaltlichen Kern angesiedelte Meinungen entstehen. Funktioniert letztlich auch nicht anders als Stimmungsmache im Boulevard, kleidet sich nur aufgeklärter. Letztlich sagt die Testspielabsage also vor allem etwas über die Art und Weise, wie (online) Skandale hergestellt und perpetuiert und irgendeinem passenden Adressaten angepinnt werden. Manchmal ist das ärgerlicher, manchmal weniger. Aber fast immer ist es in Bezug auf die vielgelobte Online-Gesellschaft desillusionierend.

12 Gedanken zu „Internetdörfer“

  1. Danke für den Kommentar. Mir gefiele es deutlich besser wenn sich Vereine – und im Zuge dieses Beispiels eben auch Medien und diverse “Verteiler” – klar und sachlich zu solchen Vorfällen äussern würden. Stattdessen erleben wir immer nur diese aufgeregte Hysterie und im Ergebnis wird nichts zu einer Veränderung bzw. Verbesserung beigetragen.

    Man ist geneigt abzuschalten und zu ignorieren – genau das wäre falsch.

  2. Tolle Recherche und schöne Zusammenfassung. So Viel journalistischen Sachverstand trifft man selten im Meinungssturm des Internets. Daumen hoch!

  3. Energie sollte dann sofort ein anderer Ort aussuchen um das Freundschaftsspiel gegen Maccabi Tel Aviv austragen. Oder zu mindestens ankündigen, dass das Spiel doch mal stattfindet. Sonst ist nur eine Blamage.

  4. Guter bewertender Bericht von rotebrauseblogger. Frappierend scheint ja in Brandenburg eine gewisse, von der rot-rot Landesregierung gepflegte Einäugigkeit in diesen Dingen zu sein. Auf der Seite ein Dauer-Druck auf Energie Cottbus vom Verfassungsschutz, gegen diese schrecklichen Inferno-Leute vorzugehen – die ich nicht kenne und von denen ich auch nicht weiß, ob sie jemals gewalttätig gewesen sind. Auf der anderen Seite Schweigen des gleichen Landes-Verfassungschutzes zu gewissen Fans von SV Babelsberg. Diese kommen teils aus der linksextremen Aitonomenszene und zeigen in ihrem Block zum Beispiel immer ungestört eine riesige Fahne mit einem stilisierten schwarz Vermummten. Was wollen uns diese Leute damit sagen? Ist das kein Thema?

  5. Haifa oder Tel Aviv, Hauptsache Italien. Im Ernst: “Das reflexhafte Aburteilen eines Vereins”, anderer Körperschaften oder einer missliebigen Person zählt zum Standardrepertoire nicht weniger Web-Duces. Es verspricht anstrengungsfreie Distiktionsgewinne in Form von Retweets, Followern und Likes. Nimmt man doch gerne. An dieser Stelle und im konkreten Fall komme ich nicht umhin Johannes Gross zu zitieren: “Je länger das Dritte Reich zurückliegt, umso mehr nimmt der Widerstand gegen Hitler und die Seinen zu.” Gilt generell, auch für das grassierende digitale Maulheldentum. Desto bedauerlicher, wenn sich grundseriös gerierende und als staatstragend dekretierte Medien wie das ZDF, davon nicht zu unterscheiden wissen. Ich habe Energie bisher nicht als Verein mit einem Naziproblem (oder einem Problem im Umgang mit Nazis) wahrgenommen, aber diesbezüglich waren Deine Ausführungen ebenfalls sehr erhellend. Der Verein hat sich mit seinem dröhnenden Schweigen zu dieser Spielabsage ganz sicher keinen Gefallen getan, da es ein Einverständnis mit der behördlichen Entscheidung mehr als nur nahe legt. Und überhaupt reichlich autistisch daherkommt.

    Was die Frage meines Vorkommentators betrifft, könnte einem die Antwort in den Sinn kommen: Weil Österreich von diesem Fußballtourismus im Normalfall – meint: keine marodierenden Nazis – sehr profitiert. Ach ja, und weil es da eine gemeinsame Geschichte gibt. Siehe Thomas Bernhard.

  6. Also erstens finde ich es traurig, das man vor ein paar Idioten kapituliert. Wenn da überhaupt welche gekommen wären, vielleicht ist das ja auch nur ne Ente.
    Und zweitens zeigt das mal wieder wie schnell die Medien solche Meldungen aufgreifen ohne zu überprüfen.

  7. Kleine, für mich persönlich nicht unwichtige, Korrektur: in dem von mir verlinkten Originalartikel, der lediglich aus einem Absatz bestand, war von einem “Zusammenhang zwischen Absage und behördlicher Ursache”, anders als von Dir behauptet, noch nicht die Rede. Macht die auch von mir verbreitete Fehlinformation nicht besser, aber Deine Unterstellung, ich wäre nicht in der Lage, einen Artikel mit einem Absatz zu lesen, ist schlicht falsch.

  8. Als mir zum ersten Mal dein Tweet in die Timline retweetet wurde, konnte man in der alten Version des Artikels der Berliner Zeitung noch konträr zur Energie-sagt-ab-Überschrift, an weniger prominenter Stelle die Erklärung lesen, dass die Polizei das veranlasst habe. Ich erinnere mich nicht mehr der genauen Formulierung, nur dass ich mich da schon ärgerte, dass es die Berliner Zeitung schafft, eine Überschrift konträr zum eigenen Inhalt zu schreiben. Wenn du sagst, dass das, als du auf den Artikel gestoßen bist, noch nicht so war, dann werde ich dir da glauben.

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