Von Hoffen über Realismus bis hin zu Konsolidierung

Es war fußballerisch mit dem eigenen Verein kein aufregendes Jahr, aber langsam gewöhnte ich mich an die Situation und fand ein wenig Ersatzaufregung beim BVB. Es begann in dieser Nachwiedervereinigungszeit eben auf vielen Ebenen die Konsolidierung und Neuorientierung. Und der BVB roch damals via TV im Gegensatz zur heimischen Unterklassigkeit nach Aufregung, Spannung und Spaß. Dieses sollte auch noch eine Zeitlang mein fußballerisches Spannungsfeld bleiben. (Die Talsohle mit Energie Cottbus und schwarz-gelbe Einsprengsel; nach der Saison 1991/1992)

Vielleicht kennt das ja jemand aus der geneigten Schar der Leserinnen und  Leser. Dass es diese Spieljahre gibt, an die man sich beim besten Willen nicht erinnern kann. Oder zumindest kaum. So geht es mir mit der Saison 1992/1993 von Energie Cottbus, um die es sich hier und heute und der Rubrik “Vor 20 Jahren” entsprechend dreht.

In dieser Saison, das lässt sich aus den wenigen Überlieferungen, die es dazu im Internet gibt, wurde die dritte Liga in Deutschland, an der auch Energie Cottbus teilnehmen durfte, in einer achtgleisigen(!) Oberliga ausgespielt. Wobei das auch nicht ganz richtig ist, denn wie so oft leistete sich der NOFV eine Ausnahme und spielte die eigene Oberliga noch einmal dreigleisig in geographisch geordneten Staffeln (Nord, Mitte, Süd) aus (sodass es letztlich eine zehngleisige dritte Liga war). Mit entsprechend sportlicher Verwässerung. Und einer sich an die Saison anschließenden Aufstiegsrunde mit den drei Meistern, die in Hin- und Rückspiel (also insgesamt je vier Spielen) den Aufsteiger ausspielten. Wobei schon damals die Aufstiegsentscheidung zumeist über die Finanzen ging..

In meiner persönlichen kleinen Welt spielten Finanzen 1992/1993 noch nicht die große Rolle. Die Ausbildung zum Industriemechaniker im Kraftwerk Jänschwalde in der Nähe von Cottbus war in ihr drittes Jahr gegangen und warf ein paar D-Mark ab. Ich konnte nun ein bisschen schweißen, drehen und noch ein bisschen weniger schmieden, konnte über Pneumatik und Hydraulik klugscheißen und Kabel, Schalter und Glühlampen so zuammenschrauben, dass das Ergebnis Licht war. Und im Radio liefen bei der Arbeit Nachrichten, in denen stets und immer das Wort Bosnien-Herzegowina zu hören war. So lange, bis die Dramatik der dahinter steckenden Ereignisse hinter dem Widerwillen gegen das Wort verschwand.

Wenn ich mich an irgendetwas aus dem fußballerischen Bereich der Saison 1992/1993 rund um Energie Cottbus erinnere, dann daran, dass vor dem ersten Spieltag wider besseren Wissens dann doch so etwas wie Hoffnung aufkeimte. Hoffnung, dass die 12 Monate seit der Fußballvereinigung vielleicht doch nur ein böser Traum gewesen sein könnten. Die Hoffnung resultierte unter anderem daraus, dass mit Ingo Schneider ein in Cottbus durchaus populärer (Mittelfeld-)Spieler von seinem halbjährigen Union-Gastspiel zurückkehrte.

Die Hoffnung drückte sich in einer für damalige Verhältnisse guten Zuschauerkulisse von handerinnerten mehr als 2.000 Zuschauern zum Saisonauftakt gegen die zweite Mannschaft von Hertha BSC aus. Das folgende 2:1 war zwar nicht der Weisheit letzter Schluss und weit entfernt von souverän. Aber die Hoffnung lebte trotzdem noch ein wenig weiter.

Genaugenommen lebte die Hoffnung in dieser 17er-Liga  noch bis zum 16. Spieltag. Sieben Siege in sieben Heimspielen (u.a. 5:3 gegen Magdeburg) waren das Optimum und auch die durchwachsene Auswärtsbilanz (drei Siege, zwei Unentschieden, zwei Niederlagen) konnte nichts daran ändern, dass man vor dem Spitzenspiel gegen Union nur zwei Punkte Rückstand auf den Konkurrenten und sogar vier Punkte Vorsprung auf den Zweitligaabsteiger Hallescher FC hatte.

Doch letztlich war es wie im Jahr zuvor. Man war bei Energie Cottbus zu gut für große Teile der Liga, aber zu schlecht für ganz oben. Und so sammelte man in den letzten drei Spielen bis zur Winterpause gegen Union, in Halle und bei Herthas Zweiter exakt null Punkte bei 3:13 Toren. Und zack war sie dahin die leise glimmende Hoffnung auf sportliche Wiedergenesung, denn Union war nun plötzlich acht Punkte entfernt und Halle auch zwei Punkte vorneweg.

Der Rest der Saison verging demnach wie gehabt im Niemandsland der Tabelle. Mit Spielen im sportlichen Nirvana gegen den SC Charlottenburg, den VfB Lichterfelde, Marathon Berlin, Einheit Wernigerode, Türkspor Berlin und wie sie damals alle hießen. Am Ende stand eine unfassbare Heimbilanz von 15 Siegen und nur einer Niederlage bei beeindruckenden 53:17 Toren und eine ebenso unfassbare Auswärtsbilanz von fünf Siegen, vier Unentschieden und sieben(!) Niederlagen bei 24:37 Toren (Zehlendorf, Stendal, Halle, Hertha II, Wernigerode, Türkiyemspor, Union – um dem sportlichen Elend mal einen Namen zu geben). Zu Hause Aufstiegs-, auswärts Abstiegskandidat. Bei neun(!) Fahrten nach Berlin gab es gerade mal zwei Siege. Berlin-Trauma könnte man es nennen..

Am Ende standen 10 Punkte Rückstand auf Union Berlin auf dem Tableau. 10 Punkte, die man in den vermaledeiten Auswärtsspielen hätte mehr oder weniger locker mitnehmen können. Noch depremierender wurde es durch die Tatsache, dass Union Berlin zwar auch in den Relegationsspielen gegen TeBe und Bischofswerda(!) bestehen und Erster werden konnte, aber aus wirtschaftlichen Gründen keine Lizenz erhielt. Und auch im nächsten Jahr zum erneuten Konkurrenten werden sollte. Es waren dies auch die Jahre, in denen etwas entstand, was man vorher im Zusammenhang mit Union eigentlich gar nicht kannte, nämlich so etwas wie Rivalität.

Als I-Tüpfelchen auf die gar nicht so schlechte, aber doch ernüchternde Saison, in der man wieder ein Stückchen mehr im Sinne des Amateurfußballs geerdet wurde, schied Energie Cottbus auch im Landespokal aus und verpasste hier wie schon im Jahr zuvor die Qualifikation für den DFB-Pokal, an dem zum zweiten Mal hintereinander der Eisenhüttenstädter FC Stahl teilnehmen durfte. Ausgerechnet Eisenhüttenstadt. Ein weiterer Stachel im schmerzenden Fußballfleisch.

Wie wenig an konkreten Erlebnissen mir von dieser Saison, die ich auf jeden Fall regelmäßig live verfolgte, im Kopf geblieben ist, zeigt sich auch darin, dass es mich ziemlich erstaunte, dass mir als Trainer in dieser und auch der folgenden Saison Ulrich Nikolinski ausgespuckt wurde, der ja aktuell – so die offiziellen Darstellungen – Scout im Dienste von RB Leipzig ist (was nicht unbedingt heißen muss, dass er das immer noch ist). Wenn ich Bilder von ihm sehe, dann klingelt es leise, aber die mediale Begleitung von Energie Cottbus in jenen Tagen war dermaßen unausgeprägt, dass sich bei mir mit dem Namen Nikolinski kaum etwas verbindet. Da war mir sein Vorgänger Hans-Jürgen Stenzel, der im April 1992 mit 61 Jahren nach nur einem Jahr Tätigkeit bei Energie Cottbus aus (wenn ich mich recht erinnere) aus persönlichen Gründen zurückgetreten (und zurück nach Guben gegangen?) war, schon noch eher ein Begriff.

Fazit: Letztlich setzte sich in dieser Saison 1992/1993 das fort, was ein Jahr zuvor angefangen hatte, nämlich dass die Erkenntnis sackte, dass das Landen im Amateurfußball kein Fehler und auch kein Missverständnis, sondern bittere Realität ist. Und ein wenig steckte in dieser Erkenntis auch schon – wie in der Gesamtgesellschaft – ein kleines bisschen Konsolidierung und Annehmen der Situation drin. Ein Einlassen auf die neuen Gegebenheiten, auf denen das spätere Wachstum beruhte. Man war in einer Situation gelandet, in der man von der Öffentlichkeit meist unbeachtet, Amateurfußball spielte. Ohne den Druck, aus wirtschaftlichen Gründen möglichst schnell aufsteigen zu müssen und auch ohne Angst vor einem weiteren Absturz, denn tiefer konnte es in diesen Spielzeiten mit bestem Willen nicht gehen. Letztlich tat das dem Verein sehr gut, auch wenn es sich in dieser Zeit in dieser unsäglich berlinlastigen Liga nicht unbedingt immer sonderlich gut anfühlte.

Randbmerkung 1: In Erinnerung geblieben sind mir auch noch die Duelle mit Türkspor und Türkiyemspor. Spiele, die in jenen Zeiten nach den Pogromen von Lichtenhagen, die ja nur die Spitze von Jagden auf Ausländer, wie sie in jeder ostdeutschen Stadt und so auch in Cottbus stattfanden, waren, immer auch mit Bekenntnissen verbunden werden mussten. Türkiyemspor und der migrantisch geprägte Westen Berlins war für den durchschnittlichen Cottbuser in jenen Tagen nicht real fassbar und mit allem möglichen an Ressentiments und mehr oder vor allem minder gut begründeten Urteilen belegt. Ich glaube es war nach dem Spiel gegen Türkspor, als es im Nachgang zu Auseinandersetzungen und zu Angriffen auf die Gäste kam und sich die Lokalpresse anschließend darüber erbrach, wie unordentlich diese Ausländer ihre Kabine verlassen hätten. Schräge Zeiten, in denen nicht alles sympathisch war..

Randbemerkung 2: Sonst so im Fußball in jener Saison 1992/1993? Nicht viel, woran ich konkrete Erinnerungen hätte. In der Bundesliga wird Werder Meister. Ging völlig an mir vorbei. Dresden hält die Klasse. Der VfB Leipzig steigt auf. Kein NOFV-Zweitligateam steigt ab, aber mit TeBe auch nur ein halbes auf. Sodass mit Dresden, Leipzig, Chemnitz, Jena und Rostock weiterhin fünf der ursprünglich acht Teams in den deutschen Profiligen vertreten waren, die sich aus dem Ostfußball dafür qualifiziert hatten. Und nun hatte man sogar wieder zwei Erstligisten. Man könnte auch das als Konsolidierungstendenz beschreiben, aber die Zeche zahlten die Vereine dann später..

Champions League gab es auch noch. Wenn man sich durch Online-Quellen inspirieren lässt, erinnert man sich natürlich (wenn man schon so alt ist) an Christoph Daums Fehler, der in Leeds einen vierten Ausländer einsetzte, als aber nur drei erlaubt waren. Aus einer 1:4-Niederlage, mit der Daums Stuttgarter weitergekommen wären, wurde per Verbandsbeschluss eine 0:3-Niederlage, die das Hinspielergebnis egalisierte. Was logisch folgte, war das Aus im Wiederholungsspiel. Ungünstig gelaufen, kann man sagen.

Unvergessen für mich aber vor allem die Europapokal-Saison des BVB (UEFA-Cup). Mit unglaublichen Schlachten. Verbunden mit den Namen Zorc, Rummenigge (Michael), Chapuisat, Povlsen, Schulz, Reinhardt, Karl und und und. Und natürlich Hitzfeld. Und noch natürlicher Keeper Stefan Klos, der in einem spannungstechnisch schwer zu überbietenden Halbfinalrückspiel in Auxerre erst das 0:2 für sein Team ins Elfmeterschießen rettet und dort dann den sechsten Elfmeter aus der Ecke fischt. Wahrscheinlich hatte ich ein kleines Tränchen im Augenwinkel. Da machte es auch nichts, dass Dortmund in den zwei Finalspielen (damals gab es ja noch Hin- und Rückspiel) gegen Juventus Turin chancenlos war (witzigerweise kann ich mich an diese Spiele allerhöchstens vage erinnern). In jedem Fall trug diese europäische Saison mit finalem Scheitern wieder ein wenig dazu bei, dass meine Fernbeziehung zu Borussia Dortmung emotionaler wurde.

PS: Die bisher erschienen Rückblicke gibt es in der Rubrik “Vor 20 Jahren

PS 2: Die Ergebnisse der Oberliga Nordost, Staffel Mitte aus dem Jahr 1992/1993 gibt es – da das Online-Archiv von Energie Cottbus gerade überarbeitet wird – in keinem der üblichen Ergebnisportale. Gefunden habe ich sie letztlich auf einer völlig privaten Homepage [broken Link]

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